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3. Ritterbegriff und Ritterideal

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Ritterepik

Die höfische Literatur ist ideell und thematisch unlösbar verknüpft mit dem mittelalterlichen Ritter-Begriff, denn in ihrem Zentrum stehen ritterliche Helden, Abenteuer und Tugenden. Dies gilt besonders für die mittelhochdeutschen Artusromane und Heldenepen, für die die Inszenierung und Profilierung der idealen ritterlichen Lebensweise konstitutiv ist. „Die Ritterepik begründete die europäische Literatur in den Volkssprachen, überlebte ihre Zeit, wurde wiedergeboren in der Romantik und im erwachenden Nationalbewusstsein oft schlechthin mit der Volkstradition gleichgesetzt“ (Seibt 1987, 215).

rîter

Dabei geht der seit dem 12. Jahrhundert zunehmend ethisch aufgeladene Ritterbegriff eigentlich auf den einfachen Soldaten zurück. Denn ursprünglich bezeichnete das seit dem späten 11. Jahrhundert belegte Wort rîter/ritter (lat. miles, frz. chevalier) nur den berittenen Krieger oder den unfreien Dienstmann (Ministerialen). Erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts löste sich der Terminus allmählich von der rein militärischen Bedeutung und wurde, z.B. im Adjektiv rîterlich, gleichbedeutend mit Würde, Schönheit und Tapferkeit. Damit war rîter zu einer Standesbezeichnung des niederen Adels geworden, die synonym mit herre und fürste verwendet werden konnte. Dass es zu einer solchen im Wesentlichen ideologisch motivierten Bedeutungsverschiebung kommen konnte, hatte u.a. mit der moralischen Aufwertung des Soldaten im Dienste der Kirche (miles Christi) zu tun, insbesondere im Kontext der Kreuzzugsidee und der Entstehung der religiösen Ritterorden (u.a. Templer, Johanniter, Deutscher Orden), die den Krieger in den Rang eines edlen Streiters für die heilige Sache Gottes erhoben. Dadurch wurde der Rittertitel, der mit dem Zeremoniell der Schwertleite verliehen wurde, zum Ehrennamen. Zur notwendigen Ausstattung eines Ritters gehörten nicht nur Grundbesitz (Lehen), Kleidung, Bewaffnung (Rüstung) und Pferde, sondern ab dem 11. Jahrhundert immer häufiger auch eine Burg als befestigte Wohnung und Herrschaftssitz mit einem repräsentativen Hofleben, zu dem auf den größeren Adelssitzen auch aufwendige Hoffeste und Turniere gehörten. Der veränderte Lebensstil führte sukzessive zu einem neuen Selbstverständnis des Dienstadels, das sich nun nicht mehr nur aus den traditionellen Rittertugenden wie Ehre, Ruhm, Stattlichkeit und Tapferkeit speiste, sondern christliche Werte wie Schutz und Fürsorge für Wehrlose und Arme, Freigebigkeit, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Beständigkeit und Anstand einschloss und dadurch eine verfeinerte höfische Bildung und Liebeslehre (frz. amour courtois, dt. minne) begründete. Zu den Statussymbolen des Ritterstandes gehörten u.a. kostbare Kleidung, feine Manieren und Ausdrucksweise, kultiviertes Benehmen bei Tisch, Schwert und Gürtel, Jagd und Spiel sowie eine wehrhafte Rüstung und (seit dem späten 12. Jahrhundert) prägnante Wappen, die in Turnier und Schlacht die Identität des Ritters auf Schild und Waffenrock anzeigten (vgl. Goetz 1986, 165–200; Borst 1989; Bumke 1997, 382–430; Fleckenstein 2002; Laudage 2006; Paravicini 2011).

Ideal und Wirklichkeit

Die höfische Epik Wolframs und anderer mittelalterlicher Autoren ist ohne die ritterlich-feudale Gesellschaft als Träger der „erste[n] autonome[n] Laienkultur des Abendlandes“ (Paravicini 2011, 19) nicht denkbar, denn aus ihr stammten nicht nur Auftraggeber und Publikum, sondern auch die Themen, Figuren und Motive, die u.a. dem „Parzival“-Roman Stoff und Spannung verliehen. Dabei darf jedoch nie vergessen werden, dass die literarischen Texte ein Ideal des Rittertums entwarfen, das sich nicht unbedingt mit dessen historischer Realität deckte. Denn das „höfische Ritterideal und die gesellschaftliche Realität des adligen Lebens standen zueinander im Verhältnis krasser Gegensätzlichkeit“ (Bumke 1997, 430). Dies betraf sowohl das ehrlose Verhalten vieler Ritter während der Kreuzzüge und ihren Hang zu Ausschweifungen, Intrigen und Gewalt als auch ihre oft erbärmliche wirtschaftliche Lage und die Brutalität des mittelalterlichen Krieges. Auch der literarisch verklärte Frauendienst stand im Widerspruch zur weit verbreiteten Frauenverachtung der Zeit, die mit Unterdrückung und roher männlicher Sexualität einherging (vgl. Bumke 1997, 454–466 u. 558–582). Wenn die deutschen Epiker, die wie Hartmann von Aue selber oft Ministerialen waren, das edle Rittertum zur „Weltanschauung“ (Borst 1989a, 237) erhoben, idealisierten sie damit die Lebensform ihres Publikums, das sich vielfach die Dichtung zum Vorbild nahm (vgl. Bumke 1997, 439–446) und sich an den fiktiven Musterrittern erbaute. „Alle ritterlichen Leitbilder – so verschieden und umstritten im einzelnen ihre Herkunft sein mag – entstammten dem Bestreben, der adligen Schicht zwischen Herrschaft und Dienst ein höheres Ethos einzupflanzen, das auf die faktische Situation des niederen Adels antwortete und sie steigern sollte: adliger Dienst für Gott, für den Herrn, für die Frau anstelle von Übermut oder Verzagtheit“ (Borst 1989a, 239f.). Auch Wolframs Romane entwerfen somit Wunschgesellschaften und -helden, die gerade dadurch, dass sie wie der „Parzival“ in den vergangenen Zeiten von König Artus und in den spirituellen Sphären des Grals angesiedelt sind, die Differenz zur zeitgenössischen Feudalgesellschaft umso deutlicher offen legten und dadurch „Appellcharakter“ hatten: „Die poetischen Schilderungen waren offensichtlich nicht nur auf literarische Erbauung der adligen Zuhörerschaft angelegt, sondern sie wollten auch auf die gesellschaftliche Praxis Einfluss nehmen“ (Bumke 1997, 432) und den Ritter auf einen verbindlichen Ehrenkodex verpflichten. Insofern hatten sie einen zivilisatorischen Effekt und imaginierten eine Gesellschaftsutopie, deren Erfüllung noch ausstand.

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