Читать книгу Das hungrige Glas (Die Glas-Trilogie, Band 1) - spannendes, bildgewaltiges Fantasy-Jugendbuch ab 12 - Heiko Hentschel - Страница 11
ОглавлениеDas Leben auf den Straßen Ravenbrücks gestaltete sich schwierig. Moritz drückte sich vor allem in den Seitengassen herum und versuchte, von niemandem gesehen zu werden. Obwohl er nicht annahm, dass man nach ihm suchen würde. Jedes Maul, das Fräulein Bimmel nicht zu stopfen hatte, war für sie ein Geschenk des Himmels.
Nachts durchsuchte Moritz die Abfälle hinter einem beliebten Gasthaus. Aber außer ein paar vertrockneten Brotscheiben fand er nichts Essbares. Sollte er doch zur Armenspeisung gehen? Nein, dafür war er zu stolz. Moritz drückte seine Nase gegen ein erleuchtetes Fenster. In der Stube herrschte ausgelassene Stimmung. Die Leute prosteten sich zu und der Wirt brachte die köstlichsten Speisen an die Tische. Moritz lief das Wasser im Munde zusammen. Er seufzte – es hatte keinen Sinn, hier vor der Scheibe zu schmachten.
Sein Blick glitt nach oben, an der Dachkante vorbei in den Himmel, und eine tiefe Sehnsucht erfasste ihn. Er lief in den Hof hinter dem Gasthaus, zum Hühnerstall, stieg eine kleine Leiter hinauf und schlich über das Flachdach des Stalls zu einer hohen Mauer hinüber. Von hier aus konnte er die erste Dachschräge des Gasthauses erreichen und über eine Gaube ganz nach oben klettern. Außer Atem kam er auf dem First an und sah auf die eng aneinandergedrängten Häuser von Ravenbrück. Der Mond lag versteckt hinter Wolken und eine kalte Brise rollte wie eine Walze über die Dächer. Moritz stand freihändig auf dem First und stemmte sich gegen das Brausen.
So musste sich sein Vater gefühlt haben. Die ganze Stadt im Blick.
Der schwarze Mann, so hatten die Nachbarskinder ihn immer gerufen. Und sie hatten recht. Wenn sein Vater von der Arbeit nach Hause gekommen war, war er ein Fremder gewesen, dessen Gesicht unter einer dicken Schicht Ruß und Schmutz verborgen lag. Ein Mann, der sich auf den Häusern wohler fühlte als in ihnen. Ein Schornsteinkehrer durch und durch. Nie hatte er es lange in geschlossenen Räumen ausgehalten. Er hatte Weite und frische Luft gebraucht. Moritz verstand jetzt warum. Vor ihm lag eine völlig neue Welt.
Die meisten Häuser ähnelten sich sehr. Es waren kleine Fachwerkhäuser mit geschwungenen Dächern, einfachen Giebeln oder Gauben. Sie waren so eng aneinandergebaut, dass die einzelnen Dächer miteinander verwachsen waren. Ein Dach schmiegte sich ans nächste und wo eine größere Lücke zwischen den Häusern entstanden war, gab es starke Torbalken, die sich über die verschachtelten Gassen spannten. Ein perfekter Parcours für Moritz. Dies war jetzt sein neues Zuhause.
Die Kälte verwandelte seinen Atem in kleine Rauchwölkchen. Sein Blick wanderte nach links. Dort, in gut einem Kilometer Entfernung, erhob sich das Waisenhaus mit seinen unzähligen Schornsteinen im spärlichen Mondlicht.
Nie wieder!, dachte er.
Konstanze, sie war das Einzige, was für ihn zählte.
Mit einem geschickten Sprung wechselte er vom First des Gasthauses zu einem nahen Schornstein hinüber und sprang von dort zum Schrägdach einer Apotheke. Er kletterte die Stufen eines Treppengiebels hinauf und hielt sich oben am schmiedeeisernen Wetterhahn fest.
Moritz war zufrieden. Wenn er sich die Eigenheiten jedes Daches einprägen konnte, würde er sein neues Revier sicherlich bald im Schlaf ablaufen können.
