Читать книгу Fanfaren einer neuen Freiheit - Heidi Beutin - Страница 14
Affirmative Würdigung
ОглавлениеPeter Stein zeigt, daß der Intellektuelle nie eine allgemeine Anerkennung erfuhr.21 Weshalb? Um das zu ermitteln, müsse man sich „den Grundkonflikt der Dreyfus-Affäre vergegenwärtigen“. Für die Verteidiger der Unschuld von Dreyfus sei der Name „intellectuels“ gebraucht worden, zuerst von ihnen in Anwendung auf sich selber, von ihren Gegnern „dann auch in beschimpfender Form …“, ein Begriff, „der alsbald für ein engagiertes Sprechen bzw. für eine öffentliche Intervention mittels des geschriebenen Wortes einstand …“ Schnell bildeten sich zwei Lager heraus, dem der Dreyfusards gegenüber das ihrer Gegner: „Die politischliterarische Öffentlichkeit wurde definitiv gespalten, der operative Schriftsteller konnte – jeweils Universalität für sich beanspruchend – in beiden Lagern auftreten bzw. zwischen ihnen wechseln.“22
Anders im Reich: „Die in Frankreich selbstverständliche Anerkennung der Kompetenz von Schriftstellern, Gewissen der Menschheit bzw. der Nation zu sein, sei es in links- oder rechtsintellektueller Hinsicht, gab es in Deutschland um 1900 und danach nicht. … Heinrich Mann, von dem bis 1904 keine Reaktionen auf die Dreyfus-Affäre überliefert sind, war einer der ersten, der den Begriff ‚Intellektueller‘ ab diesem Zeitpunkt positiv zu verwenden begann …; dagegen mied Thomas Mann bis 1915 … den Begriff, näherte sich ihm jedoch mit der positiven Bestimmung des ‚Literaten‘ in dem Fragment Der Künstler und der Literat (1913; vgl. aber die ironische Rücknahme in den Betrachtungen eines Unpolitischen …).“23 Wie Stein hervorhebt, war es Heinrich Mann auch, der „die Gegenfigur zum universellen Intellektuellen beschrieb“; das ist „der ‚abtrünnige Literat‘“24 Das Muster für ihn bildete ihm sein eigener Bruder, als dieser 1914 den Krieg und die deutsche Kriegführung glorifizierte. Der Zola-Essay (1915) ist das Dokument der Absage Heinrichs an ihn, ein „Bruch“, der jetzt zugleich auch in Deutschland „die Spaltung von Links- und Rechtsintellektuellentum artikuliert, indem den ‚Ideen von 1914‘ die ‚Ideen von 1789‘ gegenübergestellt werden.“25
Ständig gibt es auch die Möglichkeit des Seitenwechsels vom Saulus zum Paulus oder umgekehrt. Ein international bekannt gewordener Seitenwechsler war u.a. Mussolini, der 1914 vom Sozialismus zum Nationalismus konvertierte und dessen Karriere ihn weiterführte zum Faschismus, den er 1919 gründete. Loewenfeld skizziert den Fall des Münchener Publizisten Paul Nikolaus Cossmann (1869–1942), des Herausgebers der „Süddeutschen Monatshefte“ (1904–1933). Vor dem Kriege „ein entschiedener Vorkämpfer [des] demokratischen Liberalismus“, nahm er in den ersten Kriegsjahren „eine politische Schwenkung von 180 Grad“ vor und scheute sich fortan nicht, zur „alldeutschen Agitation“ zu greifen, endlich sogar auch zum Antisemitismus, den er verbreitete, obwohl er selber aus jüdischer Familie stammte. Das alles hinderte nicht, daß die Gestapo ihn 1933 verhaftete, 1942 nach Theresienstadt schleppte und dort ermordete.26 Umgekehrter Fall: Hier zu vergleichen ist die Autobiographie Hellmut von Gerlachs, deren Titel gleichzeitig ein Bekenntnis ist: „Von Rechts nach Links“.
