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Der Westerwald und seine Menschen (I)

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Heiner Feldhoff

Der alle verbindende Volksgruß, ein Dialog in knappster Form, der die Westerwälder Zusammengehörigkeit auf der Stelle erkennen lässt, ist seit hundert Jahren das Losungswort: »Hui! Wäller? – Allemol!«, die 1913 vom Westerwaldverein preisgekrönte, für Außenstehende unverständliche Parole aus einem Sechszeiler des Heimatdichters Adolf Weiß. Den Menschen des Westerwalds kurz Wäller zu nennen, hat sich durchgesetzt, so lautstark der verdiente Kulturhistoriker Hermann Josef Roth auch dagegen polemisiert: das sei albern, geschmacklos, eine Verstümmelung, ein Un-Wort, eine Erfindung eben. Aber ich meine, nach so vielen Jahren hat sich seine identitätsstiftende Berechtigung nun wahrlich erwiesen, und im Übrigen ist die Kurzform Wäller für Westerwälder z. B. schon bei dem von mir hochverehrten, literarisch bedeutsamen Dichter Fritz Philippi, also lange vor Adolf Weiß, anzutreffen, beide vom Hohen Westerwald. Auf dieses Westerwälder Kerngebiet trifft all das zu, was sich die Welt draußen so erzählt von der Wäller Rauheit, dem grollend Mundharten strengstirniger »Basaltköpp«, der Kargheit der Landschaft, dem berüchtigten Wind (Hui!), jenen Höhen, wo »zahllose Basaltblöcke zerstreut liegen, als habe der Himmel in seinem Zorn Felsen gehagelt«, wie sie Mitte des 19. Jahrhunderts der Kulturhistoriker Wilhelm Heinrich Riehl beschrieben hat. Arno Schmidt, der selbst als Dichter zurückgezogen auf dem Land lebte, zitiert das weltweit bekannte Westerwaldlied »Ü berDei neHö henfeift der-Winnt. Sokallt« auf seine Weise. Pfarrer, Richter, Lehrer sind hierhin abgeordnet worden und recht bald, wenn es unstete Geistesmenschen, Stadtmenschen waren, wieder fortgezogen. Und sind dann berühmt geworden, haben aber oft lebenslang das Westerwäldische in ihrem Herzen bewahrt. Die sogenannten einfachen Leute wie auch die kommunalen Politiker verbinden mit dem Begriff Kultur meist die Forst- und Landwirtschaft, zu deren Geschichte Hans-Joachim Häbel ein vorzügliches Buch geschrieben hat: Die Kulturlandschaft auf der Basalthochfläche des Westerwaldes vom 16. bis 19. Jahrhundert.

Das Arno-Schmidt-Zitat begegnete mir vor Jahren, als ich für einen rheinland-pfälzischen Reiseführer den Westerwald als literarische Landschaft untersuchte, und auf einmal entdeckte ich überall zwischen Dill, Lahn, Rhein und Sieg, an Wied und Nister bedeutende Geistesspuren, ja gleich vor der Haustür: Nietzsches Freund Paul Deussen, Pfarrerssohn aus Oberdreis, weltberühmter übersetzer der Upanishaden, hatte hier gelebt, und schon bald wurde er für mich, neben Raiffeisen und Sander, zum Dritten im Bunde Westerwälder Kulturgrößen von Weltrang. Anfangs, das gebe ich gerne zu, war es eher die Tatsache, dass Deussens Freund, der große Friedrich Nietzsche, zwei Wochen lang hier bei uns im Westerwald, bei den Deussens in Oberdreis, zu Besuch gewesen war.

