Читать книгу Die Schandmauer - Heide Fritsche - Страница 5

Оглавление

Der Flüchtling

Es war Samstag, der 13. April 1960. Alfred Weichelt ging von Tür zu Tür. Irgendwo musste sich eine Unterkunft für ihn finden, gleichgültig was und wenn es nur eine Schlafstelle war. Vorläufig war er im Flüchtlingsauffanglager in Marienfelde. Das war für ihn die Hölle: Als eingefleischter Junggeselle war er nicht gewohnt, Kinderlärm um sich herum zu haben. Jetzt war er diesem hektischen Betrieb ausgesetzt. Die Völker strömten herbei, jeden Tag. Das war das Resultat der Zwangskollektivierung des Bauernstandes in der Ostzone.

Begreifen Sie doch: Ich bin kein Bauer. Mich mit Hunderten von Bauern einzupferchen, bringt mich in die Klapsmühle.“

Berlin ist überlaufen. Wir werden Sie nach Westdeutschland rüber fliegen.“

Weichelt wollte aber nicht nach Westdeutschland fliegen. Er wollte überhaupt nicht fliegen. Er wollte ein kleines Zimmer haben, irgendwo in Berlin, mehr verlangte er nicht. Er telefonierte von Zeitungsannonce zu Zeitungsannonce. Er ging von einer Empfehlung zur anderen, bis er in der Reichenberger Straße ankam. Hier klingelte er zuerst bei Frau Elster. Frau Elster war sehr zurückhaltend: „Bei mir kommt kein Mann in die Wohnung. Ich war einmal verheiratet, das reicht.“

Mitleid hatte sie trotzdem: „Aber eine Tasse Kaffee und eine Stulle können Sie bekommen... Also, Flüchtling sind Sie? Warum sind Sie geflohen?“

Zwangskollektivierung.“

Sie doch kein Bauer nicht.“

Alle reißen sich den Mund wund über die Zwangskollektivierung des Bauernstandes, aber an den kleinen Mann mit Privatbetrieb denkt keiner. Ich hatte eine kleine Druckerei, Reklame, Laufzettel, Krimskrams, Traueranzeigen, Gratulationen, was sich gerade bot, nicht viel, Einmannbetrieb, aber ich war mein eigener Herr. Jetzt sollte ich in einem staatseigenen Betrieb jeden Quatsch der Partei drucken. Das war alles zensurierter Blödsinn, Propaganda, Blablabla, politische Schulung, Gehirnwäsche... Nee, wissen Sie, ich bin zu alt für so was.“

Weichelt war deprimiert: „Die Ostzone erklärt die Zwangskollektivierung als eine Welle der freien Einsicht der Bauern und des Mittelstandes. Die Zwangskollektivierung ist aber nichts anderes als Terror gegen die Bevölkerung.“

Frau Elster schmolz das Herz. Sie konnte diesen armen Menschen nicht einfach wegschicken: „Versuchen Sie einmal nebenan bei Schwitters ihr Glück. Ich will nicht klatschen, aber da war letzte Woche ein Krawall. Die Alte hat die jungen Mädchen rausgeschmissen. Da sind bestimmt ein paar Zimmer leer.“

Die Schandmauer

Подняться наверх