Auch Heinrich Mann greift statt der Bezeichnung „die Intellektuellen“ in der Revolution manchmal jetzt die modisch werdende auf: „Wir geistigen Arbeiter …“27 Außerdem gebraucht er so gut wie synonym: „der Literat“. Den Terminus verwendet er u.a. in der Gedenkrede auf Eisner (16. März 1919), worin er eine bemerkenswerte Inversion wagt. Die Abwertung, mit dem Thomas Mann in den Betrachtungen den Typus des Linksintellektuellen belegte: „Zivilisationsliterat“, – in der Eisner-Ehrung verkehrt der Redner sie ins Gegenteil: „Wer so unwandelbar in der Leidenschaft der Wahrheit und, eben darum, so mild im Menschlichen ist, verdient den ehrenvollen Namen eines Zivilisationsliteraten.“28 Wenn Helene Stöcker den ‚Internationalen Völkerbundkongreß‘ von Bern 1919 (5.–12. 2.) im April des Jahres kommentiert, gedenkt sie dabei des prominentesten Deutschen, der dort anwesend war. Sie schreibt über ihn – ohne Nennung seines Namens, jedoch meint sie Eisner und seine Bemühungen zugunsten des revolutionierten Deutschen Reichs.
Das Buch von Hugo Ball (1886–1927) Zur Kritik der deutschen Intelligenz entstand aus seinen Beiträgen, die er auf Anregung René Schickeles für das Emigrantenblatt „Die Freie Zeitung“ – es erschien in Bern von 1917–1920 – verfaßt hatte (1919). Es enthält u.a. polemische Äußerungen gegen Beispiele deutscher nationalistisch-antisemitischer Publizistik, darunter das Werk des Historikers Heinrich von Treitschke und des eingedeutschten, aus England stammenden Autors Houston Stewart Chamberlain, der sich die ‚wissenschaftliche‘ Begründung des Antisemitismus zur Aufgabe gesetzt hatte. Als „Sinn dieses Buches“, versichert der Verfasser, denke er sich, „daß es die während des vierjährigen Krieges gegen die Regierungen der Mittelmächte erhobene Schuldfrage systematisch ausdehnt auf die Ideologie der Klassen und Kasten, die diese Regierungen möglich machten und stützten.“29
Bruno Frank bestimmt in seiner Rede am 10. Dezember 1918 die Aufgabe der Intellektuellen in der Revolution. „Aber wir sind die Bürger, die dem Neuen am ehesten sich eingliedern können, weil wir am klarsten seine Notwendigkeit einsehen und weil uns Menschenliebe über die ökonomischen Interessen unserer Klasse am leichtesten hinwegträgt. Unsere große und schöne Pflicht ist es, als geistiges Mittelglied für das Bürgertum um Vertrauen zu werben bei der Arbeiterklasse, die sich befreit hat.“30 Es bedeutete doch eine erhebliche Verkennung der Arbeiter, wenn er wähnte, diese müßten die Intellektuellen als Vermittler beanspruchen, um sich mit dem Bürgertum und der Republik zu arrangieren.
