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Asklepiosmedizin – Heilung im Schlaf
ОглавлениеIm Verlauf des 6. Jhs. v. Chr. breitete sich der Kult um den Heilgott Asklepios allmählich aus. Im 4. Jh. v. Chr. war er bereits im gesamten Mittelmeerraum mit Ausläufern in das gallisch-germanische Gebiet vertreten. Vermutlich ging der Kult von Epidauros (Abb. 2) aus, dem ältesten und berühmtesten uns bekannten Asklepios-Heiligtum. Angeblich wurde Asklepios hier geboren.
Aufgrund einer verheerenden Seuche bat Rom im Jahr 293 v. Chr. im Heiligtum von Epidauros um Hilfe. Die Priester gaben den römischen Gesandten eine der heiligen Aesculap-Nattern mit. Kaum in Rom angekommen, glitt die Schlange in den Tiber und ließ sich auf der Tiberinsel nieder. Hier entstand das erste römische Asklepiosheiligtum. Man gab der Insel die Form eines Schiffes und nannte den neuen Gott Aesculapius. In der Kaiserzeit wurde die Insel mehr und mehr zu einer Anlaufstelle für die Ärmsten der Armen. Arbeitsunfähige Sklaven wurden hier in solchen Massen ausgesetzt, dass Kaiser Claudius (reg. 41–54 n. Chr.) sich gezwungen sah, ein Gesetz zu erlassen, wonach jeder Sklave, der auf der Tiberinsel ausgesetzt wurde, frei war. Die begüterteren Römer mieden im Allgemeinen das Heiligtum auf der Insel und zogen die griechischen Heiltempel vor.
Abb. 1: Achilleus verbindet den Arm seines verwundeten Freundes Patroklos vor Troja. Innenbild einer Trinkschale des griechischen Töpfers Sosias, aus Vulci, um 500 v. Chr. Dies ist eine der ältesten Darstellungen der griechischen Wundheilkunde. Patroklos war vor Troja auch als Heiler tätig. Hier benötigt er allerdings selbst Hilfe. Die griechischen und trojanischen Helden verarzteten sich oft gegenseitig. Staatliche Museen zu Berlin – Antikensammlung.
Abb. 2: Epidauros, Tempel des Asklepios. Epidauros war mit seinem Asklepios-Heiligtum einer der bedeutendsten und ältesten Kurorte der Antike. Die erste Kultstätte, zunächst noch für den Asklepios-Vater Apollon, stammt aus dem 7. Jh. v. Chr.
Doch wie kann man sich die Heilkunde in den Tempeln des Asklepios vorstellen? Es gab dort keine Ärzte im eigentlichen Sinn, sondern lediglich Priester des Heilgottes. Jeder Heilungssuchende war willkommen, auch diejenigen, die als unheilbar galten und bei denen die Ärzte eine Behandlung abgelehnt hatten. Es galt nur das Gebot, dass Sterbende und Gebärende sich dem Heiligtum fernzuhalten hatten.
Die Tempel standen in den meisten Fällen an Orten, die als besonders gesund galten und über Quellen mit frischem und heilsamem Wasser verfügten. So finden wir die Heiligtümer häufig auf Anhöhen in einiger Entfernung von größeren Ansiedlungen oder Städten. Nur selten wurden die Heiltempel innerhalb der Stadtbezirke angelegt. Der Tempel auf der Tiberinsel scheint der erste dieser Art gewesen zu sein. In der gesunden, erholsamen Umgebung des Tempels blieben die Heilungssuchenden oft mehrere Wochen, manchmal Monate. Daher gab es extra für die Kranken eingerichtete Gasthäuser nahe des Heiligtums. In Epidauros umfasste das Gasthaus zwei Stockwerke mit 160 Räumen, man war also für einen großen Ansturm an Kranken mit ihren Angehörigen gewappnet. Aber es gab natürlich auch die Wohnhäuser der Priester, Verwaltungsbeamten und Diener. Auch für die Zerstreuung war gesorgt. Die großen Heiligtümer wie Epidauros und Pergamon verfügten über Bibliotheken, Sportplätze, Thermenanlagen und sogar Theater.
Asklepios – der Arzt, den Zeus tötete
Zum ersten Mal begegnet uns Asklepios (Abb. 3) bei Homer. Während des trojanischen Krieges dienten die Helden Machaon und Podaleirios als Krieger und Ärzte im griechischen Heer. Sie waren Söhne des thessalischen Königs Asklepios, der sie die Heilkunst gelehrt hatte. Erst in späteren Jahrhunderten wurde aus dem König ein Gott.
Und so berichtet die Sage: Apollon entbrannte in Liebe zu der thessalischen Königstochter Koronis, oder zumindest, sagen wir, begehrte er sie. Nun, jedenfalls empfing sie von dem Gott ein Kind. Doch Koronis war bereits in Ischys, einen Sterblichen, verliebt. Als sie Ischys’ Frau werden wollte, wurde der eifersüchtige Apollon sehr zornig. Er schickte seine ihm stets verbundene Schwester Artemis, die die hochschwangere Königstochter tötete. Der Scheiterhaufen loderte schon, als es Apollon in den Sinn kam, zumindest sein ungeborenes Kind zu retten. Er schnitt den toten Leib seiner ehemaligen Geliebten auf, holte das Kind, einen Knaben, heraus und brachte ihn zu dem Kentauren Cheiron, der ihn aufzog.
