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Die Konterrevolution
ОглавлениеWie das historische Gebilde der Novemberrevolution bei eingehender Untersuchung viele Facetten zeigt, so gleicht ihr die Konterrevolution darin. Sie weist politische, militärische, ökonomische und ideologische Aspekte auf. Große Energie investierte sie, um politische Kräfte gegen die Revolution und ihre Maßnahmen zu mobilisieren, rüstete sowohl öffentlich als auch geheim militärisch gegen sie auf – diese militärische Aufrüstung forcierend im weiteren Verlauf der Revolution – und gebrauchte mit professioneller Raffinesse alle verfügbaren Propagandamittel, bevorzugt kompakte Unwahrheiten und Legenden, die seither nicht sämtlich verschwunden sind, sondern sich bis heute in Teilen der Forschung und Öffentlichkeit erhalten haben.
Daß sie die Konterrevolution geplant und realisiert hätten, bildet eine geläufige Anschuldigung, die in zahlreichen Quellen und historischen Darstellungen gegen führende Sozialdemokraten erhoben wird. Richard Müller bewährte sich als einer der umsichtigsten Führer der Revolutionären Obleute und vorzüglicher Theoretiker der Rätebewegung, als einer der entschlossensten Protagonisten der Revolution. Bei der Untersuchung der Gegenrevolution, fragte er, wer diese initiierte, und benannte: Angehörige des Bürgertums, darunter in der Presse, Mitglieder der Obersten Heeresleitung – „der stärkste Hort, der aktivste Teil der Gegenrevolution“ – und Männer aus dem Offizierskorps des Frontheeres. Als „das politische Haupt der Gegenrevolution“ jedoch identifizierte er den sozialdemokratischen Volksbeauftragten Ebert.83 Paul Frölich, ebenfalls ein agiler Protagonist der Revolution, hat die Arbeiterbewegung im Blick: „Das Kraftzentrum der Gegenrevolution befand sich mitten in ihr.“ Es sei der „Generalstab der alten Sozialdemokratie, die Ebert, Noske, Legien, Scheidemann, Landsberg usw.“84 Gegen die zitierten Autoren könnte allerdings ins Feld geführt werden, sie seien Repräsentanten des Linkssozialismus und Kommunismus, jener illusionären Politik verpflichtet, die mit dem Versuch auftrat, die Revolution weiter zu einer sozialistischen zu entwickeln. Nur teilten dieselbe Sicht ebenso Personen aus dem Bürgertum. Lida Gustava Heymann schrieb: „Ein Noske, Scheidemann, Wels, Ebert und wie sie alle hießen, verrieten die Arbeiter und Soldaten …“85 Unter den Intellektuellen existierten jedoch unterschiedliche Meinungen. Aus einer Gesprächsrunde, die er selber als deutschnational und reaktionär empfindet, berichtet am 30. Dezember 1918 Graf Kessler: „Überwiegend war aber der Widerwille gegen die jetzige Regierung und Anarchie.“ Der Kreis erklärt sich offensichtlich gegen beides, die Regierung der Volksbeauftragten und deren linkssozialistische Opponenten, diese verstanden unter dem Begriff „Anarchie“. Kessler möchte aber darauf hinaus, „daß man die Ebertsche Regierung stützen müsse“, worauf man ihm heftig entgegnet: „man müsse alles tun, um sie zu stürzen“.86 Offensichtlich wäre es dem Kreis genehm gewesen, reinen Tisch mit beiden zu machen, der Regierung und den Kräften links von ihr; also mit der gesamten Revolution, der gemäßigten und der radikalen. Kessler nimmt auch bei anderer Gelegenheit Partei für Ebert. Vergleichbar Arnold Brecht. Er nimmt Ebert und Noske ausdrücklich in Schutz, beide hätten die Ermordung Liebknechts und Rosa Luxemburgs als „schwere Belastung“ angesehen.87 Dagegen wiederum der Sozialdemokrat Loewenfeld aus persönlicher Kenntnis Noskes: „Er zeigte die abstoßende Geste eines jovialen Diktators, dem es auf ein bisschen mehr oder weniger Menschenunglück nicht ankommt.“88 Ein anderer Sozialdemokrat, Kaisen, merkt an, der Krieg habe ein „Chaos“ hinterlassen, und schreibt: „Daß aus diesem Durcheinander schließlich wieder ein handlungsfähiger deutscher Staat als demokratische Republik entstand, ist vor allem den Männern um Friedrich Ebert zu danken, die rechtzeitig die Unvermeidlichkeit dieser Umstellung erkannt hatten.“ 89 So urteilte auch Gustav Radbruch: „Diese Rettung Deutschlands, das war die große Leistung der Zeit, die der Sozialdemokratie zu danken ist …“90