Der Hauptgesichtspunkt, der in der Mehrzahl der Ausführungen sozialistischer Autoren dominierte, war die Bündnismöglichkeit. So bereits 1909 in Pannekoeks Übersicht Die Klassen der bürgerlichen Gesellschaft und ihre Funktion im Klassenkampf. Gleichzeitig vergewärtigte der Autor sich, daß die Intelligenz, zusammen mit den „Privatangestellten“ – den nicht beim Staat und seinen Behörden beschäftigten – „eine Uebergangsschicht zwischen Proletariat und Bourgeoisie“ bilde, da sie kein Eigentum an Produktionsmitteln besitze und einzig vom Verkauf ihrer Arbeitskraft lebe. Und ebenso: wie sich daher gewisse Teile der Intelligenz der Arbeiterklasse nähern, näherten sich den „untersten Schichten der Intelligenz“ „einige aus dem Proletariat emporsteigenden Schichten, die Arbeiter, die durch besondere Ausbildung und Fähigkeiten unentbehrlich sind, besser entlohnt werden, und so eine Arbeiteraristokratie bilden …“31
Edwin Hoernle benutzt in seinem Aufsatz Die kommunistische Partei und die Intellektuellen (1919) für diese überwiegend das Synonym „Kopfarbeiter“. Es sei die „wachsende wirtschaftliche Notlage …, die auch unter den Kopfarbeitern den Gedanken der Organisation, der wirtschaftlichen und politischen Interessenvertretung weckte.“ Er glaubt, euphemistisch das Fazit ziehen zu können: „Das proletarische Klassenbewußtsein war durchgebrochen … Unter Vorantritt der Bankbeamten, Verkehrsbeamten, Handelsangestellten reiht sich das Kopfproletariat mit wachsender Entschlossenheit in die proletarischen Kampforganisationen.“ Womit sich nunmehr der KPD die Aufgabe stelle, „mit dem ganzen Rüstzeug ihrer politischen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen, dem Entwicklungsprozeß bei den Kopfarbeitern zu Hilfe zu kommen“. Sein Euphemismus verleitet den Verfasser, das bestimmte Eintreffen der proletarischen Revolution anzukündigen, und jetzt liege es an den Intellektuellen, ob sie „mit allen Schrecken des Bürgerkrieges kommen“ werde oder „wie ein leichter Herbstwind“.32
Im Vergleich zu Hoernles optimistischen Ausführungen ist die Einschätzung der Intellektuellen durch Clara Zetkin, fünf Jahre später, doch bedeutend skeptischer. Sie schaut zurück: „Ohne Rücksicht auf ‚Volksgemeinschaft‘ und ‚Vaterland‘ verwandelte der Kapitalismus die Intellektuellen aus Mehrern der deutschen Kulturwerte in Händler mit gangbaren geistigen Waren.“33 Sie seien in drei Ränge zerteilt: einen obersten, wo die einflußreichsten Vertreter der Intelligenzschicht „in der Pose von Herrenmenschen auf die leidenden, ausgebeuteten Proletarier als auf Herdentiere“ hinabschauen – hier verwendet sie Nietzsches Sprache –. Sodann: „Die breite Schicht der Geistesarbeiter, die noch in mittel- oder kleinbürgerlichen Verhältnissen lebte und nun hinabgeschleudert worden ist in die Tiefe einer proletarischen Existenz, beginnt den Zusammenhang zwischen ihrer Knechtschaft und der Macht der Besitzenden zu ahnen …“ Diese Gruppe öffnet sich der Erkenntnis jedoch nur widerwillig und bevorzugt es, „noch den Wahn“ fortzuträumen, „daß sie eine besondere, bevorzugte Kaste“ sei.34 „Unterhalb dieser beiden Schichten gab es eine dritte Gruppe von Geistesarbeitern, die weder Glück noch Stern hatten, die unaufhörlich an der Grenze des Lumpenproletariats hin- und herwanderten und sehr häufig in diesem versanken.“35
Clara Zetkins Ergebnis lautet: „Die Intellektuellenfrage enthüllt sich letzten Endes als die Krise der geistigen Arbeit und der Kultur selbst in der bürgerlichen Gesellschaft. Sie kündet uns, daß die bürgerliche Gesellschaft nicht länger Hüterin, Fortentwicklerin ihrer eigenen Kultur sein kann.“ Damit sei die Intellektuellenfrage eben keine alleinige Frage der Intellektuellen mehr, auch keine Frage mehr nur der bürgerlichen Gesellschaft, sondern werde zu einer Frage des Proletariats.36 Gehe der Intellektuelle, über seinen eigenen Schatten springend, endlich doch mit ihnen, so müssen die Kommunisten die Intellektuellen „als Bundesgenossen nicht verschmähen und zurückstoßen“.37