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Zusammenbruch, Friedenssehnsucht

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Das Lexem „Zusammenbruch“ ist in den Quellen aus der Novemberrevolution und in der späteren Forschung überaus häufig. Karl Alexander von Müller, poetisierend: „Derweil dröhnten von draußen, erst in meine Arbeits-, dann in meine Krankenstube, in nie abreißender, sich steigernder Folge, die grausamen Stundenschläge unseres politischen und militärischen Zusammenbruchs …“29 Eugen Schiffer vermutet eine Abfolge: „Nach dem Zusammenbruch der Monarchie, nicht nach dem Sieg über sie, aus dem horror vacui heraus, war die deutsche Revolution geworden.“ Dieselbe im Bilde der Selbstkastration: „Die Monarchie entmannte sich selbst, ehe sie durch das Volk beseitigt wurde.“ Schiffer auch, mit Griff zur Natur-Allegorie: „Sie fiel keinem Ansturm zum Opfer, sie brach in sich zusammen wie eine hohle Eiche unter einem Windstoß.“30 Wilhelm Kaisen stellte ein Kapitel seiner Autobiographie unter die Überschrift Der Zusammenbruch und beschrieb diesen näher: „Ludendorffs Verlangen nach einem sofortigen Waffenstillstandsangebot brachte den Stein ins Rollen, der in kurzer Zeit eine Lawine auslösen sollte …“31 Die Autoren der Zeit greifen also nach Synonymen für das Lexem „Zusammenbruch“, diesen mit Naturphänomenen oder -vorgängen vergleichend: Eiche, Windstoß, Erdbeben, Stein, Lawine. Daß die Politik mit Blut und Eisen, die ein Hauptkennzeichen der preußischdeutschen Staatsgründung gewesen sei, 1918 auch deren Ende herbeiführte, hebt Eduard Bernstein mit Verwendung sogar zweier Metaphern hervor (Geburt, Totengräber): „Das deutsche Kaiserreich der Hohenzollern brach zusammen. Die Macht, die bei seiner Erstehung Geburtshilfe hatte leisten müssen, die Politik von Blut und Eisen, ward sein Totengräber.“32 Der Pazifist Ossietzky räumt ein, daß sich anfangs „kein einheitliches Bild ergeben wollte“ und daß „zunächst Chaos eintreten mußte“, „eine geschichtliche Wende“. Tatsache sei: „daß eine Welt zusammengebrochen ist und neu errichtet werden muß.“33

Immerhin an eine Revolte rückte Carl Zuckmayer (1896–1977) den Matrosenaufstand heran: „Es gab keine ‚Novemberverbrecher‘. Es gab keine allgemeine große Volkserhebung, auch keinen organisierten Aufstand. … Einer elementaren Revolte glich höchstens der Aufstand bei der Kriegsmarine.“ Weiter im Text, eine äußerst sachliche Mitteilung über eine Verfassungsreform: „Was stattfand, war die Überleitung einer militärisch und wirtschaftlich ruinierten Nation aus ihrer historischen in eine der Gegenwart gemäße, demokratische Ordnung.“34

Karl Liebknecht analysierte den Vorgang mit dem Befund, daß die Revolution nach ihrer politischen Form doch nicht einzig eine proletarische Aktion gewesen sei, sondern eine überwiegend vom Militär ausgehende: „Ihre politische Form war in erster Reihe eine militärische Aktion, die nur mit manchem Körnlein Salzes proletarisch genannt werden kann; ihre Antriebe waren zum großen Teil nicht proletarische Klassennöte, sondern mehr oder weniger allgemein gesellschaftliche Gebrechen; der Sieg der Arbeiter- und Soldatenmassen war nicht so sehr ihrer Stoßkraft zu verdanken als dem inneren Zusammenbruch des früheren Systems; die politische Form der Revolution war nicht nur proletarische Aktion, sondern auch Flucht der herrschenden Klasse vor der Verantwortung für den Gang der Ereignisse; Flucht der herrschenden Klassen, die mit einem Seufzer der Erleichterung die Liquidation ihres Bankrotts dem Proletariat überließen und so der sozialen Revolution zu entgehen hoffen, deren Wetterleuchten ihnen den Angstschweiß auf die Stirn treibt.“ 35 Der Verfasser, der mit mehreren Naturmetaphern arbeitet (Salz, Wetterleuchten), bietet einen Komplex von Ursachen der Revolution an: neben jenem „inneren Zusammenbruch des früheren Systems“ den Anstoß durch das Militär (Ludendorff), „gesellschaftliche Gebrechen“ (etwa das preußische Klassenwahlsystem?), und beschreibt mit Hilfe eines ökonomisch-finanziellen Terminus („Bankrott“) das Gesamtgeschehen, wobei er die proletarische Aktion mit einem Anteil einkalkuliert.