Er sprang den Stufengiebel auf der anderen Seite wieder hinunter. Vor ihm erstreckte sich eine hohe Mauer, auf der er schnell bis zum nächsten Haus laufen konnte. Am Ende angekommen, stieß er sich ab und landete auf dem Seitenteil eines überdachten Balkons. Er war gerade auf das Geländer gestiegen, um sich am Vordach des Balkons hochzuziehen, als der Boden unter ihm nachgab. Der Handlauf des Geländers zerbrach und Moritz’ Körper sackte nach unten – von einer zur anderen Sekunde baumelte er mit einem Arm am Vordach. Er vernahm ein Krächzen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die Elster aus seiner Jacke rutschte. Sie flatterte nur mit einem Flügel und drehte sich dabei um sich selbst. Moritz’ Hand schnellte ihr nach und packte sie im letzten Moment.
Mit einiger Mühe bugsierte er sich auf den Balkon zurück. Dort hob er die zitternde Elster an seine Brust und streichelte sie sanft. Ihr Gefieder stand aufgeplustert vom Körper ab.
»Alles gut«, murmelte er, »ich hab dich.«
Das hätte wirklich übel enden können. Er musste sich etwas ausdenken, um derartige Missgeschicke in Zukunft zu vermeiden. Ein Plan musste her.
Am nächsten Morgen sah sich Moritz überall in der Stadt um. Es dauerte bis zum Mittag, bis er gefunden hatte, wonach er suchte: einen Hufschmied. Der Mann war um die fünfzig, untersetzt und hatte ein Gesicht wie die Faust eines Preisboxers – eckig, grob und purpurrot.
Er schwitzte am Ofen und hielt ein glühendes Hufeisen so lange mit der Zange ins Feuer, bis es die richtige Farbe hatte. Dann ging er hinüber zu seinen beiden Helfern, die bereits ein gewaltiges Brauereipferd für den Beschlag vorbereitet hatten.
Das heiße Eisen zischte auf dem Huf, doch das Pferd rührte sich nicht. Stur blickte es über die Schulter des kleineren Helfers direkt auf Moritz, der sich heimlich aus dem Abfalleimer der Schmiede bediente.
Hier fand er alles, wonach er suchte: ein paar alte Seile, Metallstifte und ein uraltes Messer ohne Griff. Keine schlechte Ausbeute für seine erste Station, aber Moritz brauchte noch mehr.
Kurze Zeit später huschte er unter einem Torbogen hindurch in eine Seitenstraße. Über einer schmalen Eingangstür prangte das Aushängeschild eines Schneidermeisters. Sein nächstes Ziel.
Moritz konnte durch das Fenster prachtvoll verzierte Kleidungsstücke erkennen, die auf Schneiderpuppen hingen. Der Laden war so eng, dass dem betagten Schneider nichts anderes übrig blieb, als mit gekreuzten Beinen auf dem Tisch zu sitzen – auch damit die schönen und schweren Stoffe nicht den Boden berührten. Er war vollkommen in seine Arbeit vertieft, als Moritz leise die Tür öffnete. Die Türglocke läutete.
»Holla, wie kann ich zu Diensten sein?«
Moritz duckte sich hinter eine der Schneiderpuppen und hörte, wie die Tür mit einem weiteren Bimmeln wieder ins Schloss zurückfiel. Vorsichtig spähte er hinter der Puppe hervor.
Der Schneider ließ seinen Blick durch den vollgestellten Laden schweifen. Überall Kleiderpuppen, Stoffballen, Holzformen für Waden, Arme und Füße sowie Körbe und Holzkästen mit allerlei Stoffabfällen und Knöpfen. Moritz bemerkte er nicht.
»Hier spukt es«, murmelte er irgendwann und begutachtete seine letzte Naht. Mit einem nervösen Hüsteln fuhr er mit der Arbeit fort.
Lautlos ging Moritz auf die Knie, zwängte sich an der Schneiderpuppe vorbei und langte aufs Geratewohl in einen der Körbe in seiner Nähe. Er packte alles, was er finden konnte, und zog sich dann zur Tür zurück. Es bimmelte ein drittes und ein viertes Mal, doch bevor der Schneider den Kopf erhoben hatte, war Moritz bereits verschwunden.
