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Édouard Baldus, 1813-1885, Photograph, Grünebach

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Vom Geldfälscher zum Photographen der Grande Nation

Wie eigentümlich! Demselben unscheinbaren Landschaftswinkel entstammen gleich zwei geniale Künstler, beide Weltmeister ihres Faches, der Photographie! Neben August Sander ist nun endlich auch der große Andere zu nennen: Édouard Baldus, der allerdings nicht so ohne weiteres von den Westerwäldern zu vereinnahmen ist. Die Franzosen sehen ihn nämlich als einen der Ihren an, zu Recht, denn er hat später nicht nur ihre Nationalität angenommen, sondern ist buchstäblich zu einem der bedeutendsten Repräsentanten seines neuen Vaterlandes aufgestiegen.

In Grünebach, einem Weiler im Hellertal im Kirchspiel Siegen, kommt als zweites Kind von Johann Peter und Elisabeth Baldus am 5. Juni 1813 ihr Sohn Eduard zur Welt. Zunächst noch zu Nassau gehörig, gelangt seine von Landwirtschaft und Eisenverhüttung geprägte Heimat zwei Jahre später an Preußen. Der Junge wächst in schlichten katholischen Verhältnissen auf und dient schon früh als Soldat bei der preußischen Artillerie in Köln. Doch dann nimmt er seinen Abschied vom Militär, offensichtlich hat er sein besonderes Talent bei der Handhabung neuester Drucktechniken entdeckt. Die nächste urkundlich überlieferte Erwähnung ist eine höchst unrühmliche, erst in jüngster Zeit von Peter Lindlein aus Betzdorf aufgedeckt: 1835 wird der »vormalige Bombardier Eduard Baldus« steckbrieflich in der Rheinprovinz gesucht, als Krimineller, der vom Staat ausgegebene Kassenanweisungen gefälscht hat. Ein lebensgefährliches Risiko, schlimmstenfalls droht ihm nach damaligem Recht die Todesstrafe.


Steckbrief in der preußischen Rheinprovinz, 1835

Der 21-jährige Grünebacher verduftet ins Ausland. 1838 taucht er als Kunststudent in Paris auf, mit einem fingierten Lebenslauf als Maler amerikanischer Herkunft, er ändert sein Geburtsdatum und schreibt sich gemäß französischer Aussprache Édouard. Zehn Jahre lang reicht er beim Pariser Kunstsalon seine Gemälde ein, letztlich ohne Resonanz. Privat ist er erfolgreicher: er heiratet die begüterte Elisabeth-Caroline Étienne und hat mit ihr drei Kinder. Da kommt ihm im Zweiten Kaiserreich unter Napoleon III. der zivilisatorische und technische Fortschritt zu Hilfe: Paris wird nach Plänen des Barons Haussmann zur modernen Metropole umgestaltet. Die engen Viertel der einfachen Leute werden abgerissen, neue breite Boulevards ermöglichen einen zügigeren Straßenverkehr, bieten dem Second Empire mehr Schutz vor revolutionären Barrikadenkämpfen, aber auch, stadtästhetisch im wahrsten Sinne weitsichtig, imposante Durchblicke, z.B. auf den Arc de Triomphe oder die Oper. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich in Frankreich über Hippolyte Bayard, Louis Daguerre und andere Pioniere die neue Kunst der photographischen Ablichtung entwickelt, welcher sich der wendige und erfinderische Baldus nun mit aller Energie widmet: Er experimentiert, inzwischen Steckbrief in der preußischen Rheinprovinz, 1835 Gründungsmitglied der Pariser »Héliographischen Gesellschaft«, mit Salzpapier- bzw. Glasnegativen, später dann mit Kollodium-Nassplatten, seinem eigenen Heliogravüre-Verfahren, er weiß zu retuschieren und mehrere Negative zu einem Panoramabild zusammenzufügen. 1851 beauftragt ihn die Kommission für Denkmalspflege, historische Baudenkmäler zu photographieren, nicht nur in der Hauptstadt und Fontainebleau, sondern in ganz Frankreich, so in Burgund, in der Auvergne und im Midi. Seine Schwarz-Weiß-Bilder mit ihrer klassisch-ausgewogenen Sichtweise zeichnen sich durch eine ungewöhnliche Klarheit und Präzision aus, so dass sich sein Auftrag schon bald über das dokumentarische Festhalten der alten Bauwerke erweitert auf die Monumente des Fortschritts, wie Aquädukte, Bahnhöfe, Hafenanlagen.


