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Andreas Balzar, 1769 - 1797, Räuberhauptmann, Höchstenbach

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Ein Räuberhauptmann sieht rot

Wann und wo er geboren wurde, ist dokumentiert: am 28. Januar 1769 in Höchstenbach. Ebenso urkundlich belegt ist der Ort, das Datum und die Art seines Todes: Er wurde von Soldaten der napoleonischen Besatzungsarmee in Westerburg am 3. Oktober 1797 füsiliert. Dazwischen aber verliert sich das wildbewegte Leben dieses legendenumwobenen Mannes immer wieder im Dunkeln und fordert zu Spekulationen heraus. Doch sein Name ist im kollektiven Gedächtnis der Gegend zwischen Wied und Sieg dick unterstrichen. Nicht nur deshalb gehört er in diese Reihe von Westerwälder Köpfen, sondern auch, weil seine Biografie die revolutionäre »Sattelzeit« um 1800 spiegelt.

Seine Lebenszeit fällt in die kurze Blüte der großen Räuberbanden zwischen 1750 und 1820. Nach dem 30-jährigen Krieg war die Welt des mittelalterlichen Kaiserreichs ins Wanken geraten. Viele Landschaften waren gründlich geplündert und verarmt. Die Selbstverständlichkeit des einen christlichen Glaubens war zerstört, der Katholizismus und der Protestantismus hatten sich bis aufs Blut bekämpft. Und überall in Deutschland, das in viele Kleinstaaten zerfleddert war, über deren Grenzen man schnell fliehen konnte, bildeten sich Banden aus den Parias der damaligen Zeit: verarmte Bauernsöhne, Abkömmlinge der sogenannten unehrlichen Berufe wie Abdecker, Henker und Prostituierte, zu denen dann auch noch die überall verfolgten »Zigeuner« stießen, und viele elende Betteljuden. Unter ihnen Andreas Balzar 1769-1797 Räuberhauptmann Höchstenbach entwickelte sich ein besonderer Gauner-Jargon, das Rotwelsch, aus dem viele Ausdrücke in die Umgangssprache einwanderten wie: Bulle für Polizist, Bock haben für Lust, Model für Mädchen, Kohldampf für Hunger. Am Ende des 18. Jahrhunderts erschienen »Actenmäßige Nachrichten« an Stelle der heutigen Krimis, in denen den schaudernden Bürgern der Städte von den großen Räubern und ihren Banden erzählt wurde: »Schinderhannes« Bückler im Hunsrück, »Hiesl« Klostermeyer in Oberbayern, im Rheinland wüteten Damian Hessel, das »Studentchen« und Matthias Weber, genannt der »Fetzer«. Oft verklärte das Volk die Verfemten zu Sozialrebellen mit dem Flair eines Robin Hood. Der Schwager Goethes, Christian Vulpius, schrieb einen Bestseller über den edlen Banditen »Rinaldo Rinaldini«, und »Räuber und Gendarm« hieß von da an bis in unsere Zeit ein beliebtes Kinderspiel. Aber über den Räuberhauptmann Andreas Balzar findet sich in diesen Kriminalreports nichts. Er stammt nicht aus der deklassierten Gesellschaftsschicht wie die abgerissenen Desperados, die ihre Beute mit Lustnymphen in verrufenen Freudenhäusern versaufen und verhuren, weshalb viele von ihnen geschlechtskrank sind. Dagegen wächst Balzar als Sohn des Pfarrers von Flammersfeld auf. Und ebenso wie sein Vater soll er auf der »Hohen Schule« in Herborn, eine der wichtigsten Bildungsstätten der Calvinisten in Europa, Theologie studieren. Aber in seinen Adern rollt offensichtlich das Blut seiner Vorfahren, die jahrhundertelang als Förster und Soldaten gelebt hatten. Der fürstliche Wildpark um Herborn reizt seine Jagdlust allzu sehr, und der Lateinschüler wird nebenberuflich Wilddieb. Als Andreas Balzar enttarnt wird, kann er gerade noch aus dem Sayn-Wittgensteinschen Hoheitsgebiet nach Flammersfeld fliehen. Aus ist es mit der Theologen-Laufbahn, und sein empörter Pfarrervater verstößt ihn aus dem Elternhaus. Dabei war der Jagd- und Holzfrevel in jenen unruhigen Zeiten, als sich die alte Ständeordnung aufzulösen begann, auf dem Land eine übliche Praxis als Zeichen der Not wie der Revolte gegen das Unrecht. Denn allzu dreist nutzten die Adligen ihr Jagdprivileg aus. Sie verboten den Bauern, die Wildtiere zu töten, die ihre Feldfrüchte fraßen, und wenn den »Herren « danach war, betrieben sie rücksichtslos quer durch die Felder ihre Hetzjagden und zerstörten die Ernte. Da halfen sich die Dörfler eben selbst und besorgten sich Wildbret und Holz in den Wäldern. Das war noch nicht ehrenrührig. für den Sohn eines Pfarrers galten allerdings andere Regeln als für die Unterdrückten.