Atemlos kam er an der nächsten Hausecke an. In seinen Händen hielt er alte Stofffetzen und ein Knäuel bunter Wolle. Er lächelte. Noch fehlte einiges, aber das musste bis morgen warten. Zuerst brauchte er einen Unterschlupf für die Nacht.
Bis zum Abend wanderte Moritz durch die Gassen und sah sich jeden Hinterhof an. Als die Nacht hereinbrach, entschied er sich für einen großen, windgeschützten Holzverschlag hinter einem mehrstöckigen Fachwerkhaus. Er kletterte über die gestapelten Scheite tief in den Verschlag und schichtete das Holz im Inneren dann so, dass er einen kleinen Raum für sich und die Elster hatte. Dann breitete er seine gesammelte Beute vor sich aus.
Als Moritz in Konstanzes Alter gewesen war, hatte sein Vater ihn oft mit auf die Jagd genommen. Stundenlang waren sie durch den Wald gezogen und hatten gemeinsam Waffen und Werkzeuge aus dem gebaut, was die Natur ihnen bot.
»Jedermann kann mit einem angefertigten Bogen und etwas Übung sein Ziel treffen«, hatte sein Vater ihm erklärt, »Die Kunst ist es, Bogen und Speer mit einfachsten Mitteln selbst zu bauen. Oder ein Reh mit nur einem Seil und drei Steinen zu fangen. Darin zeigt sich der Wille zum Überleben.«
Für Moritz waren diese Ausflüge stets ein aufregendes Abenteuer gewesen – jetzt versuchte er sich an all das zu erinnern, was ihm sein Vater beigebracht hatte.
Die Elster verfolgte jeden seiner Handgriffe. Sie sah zu, wie er an einem langen, biegsamen Stock schnitzte, ihn in der Hand wog und ausbalancierte. Anschließend zauberte er noch mehr dünne Stöcke hervor und spitzte auch diese mit dem behelfsmäßig reparierten Messer an. Irgendwann war er fertig.
Stolz präsentierte er einen selbstgebauten Bogen. »Na, was sagst du nun?«, wandte Moritz sich an die Elster. Doch die konnte damit natürlich nichts anfangen und legte nur den Kopf schief. Moritz hingegen strahlte bis über beide Ohren.
Er kletterte aus dem Verschlag, denn er musste seine Waffe unbedingt ausprobieren. Er legte einen Pfeil auf die Sehne, so wie es ihm sein Vater gezeigt hatte, spannte den Bogen und zielte auf einen Holzpfahl hinter dem Haus. Der Pfeil zischte los und blieb mit einem stumpfen POCK im Pfahl stecken. Moritz lächelte.
Wenig später befand er sich wieder über den Dächern und lag auf der Lauer. Sein selbstgebauter Bogen lag griffbereit neben ihm. Die Elster schlief bereits an seiner Brust, den Körper verborgen unter seiner zugeknöpften Jacke. Moritz hingegen konnte nicht schlafen. Er beobachtete die Stadt. Keine Bewegung durfte seinem Blick entgehen, kein Mensch, kein Tier – und ganz bestimmt nicht das Ungetüm. Doch es zeigte sich nicht.
*****
Morgens war es genauso kühl wie in der Nacht zuvor. Moritz fröstelte, als er den Marktplatz von Ravenbrück überquerte; der Elster unter seiner Jacke ging es nicht viel besser. Normalerweise hätte Moritz sie auch im Verschlag zurückgelassen, denn da war es wenigstens nicht so zugig wie auf offener Straße, aber heute brauchte er sie. Sie war das Herzstück dessen, was er vorhatte.
Rasch ließ er den Marktplatz hinter sich und bog in eine enge Seitenstraße ein, in der es nach Pferdeäpfeln roch. Hier war er richtig. Er sah das Schild mit dem Sattler-Wappen über einer Tür am Ende der Straße, ebenso wie die Türglocke darunter.
Moritz holte die Elster hervor und blickte ihr tief in die Augen. »Du weißt, was du zu tun hast.«
Die Elster keckerte als Antwort.