Dann schrieb ich für ein Sonderheft der Kultur-Initiative »Pro AK« von Ulrich Schmalz eine erste Serie von sieben Porträts berühmter Westerwälder, und am Ende war es u.a. der Künstler Erwin Wortelkamp, bereits der erlauchten Siebenzahl zugehörig, der anregte, diese Galerie zu erweitern und in Buchform dauerhaft bereitzuhalten. Die Landräte der Kreise Altenkirchen, Neuwied und Westerwald, selber an einem stärkeren regionalen Zusammenhalt interessiert, waren von der Idee einer solchen »Pro AK-NRWW «-Publikation allemol angetan. Aber auch aus dem hessischen Westerwald galt es kulturhistorisch bedeutsame Persönlichkeiten aufzunehmen. War tatsächlich anfangs eine gewisse Verlegenheit spürbar gewesen, wenn man nach wirklich großen Westerwäldern fragte, so tauchten auf einmal, besann man sich recht, immer mehr Namen auf, so dass mir das Projekt der Westerwälder Köpfe beinahe über den Kopf wuchs und unbedingt ein kompetenter Co-Autor hinzuzugewinnen war. Wir kamen dann aus dem Staunen nicht mehr heraus, die Zahl diskutabler großer Westerwälder wuchs ständig, so dass sich der Dreierbund Raiffeisen-Sander-Deussen wundersam um dreißig weitere Prominente vermehrte, – und damit nicht genug, am Ende noch einmal um das Doppelte, so dass wir hier eine alternative Liste beifügen (s. u.), für all jene, die in unserer subjektiven Auswahl vielleicht zu Recht den einen oder anderen eigenen Favoriten vermissen, dessen Aufnahme den Rahmen unseres Buches freilich gesprengt hätte. Vorläufer unseres Projekts waren im Übrigen die Lebensbilder aus dem Kreis Altenkirchen von 1979, Frauengeschichten, 2008 vom Kreis Neuwied herausgegeben, sowie diverse Heimatbücher, u.a. die Ausgabe der Wäller Heimat 2012 des Westerwaldkreises.

In unserer Sammlung bedeutender Westerwälder kommen selbstredend auch berühmte Westerwälderinnen vor – nicht nur zeitgemäße correctness lässt dies sogleich ergänzen, tatsächlich kann sich der Frauenanteil von 30 Prozent durchaus sehen lassen. Birgt aber der geschlechtsneutrale Buchtitel nicht die Gefahr, eine allzu intellektuelle Sortierung anzukündigen? Keine Sorge, hier werden nicht nur Hochkultivierte, durch kulturelle Glanzleistungen Aufgefallene vorgestellt, nicht nur Künstler, Schriftsteller, Adlige, Kirchengrößen, sondern auch Boxer, Schäfer und Koch. Umgekehrt war es August Sander, der zum Ausdruck gebracht hat, dass es nicht den geringsten Grund dafür gibt, auf »nur« volksschulisch Gebildete hochmütig herabzublicken, wenn er einfache, lebenserfahrene Bauersleute fotografiert und mit dem Titel versieht: »Der Philosoph«, »Die Philosophin«; ein alter Hirte wird ihm zum »Weisen«, Menschen, die offenkundig, mehr als mancher Studierter, etwas verstanden haben vom Werden und Vergehen, von der Mühsal tagaus, tagein, geprägt auch von der Gottesfurcht, vom Immergleichen im Wandel der Zeiten, von der Stille des Landes.

für die Abfolge entschieden wir uns gegen die Chronologie; die Anordnung nach dem Alphabet schafft neue überraschende Begegnungen, so stellt sie den Gewerkschafter neben den Unternehmer, den Koch neben den Wirtshaussohn, den ausschweifenden Maler neben die keusche Selige, Raiffeisen und Sander, die beiden Berühmtesten, stehen beieinander, mittendrin Mechthild von Sayn, unsere Älteste, aus dem 13. Jahrhundert.

Das Verfassen dieser Kurzbiographien war stets begleitet von einem gewissen Schuldbewusstsein, so viele Menschenleben in jeweils kaum mehr als tausend Worten einzufangen und möglicherweise, auch wenn das jeweilige Leben geglückt schien, es posthum doch noch zu verpfuschen, so lückenhaft, so verknappt, so fragmentarisch, wie es hier nur dargestellt werden konnte, bei aller Sorgfalt der Recherche. Aber unsere Lebensbilder verstehen sich als Einladungen an den Leser, den Spuren jener verehrten Westerwälder weiter nachzugehen, deren Lebensleistung bis heute Früchte trägt und die Nachgeborenen berührt, animiert, aufregt.

