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Dotty’s House

Harriette sitzt frisch geduscht mit noch nassen Haaren am Frühstückstisch. Sie scheint der einzige Gast zu sein. Die schlafen natürlich alle noch! Sie ist geschmackvoll gekleidet: langes weißes Leinenhemd über khakifarbenen Bermudashorts - Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt; brauner Ledergürtel und geflochtene Sandalen, die ihre dunkelroten Zehnägel durchblitzen lassen. An ihren Ohren kleine goldene Ohrringe mit weißer Perle; am Mittelfinger ein breiter goldener Reifring, den sie immer trägt – Tag und Nacht. Harriette liebt hochqualitative aber schlichte Kleidung. Durch die vielen Reisetätigkeiten in der Modebranche hat sie gelernt mit schlauen Kombinationen und ausgefallenen Accessoires immer stilvoll auszusehen.

Pünktlich um 9:00 Uhr steht Achmed vor dem Hotel, um sie abzuholen. Harriette hat ein paar Stücke Papaya und eine Scheibe labbriges Weißbrot mit starkem Kaffee zum Frühstück gehabt - kein Wow, aber gut genug. Sie steigt fröhlich in Achmeds klappriges Auto.

“Jambo … hello, mama!”, begrüßt er sie fröhlich. Achmed ist nicht alleine. Auf dem Beifahrersitzt sitzt ein anderer Mzee,- grauhaarig, groß, hager und mit gelben Raucherfingern. Achmed stellt Harriette seinen Begleiter vor. Er sei Architekt und werde sie begleiten.

Und schon fahren sie los, quer durch Malindi in südliche Richtung. Cafés, Restaurants, Casino, Supermärkte, Kioske, Banken. Alles vorhanden in diesem Ort. Sie kommen am Marktplatz vorbei - noch immer bedeckt von einer breiigen dicken Schlammschicht. Langsam durchqueren sie den Platz, wo wie jeden Tag Hühner, Obst, Gemüse und andere Produkte verkauft werden. Ein reges Treiben.

Je weiter sie fahren, desto schöner wird die Umgebung. Weiße Häuser mit Makutidächern und farbenprächtigen Gärten an beiden Seiten der Straße. Achmed biegt nach links in Richtung ‘Marine National Park’, ein bekanntes Meeresnatur-schutzgebiet an der Ostküste Kenias. Der Weg wird schmaler und schon bald erreichen sie eine Gegend, abseits von der Hauptstraße, mit schönen Häusern, umzäunt von dicht-bewachsenen Mauern.

Achmed hält vor einem hohen Holztor an. Er hupt einige Male kräftig und schon bald wird das Tor von einem jungen Mann geöffnet. Aufgeregtes Hundegebell. Achmed fährt hinein und parkt das Auto im kleinen Innenhof. Alle drei steigen aus und werden sofort umringt von vier bellenden Jack Russels. Harriette steht vor einem symmetrisch angelegten, zweistöckigen Haus: in der Mitte ein zentraler Teil mit Haupteingang und links und rechts davon zwei Seitenflügel, Nord und Süd, die etwas versetzt nach vorne gebaut sind, sodass der Eindruck entsteht, als sei das Haus in einem Bogen angelegt. Links und rechts unterteilte Schiebefenster mit Fensterrahmen aus dunklem Holz, das stark kontrastiert mit den weiß gekalkten Wänden. Und, wie so viele Dächer in dieser Gegend, ein Makuti-Dach.

Dorothy Carmel, die Besitzerin des Hauses - Harriette schätzt sie auf Mitte siebzig – kommt ihr lächelnd entgegen.

“Good morning! How nice to meet you!”, begrüßt sie Harriette auf Englisch. “Jambo bwana Achmed, jambo bwana”, fährt sie fort in Swahili und bittet alle hinein.

Harriette begibt sich in Dorothy Carmels Haus. Sie betritt sogleich den zentralen Raum – eine symmetrisch angelegte Lounge - ausgestattet mit zwei großgeblümten, etwas verschlissenen Leinensitzbänken, die schon mal bessere Zeiten gesehen haben. Kleine, ovale Beistelltische aus dunklem Holz mit Rokokobeinchen stehen etwas verloren im Raum verteilt. Hinter den Rückenlehnen der beiden Sofas prunken zwei Sideboards, auf denen verschiedene kitschige Porzellanfiguren und geblümtes englisches Teeservice mit Goldrand bestätigen, dass es sich um eine Britin handelt, die dieses Haus bewohnt, sollte ihr Name dies nicht bereits nachweisen. Harriette fällt wieder eine Szene aus ’Out of Africa’ ein, in der Blixen Besuch bekommt von einer jungen Dame aus der High Society, mit der sie auf ihrer Veranda Tee trinkt aus diesen typisch englischen Teetassen.

Links und rechts des Raums befinden sich zwei Türen, die Zugang gewähren zu dem nördlichen und südlichen Seitenflügel. Harriette durchquert die Lounge, an deren Ende sich eine weit geöffnete, breite, mit Schnitzereien reich verzierte Flügeltür befindet. Sie betritt eine großzügig angelegte Veranda mit Blick auf einen tropischen Garten mit Pool. Atemberaubend!

Das nachher. Jetzt erst das Haus!, denkt Harriette und dreht sich um, um wieder zur Lounge zurück zu kehren, wo Dorothy Carmel auf sie wartet. Jetzt bemerkt Harriette, dass direkt beim Hauseingang eine Treppe in einem Bogen nach oben führt, eine Steintreppe mit klobig-massivem Holzgeländer.

Harriette betrachtet den Fußboden. “Ja, das ganze Haus und auch die Veranda haben Galana-Steinböden”, erklärt Dorothy, die Harriettes interessierten Blick haarscharf beobachtet. “Dieser Galana wird gewonnen aus dem Athi-Galana-Sabaki-Fluß, dem zweitlängsten Fluß Kenias. Es ist eine Art Schiefergestein und ist sehr beliebt hier. Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Haus”, fährt sie fort und zeigt Harriette die beiden angrenzenden Zimmer. Diese sind als Schlafzimmer ausgestattet mit großen, für diese Gegend so charakteristische Himmelbetten mit hochbeinigen gedrechselten Bettpfosten, die das Moskitonetz über das gesamte Bett spannen. An beiden Seiten der Himmelbetten stehen ovale Beistelltische mit kleinen Tischlampen. Die unterteilten Schiebefenster der Zimmer, die an Gartenseite und an Innenhofseite eingelassen sind, werden von schweren Leinenvorhängen umrahmt. Beide Zimmer haben direkten Zugang zum Garten.

Die angrenzenden Badezimmer sind komplett ausgelegt mit Galana: Fußboden, Dusche, Waschtisch. Über dem Waschtisch ein großer, quadratischer Spiegel mit dunklem Holzrahmen. Auch WCDeckel und Badetuch-Holzständer sind aus dunklem Holz. Ganz schön rustikal, aber mit den weißen Wänden sieht’s gut aus!, stellt Harriette fest. Die Einfachheit und Authentizität gefallen ihr.