Moritz schlich über den Hinterhof der Sattlerei. Er folgte dem Duft des warmen Leders, der durch das leicht geöffnete Erdgeschossfenster strömte. Ein schwerer, intensiver Geruch, der die Sinne benebelte. Moritz bezog unter dem Fenster Stellung und lugte vorsichtig ins Werkstattinnere.
Der Sattlermeister saß an seiner Werkbank direkt vor ihm und schnitt ein paar Stücke Leder zurecht. Moritz konnte das Gesicht des Mannes kaum ausmachen. Es war so braun und gegerbt wie die Riemen, Gürtel und Schnüre, die überall um ihn herum von der Decke baumelten.
Im Hintergrund läutete es.
Moritz beobachtete, wie der Meister die Lederstücke auf den Stapel legte und in einem dichten Wald aus Tierhäuten verschwand. Wenn der Mann zurückkam, würde er einige Lederstreifen weniger besitzen.
Wenig später verließ Moritz den Hinterhof mit einem halben Dutzend Lederstreifen unterm Arm. Er sah hoch zur Türglocke unter dem Wappen und lächelte. Die Elster saß noch immer da, wo er sie zuvor platziert hatte, und beäugte ihr Spiegelbild in der Glocke. Immer wieder neigte sie ihr Köpfchen und beobachtete, wie es ihr die andere Elster im Spiegel gleichtat. Sie pickte erneut nach der Glocke und es läutete.
Moritz pfiff und die Elster hüpfte auf seine Schulter hinunter. Dann gab er Fersengeld. Er war bereits außer Sichtweite, als der Sattler abermals die Tür öffnete und hinausspähte.
Moritz’ Trick hatte funktioniert. Es gab kaum etwas, was die Aufmerksamkeit eines Handwerkers so sehr zu fesseln vermochte, wie eine Glocke. Das hatte Moritz durch seinen Besuch bei dem Schneider gelernt. Glockengeläut bedeutete Kundschaft – und Kundschaft bedeutete ein paar Gute Groschen.
Immer wenn Moritz neue Gegenstände eingesammelt hatte, kehrte er in seinen Verschlag zurück und begann, dort an mehreren Dingen gleichzeitig zu arbeiten.
Unter den neugierigen Blicken der Elster hantierte er abwechselnd mit Lederriemen und Metallstiften auf der einen und Seilen und Steinen auf der anderen Seite.
Als die Dämmerung hereinbrach, hatte er sein nächstes Werk vollendet – eine Bola. Es war eine Wurfwaffe, wie er sie aus einer der Waffen- und Werkzeugfibeln seines Vater kannte. Der Aufbau der Waffe war vergleichsweise simpel: drei gleich lange Seile, die an einem Ende miteinander verknotet waren, wie ein dreifingriger Stern. An den anderen Enden der Seile war jeweils eine kleine Ledertasche angebracht, die einen kreisrunden Stein als Gewicht enthielt.
Moritz hatte fast einen ganzen Tag nur darauf verwendet, drei exakt gleiche Steine zu finden. Fast alle Pflastersteine, die man in den Gassen finden konnte, waren zwar gleich groß, aber viel zu schwer, um daraus ein Wurfgeschoss zu bauen, das man ständig mit sich herumtragen konnte. Nein, Moritz brauchte kleinere Steine – es sollte eine handliche Waffe werden.
Nun konnte er es kaum erwarten, sie auszuprobieren. Er hielt die Bola an einem der Gewichte fest und wirbelte sie durch die Luft. Die Steine in den Ledertaschen surrten über seinem Kopf und Moritz zielte auf einen Holzpfahl.
Er ließ los. Die Bola machte einen kümmerlichen Satz und landete im Dreck.
Auch die nächsten Versuche klappten nicht besser. Mal verwendete er zu viel Schwung, was dafür sorgte, dass die Bola nach hinten losging und ihn fast bewusstlos schlug, mal ließ er nicht rechtzeitig los und die Seile wickelten sich in rasender Geschwindigkeit um seine Hand – wobei ihm die zusammenschlagenden Steingewichte beinahe die Finger zerquetschten.
