Читать книгу Ärzte in der Antike - Heike Achner - Страница 14
Moderne Gesundheitspflege – Was gibt es Neues seit der Antike?
ОглавлениеKneipp – Wurzeln in der Antike
Sebastian Kneipps im 19. Jh. entwickeltes Naturheilverfahren ist weltbekannt. Es erlangte eine bis heute anhaltende Popularität durch seine erstaunlichen und durchschlagenden Erfolge und seine Einfachheit. Doch ist diese Therapie wirklich etwas Neues? Sehen wir uns die fünf Säulen des Verfahrens an:
1 Wassertherapie Mit kaltem und warmem Wasser werden über die Haut Temperaturreize vermittelt. Effekt ist eine Stärkung der Abwehrkräfte und eine Anregung von Kreislauf, Nerven- und Hormonsystem. Besonders die Hydrotherapie machte Pfarrer Kneipp bekannt. Wer kennt nicht die Kneipp’schen Güsse, die Prießnitz’schen Wickel und das Wassertreten? Die Wasserheilkunde hat eine sehr lange Tradition und wurde besonders im antiken Rom gerne und oft angewandt. Ärzte wie Musa und Asklepiades wurden gar berühmt durch ihre Wasseranwendungen am Patienten. Bereits im Corpus Hippocraticum steht, dass ein kurzer kalter Wasserreiz im Meer mit nachfolgender Bewegung durch Laufen eine bessere und länger anhaltende Erwärmung zur Folge habe, als eine ausschließliche Wärmeanwendung durch heiße Packungen.
2 Bewegung Kneipp empfahl den Menschen, die nicht körperlich arbeiten mussten, Ausgleichssport in Form von Gymnastik oder Wandern. Bewegungsmangel erschien ihm schlecht, da er verweichlichte, aber ebenso lehnte er Leistungssport ab. Mäßiges Training, möglichst an frischer Luft, schien ihm am Geeignetsten.Wenn wir die Vorschriften für ein gesundes Leben bei Diokles von Karystos betrachten, so sehen wir, dass auch der antike griechische Arzt, wie die meisten seiner ärztlichen Kollegen, regelmäßige, maßvolle Leibesübungen empfahl.
3 Phytotherapie Im 19. Jh. war zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein Missbrauch chemisch hergestellter Medikamente zu verzeichnen. Dagegen wehrte sich Pfarrer Kneipp. „Gegen jede Krankheit ist ein Kräutlein gewachsen“ war einer der Wahlsprüche des Pfarrers. Als Ergänzung zu seiner Wassertherapie empfahl er Kräutertees und Badezusätze. Auch gab er seinen Wickeln häufig Heilpflanzen bei. Gerade mit der Kombination aus Hydro- und Pflanzentherapie erzielte Kneipp gute Heilerfolge. Die Heilpflanzenkunde ist sehr alt, wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Neu ist hier sicher diese so ausgesprochene Kombination beider Therapien. Die Phytotherapie (Pflanzentherapie) ist für Kneipp keine Alternative, sondern die wirkungsverstärkende Ergänzung zu seiner Wassertherapie.
4 Ernährung Kneipp empfiehlt für ein gesundes Leben eine vollwertige, natürliche Ernährung mit viel Obst und Gemüse und nur mäßigem Fleisch- und Fischgenuss. Milch- und Milchprodukte spielen in seinen Ernährungsvorschriften eine große Rolle. Als Getränk bevorzugt er klares Wasser, eventuell gelegentlich ein Glas Wein oder Bier, aber keinen Kaffee und auch keinen Schwarztee.Ernährungsempfehlungen wechseln mit den Zeiten. Zu maßvoller, gesunder Ernährung rieten jedoch auch schon die antiken Ärzte.
5 Ordnungstherapie Pfarrer Kneipp war der Ansicht, dass nur, wenn Harmonie zwischen Körper und Seele bestehe, der Mensch dauerhaft gesund sein kann. Darauf muss auch die Lebensgestaltung des Einzelnen ausgerichtet sein. Auch dies ist nicht neu. Für die Philosophenärzte des antiken Griechenland war dies eines ihrer höchsten Prinzipien.
