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2. Europäische Kontexte und Vorbilder

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Die meisten Stoffe und Formen der mittelhochdeutschen Dichtung haben Vorbilder in der lateinischen oder französischen Literatur oder sind direkte Bearbeitungen französischer Werke. Dies gilt z.B. auch für die Epen Wolframs von Eschenbach, dessen „Parzival“ und „Willehalm“ auf französische Vorlagen zurückgehen, die ihm von seinem adeligen Auftraggeber zur Verfügung gestellt wurden.

Französische Hofkultur

Die deutschen Fürsten orientierten sich stark an der französischen Hofkultur, die um 1200 hoch entwickelt war. Aus Frankreich kamen u.a. die neuen Formen der adeligen Repräsentation und des höfischen Zeremoniells, moderne Waffen und Kampfspiele (Turniere), Kleidung und Haartracht, die Kunst der Wappen (Heraldik) und Siegel (Sphragistik) und Neuerungen in der Burgenarchitektur. Der Einfluss der französischen Kultur und Literatur war in Wolframs Zeit so dominant, dass die Dichter sich zur Erbauung des Publikums bemühten, möglichst viele französische Fremd- und Fachwörter in ihre Epen zu integrieren, insbesondere aus dem Bereich der Sachkultur und des höfischen Protokolls. Die Bezeichnungen für Waffen, Rüstungsteile und Kampftechniken stammten z.B. fast ausschließlich aus dem Französischen. Mittels vieler fremd klingender Lehnwörter stellten die Dichter die Verbindung zur bewunderten Hofkultur jenseits des Rheins her und importierten deren Wertvorstellungen und Lebensart an die deutschen Fürstenhöfe (vgl. Bumke 1990, 55–57). Verbindungen nach Frankreich gab es viele, nicht nur über Handelsbeziehungen, sondern auch durch die großen Hoffeste und den diplomatischen Austausch zwischen den europäischen Fürstenhäusern.

Französischkenntnisse

Wie gut Wolfram Französisch konnte und woher er die vielen französischen Quellen kannte, deren Spuren man in seinen Werken nachweisen kann, ist unklar. Sein bewusstes Spiel mit französischen Namensformen (Munsalvaesche, Malcrpâtiure, Lachfilirost, Condwiramurs usw.) und die Verwendung einer Fülle französischer Wörter aus dem Bereich ritterlichen Lebens (zimierde, kurteis, poulûn, tambûr, vesperîe, punieren usw.) legen allerdings die Annahme nahe, dass er relativ gut Französisch konnte und die Bedeutung entlehnter Namen und Termini genau verstanden hat (vgl. Kap. III.3).

Französische Vorlagen

Die Stoffe und Themen der mittelalterlichen Literatur sind fast immer international, d.h., sie gehören zu einer gesamteuropäischen Tradition, die in den einzelnen Ländern und Sprachen lediglich unterschiedliche Ausgestaltungen erfahren haben, aber von den Bearbeitern in der Regel nicht neu erfunden wurden (vgl. Knapp 2012). Auch Wolfram ist daher ein europäischer Dichter. Mit dem „Parzival“ schuf er – in der Nachfolge Hartmanns von Aue („Erec“, „Iwein“, ca. 1180/90) – einen deutschen Artus- und Gralsroman und reihte sich damit in eine Tradition ein, die von Chrétien de Troyes („Perceval“, ca. 1190), Renaud de Beaujeu („Le Bel Inconnu“, ca. 1190) und Robert de Boron („Roman de l’Estoire dou Graal“, ca. 1200) über die mittelniederländischen Romane „Walewein“ (ca. 1250) und „Moriaen“ (ca. 1300) bis hin zu den englischen Artusdichtungen „Sir Gawain and the Green Knight“ (ca. 1370) und Thomas Malorys „Le Morte Darthur“ (15. Jh.) reicht (vgl. Mertens 1984). Zahlreiche weitere Bearbeitungen des Artusstoffes aus dem skandinavischen, spanischen, portugiesischen und italienischen Raum wären hier zu nennen (vgl. EM 1,828–849; Knapp 2014).

Auch der „Willehalm“ geht auf eine französische Quelle zurück („Bataille d’Aliscans“, ca. 1200) und gehört in die europäische Tradition der Chansons de Geste (Heldenepen), insbesondere der Wilhelmsepen um den Markgrafen Guillaume d’Orange, mit zahlreichen französischen und deutschen Fassungen und Fortsetzungen, u.a. Ulrichs von Türheim „Rennewart“ (nach 1243) und Ulrichs von dem Türlin „Arabel“ (ca. 1261/69; vgl. Ott-Meimberg 1984).

Tageliedtradition

Wolframs neun Lieder gehören in die europäische Gattungstradition der Werbe- bzw. Tagelieder und arbeiten auf originelle Weise mit deren formalen und thematischen Vorgaben. Insbesondere die Tagelieder, die zumeist dialogisch den Trennungsschmerz der Liebenden bei ihrem Abschied im Morgengrauen nach heimlich verbrachter Liebesnacht schildern, haben eine reiche Tradition in der provenzalischen und französischen Liebeslyrik (Alba/Aube). In der mittelhochdeutschen Literatur hat Wolfram u.a. in der Nachfolge Dietmars von Aist, Heinrichs von Morungen und Friedrichs von Hausen die weit verbreitete Gattung auf einen „ersten Höhepunkt“ geführt (Holznagel 2011, 95).

Vor diesem Hintergrund ist höfische Literatur ungeachtet ihrer regionalen und sprachlichen Ausdifferenzierungen stets ein gesamteuropäisches Phänomen. Das gilt sowohl für ihre Gattungen (Minnesang, Heldenepik, Orient- und Antikenroman, Artus- und Gralsroman, Liebesroman) als auch für ihre Protagonisten (Parzival, Roland, Tristan, Gawan, Lanzelet u.a.). Als besonders kunstvolle Synthesen europäischer Motiv- und Gattungstraditionen und aufgrund ihrer herausragenden literarischen Qualität und Wirkung gehören Wolframs Werke unverbrüchlich zur Weltliteratur.

Einführung in das Werk Wolframs von Eschenbach

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