Bisweilen, so erging es mir nach langer Beschäftigung mit diesen ganz Anderen, schienen einige von ihnen auf einmal ihr Anderssein zu verlieren und wurden mir zeitweilig zum Bruder, zur Schwester, andere blieben fremd und fern und rätselhaft. Jedenfalls mag ein solches Festhalten in Bild und Wort ein wenig dazu beitragen, dass, umtost von der schönen neuen, immer erreichbaren medialen Präsenz, die Erinnerungsfähigkeit des wachsamen Einzelnen gestärkt wird, konkret im Blick auf unsere Westerwälder Köpfe in Geschichte und Gegenwart, und nicht nur auf Köpfe, denn auch die Hände sind beteiligt, die Fäuste gar, die Beine, nicht zu vergessen das Herz. Was sie alle, fast alle eint: sie wollen ins Öffentliche, sie wollen wirken, verändern, wollen Erfolg, gänzlich selbstlos die wenigsten, auch die Frömmsten nicht, denen es zumindest um einen Schatz im Himmel geht; Ika, Erwin, Annegret, Johannes, Carmen, Paul, sie alle tragen das, was sie befähigt und beseelt, zu Markte: ihre Kunst, ihr Denken, ihren Witz, ihre Mission.

Hervorragende Westerwälder Köpfe gibt es, wir sagten es, nicht wenige. Ein besonderer sei hier noch zum Schluss erwähnt: der Beulskopf bei Altenkirchen. Wer dort auf den Raiffeisenturm hinaufsteigt und sich ganz oben, weit ins Land hinausblickend, in den Wäller Wind stellt, den ergreift vielleicht jener Schwindel, bei welchem er nicht mehr recht zu entscheiden vermag, ob das, was ihn da umweht, noch Naturgeräusch ist oder schon Geisteshauch. Immer muss man sich erst um ein weniges aus dem Alltag erheben und den eigenen Kopf hinhalten. Um den überblick zu gewinnen. Sei es auch zwischen zwei Buchdeckeln.

HF

Wer wohl auch in diese Sammlung gepasst hätte:

Johann Peter Altgeld, der Gouverneur von Illinois; die Maler Karl Bruchhäuser, Robert Schuppner und Alois Stettner; der virtuose Bratschist Wolfram Christ, der Pianist Martin Stadtfeld und die Akkordeonistin Eva Zöllner, natürlich der Kabarettist Matthias Deutschmann; die historische Unternehmerpersönlichkeit Carl Johann Freudenberg und aus der Jetztzeit Ralph Dommermuth, Internet-Unternehmer, der Top-Manager Thomas Enders oder Joachim Fuhrländer, Apostel der Windräder: welche Karrieren! Dazu der »Holzpellet-Mann« Markus Mann und Willi H. Grün, Finanzjournalist – und Heimaterzähler. Aus der Welt des Sports ein Rudi Gutendorf oder Jutta Heine, Silbermedaillengewinnerin von Rom, Peter Hermann, Fußballprofi und Trainer bei Spitzenvereinen, Artur Knautz, Feldhandball-Nationalspieler. Dazu gehören auch: Hermann Graf Hatzfeldt, Schlossbesitzer und Hüter des Waldes, der Widerstandskämpfer Franz Leuninger, der Evangelist Anton Schulte, Friedrich Muck-Lamberty, furioser Lebensreformer. Dann die Schriftsteller Karl Ramseger-Mühle und Wilhelm Reuter, Hans-Christian Kirsch, der Erzähler für junge Menschen, der Bestseller-Autor Klaus-Peter Wolf und die Dichterin Maria Homscheid. Zudem Barbara Rudnik, die herbschöne Schauspielerin, oder Heinrich Roth, Landrat und Gegner des Hitler-Regimes, Hermann Josef Roth, der Kulturhistoriker der Region. Gewiss auch Wilhelm von Nassau-Dillenburg, hochadliger Kämpfer für die Freiheit der Oranjes, sowie die Verleger-Legende Klaus Wagenbach. Und nicht zuletzt der preußische Staatsreformer Karl Freiherr vom Stein.

Der Westerwald – immer wieder bewirkt er biografische Wunder …

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