Wir können also festhalten: Sebastian Kneipp war nach langen Jahrhunderten einer der ersten, der die antiken Heilprinzipien wieder aufnahm und sie zu einem der Zeit angepassten, modernisierten Gesundheitssystem verband. Grundlage seines Heilverfahrens war die Humoralpathologie, die sich aus der Viersäftelehre der Antike entwickelte. Die durchschlagenden Heilerfolge gaben ihm Recht. Besonders lag dem Pfarrer aber auch die Vorbeugung am Herzen. Er glaubte, dass viele der Krankheiten entstünden, weil die Menschen verweichlichten. Auch die antiken Ärzte versuchten, durch ihre strengen diätetischen Vorschriften ihre Patienten abzuhärten und ihnen dadurch ein gesundes Leben zu ermöglichen. Die natürliche, ganzheitliche Heilmethode Kneipps und seine Ratschläge für eine gesündere Lebensweise entsprechen also in großen Zügen denen des Altertums.
Bochumer Gesundheitstraining – ein Vergleich
Das Bochumer Gesundheitstraining wurde seit 1982 an der Ruhr-Universität Bochum durch die Arbeitsgruppe Vegetative Funktionen unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Walter Niesel und Dipl.-Psych. Erhard Beitel entwickelt. Es hat zum Ziel, durch geeignete Übungen die Selbstheilungskräfte anzuregen und die körpereigene Immunabwehr zu stimulieren. Grundlage ist die Erkenntnis, dass es ein Wechselspiel zwischen körperlichen, seelischen und immunologischen Vorgängen gibt und dass eine gegenseitige Einflussnahme nachweisbar ist. Zunächst für Patienten entwickelt, hat es sich gezeigt, dass das Gesundheitstraining auch für gesunde Menschen von hervorragendem Nutzen ist.
Das Bochumer Gesundheitstraining umfasst:
1 Das Erlernen eines Entspannungsverfahrens, z. B. Autogenes Training
2 Das Überdenken und Infragestellen des eigenen bisherigen „Lebensprogramms“
3 Das Beschäftigen mit psychologischen Themen
4 Fragen der Ernährung, der körperlichen Bewegung, des gesunden Schlafs, der Freizeitgestaltung, Erholung, Entspannung, der Geselligkeit und Freude sowie spielerischer Beschäftigung
5 Fragen nach dem Lebenssinn, den eigenen Lebenszielen und der eigenen Lebensplanung
Wenn wir diese fünf Bereiche mit der Gesundheitspflege der Antike vergleichen, so fällt auf, dass insbesondere Punkt 4 nahezu identisch mit den Empfehlungen der antiken Ärzte ist. Das Bochumer Gesundheitstraining empfiehlt eine Vollwerternährung mit frischem Gemüse, Obst und Vollkornprodukten und ein sehr maßvolles Essen. Da in unserer heutigen Zeit die Humoralpathologie kaum noch eine Rolle spielt, wir dafür aber mehr über Inhaltsstoffe wissen, werden Nahrungsmittel nach ihrem Anteil an Vitaminen, Eiweißen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen ausgewählt. Jahreszeit, Klima, Altersstruktur und individuelle Konstitution spielen bei Ernährungsempfehlungen heute eine eher untergeordnete Rolle. Die Römer und Griechen aßen in der Regel nur einbis zweimal täglich, gerade fettleibigen Menschen wurde angeraten, im Winter nur einmal täglich zu essen. Im Hinblick auf die Insulinausschüttung vielleicht gar keine schlechte Idee, obwohl heute zumindest ein dreimaliges Essen am Tag empfohlen wird. Manche Gesundheitstrainer raten sogar zu vier bis fünf kleinen Mahlzeiten am Tag. Doch diese Frage ist umstritten.