Dorothy führt Harriette über die Treppe nach oben. Dort erstreckt sich eine Veranda, die flächenmäßig die Lounge im Erdgeschoß und auch deren angrenzende Veranda zum Garten vollständig überdeckt. Diese obere Veranda ist gigantisch! Die bogenförmige Balustrade zur Gartenseite läßt sie nicht nur noch größer erscheinen, sondern verleiht ihr auch eine gewisse Grandeur.

Harriette schaut hinunter auf den farbenfrohen, tropischen Garten mit seinen zahlreichen Hibiscussträuchern, Zitronenbäumchen, grünen Agaven, blühenden Bougainvillea-Sträuchern, Franchipanis und einem majestätischen, schattenspendenden Flammenbaum, von dem sie jetzt noch nicht weiß, welche Bedeutung er für sie bekommen wird. Und inmitten dieser Farbenpracht erstreckt sich dieses blaugestrichene, nierenförmige Schwimmbad, dem man ansehen kann, dass es einer gründlichen Renovierung bedarf. Sie findet es großartig hier! Sie schließt ihre Augen und atmet tief durch.

Was wäre wenn … .

Harriettes Blick schweift langsam nach oben. Ein riesiges, wohl zehn Meter hohes Makuti-Dach überkuppelt die gesamte obere Etage. Die Konstruktion dieses Daches, mit all ihren Holzverstrebungen, verleiht dem Ganzen etwas Monumentales und Majestätisches. Refugium, Pyramide, Beduinenzelt, sind Harriettes Assoziationen beim Anblick dieser Dachkonstruktion.

Links und rechts von der Veranda führt je ein zur Gartenseite offener Gang zu den Zimmern, die sich genau über den beiden Schlafzimmern im Untergeschoß befinden. Auch diese beiden Zimmer sind mit Himmelbett und eigenem Badezimmer ausgestattet. Auch diese Zimmer haben, genau wie die beiden unteren, je zwei Schiebefenster, je eines mit Blick auf den Garten und ein anderes mit Blick auf Innenhof und Einfahrt.

Vier Schlafzimmer und vier Badezimmer hat dieses Haus. Was macht eine alleinstehende ältere Frau mit vier Jack Russels mit vier Schlafzimmern? fragt sie sich.

Harriette läuft die Treppe hinunter, durchquert die Lounge mit den geblümten Leinensofas, hinaus zur Veranda, die zum Garten führt. Diese Veranda hat eine ganz andere Atmosphäre als oben. Hier wird gelebt: einladende Swahili-Sitzbänke mit großen bunten Kissen, großer Esstisch mit zahlreichen Stühlen. Ja, dieses Haus lädt Menschen ein.

Von der offenen Veranda führen vier breite Galana-Stufen hinunter in den Garten. Harriette geht die Stufen hinunter und wandelt quer durch dieses kleine Paradies bis zur Mauer, die an das Nachbargrundstück grenzt, und dreht sich um. Nun kann sie das Haus in voller Größe und Ausstrahlung betrachten. Es ist verwohnt und muss dringend renoviert werden, aber welch einen Charme strahlt dieses Haus aus! Es kommen Assoziationen in ihr auf. Dieses Haus erinnert sie an das Haus ihrer Großmutter in Holland und gleichzeitig auch an das elterliche Ferienhaus in Süd-Frankreich. Es ist, als ob sie dieses Haus schon kennt. Es ist als ob dieses Haus auf sie gewartet hat. Es ist, als ob sie nach Hause kommt.

Sie ist verzaubert. Sie ist verwirrt.

Was wäre wenn … ? Zahllose Gedanken in ihrem Kopf. Spielst du denn tatsächlich jetzt mit dem Gedanken, dieses Haus zu kaufen? Was willst du denn mit diesem Haus? Und warum ausgerechnet dieses Haus? Warum denn gleich kaufen? Kannst du nicht besser erst irgendetwas mieten, wenn du meinst hier leben zu wollen? Was um alles in der Welt willst du denn hier in Kenia? Du kennst das Land nicht, du kennst keinen Menschen hier. Was ist los mit dir?

Dorothy hat Tee gemacht und so sitzen sie auf der Veranda und trinken kenianischen Tee aus diesen geblümten Porzellantassen mit Goldrand, serviert mit köstlichen englischen Butterkeksen: ‘High Tea’.

Die vier Jack Russels sind immer in Dorothys Nähe und haben es sich auf der großen Swahili-Bank bequem gemacht. Bis auf einen. Einer der Vier setzt sich direkt zu Harriettes Füssen und will von ihr gestreichelt werden.

“Das ist Harry”, sagt Dorothy, “der Anhänglichste”.

Dorothy Carmel, eine schöne Frau. Zarte Statur, feingeschnittenes Gesicht, schlanke, ebenmäßige Nase, braune, sanfte Augen. In ihrem langen, weich fließendem Blümchenkleid sieht sie zerbrechlich aus. Ihr langes, mit grauen Strähnen durchzogenes mittelbraunes Haar nonchalant mit einem Hornkamm hochgesteckt - eine Frau mit Stil. Sie trägt antike Silberohrhänger mit Bernstein, die ihren Stil unterstreichen und perfekt zu ihrem feinen Gesicht passen. Sie hat eher asiatische Züge, nicht die einer Britin, schon gar nicht einer Kenianerin. Wie schön muss sie gewesen sein, als sie jung war!

“Madam, darf ich Sie etwas fragen?”, eröffnet Harriette das Gespräch, “warum wollen Sie dieses Haus verkaufen?”, Harriette nippt an ihrer Tasse und stellt sie auf den Beistelltisch.

“Wissen Sie”, Dorothy legt eine kurze Atempause ein und schlägt ein Bein über das andere, “ich bin müde geworden. Ich bin fast achtzig Jahre alt und lebe seit einigen Monaten alleine hier. Ich habe viele Jahre hier mit meiner lieben Schwester Daisy und ihrem Mann zusammengelebt. Wir hatten eine gute Zeit. Aber Daisy ist wegen ihrer Krankheit zurück nach England gezogen. Malindi ist kein Ort für ernsthaft erkrankte Menschen, da ist man doch besser in England aufgehoben. Ich habe ihr versprochen nachzukommen, sobald ich das Haus verkauft und alles für meine vier ’kids’ geregelt habe”. Dorothy schaut dabei ihre Hunde an.

“Ich fühle mich hier jetzt doch sehr alleine. Ich möchte zurück nach England. Meine Tochter und mein Schwiegersohn haben bereits ein nettes Cottage für mich entdeckt, wo ich leben könnte. Ich bin dann in ihrer Nähe und auch in der Nähe meiner Schwester”.