Pont du Gard, 1861

Auf der Weltausstellung 1855 finden die Bilder seiner »Mission Héliographique « viele Bewunderer. Der Bankier James de Rothschild, Eigentümer der französischen Nordbahn, beauftragt ihn, ein Photoalbum von der Eisenbahnstrecke Paris-Boulogne zusammenzustellen, 50 Aufnahmen in einem Prachtexemplar, das Rothschild der Queen Victoria bei ihrem Besuch Pont du Gard, 1861 der Weltausstellung überreicht. Ein weiterer, ungleich umfänglicher Staatsauftrag wird ihm zuteil: Baldus dokumentiert mit mehr als 2000 Photographien den Neubau des Louvre.


Arc de Triomphe du Carrousel, nach 1850

Die große Nachfrage bei gleichzeitiger chemischer Fortentwicklung seines Druckverfahrens lässt ihn ein eigenes Unternehmen gründen; zeitweilig beschäftigt er ein Dutzend Mitarbeiter. 1861 beauftragen ihn die »Chemins de fer de Paris«, nunmehr Motive der südlichen Eisenbahnstrecke Lyon-Mittelmeer in einem Photowerk zu versammeln. Baldus ist aber nicht nur der dokumentarische Photograph nationaler Architektur, der modernen wie der aus der Römerzeit überkommenen – es gibt von ihm nicht minder imposante Landschaftsbilder aus der armen Auvergne oder von der schönen Côte d’Azur, von den überschwemmungen im Rhône-Tal sowie erst in unseren Tagen veröffentlichte Photographien einer eleganten Gesellschaft im Park des Schlosses La Faloise.

Im allgemeinen sind die Baldus-Aufnahmen menschenleer: es mag auch an den langen Belichtungszeiten damals gelegen haben, aber aus dieser technischen Not machte er die Tugend einer künstlerisch perfekten Komposition.


Thésée et le Minotaure - Jardin des Tuileries, 1858

In seiner Abwesenheit erscheint das Bild des Menschen bei Édouard Baldus nicht weniger nachhaltig als bei August Sander. Bereits in der Frühzeit des Lichtbilds wirft er einen modernen Blick auf die Dinge, wenn er zum Beispiel im Jardin des Tuileries unterhalb einer klassischen Skulptur die leeren Stühle aufnimmt. Heute werden die Werke des deutsch-französischen Meisters in Kunstausstellungen neben denen der bedeutendsten Impressionisten präsentiert, auf Auktionen erzielen die Originale Höchstpreise. In unserer Zeit werden sie in Verbindung gesehen mit den Schwarz-Weiß-Aufnahmen etwa von Bernd und Hilla Becher. Baldus selbst hat zum Thésée et le Minotaure - Jardin des Tuileries, 1858 Ende seines Lebens finanziellen Schiffbruch erlitten, geschäftlich hatte der Meisterphotograph keine glückliche Hand. Er stirbt am 22. Dezember 1889 in Arcueil-Cachan bei Paris. Auf dem dortigen Friedhof ist er im jüngst renovierten Familiengrab beigesetzt. Leicht ließe sich die Monumentalarchitektur der Herrschenden seines Jahrhunderts als imperialistische Selbsterhöhung kritisieren - und damit auch eine Photographie in deren Diensten. Doch liegt es nicht im Wesen großer Kunst, dass sie über die irdische Dauer von Auftraggebern und Zeitgenossen hinweg ihre Werke in einen melancholischen zeitlosen Zauber hüllt? Beide, ob Baldus oder auch Sander, sind eben keine Kopierer der Realität, sondern als geniale »Fälscher« bewundernswerte Erfinder eigener Bildkreationen.

HF

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