Wer die Revolution verstehen will, muß sie als ganze verstehen wollen. Wer die Gegenrevolution verstehen will, muß auch sie als ganze zu verstehen suchen. Unbestreitbar ist das Faktum: Es gab sie. Sie war unbezweifelt vorhanden, ihre Einstellung ist ermittelbar z.B. aus den Mitteilungen (1921) von Oberst Max Bauer, der als Abteilungschef bei der OHL tätig war. Sie äußert sich in den Vorwürfen, die er gegen andere Strömungen richtet: „… 1914 sah ein einiges Volk, die zersetzenden Tendenzen des Liberalismus und die Sozialdemokratie fanden keinen Rückhalt.“ Bei dem anhaltenden Kriege aber zeitigte deren „Hetze“ Erfolg, nicht zuletzt vermittels der Schlagworte „Freiheit“ und der nunmehr „‚Internationale‘ genannten „Brüderlichkeit des Proletariats … Das jüdisch-demokratisch orientierte Bürgertum sekundierte tapfer …“ Sein Vorwurf trifft am härtesten die kaiserliche Regierung, sie trägt „neben den Verführern ein gut Stück Schuld“, sie hätte „mit eiserner Faust die zersetzenden Elemente ausrotten müssen. … Die O. H. L. hat sich redlich bemüht, gütlich die Regierung zu ihrer Pflicht zu bringen, vergebens; aber sie hat unterlassen, selbst zuzufassen und die sogenannte innere Politik in richtige Bahnen, meinetwegen mit einer Diktatur zu leiten.“ Hier fällt auf, er vergißt, daß sich in der zweiten Hälfte des Weltkriegs Hindenburg und Ludendorff in einer Position befanden, die einer Diktatur gleichkam, und er läßt den 29. September 1918 unerwähnt! „Die Revolution kam nicht plötzlich“, sie sei „fabriziert“ worden, u.a. von „zielbewußten Verbrechern. Zuletzt stellte das Judentum das Hauptkontingent …“ Die Schmähung „Novemberverbrecher“ ist nicht mehr weit. Und die ‚Dolchstoßlegende‘ zugegen: „Die Heimat hat das Heer von hinten erdolcht! … Liberalismus und Sozialdemokratie haben unter Zusehen des Bürgertums und der Regierung schon vor dem Kriege hinterlistig dem Heer die Schlinge um den Hals gelegt und ganz langsam zugezogen. Erst zuletzt, als sie die Macht in Händen und das Heimatheer entwaffnet hatten, kamen dann doch die Dolchstöße …“ (Späterhin:) „Die Regierung war hilflos, da fanden sich wackere Offiziere, die … sich an die Spitze von ‚Freikorps‘ stellten.“ Zu den Schäden, von denen Bauer behauptet, daß sie durch die Revolution eingetreten wären, zählt er: „Das Proletariat übt tatsächlich eine Diktatur aus. … Zerstörung des Wirtschaftslebens … Vernichtung des Bürgerstandes und der Intelligenz … unglaubliche Demoralisation, allgemeine Korruption … die naturwidrige Gleichstellung des Weibes, Verdirnung des befreiten Weibes in allen Gesellschaftsklassen … das gleiche Wahlrecht für alle … die Einsetzung von Arbeiter- und Betriebsräten, die Lohnerhöhungen …“91
Aus Bauers Expektorationen erhellt, mit welchen Behauptungen die Konterrevolution sich bemühte, propagandistisch ihre Sicht der Dinge, darunter die ‚Dolchstoßlegende‘ zu verbreiten. Und nicht die Konterrevolution allein verbreitete diese, die in stetig erneuerten Variationen erschien. Der Liberale von rechts, Gustav Stresemann, trug in einer Versammlungsrede am 20. Dezember 18 in Oldenburg vor: Man habe an den Sieg des Reiches geglaubt, jawohl, doch hätten nicht allesamt geglaubt. „Wenn die Geschichte des Krieges einmal geschrieben sein wird, wird die Frage eine Rolle spielen, welche Schuld die Heimatfront trägt an dem Zusammenbruch, welchen Zersetzungsprozeß jene Kreise … genährt, wie sie systematisch den Glauben an den Sieg … durch Zweifelsucht zerstört haben …“92 General Groener versicherte: „Ich bin aber auch heute noch der Überzeugung, daß wir ohne Revolution im Innern an der Grenze Widerstand hätten leisten können …“93 Das Beispiel einer Verschwörung der Lüge. Gerade weil von den Experten bezweifelt werden mußte, daß die Grenzen noch zu halten waren, wurde die Revolution gebraucht, und also begann man sie: die Revolution von oben! Einer, der ihr Handdienste leistete, der ehemalige Reichskanzler Prinz Max von Baden, bezeugte es