Bewegung ist ein weiterer wichtiger Punkt. Das Bochumer Gesundheitstraining empfiehlt maßvoll anstrengende Bewegung, da sie die Abwehrlage des Organismus stärkt. Leistungssport schwächt das Immunsystem und hat in einem Gesundheitstraining nichts zu suchen, wie auch schon Platon und Aristoteles erkannt haben. Etwa insgesamt zwei Stunden Bewegung pro Woche sind das Minimum. Der Belastungspuls sollte dabei nicht über 130 Herzschläge pro Minute ansteigen. Zusätzlich sind ruhige, meditative Bewegungsübungen wie z. B. nach Feldenkrais sinnvoll.
Ein gesunder Schlaf ist für die Gesundheit wichtig. Anders als die antiken Ärzte werden hier keine Empfehlungen gegeben, wann man ruhen sollte. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass Schichtarbeit die Gesundheit gefährdet und dass der frühe Morgen für die Gesundheit der kritischste Moment ist. Um gut einschlafen zu können, bietet sich ein kurzer Spaziergang vor dem Schlafengehen an. Zudem sollte nicht direkt vor dem Zubettgehen eine schwere Mahlzeit zu sich genommen werden. Es ist ratsam, jeden Abend zur gleichen Zeit schlafen zu gehen, evtl. einen entspannend wirkenden Tee zu trinken, aber keinen Alkohol, da Alkohol ein häufiges nächtliches Aufwachen bewirkt. Den Träumen wird, wie in der Antike, auch im Bochumer Gesundheitstraining eine bedeutende Rolle zugeschrieben. Daher wird geraten, Papier und Stift ans Bett zu legen, damit man Träume aufschreiben kann und sie nicht gleich wieder vergisst.
Lebensenergie schöpft man aus den Bereichen Entspannung und Erholung, genügend Bewegung und vollwertiger Ernährung. Doch das reicht nicht. Dazu kommen laut Bochumer Gesundheitstraining genügend Wahrnehmung, also beobachten, zuschauen, hören, fühlen, sich selbst und andere wahrnehmen, genügend spielerische Tätigkeit, genügend soziale Kontakte, Lebensaufgaben und geistig-schöpferische Tätigkeiten wie Malen, Musizieren, Dichten, Schreiben, Meditieren, Naturerlebnisse aufsuchen, Forschen, Experimentieren, usw. Zur Lebensenergie muss jedoch die Freude hinzukommen, um auf Dauer gesundheitsfördernd zu wirken.
In den Entspannungsübungen wird u. a. ein sehr individueller Ort visualisiert, der ein Gefühl von Kraft, Sicherheit und Ruhe vermittelt. Autogenes Training oder auch progressive Muskelentspannung sind besonders geeignet, sich in hektischen Zeiten Ruheinseln zu schaffen.
Wir sehen, dass ein modernes Gesundheitstraining in vielen Punkten mit den antiken Vorstellungen über eine vorbeugende Gesundheitspflege übereinstimmt. Maßvolles Essen, maßvolle, aber regelmäßige Bewegung, gesunder Schlaf, Ruhepausen auch in betriebsamen, hektischen Phasen, sinnvolle Freizeitbeschäftigung, die Freude macht, und ein regelmäßiger Lebensrhythmus. Stärker betont werden im modernen Gesundheitstraining die psychologischen Aspekte, obwohl den antiken Ärzten der Zusammenhang zwischen Körper und Seele sehr bewusst war. Dafür sind die Reglementierungen heutzutage nicht so streng, der Tagesablauf nicht so strikt vorgeschrieben, was bei einer mehrheitlich berufstätigen Bevölkerung auch gar nicht möglich wäre. Die antiken Ärzte schrieben für die wohlhabende, gebildete Oberschicht, die sich ihr Leben frei einteilen konnte, und sie waren sich bewusst, dass Menschen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten mussten oder, noch schlimmer, in einem abhängigem Verhältnis arbeiteten, diesen Forderungen einer optimalen Gesundheitspflege nicht nachkommen konnten. Bad, Massage und Einsalbungen, die im antiken Gesundheitsverständnis eine bedeutende Rolle spielen, sind heutzutage nur noch ein „Kann“, aber kein „Muss“ mehr.