Dorothy erzählt von ihrem Leben in Kenia. Vater Brite, Mutter Kenianerin, aufgewachsen zunächst in England, dann zurück nach Kenia, wo sie in Nairobi lebte. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie mit Schwester und Schwager nach Malindi.

“Wissen Sie, Kenia ist ein wunderschönes, aber auch wildes Land”, fährt sie fort. “Ich war glücklich hier, aber ich bin müde von den hier immer wiederkehrenden täglichen Problemen, die nie aufhören. Ob es sich nun um ständig unterbrochene Stromversorgung handelt, keine Telefon-verbindung oder eine gebrochene Wasserleitung - diese Dinge sind immer wieder an der Tagesordnung. Als ich jünger war, machte mir das alles nichts aus, ich war wohl viel flexibler als heute. Aber jetzt suche ich Ruhe und will mich die letzten Jahre meines Lebens nicht mehr um solche Dinge kümmern müssen”.

Dann wechselt sie das Thema und erzählt Harriette von ihren Jack Russel Hunden. Mutter Molly - eine Mischung aus Jack Russel und Chihuahua und die kleinste von den Vieren - mit ihren drei Söhnen Tom, Dick und Harry. Alle Vier von Geburt an bei ihr, alle jetzt nicht mehr ganz so jung, aber noch sehr lebhaft. “Sie sind meine vierbeinigen Kinder. Ich liebe sie über alles, aber kann sie nicht mitnehmen nach England. Dort müssten sie nämlich sechs Monate in Quarantäne verbleiben und das kann ich ihnen nicht antun! Wenn ich keine Lösung finde, werde ich sie einschläfern lassen müssen”. Dorothy streichelt Molly, die neben ihr liegt, mit ihrem Kopf auf Dorothys Schoß.

Es stört Harriette, dass Achmed und sein Architektenfreund in unmittelbarer Nähe auf einer anderen Swahili-Bank sitzend alles mithören können, was hier erzählt und besprochen wird und fragt Dorothy daher, ob sie mit ihr im Garten spazieren möchte.

Sie willigt ein und so schlendern die beiden durch Dorothys Garten. Harriette erzählt Dorothy offen und ehrlich wie sie hier hergekommen ist, wie sie sich durch spontane Gedanken hat überrumpeln lassen und jetzt sehr verwirrt ist. Sie erzählt ihr von ihrem langjährigen Wunsch, einmal in ihrem Leben in den Tropen zu leben und sie nun das Gefühl bekommt, dass das Schicksal zuschlägt.

“Ich weiß eigentlich nicht, warum ich Achmed nach einem Makler gefragt habe. Mich mal umschauen, was der Häusermarkt hier bietet, ja … eigentlich rein aus Neugierde! Achmed hat mich hierhergeführt, ohne dass ich konkret weiß, was ich suche, ob ich was suche und was ich eigentlich hier will. Aber ich gestehe, dass dieses Haus etwas in mir auslöst. Ich kann es noch nicht erklären - alles geht so schnell - aber es fühlt sich für mich so an, als ob ich nach Hause komme”. Dorothy schaut Harriette lächelnd an und schweigt. Und Harriette fährt fort, “Ich möchte Ihnen keine falschen Hoffnungen machen und verschwende wahrscheinlich Ihre Zeit, denn ich weiß gar nicht was ich mit diesem Haus anfangen sollte … und trotzdem … darf ich Sie fragen welchen Preis Sie für dieses Haus im Kopf haben?”.

Dorothy nennt ohne Zögern ihren Preis. Ein Preis in kenianischer Währung, alles inklusive Inventar. Und blitzschnell rattern die Gedanken durch Harriettes Kopf: was ist das in DM? Kann sie das finanziell tragen? Übertragungskosten, Umbaukosten, Kosten, von denen sie keine Ahnung hat - keinen Überblick. Unruhe macht sich bei ihr breit. Harriette, jetzt mach mal halblang! Du machst hier Urlaub und sonst garnichts! Sie gehen zurück zur Veranda, wo Achmed und sein Architekt noch immer sitzen. Harriette trinkt noch eine Tasse Tee und verabschiedet sich.

“Danke, Mrs. Carmel, für Ihre Gastfreundschaft und dass ich Ihr Haus besichtigen durfte. Es ist wirklich ein besonderes Haus! Ich muß jetzt alles erst mal auf mich einwirken lassen”. Dorothy lächelt freundlich.

“Gern geschehen! Wer weiß, sehen wir uns ja mal in Malindi”.

Harriette, Achmed und der Architekt fahren zurück in die Stadt. Achmed versucht Harriette von den Vorzügen von ‘mama Dorothys’ Haus zu überzeugen. Wieviel bekommt der Kerl wohl an Kommission für seine Bemühungen? Aber was will ich?? Will ich ein Leben in diesem Land? Will ich ins kalte Wasser springen, in hundertprozentige Ungewissheit? Und alleine? Traue ich mir das zu? Panik steigt in ihr auf.

“Achmed, bitte halten Sie an! Ich möchte ein Stück laufen”. Sie drückt Achmed das Fahrgeld in die Hand und steigt aus.

“Watamu morgen?”, fragt er. Was hat der Kerl doch mit Watamu?

“Nein, Achmed, kein Watamu. Aber geben Sie mir bitte ihre Telefonnummer”. Harriette notiert mit Kugelschreiber seine Nummer auf der Innenseite ihres Unterarms. “Wer weiß -in den kommenden Tagen Watamu!”. sagt sie freundlich und Achmed antwortet mit einem breiten Grinsen und verschwindet.

Es ist ein sonniger Tag. Es ist warm. Es ist schwül. Na, daran könntest du dich gewöhnen, sagt sie sich und macht sich zu Fuß auf den Weg.

Ursprünglich eine Hafenstad, wurde Malindi seit dem 14. Jahrhundert vor allem von Swahilis bewohnt. Die heutige Bevölkerung ist eher ein Potpourri von Afrikanern, Arabern und Europäern, und inzwischen ist Malindi Hochburg der Italiener und Touristenort: Cafés, Restaurants, Banken, Supermärkte, Boutiquen, Einrichtungsläden, ein Casino - Malindi bietet alle Annehmlichkeiten. So vielfältig die Bevölkerung ist, so unterschiedlich sind auch die Baustile. Alte, reichverzierte Holztüren und bogenförmige Fenster neben schlichten, weißgekalkten Häusern mit Makuti-Dächern. Die meisten Häuser sind nicht in allerbestem Zustand, aber gerade das macht diese Stadt charmant. Lauscht man dem Stimmengewirr mit geschlossenen Augen, kann man nicht mit Sicherheit sagen wo man sich befindet. Swahili, Giriama, Englisch, Italienisch und manchmal ein paar Wortfetzen Deutsch. Hier werden alle Weißen - die Mzungus - grundsätzlich auf italienisch angesprochen, scheinbar sind in den Augen der Einheimischen alle Mzungus Italiener.