in deutlichen Worten: „Für den Schritt trägt die Oberste Heeresleitung ebenso wie für seine Folgen die Verantwortung; sie hat die militärische Lage als aussichtslos bezeichnet …“94 Stresemann, Groener und andere befleißigten sich noch einer gemäßigten Stilistik, gemessen an der extrem brutalen eines Adolf Hitler. Dieser schreibt: „So wie es sich im Jahre 1918 blutig gerächt hat, daß man 1914 und 1915 nicht dazu überging, der marxistischen Schlange einmal für immer den Kopf zu zertreten …“ usw., und man müsse 1923 nun wenigstens „denjenigen Kräften den Kampf “ ansagen, „die fünf Jahre vorher den deutschen Widerstand auf den Schlachtfeldern von innen her gebrochen hatten.“95
Ein Experte war auch der Generalmajor a. D. von Schoenaich. Richard Müller zitiert ihn, der Offizier widerspreche „der Behauptung, daß die agitatorische Arbeit der linken Gruppen den Kampfwert der Truppen behindert habe. Selbst ohne sozialistische Agitation wäre der Ausgang des Krieges nicht anders gewesen.“96
Was sich in Bauers Text abzeichnet, es ist zugleich, wie kaum zu verkennen: der Umriß des sich auch im Reich herausbildenden Faschismus. Mit Peter Scherer gesprochen: „Faschismus war das politische System der Konterrevolution.“97 Der Autor beschreibt eine Stufenfolge: „Zweimal hat die deutsche Konterrevolution versucht, ihre Herrschaft aufzurichten: das erste Mal am 13. März 1920, das zweite Mal am 9. November 1923. Beim dritten Mal, am 30. Januar 1933, hat man den Putschisten von 1923 die Macht auf dem Silberteller überreicht. … Die Revolution von 1918 war der zentrale Punkt. Ihre Ergebnisse sollten ausgelöscht werden, ihre Vorkämpfer ermordet, ihre Idee diffamiert und dem Vergessen anheimgegeben werden.“ Und was die antisemitische Komponente der Konterrevolution anlangt, zitiert Scherer einen Satz aus der Zeitung „Fränkische Tagespost“ vom 23. Mai 1919: „Sie schlagen die Juden und meinen die Revolution.“98
Die Konterrevolution, die zugleich mit der Revolution die Bühne der Geschichte betrat, behielt schließlich die Oberhand. Daher ist nicht neben dem großen Erfolg der Revolution deren verheerendes Versagen zu vergessen: die Konterrevolution niederzuwerfen. Das hätte auf der anderen Seite bedeuten müssen, den Volkskräften, den Massen, der Demokratie mehr Freiraum zu verschaffen. Dazu existiert eine bemerkenswerte Stellungnahme von dem deutschen Schriftsteller Reck-Malleczewen (1884 geb., verst. im KZ Dachau am 17.2.1945). Egon Günther erinnert daran: „Über die Folgen einer durch ‚Ruhe und Ordnung‘ zum Stocken gebrachten revolutionären Situation urteilt der in dieser Hinsicht sehr hellsichtige Monarchist Friedrich Reck-Malleczewen in seinem Tagebuch eines Verzweifelten, dieser wahren Fundgrube für jeden, der sich etwas Aufschluß über ein recht heilloses Geschehen verschaffen will: ‚Ich weiß nicht, ob uns dieses Martyrium der Hitlerei nicht erspart worden wäre, wenn man sich damals, sei es aus sehr konservativen Gründen heraus, zu einer gründlichen Revolution und zu einem gründlichen Sichaustoben der schließlich von selbst ermüdenden Masse entschlossen hätte.‘“99
Dies Versagen bleibt untilgbar doch auch auf dem Schuldkonto der Sozialdemokratie und vor allem ihrer Führung. Walter Oehme sprach 1932 mit dem ehemaligen sozialdemokratischen preußischen Innenminister Severing, der zugab: „Alles war schon verloren, als wir uns 1919 bedingungslos in die Hände des Militärs begaben. Was heute geschieht, ist nichts anderes als die Konsequenz dieser Politik.“100 Daß Severings eigene Amtshandlungen sehr wohl scharfe Kritik verdienten, merkt Paul Frölich an: Der Kriminalbeamte Ernst Tamschick hatte in der Haftanstalt in Berlin zwei an der Novemberrevolution in herausragender Funktion beteiligte Männer ermordet: den Mitgründer der KPD Leo Jogiches (1867–1919) sowie den Kommandeur der Volksmarinedivision, Heinrich Dorrenbach, erschossen ‚auf der Flucht‘. Den überführten Totschläger beförderte der sozialdemokratische Minister „in Anerkennung seiner Verdienste“ zum Offizier in der preußischen Schutzpolizei.101