Im Vergleich hier noch einmal die Einteilung des Tages nach Diokles von Karystos (nach W. Müri):
Aufwachen, kurze Zeit liegen bleiben (etwa zwischen 5 und 6 Uhr)
Einreiben mit Öl, waschen
Geschäfte oder Spaziergang (etwa 7–10 Uhr)
Gymnastik, Bad (etwa 10–12 Uhr)
Frühstück, Siesta
Geschäfte oder Spaziergang
Gymnastik, Bad (etwa 16–18 Uhr)
Hauptmahlzeit (etwa zwischen 18 und 20 Uhr)
Spaziergang
Ruhe
Herophilos von Chalkedon – Anatom und Physiologe
Herophilos wurde um 335/330 v. Chr. in Bithynien in Kleinasien geboren. Seine medizinischen Lehrer stammten aus Kos und Knidos, er lernte also die Lehren beider Medizinschulen kennen. Um 300 v. Chr. ging er, einem Ruf König Ptolemaios’ I. folgend, nach Alexandria. Er wurde Leibarzt des wissenschaftsfreundlichen Herrschers, der ihm ermöglichte, weitreichende anatomische Studien vorzunehmen. Herophilos war der erste Arzt, der das Tabu brach, menschliche Leichen zu sezieren. Da es auch die ptolemäischen Herrscher mit Tabus nicht so eng sahen – sie führten die Geschwisterehe nach pharaonischem Vorbild im Königshaus ein – konnte Herophilos stets auf Unterstützung hoffen. Diese ging sogar so weit, dass Ptolemaios seinem geschätzten Arzt zum Tode verurteilte Verbrecher zu Vivisektionen zur Verfügung stellte. Herophilos’ etwas jüngerer Kollege Erasistratos führte diese Tradition weiter.
Herophilos’ durch das Sezieren gewonnen Erkenntnisse waren umfangreich und revolutionierten die Medizin. Leider sind seine Schriften nur in wenigen Fragmenten erhalten. Doch aus zahlreichen Zitaten späterer Autoren können wir schließen, dass er die Anatomie und Physiologie gewaltig voranbrachte. Er beschrieb die einzelnen Körperteile und untersuchte ihre Beziehung zueinander. Er erkannte die komplizierten Gehirnstrukturen und entdeckte die Hirn- und Rückenmarksnerven und ihre Funktion. Wie Alkmaion zwei Jahrhunderte zuvor sah er den Sitz des Denkens im Gehirn. Im vierten Hirnventrikel vermutete er die Wohnung der Seele. Seine Pulslehre war detailliert und erleichterte die Diagnose. Als einer der ersten Ärzte schrieb er ein Lehrbuch für Hebammen und war selbst ein kenntnisreicher Gynäkologe. Er betonte, dass der Arzt die Grenzen seiner Macht kennen müsse, nur dann sei er ein vollkommener Arzt.
Seine Forschungen wurden bewundert, aber er war auch Anfeindungen ausgesetzt. Die Vivisektionen erschienen vielen seiner Zeitgenossen und auch späteren Arztkollegen als grausam, verbrecherisch und zudem sinnlos, da sie der Ansicht waren, dass ein sterbender, gequälter Körper falsche Ergebnisse liefern würde, da sich die bloßgelegten Organe veränderten. Während Herophilos’ anatomische und physiologische Lehren sehr progressiv waren, zeichnen sich erstaunlicherweise die Krankheitslehre und auch die Therapie des Herophilos durch Konservatismus aus.
Herophilos starb hochbetagt um 250 v. Chr. Zusammen mit Erasistratos gilt er als Begründer der medizinischen Schule von Alexandria und war einer der bedeutendsten Vertreter der hellenistischen Medizin.