Malindis Markt liegt im Zentrum des arabischen Stadtteils. Eine bunte Anhäufung von vielen kleinen Verkaufsständen, Bushaltestellen, kleinen Tea-Shops und Geschäften, die von Korbwaren, bis zu Flip-Flops und Haushaltwaren alles anbieten. Hühner in Körben warten auf ihren Tod.

In Malindi angekommen, schlendert sie über den Markt. Diese armen Hühner! Beinchen aneinandergebunden in viel zu kleinen Körben - reinste Tierquälerei! Und dann wird sie Zeuge wie eines dieser Tiere geschlachtet wird. Gnadenlos wird das Huhn aus dem Korb gezogen, an den Flügeln festgehalten, auf den Boden gedrückt, Fuß auf das Huhn, damit beide Hände frei sind, mit der einen Hand den Hals lang strecken, mit der anderen Hand – ratsch - Messer der Kehle entlang. Dann Fuß vom Huhn, Huhn kopfwärts in einen Eimer und ausbluten lassen. Harriette sieht nur noch zwei heftig zappelnde Hühnerbeinchen. Das Zappeln wird weniger und dann bewegt sich nichts mehr in dem Eimer. Sie steht da mit Tränen in den Augen, sie kann die Grausamkeit nicht fassen. Die Marktfrau, die sich erst das Blut von den Händen und dann den Schweiß vom Gesicht wischt, sieht ihr Entsetzen und lacht laut.

“Mzungu! Hakuna matata … no problem!”. Sie wickelt das tote Huhn in Zeitungspapier und gibt es dem geduldig wartenden Kunden. Harriette ist schlecht. Hieran werde ich mich niemals gewöhnen können! Ja, auch das ist Kenia!

Harriette verbringt eine schlaflose Nacht. Immer wieder dieselben Fragen: Was will ich hier in Malindi? Was will ich mit diesem Haus? Alles, was mir lieb und wichtig ist, aufgeben? Will ich hier alt werden? Ganz alleine hier. Keine Ahnung, worauf ich mich einlasse… naiv… Touristenbrille auf… und trotzdem… ich wollte doch immer schon in den Tropen leben! Der Moment ist JETZT! Jetzt oder nie! Wenn du es jetzt nicht machst, dann meckere nie wieder darüber, dass du in den Tropen leben wolltest! Verpasste Chance …. Zurück in die Mühlen, die du schon kennst!

*

Die kommenden Tage verbringt Harriette mit Auskundschaften. Sie will dieses Malindi mehr auf sich einwirken lassen, will mehr zu wissen bekommen, was hier so passiert, wer hier so lebt.

Harriette findet zwei Makleragenturen in Malindi – beide durch Italiener betrieben. Sie schaut sich das Angebot in den Fenstern an: die meisten Häuser sind die typischen mit Makutidach, aber es gibt auch weniger exotische Exemplare mit Ziegeldach oder ganz primitive Häuser mit Wellblechdach! Das ist doch garnicht auszuhalten mit der Hitze! Wie kann man unter einem Wellblechdach leben? Das Preisangebot variiert entsprechend.

Harriette betritt eines der beiden Maklerbüros und sieht eine Frau an einem Tisch hinter ihrem Computer sitzen. Sie schätzt sie im gleichen Alter wie sie selber. Eine etwas mollige Italienerin mit tiefem Dekoltee, großer Armani-Sonnenbrille auf dem Kopf, um ihr mittelbraunes, langes Haar nicht ins Gesicht fallen zu lassen, silberne Ohrreifen und zahlreiche Ringe an den rundlichen Fingern mit langen künstlichen Fingernägeln. Von allem ein bißchen zu viel!

“Kann ich Ihnen helfen?”, fragt die Schöne freundlich und schüttelt die Silberreifen an ihrem Arm.

“Nun - ich würde mich gerne einmal unverbindlich umschauen nach einem Haus hier in Malindi. Ich kann noch nicht einmal sagen, was ich genau suche. Vielleicht auch nur ein Haus zur Miete … haben Sie das auch?”.

“Miete!? Ja, das gibt’s auch, aber ich fürchte, daß Sie damit nicht glücklich werden. Die Häuser, die hier vermietet werden, sind im Allgemeinen ziemlich verwahrlost!”.

“Ich würde mir gerne einmal einen Eindruck verschaffen von sowohl Kauf- als auch Mietshäusern. Könnten Sie mir ein paar Häuser zeigen?”.

“Für wie lange würden Sie denn eventuell mieten wollen? Ist es, um hier längere Zeit zu leben oder um hier regelmäßig Urlaub zu machen?”, fragt die Maklerin. “Tja, sie werden mich für verrückt erklären, aber das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Ich will etwas anderes mit meinem Leben anfangen und könnte mir vorstellen, das hier in Malindi zu verwirklichen. Wenn ich mieten würde, gehe ich natürlich kein Risiko ein; bei einem Hauskauf sieht das ganz anders aus, aber ich könnte dann auch schon ganz anders vorgehen bei der Verwirklichung meiner Ideen”.

“Was sind denn Ihre Ideen?”, fragt sie weiter. Harriette fühlt sich auf den Zahn gefühlt.

“Vielleicht ein kleines Hotel oder ein Bed & Breakfast beginnen. Wenn ich mieten würde, wäre das also lediglich für die Zeit, die ich brauche, um meine Pläne zu verwirklichen. Letztendlich aber läuft es doch auf den Kauf eines Hauses hinaus”.

“Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen morgen ein paar Häuser. Morgen zehn Uhr hier?”.

“Wunderbar! Morgen zehn Uhr. Ich werde da sein. Ich heiße Harriette van der Ham”.

“Angenehm! Anna Grimaldini!”.

Die Häuser, die Harriette zu sehen bekommt, beeindrucken sie nicht. Die meisten befinden sich im nördlichen Teil der Stadt - einer weniger attraktiven Gegend. Es ist nichts dabei, was Harriettes Herz höher schlagen läßt. Zu weit abgelegen, zu schattig, ungenügende Abschirmung, vergammelte Dächer, schlechte sanitäre Anlagen, oder einfach nur eine unbehagliche Atmosphäre, ohne das näher erklären zu können. Anna hat Recht. Die Mietshäuser oder Wohnungen sind einfach nur gräßlich. Lieblos, verwahrlost, defekt, schmutzig. Nein, dort will sie keinen einzigen Tag verbringen! Warum wird das Mietern zugemutet? Warum kann man kein nettes, gepflegtes Häuschen oder eine nette Wohnung finden? Harriette versteht es nicht. Könnte ich nicht tatsächlich selber Zimmer vermieten in Malindi? Könnte ich nicht wirklich besser doch ein Haus kaufen und es so umgestalten, daß ich die Zimmer vermieten kann? Schöne, liebevoll eingerichtete, geschmackvolle Zimmer. Schlicht, aber einladend! Vielleicht tatsächlich ein Bed & Breakfast beginnen … ein Guesthouse … ein kleines Hotel ….