Viele Helden haben bei Cheiron, dem weisen, wissensreichen Kentauren ihre Erziehung erhalten, so zum Beispiel auch Achilleus und Jason. Cheiron lehrte den jungen Asklepios die Heilkunde, und der junge Mann brachte es zu meisterlichem Können. Durch sein göttliches Blut konnte er sogar hoffnungslose Fälle heilen. Seine Heilkunst bewirkte, dass die Zahl der Toten in der Unterwelt drastisch abnahm. Als er dann noch einen Toten zum Leben erweckte, reichte es Hades, dem Gott der Unterwelt. Er erhob bei Zeus, dem Göttervater, Anklage. Zeus hatte Verständnis für die Sorge seines Bruders Hades, fackelte nicht lange und tötete Asklepios mit einem Blitzstrahl.
Nach seinem Tod wurde Asklepios in den Götterhimmel erhoben. Wie Herakles gehört er zu der jüngeren Göttergeneration. Sein bekanntestes Attribut ist die Schlange, die sich um seinen Wanderstab oder seinen Thron windet. Die Schlange stellt im griechischen Raum ein uraltes Heilssymbol dar, allein schon ihre Berührung kann heilen. In späterer Zeit wird die sich um den Stab windende Schlange das Symbol für Medizin und Pharmazie. Gelegentlich wird Asklepios auch durch einen Hund begleitet, über dessen Ursprung noch gerätselt wird. Da auch altorientalische Heilgötter häufig mit einem Hund abgebildet werden, könnte dort die Herkunft vermutet werden. Fast immer wird der Gott als kräftige Gestalt mit väterlich-gütigem Gesichtsausdruck, Bart, Mantel und Stab dargestellt.
In klassischer und hellenistischer Zeit bekommt Asklepios eine Familie. Seine Söhne Machaon und Podaleirios kennen wir schon aus der Ilias. Dazu kommen seine Töchter Hygieia, die personifizierte Gesundheit, und Panakaia, die Allheilende. Diese beiden Namen werden im hippokratischen Eid genannt. Im 1. oder 2. Jh. n. Chr. tritt der letzte Sohn mit Namen Telesphoros, „der zum guten Ende bringt“, zu der Familie. Meist steht er in Kindgestalt und in einen Kapuzenmantel gehüllt zu Füßen seines Vaters.
Neben der Verehrung des Heilgottes Asklepios gewinnt der Kult um seine Tochter Hygieia und seinen Sohn Telesphoros in den folgenden Jahrhunderten an Bedeutung.
In der Spätantike ist es manchmal schwierig, die Darstellungen des Asklepios von denen Jesu Christi zu unterscheiden. Der barmherzige, den Sterblichen zugewandte Gott, der in seinen Tempeln die Lahmen gehend und die Blinden sehend macht, ist dem christlichen Gottessohn in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich und wird auf beinahe gleiche Art dargestellt.
Vor Betreten des Heiligtums fand eine rituelle Reinigung statt. Dazu waren Brunnenbauten angelegt worden. Nach der rituellen Waschung brachte der Patient ein Opfer dar. Meist gab es einen langgestreckten Altar, auf dem Kuchen geopfert wurde. Danach schritt der Heilungssuchende weiter, um sein Hauptopfer darzubringen. Der Hahn war dem Gott heilig und daher ein beliebtes Opfer, aber auch andere Tiere waren willkommen. Das Fleisch der Opfertiere musste an Ort und Stelle verspeist werden, daher gab es große Räumlichkeiten mit Speisebetten und Tafeln. Allerdings fand das Essen erst nach der Inkubation (dem Heilschlaf) statt. Für manche Heiligtümer ist eine mehrtägige Fastenzeit für die Patienten vor Betreten des heiligen Bezirkes belegt.
Mit Waschungen, Opfern und Gebeten stimmten sich die Heilungssuchenden auf das Betreten des Allerheiligsten ein. Nun wurden sie von den Priestern zu ihren Schlafstätten im Abaton, im Zentrum des Tempels, geführt. Sie kleideten sich in weiße Gewänder, legten all ihren Schmuck und ihre Schuhe ab und ließen ihr Haar offen. Den Kopf bekränzte ein Kranz aus Ölbaumzweigen. Dann legten sie sich zum Schlafen nieder. Im Schlaf erschien der Gott, manchmal zusammen mit einer seiner heilkundigen Töchter und oft in Begleitung der Schlange oder selbst in Schlangengestalt. Er führte entweder sofort die Heilung durch Handauflegen oder schmerzlose Operation herbei, oder er zeigte den Weg auf, wie Heilung erlangt werden konnte. Im günstigsten Fall war der Patient nach dem Schlaf geheilt. Er verließ das Heiligtum, opferte Asklepios und bezahlte die Priester auf angemessene Art und Weise. Doch häufig dauerte die Heilung länger und wurde zu etwas, was wir heute als Kur bezeichnen würden. In den Tempeln mischte sich die Medizin der Antike mit rituellen Handlungen, was anscheinend zu nicht unbedeutenden Heilerfolgen führte. Die Priester halfen dabei, die Worte des Gottes zu verstehen und die Träume zu deuten. Meist waren es Anweisungen für die Einnahme bestimmter Kräuter, für sportliche Betätigungen und heiße und kalte Bäder.
