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Bürgerlich-demokratische Revolution, geistige Revolution

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Hugo Preuß (1860–1925), ein liberaler Demokrat, war im November 1918 zum Staatssekretär des Innern ernannt worden und schrieb auch den Entwurf für die Verfassung der Weimarer Republik. 1919 amtierte er für ein knappes halbes Jahr als Reichsinnenminister. Er verglich am 14. November 1918 die Novemberrevolution mit der Großen Französischen: „Wenn es das unabwendbare Schicksal in allen Revolutionen wäre, daß die Gironde von jakobinischer Schreckensherrschaft überrannt wird, so ist es deren Schicksal, von einem gesellschaftsrettenden Säbelregiment überwunden zu werden.“64 Damit prophezeite er als Phasen der Revolution: 1. die Regierung des Großbürgertums – 2. das radikalisierte Kleinbürgertum an der Macht (so in Frankreich 1793/94; in der Wahrnehmung des Verfassers: in Deutschland die Arbeiter- und Soldatenräte?) – 3. die Militärdiktatur.

Andere zogen den Vergleich mit der Revolution von 1848. Am 28. Januar 1918 beschlossen in Berlin 414 Delegierte als Vertreter von ca. 400.000 Arbeiterinnen und Arbeitern in einem Forderungskatalog u.a., „den preußischen Obrigkeitsstaat zu stürzen und die 1848 verpaßte bürgerliche Revolution nachzuholen“.65 In seiner Rede aus Anlaß des 40. Jahrestags der Novemberrevolution erinnerte Walter Ulbricht an die Sicht der Spartakusgruppe, die im Oktober 1918 festgestellt habe: daß „eine revolutionäre Situation“ gekommen sei, „die alle Probleme neu entrollt, die die deutsche Bourgeoisie in der Revolution von 1848 nicht zu lösen fähig war.“ Gemäß dieser Feststellung und nach umfangreichen wissenschaftlichen Forschungen müsse man „die Novemberrevolution als bürgerlich-demokratische Revolution einschätzen, die in gewissem Umfang mit proletarischen Mitteln und Methoden durchgeführt wurde.“66 Ähnlich berechnet Gerhard Engel die „historischen Chancen“ der Novemberrevolution: „Überfällig war sicher die Vollendung dessen, was bereits 1848 auf der Tagesordnung gestanden hatte …“: die bürgerlich-demokratische Republik, „die volle Ausbildung“ eines demokratischen Parlamentarismus.67

Nicht wenige Intellektuelle verkannten 1918 und in den Folgejahren, was unter ihren Augen geschah. Sie zerbrachen sich nicht den Kopf, ob eine bürgerliche, eine soziale oder sozialistisch-proletarische Revolution auf der Tagesordnung stand. Sie begehrten eine geistige Revolution als seelische Umkehr, als mentale Abwendung vom Obrigkeitsstaat, Krieg und Militarismus. Sie ersehnten eine geistig-seelische Erneuerung und zeigten sich bald enttäuscht, daß diese ausblieb. Sie beklagten dann sehr die gegebenen Zustände, das Defizit an Humanität und Menschenliebe.

Walther Rathenau suchte die Revolution in drei Komponenten aufgeteilt zu denken: die ungeistige oder „Revolution der Ranküne“, die ökonomische oder Revolution „des Güterausgleichs“ sowie die „der Verantwortung“. „Die echte Revolution wird im Geiste entschieden.“68 Gustav Landauer imaginierte den Geist als den Revolutionär, der „das alte Reich gestürzt“ habe, – von der Revolution von oben oder unten kein Wort. Und was sei die Aufgabe des Sozialismus? Man glaubt die Stimme Robespierres zu vernehmen: „die Verwirklichung des Geistes und der Tugend“.69 Die Frauenrechtlerin und Pazifistin Helene Stöcker verlangte, als wolle sie dem ganzen beginnenden Jahr diese Parole verordnen, im Heft 1/1919 ihrer Zeitschrift: „Zu den Waffen – des Geistes und der Güte!“ Für Heinrich Mann ist „Geist“ das vornehmste Lebenselement. Er lehnt es ab, die politisch-ökonomische Veränderung als höchstes Ziel zu akzeptieren, heischt, an die Adresse der Sozialisten gewandt: „Man gebe doch nicht vor, die Vergesellschaftung noch der letzten menschlichen Tätigkeit sei das Radikalste, das sich tun läßt. Einen Radikalismus gibt es, der alle wirtschaftlichen Umwälzungen hinter sich läßt. Es ist der Radikalismus des Geistes.“ Was ein Republikaner sei? „Republikaner nennen wir Menschen, denen die Idee über den Nutzen, der Mensch über die Macht geht.“70 Hier finden sich die Gründe dafür, daß in seiner Rezension (1919) von Heinrich Manns Roman Der Untertan Kurt Tucholsky besonders rühmt, daß der Verfasser dem Geist den höchsten Rang einräume.71

Dem Geistprinzip, wie es sich in den Zitaten äußert, sind liiert die Ideale der Güte und der Menschenliebe. In der Revolution traten einige Autoren auf, die verlangten, diese nun als Leitmotive aller Veränderungen zu wählen. In seiner Rede im Politischen Rat geistiger Arbeiter in München am 10. Dezember 1918 führte Bruno Frank (1887–1945) aus: „Vier Jahre lang war der Mensch, war die Liebe zum Menschen nichts, – jetzt, jetzt sind ihr die Tore aufgestoßen, und sie steigt frei zum Lichte. … dieses Wort Liebe, Menschenliebe steht in leuchtenden Buchstaben über dem offenen Eingang zu der neuen Zeit.“72 In seinem Erfolgsbuch – ebenfalls von 1918 –: Der Mensch ist gut kontrastiert Leonhard Frank dasselbe Prinzip den Verheerungen des Krieges: „Eine Welle der Liebe wird die Herzen der Menschen öffnen im Angesichte der ungeheuerlichsten Menschheitsschändung.“73

Soll aber der Geist nicht frei im Raume schweben, nicht ungebunden in der Sphäre die Liebe, müssen Menschen vorhanden sein, die vom Geist beflügelt sind, überzeugt, daß Liebe das Rettende sei. Träger des Geistes und Enthusiast der Liebe müßte der neue Mensch sein. Wer revolutioniert, wird erfolglos bleiben, wenn er vergißt, neue Menschen zu schaffen – ein Gedanke, der in der Epoche vor allem in der Dichtung aufflammt. Auch Graf Kessler erwägt ihn (30. März 1920), wobei er sich an Franz von Assisi (1181 oder 1182–1226) anlehnt: „Eine wirkliche Revolution kann nur gelingen, wenn die Welt auf ganz neue Grundlagen gestellt und gleichzeitig ein neuer Mensch geschaffen wird. Daß das eine ohne den andren ergebnislos oder fast ergebnislos ist, beweisen Franz von Assisi und Robespierre, die beiden großen entgegengesetzten Halbrevolutionäre. Vielleicht wäre die Synthese in Tolstoi und Lenin gegeben.“74

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