Als Harriette sich die verschiedenen Häuserpreise genauer anschaut, stellt sie mit Erleichterung fest, daß Dorothys Haus nicht übertrieben teuer ist. Es liegt preislich zwar über den anderen, aber das Haus ist auch wesentlich attraktiver, größer, und liegt in einer schöneren Gegend, und das alles nur fünf Gehminuten vom Strand entfernt!

Harriette hat es sich im ‘Karen Blixen Café’ – im Zentrum des italienischen Stadteils – mit einem Cappuccino bequem gemacht. Sie muß nachdenken. Sie beobachtet die Leute auf diesem kleinen Platz. Ziemlich lebendig hier für eine Kleinstadt! Und was hier so alles herumläuft: sehen und gesehen werden! Italiener überall. Frauen in Gold und Strass, herausgeputzt, als seien sie einer Varieté Show entsprungen, Männer in Bermudashorts und lässig darüberhängenden Design Hemden, Wildledermokassins, Design Sonnenbrillen und Zigarillos. Dem Stimmengewirr nach könnte man meinen, man sei in Italien. Machen die hier alle Urlaub oder leben die hier?

Eine elegante Italienerin - Harriette schätzt sie auf Anfang sechzig – die einen Rollstuhl vor sich herschiebt, darin ein zerbrechlicher alter Mann, der etwas griesgrämig vor sich hinschaut, nähert sich Harriettes Tisch. Sie trägt einen weiten Seidenkaftan mit farbenfrohem Blumenmotiv und türkisfarbene flache Sandalen. Ihr grau-meliertes Haar - straff zu einem kleinen Nackenknoten gebunden - lässt die kleinen Brilliantohrstecker dezent zur Geltung kommen. Schlichte, stilvolle Eleganz - das gibt es also auch hier! Mit stark italienischem Akzent fragt die Dame auf Englisch, ob sie sich beide zu ihr setzen dürfen.

“Aber natürlich”, antwortet Harriette, steht auf um einen der noch freien Stühle am Tisch zur Seite zu schieben, um Platz zu schaffen für den Rollstuhl.

“Wie nett von Ihnen”, sagt die elegante Dame und lächelt ihr zu. Sie stellt den Rollstuhl direkt an den Tisch und setzt sich gleich daneben. “Mein Lieber, ich bestell dir gleich einen Espresso”, und winkt nach der Bedienung. Der Mann im Rollstuhl schaut schweigend vor sich hin. Die Bedienung scheint die beiden gut zu kennen.

“Guten Tag, Signore Angelo, ich bringe Ihnen gleich Ihren Espresso und Ihr Croissant”, sagt er freundlich zum Mann im Rollstuhl und schaut dann die Kaftandame an: “Signora Elena - und für Sie?”.

“Bringen Sie mir bitte dasselbe, Alfonzo!”. Alfonzo verschwindet, und die Dame sitzt schweigend neben dem alten Mann im Rollstuhl. Harriette schaut die beiden an und lächelt der eleganten Italienerin zu.

“Machen Sie Urlaub hier?”, beginnt die Dame das Gespräch. “Ja! Ich reise ein wenig durch Kenia und bin jetzt hier an der Küste angekommen”, antwortet Harriette freundlich. Die Dame nickt.

“Ja, Kenia ist ein wunderschönes Land. Mein Mann und ich leben schon sechsunddreißig Jahre hier!”. Sie schaut auf den schweigenden Mann im Rollstuhl. “Wir haben in Somalia gelebt … eine lange Geschichte … Malindi ist jetzt unsere Heimat. Leider ist mein Mann krank und hat Alzheimer und Parkinson, aber wir kommen noch jeden Tag hierher. Mein Mann besteht darauf. So kommt er wenigstens noch ein bißchen vor die Tür”. Harriette beobachtet, wie die Dame liebevoll seine Hand streichelt.

“Wie ist denn, wenn man so lange hier lebt?“ fragt Harriette neugierig.

“Für uns ist es hier herrlich. Wir leben hier mit sehr viel Freude. Wir haben unsere Freunde hier. Wir sind hier in Sicherheit - das war in Somalia doch ganz anders! Und … wir sind mitlerweile selber halbe Afrikaner. Wir könnten gar nicht mehr in Europa leben. Das ist zu schnelllebig, zu laut, zu hektisch für uns. Wir sind ja nicht mehr jung. Hier geht alles viel ruhiger vonstatten. Aber ich will Kenia nicht verherrlichen. Es gibt hier Sachen, die können einen zur Weißglut bringen! Dinge, an die man sich als Europäer einfach nicht gewöhnen kann. Das Hauspersonal, das immer wieder die gleichen Fehler begeht, die Ineffizienz der Behörden, die Umständlichkeiten im Alltag. Aber egal … man hat ja auch mehr Zeit hier … . Wissen Sie, uns tut das Klima gut. Die Wärme, die Sonne, das Meer … und was brauchen wir denn sonst noch?”. Harriette nickt. Die Dame fährt fort:

“Früher war Malindi von Deutschen und Engländern bevölkert, heute sind es die Italiener. Die Deutschen sind zur Südküste abgewandert - nach Diani, und die Engländer scheinen hier langsam auszusterben”, sagt sie lächelnd. “Seit die Italiener hier sind, hat Malindi sich verändert. Jetzt gibt es Casinos, italienische Supermärkte, nette Boutiquen und Restaurants. Malindi ist im Aufschwung und dabei, ein attraktiver Touristenort zu werden. Ich bin sicher, dass sich in den kommenden Jahren hier noch viel mehr tun wird!”.

Ich muss zurück zu Dorothy Carmels Haus! Ich muss es mir noch einmal anschauen und auf mich einwirken lassen. Ich muss mit Dorothy Carmel reden! Ich rufe Achmed an - er soll sie fragen wann ich kommen darf.

Wieder pünktlich um 9:00 Uhr wartet Achmed draußen vor Harriettes Hotel. Achmeds Kumpel ist auch wieder dabei. “Jambo mabwana!”, begrüßt sie die beiden Männer und setzt sich in Achmeds Klapperkiste. “Mama Dorothy erwartet Sie schon!”, sagt Achmed grinsend und fährt los.

Das Tor wird geöffnet. Vier freudig bellende Jack Russel Hunde begrüßen die Ankömmlinge. Dorothy hat bereits Tee gemacht.

”Mrs. Carmel, danke, dass ich nochmals kommen durfte. Ihr Haus geht mir nicht aus dem Kopf. Bitte erlauben Sie mir, es mir noch einmal anzusehen. Und dürfte ich das alleine machen?”. Dorothy Carmel schaut sie lächelnd an.