Es dauerte über eine Stunde, bis Moritz ein paar halbwegs passable Würfe erzielte. Es war ein Anfang, doch er wusste, dass es noch um einiges schwieriger sein würde, ein bewegliches Ziel im Laufen zu treffen.
Er übte weiter, bis er das Gefühl hatte, dass die Waffe mehr und mehr ein Teil von ihm wurde. Dann war es Zeit, sich wieder auf die Lauer zu legen.
Diese Nacht war noch kälter als die vorherige und Moritz’ Glieder schmerzten vor Müdigkeit, als er sich auf dem Dach des Apothekers niederließ. Abgesehen vom Kirchturm war dies wohl der beste Platz, um die Gegend im Auge zu behalten. Er gähnte, aber er wollte nicht schlafen. Er durfte nicht. Was, wenn er das Monster verpassen würde? Was, wenn es gerade zuschlug, während er die Augen schloss?
Ein schrecklicher Gedanke kroch in ihm hoch: Was, wenn sich das Monster nie wieder zeigen würde? Er würde Konstanze niemals wiederfinden.
Er schüttelte den Gedanken ab. Nein, er würde warten. Er musste warten. Es war seine einzige Chance.
Der nächste Morgen roch nach Schaf.
Moritz ließ sich vom Dach herunter und schlich hinter den Marktplatz, wo eine magere Schafherde dicht gedrängt auf der umzäunten Fläche eines Viehhofes stand. Lautlos legte er sich hinter dem Gatter auf die Lauer.
Obwohl die Sonne heute so kraftvoll schien wie schon lange nicht mehr, fühlte sich Moritz miserabel. Die Nacht zuvor war ein endloser Kampf mit der Müdigkeit gewesen und er hatte einen furchtbaren Muskelkater von den ungewohnten Wurfübungen mit der Bola. Seine Ohren dröhnten und seine Augen brannten wie Feuer. Aber er versuchte sich auf die Aufgabe zu konzentrieren, die vor ihm lag. Und diese war weich, roch muffig und war erheblich wärmer eingepackt als er.
Moritz zückte sein Messer und kletterte zu den Schafen ins Gatter. Lautlos pirschte er sich an das Hinterteil des größten Tieres heran und zupfte vorsichtig an der Wolle. Er nahm das Messer und begann ein paar Locken abzuschneiden. Direkt hinter ihm reckte ein schwarzer Widder seinen Kopf. Er hatte Moritz ins Visier genommen und seine Nüstern blähten sich.
Die Elster krächzte.
Erschrocken wandte sich Moritz um und im nächsten Moment jagte der Widder mit gesenkten Hörnern hinter ihm her.
Als Moritz später mit einem blauen Auge zum Verschlag zurückkam, hatte er ausreichend Wolle ergattert, um sein letztes Werkzeug endlich fertigzustellen. Er holte das Wirrwarr aus Leder, Stofffetzen und Metall hervor und begann, die Schafwolle einzuarbeiten. Als er fertig war, stemmte er die Hände in die Hüften und warf der Elster einen abschätzenden Blick zu. Neugierig beobachtete sie, wie er das Kunstwerk in die Luft hob.
Es war ein Tragesitz für die Elster: mit Riemen aus Leder und einem Köcher aus Stoff, der innen mit Wolle ausgepolstert war. Moritz lächelte. Die Elster zurückzulassen, kam nicht infrage. Wenn er in ihre Knopfaugen schaute, war alles wieder da – der Abend, der Streit, der Sturm, das Monstrum. Die Elster war das Band, das die Geschwister zusammenhielt.
Für Konstanze.
*****
Der Mond glänzte hell. Moritz lief behände über die Dächer und Firste. Die Elster saß bequem in dem Tragesitz, der um seine Brust geschnallt war. Bola und Bogen hatte er geschultert. Die Pfeile hatte er in einem provisorischen Köcher aus übrig gebliebenen Lederstreifen untergebracht, sodass er beide Hände zum Klettern frei hatte. Er hielt an einer Dachkuppe kurz inne und blickte über die Stadt. Zum ersten Mal fühlte er sich bereit für die Jagd nach dem Monstrum.
Und da hörte er es.