Von Erich Mühsam stammt eine methodologische Forderung: „Der Ursprung der Revolution aus dem Friedens- und Freiheitswillen der Soldaten muß deshalb in den Vordergrund jeder Betrachtung gestellt werden, weil er entscheidend ist für die revolutionären Ziele, die jetzt zu erstreben sind.“ (18. November 1918)36 In seiner Autobiographie bezeugt Richard Scheringer (1904–1986) ähnlich: „In Wirklichkeit war der 9. November ein gewaltiges Sichaufbäumen gegen Hunger und Krieg.“37 Und Carl Zuckmayer in der seinigen: „Das Volk war müde, erschöpft, enttäuscht, und in seiner Mehrheit keineswegs revolutionär gestimmt. ‚Friede und Brot‘ stand auf den Schildern, die bei Demonstrationszügen vorangetragen wurden; es stand auch das Wort ‚Freiheit‘ darauf, unter dem sich aber jeder etwas anderes vorstellte und das für die Mehrheit ebensogut durch das Wort ‚Ruhe‘ hätte ersetzt werden können.“38 Ossietzky will als einzigen Erfolg des Novembers sogar nur die Erringung des Friedens anerkennen, überzeugt, daß „der militärische Zusammenbruch“ gekommen wäre auch ohne meuternde Matrosen.39

Bramke hielt für die Forschung fest (2009): „Es herrscht Übereinstimmung darüber, die große Mehrheit der Bevölkerung wollte 1918 Frieden und – mit einigen Prozent Abstrichen – demokratische Verhältnisse.“40 Scherer insistierte: „Das ist die wichtigste Tatsache und der größte unter den Erfolgen der Revolution des 9. November 1918: Sie hat einen Weltkrieg beendet.“41

Es bleibt die Frage, inwiefern, was in der Wirklichkeit nicht absolut geschieden auftrat, die Friedensbewegung und die politische Revolution, in der Gedankenwelt getrennt aufzufassen wäre. Der Soldat, der den Frieden wünscht, sein Gewehr in den Straßengraben wirft und nur noch die eine Bestrebung kennt, auf dem schnellsten Wege seinen Heimatort zu erreichen, wird tatsächlich von einer revolutionären Partei nicht zu bewegen sein, wieder eine Waffe in die Hand zu nehmen und für den Umsturz zu fechten. Hier treten die Friedenssehnsucht des Heimkehrers aus dem Schützengraben und die Revolution, die den kampfbereiten Streiter benötigt, in der Tat erkennbar auseinander. Doch gab es Umstürzler, die beides mit einander verschmolzen sehen wollten. Oskar Maria Graf erwähnt eine Versammlung von Syndikalisten, Angehörigen anderer politischen Richtungen, Freidenkern und einigen Intellektuellen, sonst „ziemlich viel Arbeiterfrauen und vereinzelte Soldaten“ darunter. Der ihm bis dahin unbekannte Kurt Eisner sprach und legte dar: „Die Herren von der Obersten Heeresleitung und die weisen Richter am grünen Tisch der Reichskanzlei irren, wenn sie annehmen, die überall aufflackernden Meutereien, die Streiks und Demonstrationen des Proletariats seien nur eine Bewegung für den Frieden allein. Nicht um eine bloße Gegenbewegung, Genossen und Genossinnen, handelt es sich mehr – es handelt sich, darüber müssen wir uns alle klar werden, um eine Fortbewegung in die Revolution hinein!“42

Der Redner bezeugte damit, daß er jene scharfe Trennungslinie zwischen den zwei Zielen: Frieden und (proletarische) Revolution abwies, weil er eine schnellere oder langsamere Entwicklung erwartete: Friedensbewegung als Revolution.

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