“Aber natürlich! Gehen Sie nur! Sie kennen sich ja jetzt aus hier!”.

Harriette geht sofort die Treppe hinauf. Sie setzt sich auf den Boden der großen Veranda und betrachtet die Makuti-Kuppel. Die eine Hälfte hat hellere Makuti, die müssen neu sein. Ja, so schön Makuti-Dächer auch sind, langlebig sind sie nicht! Aber diese Dächer gehören hierher und ich will nichts anderes!

Harriette steht auf und geht über die Ballustrade ins Zimmer des Nordflügels. Die Eingangstür ist im typischen Swahili-stil reich beschnitzt aus schwerem, dunklen Holz. Man muss zwei schmale Türflügel beide aufdrücken, um hinein zu können. Die Tür öffnet sich nach innen und lässt sich durch einen Querbalken an der Innenseite des Zimmers verschließen. An der Außenseite ist ein Riegel angebracht, abschließen kann man dieses Zimmer nur mit einem Vorhängeschloss.

Harriette betritt das Zimmer. Rechts befindet sich ein großer eingebauter Kleiderschrank mit drei Türen. Daneben ein Sideboard mit großem Spiegel. Danach die Tür zum Badezimmer. Das reich verzierte Himmelbett steht mit dem Kopf an der linken Wand des Zimmers - romantisch - mit seinem weißen Moskitonetz, das durch die leichte Windbrise hin und her wiegt. Links und rechts vom Bett die beiden ovalen Beistelltische, an beiden Seiten Wandleuchten aus Messing. Harriette betrachtet die schweren Leinenvorhänge vor den Fenstern. Hier muss etwas Leichtes, Luftiges her. Ein kleiner Swahili-Stuhl steht am Fußende des Bettes. Mehr Möbel gibt es nicht in diesem Zimmer. Die Zimmerdecke ist kegelförmig. Vom höchsten Punkt der Decke hängt eine große achteckige, mit buntem Glas ausgestattete Swahili-Lampe. Tausendundeine Nacht.

Dorothys Küche befindet sich nicht im Haupthaus sondern - wie in vielen Häusern in Kenia - in einem separaten Gebäude. Ein etwa fünfzehn Meter langer Korridor mit hohem Makuti-Dach verbindet das Haupthaus mit dem Küchengebäude. Die Küche ist einfach ausgestattet: Galana-Boden, Galana-Arbeitsflächen, Einbauschränke, ein alter Gasherd und ein verrosteter Kühlschrank sind alles, was man hier vorfindet. Im hinteren Teil führt eine schmale Tür zu einer kleinen Vorratskammer. Vergammelte, mit großen Löchern versehene Moskitonetze an den Fenstern bestätigen, dass dieses Haus einer gründlichen Erneuerung bedarf.

Harriette läuft um das Küchengebäude herum. An der Rückseite stößt sie auf eine Tür. Vorsichtig öffnet sie sie und schaut in ein winziges Zimmer - darin ein verrostetes Bett mit blau abblätternder Farbe, durchgelegener Schaumgummimatratze und schmutziger Wolldecke. Daneben ein gammeliger Stuhl, flüchtig zusammengenagelt aus Bambusstöcken, darüber liegen alte, schmutzige Hosen und Shirts. Gleich neben der Tür ein winziges Badezimmer. Nein, Badezimmer kann man es wirklich nicht nennen, es hat einen Duschkopf, der fest an der Decke verankert ist, daneben eine WC-Schüssel ohne Brille und Deckel und ein winziges Waschbecken. So also lebt Dorothys Houseboy!

Harriette ist über so viel Primitivität entsetzt, noch nicht wissend, dass diese Art von Unterkunft in Kenia zu den besseren zählt. Wie kann Dorothy Menschen nur so armselig unterbringen? Das ist menschenunwürdig! Selber wohnt sie in diesem großen, schönen Haus … und dann so was! Nein, das muß sich ändern! Dieses Haus braucht ein ‘Makeover’. Ich kann es! Ich will es! feuert sie sich an.

Ende der Diskussion - Knoten durchgehackt! Harriette wird ins kalte Wasser springen. Sie weiß: sie kann schwimmen. Und Dorothy muss mit dem Preis runter!

*

“Mrs Carmel, wir müssen reden”, sagt sie bestimmt und gibt Dorothy Camel zu verstehen, dass sie mit ihr im Garten spazieren will, um den lauschenden Ohren von Achmed und Kumpel zu entfliehen.

Harriette erklärt Dorothy, was sie über den Zustand ihres Hauses denkt . Sie legt alle Karten auf den Tisch. Und dann macht Harriette ein Preisangebot. Ein faires Angebot, das widerspiegelt, was ihr dieses Haus wert ist. Und Dorothy willigt sofort ein, denn Dorothy will zu ihrer Tochter nach England. Dorothy will nicht länger warten. Dorothy hat keine Zeit zu verlieren.

Harriette reicht ihr die Hand. Deal! Jetzt die Details festlegen, eine Kaufabsichtserklärung unterschreiben und einen Vertrag aufsetzen lassen. Harriette kennt niemanden hier in Malindi, aber Dorothy.

“Wenn Sie einverstanden sind, rufe ich einen alten Freund von mir an. Er war früher Anwalt und ist jetzt pensioniert. Er kann die Verträge vorbereiten und dann später bei einem Notar vorlegen”, schlägt Dorothy vor.

“Wie steht’s mit der Grundbucheintragung dieses Grundstücks?”, fragt Harriette. “Ist das Haus belastungsfrei?”.

Dorothy versichert ihr, dass das der Fall ist, und dass sowieso eine Anfrage beim Katasteramt in Mombasa erfolgen muss, bevor die Akte unterzeichnet werden kann. Das klingt beruhigend.

Kurz darauf sitzen Dorothy und Harriette im Auto auf dem Weg zu Subhash Rahul, Dorothys Bekanntem. Er wohnt im alten Stadtteil von Malindi, direkt am Meer. Sein Apartment befindet sich in einem dieser typischen, vergammelten Swahili-Häuser mit verrosteten Fenstergittern und schmutzigen Fassaden.

Die beiden Frauen steigen eine schmale, düstere Treppe hinauf und bleiben vor einem verschlossenen Eisengitter stehen. Eine kleine Terrasse mit zerbrochenen Kübeln und verwahrlosten Pflanzen, ist alles was Harriette sehen kann. Alles macht einen lieblosen Eindruck auf sie. Warum kümmern sich die Menschen hier so wenig um das, was sie unmittelbar umgibt?, fragt sie sich. Es ist ihr unverständlich.