Nun ist er ein Outlaw.

Schiller hat in seiner Novelle »Der Verbrecher aus verlorener Ehre« am Beispiel des »Sonnenwirts« Friedrich Schwahn die Karriere eines solchen Ausgestoßenen nachgezeichnet: Vom Wilddieb über das Zuchthaus in eine Räuberbande. Die Erzählung wirkt wie eine Blaupause für die Biografie von Andreas Balzar, nur dass dieser den Kerker überspringt. Er zieht nach Russland als Fremdenlegionär und bringt es dort bis zum Kapitän in der Leibwache des Zaren. Auch diese Lebensphase war beispielhaft für seine Zeit. Oft gingen damals abenteuerlustige Deutsche als Soldaten, Handwerker, Ingenieure und Kaufleute nach Russland, dort waren sie als Spezialisten gesucht und angesehen. In den russischen Romanen des 19. Jahrhunderts tauchten immer wieder Deutsche auf als Vorbilder an Tüchtigkeit und Können.

Warum Andreas Balzar aus Sankt Petersburg in den Westerwald zurückkehrt, wissen wir nicht. Aber plötzlich ist er wieder da. Er schließt sich einer Horde von Wilddieben und Räubern an und macht sich bald zu ihrem Anführer. Damit gehört er nun zu der sich epidemisch ausbreitenden Subkultur der Banden.

In jener Zeit wurde das ganze Rheinland unsicher gemacht von der weit verzweigten Niederländischen Bande. Zu ihr gehörte auch die Neuwieder


Andreas Balzar trifft seinen Vater kurz vor seiner Erschießung. Eine Szene aus der Aufführung der »Bartels Bühne«, Flammersfeld 1989.

Bande, die von der Stadt aus im Westerwald operierte. Die Waldgebiete der fürsten zu Wied waren zum großen Teil noch so unwegsam, dass selbst die Räuber sich verliefen, zum Beispiel nach einem missglückten nächtlichen überfall in Daaden. Auf ihrer Flucht gingen sie im Kreis und wurden am Morgen von den wütenden Bauern eingeholt, gefangen genommen und fürchterlich verprügelt. Balzar muss als Räuberhauptmann, der um Flammersfeld herumstreicht, Kontakt mit dieser Gang gehabt haben, aber er taucht in den »Acten der Polizey« nicht auf.

Er überfällt nämlich nicht Händler und Kaufleute, sondern französische Soldaten, und sein Gegner ist nicht die »Polizey«, sondern die französische Republik. Denn der Westerwald war inzwischen zum Kriegsgebiet geworden. Das revolutionäre Frankreich, angegriffen von Österreich und Preußen, hatte nach mehreren Siegen mit seinem Volksheer die Rheinufer besetzt und lieferte sich zwischen Mainz und Koblenz ständig Gefechte mit den Habsburger Truppen.

Als ein französischer Offizier die Braut Balzars auf dem Marsch durch Flammersfeld schändet, sieht Balzar rot und beginnt einen blindwütigen Rachefeldzug gegen alle, die eine Offiziersuniform der Besatzer tragen. Er greift mit seinen Freischärlern die Franzosen aus dem Schutz der Wälder so erfolgreich an, dass im Jahr 1797 die Chance zu einem Aufstand des gesamten Westerwaldes gegen die fremde Besatzung in der Luft liegt, wie Heinrich von Gagern, der einstige nassauische Regierungspräsident, in seinen Memoiren berichtet. Seine militärischen Gegner jedenfalls nehmen Balzar, den »Capitain noir«, als Guerillakämpfer sehr ernst und jagen ihn intensiv. Schließlich fangen sie ihn, aber nur durch Verrat. Die Franzosen achten seinen russischen Offiziersrang und hängen ihn nicht wie einen gewöhnlichen Kriminellen an einen Strick. Und so beendet im Hof des Westerburger Schlosses ein Erschießungspeloton das dramatische Leben des Feuerkopfes. Seine Biografie ist exotisch genug für einen Roman vom Archivar Christian Spielmann ca. 100 Jahre nach seinem Tod und für ein darauf fußendes Theaterstück, das immer wieder mal im Westerwald von Laienbühnen aufgeführt wird. Manche Mitteilungen über Andreas Balzar stammen von Spielmann und sind heute nicht mehr belegbar. Jedoch ein Faktum steht fest: Im Angesicht seines Todes, »in articulo mortis«, gesteht er, einundzwanzig französische Offiziere mit eigener Hand getötet zu haben, und weist die Binde vor den Augen zurück.

CG

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