Es gibt eine Vielzahl von Heilungsberichten, die von glücklichen, gesundeten Menschen oder von den Priestern auf kleine Täfelchen geschrieben oder in Wände gemeißelt wurden. Drei seien hier stellvertretend genannt:
„Gorgias aus Herakleia, Eiterung. Dieser war in einer Schlacht durch einen Pfeil in der Lunge verwundet worden und war während anderthalb Jahren so voll Eiter, dass er 67 Becken mit dem Eiter füllen konnte. Als er drin (im Tempel) schlief, hatte er ein Gesicht: Ihm träumte, der Gott nehme ihm die Pfeilspitze aus der Lunge. Als der Tag anbrach, kam er gesund heraus und trug die Pfeilspitze in seinen Händen.“
Abb. 3: Asklepios aus Munychia. Oberkörper einer großen Marmorstatue (H. 100 cm). Griechisch-hellenistisch, 3. Jh. v. Chr., gefunden 1888 in Piräus. Leider fehlt das Attribut des Gottes, sein mit Schlangen umwundener Stab. Der Gott wird seit dem 4. Jh. v. Chr. mit dem Stab dargestellt, die Schlange selbst begleitet Asklepios jedoch bereits früher. Archäologisches Nationalmuseum, Athen.
„Euphanes von Epidauros, ein Knabe. Dieser litt an Steinen und schlief drin. Da träumte ihm, der Gott trete zu ihm und sage: Was wirst du mir geben, falls ich dich gesund mache? Er habe geantwortet: Zehn Astralgalen (Würfel). Da habe der Gott gelacht und gesagt, er werde ihn befreien. Als der Tag anbrach, kam er gesund heraus.“
„Ich, Marcus Iulius Apellas, aus Mylasa in Karien, wurde vom Gott hergeholt, weil ich oft krank wurde und an Verdauungsstörungen litt … Als ich ins Heiligtum kam, befahl er mir, für zwei Tage, während welcher Regen fiel, den Kopf zu verhüllen, Käse und Brot zu essen, Sellerie mit Salat, allein ohne fremde Hilfe zu baden, mich im Schnelllauf zu trainieren, von einer Zitrone die Schale, in Wasser eingeweicht, einzunehmen, im Bad bei den Akoai mich an der Wand zu reiben, im oberen Umgang zu spazieren, die Schaukel zu benutzen, mich mit Sandbrei einzuschmieren, barfuß zu gehen, bevor ich im Bad ins warme Wasser steige, mich mit Wein zu übergießen, mich allein zu waschen und eine attische Drachme dem Bademeister zu geben, dem Asklepios, der Epione und den Eleusinischen Göttinnen zusammen zu opfern, Milch mit Honig einzunehmen … Er befahl mir auch, dies aufzuzeichnen. Dankerfüllt und gesund reise ich ab.“
Traumdeutung
1. Träume über die eigene Person und Kleidung
Wenn jemand sich selbst im Traum sieht und alles an ihm ist in der richtigen Weise seiner Natur entsprechend beschaffen und weder zu groß noch zu klein, so ist das ein gutes Zeichen für die Gesundheit. Auch weiße Kleidung und das beste Schuhwerk aus dem eigenen Bestand anzuhaben ist gut. Wenn aber die Glieder zu groß oder zu klein erscheinen, ist das kein gutes Zeichen. Man muss es durch die Diät (= Lebensweise) entweder wachsen lassen oder vermindern. Schwarze Kleidung deutet auf Krankheit und Gefahr. Dann muss man die Diät weich und feucht halten. Neue Kleidung aber deutet auf Veränderungen.
2. Träume von Toten
Die Toten rein in weißen Kleider zu sehen und etwas Reines von ihnen zu empfangen, ist ein gutes Zeichen. Es bedeutet Gesundheit des Körpers und dessen, was er aufnimmt. Denn von den Toten kommt die Nahrung, das Wachsen und der Samen. Wenn das alles rein in den Körper eingeht, bedeutet es Gesundheit. Wenn aber jemand sie umgekehrt nackt oder in schwarzen Kleidern oder nicht rein sieht oder, wie sie aus dem Haus etwas nehmen oder wegtragen, ist es nicht gut. Das bedeutet Krankheit, denn dann ist das, was in den Körper eingeht, schädlich. Dann muss man mit Rundläufen und Spaziergängen reinigen und nach Erbrechen milde und leichte Nahrung in allmählicher Steigerung zuführen.
(Corpus Hippocraticum, Die Regelung der Lebensweisen. Buch 4: Über die Träume)