“Subhash! … Subhash! Öffne die Tür! Ich bin’s, Dotty!”, ruft Dorothy und kurz darauf erscheint Subhash, ein kleiner, untersetzter Inder in weiter Hose, die ihm fast bis zu den Achselhöhlen reicht. Gemächlich schlurfend nähert er sich dem Terrassengitter, schließt auf und bittet beide hinein. Harriette fällt seine sanfte Stimme auf - ein erster Pluspunkt. Der zweite folgt zugleich, denn er spricht Deutsch, und nicht irgendein gewöhnliches Deutsch, nein, fließendes ‘Schwizerdütsch’! Subhash führt die beiden in sein Wohnzimmer. Auf einer schäbigen Bank mit zerschlissenem Bezugsstoff nehmen sie Platz. Subhash muss ein belesener Mann sein, denn überall liegen Bücher herum: Bücher auf Regalen, auf Tischen und auf dem Boden.

Subhash lässt Tee bringen. Zuckersüßen Tee mit Zimt und sogleich erzählt er Harriette, dass er seinen Bachelor in der Schweiz abgelegt und viele Jahre dort gelebt hat. Seine Eltern lebten damals in Mombasa und letztendlich kehrte er nach Kenia zurück, um sich um seine Eltern zu kümmern. Nach dem Tod seiner Eltern blieb er. Seine Kinder leben in England, über seine Frau schweigt er.

Sie kommen zum Geschäftlichen. Subhash ist bereit, zwei Verträge vorzubereiten. Eine Kaufabsichtserklärung und den eigentlichen Kaufvertrag. Letzterer muss durch einen Notar beglaubigt werden. Er wisse schon, wer das machen könnte, ein Freund in Mombasa. Wichtig ist, dass die Kaufabsichtserklärung von Harriette unterzeichnet wird, bevor Harriette wieder nach Deutschland zurückfliegt. Er wird dafür sorgen, dass sie ihn morgen unterzeichnen kann. Morgen!

“Kommen Sie morgen um 10:00 Uhr, okay?”, sagt Subhash. Danach will er sich um das Katasteramt kümmern. Sie verabreden, dass er den Kaufvertrag nach Deutschland schicken wird. Im Juli muss Harriette dann nach Kenia zurückkommen, um den Vertrag vor einem Notar zu unterzeichnen. Harriette ist einverstanden. Unterwegs zu ‘Dotty’s House’ warnt Dorothy:

“Subhash ist ein Mann, der Sie stundenlang mit seinen Geschichten festnageln kann. Wenn Sie ihn zufällig in der Stadt treffen, dann rechnen Sie damit, dass Sie die kommenden dreißig Minuten in ein Gespräch verwickelt sind, dem Sie einfach nicht entkommen können. So lieb der Mann auch ist, er ist sehr eigensinnig und kauzig, und vor allem sehr weit ausholend mit allem was er sagt. Er kann kein Ende finden. Von Hinz zu Kunz und wieder zurück, das ist Subhash. Er kennt jeden hier in Malindi und er weiß alles. Das wiederum kann sehr hilfreich sein”.

Sie erreichen Casuarina, den Ortsteil von Malindi, in dem sich ‘Dotty’s House’ befindet. Mosi, Dorothys Houseboy, öffnet das Tor. Achmed und sein Kumpel sind bereits weg. Dorothy lässt Tee und ein paar Sandwiches machen. Mosi schaut Harriette etwas verlegen an. Er scheint zu wissen, was sich hier tut. Dann beginnt Dorothy mit einem Thema, das ihr auf dem Herzen liegt:

“Was mache ich mit Molly, Tom, Dick und Harry? Und ach ja – da ist auch noch Percy, die Katze. Wissen Sie, die Katze gehört mir gar nicht, aber eines Tages war sie da und blieb einfach. Ich habe sie gefüttert und nun gehört sie zum Inventar! Ich sagte Ihnen ja schon, dass ich meine Hündchen nicht mitnehmen kann”.

“Mrs. Carmel, was mich betrifft, können alle einfach bleiben. Ich werde mich um sie kümmern. Wichtig für mich ist, dass wir die Übergabe von Haus und Hof gemeinsam gut regeln. Ich werde in Kürze wieder nach Deutschland fliegen, um dort meine Ausreise vorzubereiten. Wenn alles nach Plan verläuft, bin ich im Juli wieder in Malindi, dann fahren wir gemeinsam nach Mombasa, um den Vertrag zu unterzeichnen. Ich werde dann wieder nach Deutschland zurückkehren, meine Wohnung auflösen und den Umzug nach Kenia vorbereiten. Anfang Oktober werde ich dann hier sein. Bis dahin, so hoffe ich, werden Sie bleiben, um Haus und Hunde zu versorgen. Ist das für Sie akzeptabel?”. Dorothy schaut Harriette mit gütigen Augen an, sie lächelt und nimmt sie in ihre Arme.

“Sie schickt der Himmel. Wie schön, dass die Hunde und Percy bleiben dürfen. Ich bin ganz sicher, dass sie es bei Ihnen gut haben werden. Ich werde mit einem ruhigen Gefühl das Land verlassen können. Das wird nicht leicht werden, ich habe sogar Angst vor diesem Abschied, aber ich kann nicht mehr hier bleiben, ich möchte zu meiner Tochter. Ich bin müde. Aber ich werde hierbleiben, bis Sie wieder hier sind. Oh, und noch etwas: ich habe drei Angestellte: Jengo, mein Gärtner, Furaha, das Hausmädchen, und Mosi, mein Koch. Jengo hat gerade eine Woche Urlaub, und Furaha ist krank, Mosi ist also heute ‘Mädchen für alles’. Ich habe die drei seit vielen Jahren und bin zufrieden mit ihnen. Furaha kann leider nicht gut bügeln, sie hat keine Ahnung, welche Temperatur für welches Material einzustellen ist. Aber ansonsten macht sie ihre Sache gut. Sie putzt das Haus. Jengo sorgt für Garten und Swimmingpool und hält ein wach-sames Auge auf den Wassertank”.

Dorothy redet über ihre Angestellten genauso, so wie sie sie unterge-bracht hat, denkt Harriette irritiert, versucht sich aber weiter auf Dorothys Instruktionen zu konzentrieren. “Wenn der nur noch bis zu einem Viertel gefüllt ist, müssen Sie Wasser bestellen. Die kommen dann mit einem Tankwagen und liefern Wasser. Passen Sie auf, dass sie Ihnen nicht mehr in Rechnung stellen als mir! Ich werde Ihnen alle Quittungen geben. Mosi ist ein lausiger Koch, aber er gibt sich Mühe. Als er hier anfing, hatte er gar keine Ahnung und mittlerweile kann er doch schon so das ein oder andere kochen. Erwarten Sie keine ‘haute cuisine’! Es wäre schön, wenn sie alle bleiben dürften. Stellen Sie aber Ihre eigenen Regeln auf und besprechen Sie das ganz deutlich mit ihnen. Mosi wohnt weit weg von hier, deshalb übernachtet er hier und geht am Wochenende nach Hause; Jengo und Furha gehen jeden Abend um 17:00 Uhr nach Hause und kom-men morgens um 8:00. Mittags haben alle eine Stunde Pause. Sie können sich dann hinter der Küche ihr Essen kochen. Ich habe dort eine kleine Feuerstelle für sie. Von mir bekommen sie Ugali, Gemüse bringen sie selber mit. Sie wissen, was Ugali ist? Es ist Maismehl und es gibt keinen einzigen Kenianer, der kein Ugali ißt! So wie wir Brot essen, wird hier Ugali gegessen. Man nennt es auch Sima. Die drei dürfen morgens um 9:30 eine halbe Stunde Tee trinken. Den Tee stelle ich immer zur Verfügung”. Harriette spürt eine innere Irritation. Sicherlich meint sie es nicht so … aber sie redet über ihre Angestellten, als seien sie ihr Eigentum. Dieses koloniale Getue … .

Dorothy zeigt Harriette einen Ordner mit den Zahlungen für ihre Angestellten. Nach europäischen Verhältnissen sind die Gehälter eine Bagatelle. Dorothy zeigt noch mehr Ordner, als ob die Hausübergabe an diesem Tag geschehen müsste: Wasserquittungen, monatliche Strom- und Telefonrechnungen etc.

“Hier in Kenia bezahlt man auch für nichtgelieferten Strom!”, sagt sie, als sei das ganz normal. “Sporadisch kommt mal jemand zum Strom Ablesen, aber anhand der Rechnung ist nicht nachzuvollziehen, wie die Summe zustande kommt. Ich habe es im Laufe der Jahre aufgegeben. Sinnloses Unterfangen. Einfach bezahlen. Wenn Sie nicht bezahlen, wird der Strom innerhalb einer Woche nach Ablauf der Frist abgestellt!”

“Sie machen mir Mut!”, sagt Harriette, und ein leichtes Unbehagen macht sich in ihr breit.

Am nächsten Morgen, pünktlich um zehn Uhr, steht Harriette vor Subhashs Verandagitter und ruft ihn.

“Ja, ich dachte es mir schon, dass Sie pünktlich sein würden, das war in der Schweiz auch immer so”, sagt Subhash, der wieder schlurfend zum Gitter kommt. “Ich bin noch nicht fertig. Wir hatten hier gestern Nachmittag keinen Strom, also muss ich das jetzt gleich noch vorbereiten und dann fahre ich in die Stadt zum Kopieren. Können Sie heute Nachmittag nochmal ?”.

“Ja, das kann ich. Ich möchte morgen nach Lamu und muss noch einen Flug regeln, danach kann ich hierherkommen”, erwidert sie.

Harriette schlendert durch den alten Stadtteil von Malindi. Wie viele Moscheen hat dieser Ort wohl? Sie sind überall!. Sie wird belästigt von einigen jungen Männern, die - egal wie - eine Unterhaltung mit ihr anfangen wollen.

“Ciao bella, ciao mzungu!”, Harriette reagiert nicht und läuft weiter. Sie erreicht den touristischen Teil von Malindi, rund um ‘Uhuru Garden’ mit seinen zahlreichen kleinen Geschäften: schöne Korb- und Lederwaren, ethnischer Schmuck, Kikois – farbenfroh gewebte Tücher, antike Möbel, die nicht antik sind und vielerlei Kleinkram, der bei Touristen sehr gefragt ist. Sie durchquert ganz Malindi, bis sie an einem kleinen Platz das Büro von AirKenya erreicht.

*

Sie hätte auch einen Bus nehmen können nach Lamu. Das ist eine Tagesreise und kostet so gut wie nichts. Doch davon wird strengstens abgeraten. Sogar im Reiseführer wird vor diesen Busfahrten gewarnt: Die Busse werden regelmäßig durch Somalis überfallen. Man weiß, dass in den meisten Fällen auch Mzungus an Bord sind, und auf die haben sie es abgesehen. In deren Köpfen gilt: Mzungus haben Geld - immer - auch wenn sie kein Geld haben!

Es ist Nebensaison und das macht sich überall bemerkbar: Harriette kann sofort einen Flug für den nächsten Tag buchen und das auch noch zum Sondertarif. Sie bucht und gönnt sich danach einen Cappuccino im ‘Karen Blixen Café’. Wieder befindet sich Harriette auf einem anderen Planeten: Schmuck, Parfums, lackierte Fingernägel, rotblonde Haare, große Sonnenbrillen, Design Taschen, Miniröcke und vor allem lautes Gerede. Der Cappuccino hier ist einfach köstlich, so ganz anders als der Kaffee, den sie zum Frühstück serviert bekommt. Harriette amüsiert sich beim Anblick all dieser Glittermenschen. Warum putzen die sich alle so heraus? Wir sind doch nicht bei irgendwelchen Filmpremieren!

Es wird Zeit für Subhash. Sie beschließt, den ganzen Weg zurück zu laufen. Busse und Sammeltaxi’s – sogenannte Matatus - gibt es nicht in der Stadt. Sie könnte sich ein Boda-Boda nehmen – eine Fahrt auf dem Gepäckträger eines meist klapprigen Fahrrads ‘made in China’. Nein, Harriette läuft lieber.

Subhash hat alles fertig und überreicht ihr sein Werk. Harriette liest die Absichtserklärung. Wieder dieses Spannungsgefühl in ihr. Jetzt wird’s ernst! Sie liest nochmal. Sie stellt Fragen. Sie versteht. Sie unterzeichnet. Sie ist jetzt ‘Beinah-Eigentümerin’ eines Hauses in Kenia. Subhash erzählt von Dorothy und ihrer Schwester Daisy.

“Die beiden haben ziemlich wilde Zeiten hinter sich - das war vor langer Zeit”. Subhash lächelt verschmitzt. Harriette schweigt neugierig. “Und trinken konnten die beiden wie kein anderer!”, fügt er noch hinzu. “Dorothy hat eine Tochter in England, und bei dieser Tochter und deren Mann wird sie jetzt leben. Sie haben alles vorbereitet. Dorothy wird ihren eigenen Wohnbereich haben, sie kann nicht warten - sie fühlt sich hier zu einsam”. Harriette nickt und verabschiedet sich von Subhash.

“Wenn Sie jemals Hilfe benötigen - und das werden Sie - dann rufen Sie mich an oder kommen einfach vorbei. Sie haben noch viel zu lernen hier!”, sagt Subhash und zwinkert ihr zu.

“Ja, ich habe noch viel zu lernen hier. Ich kenne nichts und niemanden. Ich weiß noch nicht einmal was ein Liter Milch hier kostet! Ich nehme Ihr Angebot gerne an! Danke, Subhash!”.

Schwarzer Honig

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