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Wilhelm Boden, 1890-1961, Landrat und Ministerpräsident, Birnbach
ОглавлениеEin Mann für schwere Zeiten
Sauber gescheitelt, aufrecht im Anzug mit Weste und Krawatte: So hat ihn sein Nachbar, der später berühmte August Sander fotografiert. Ein gläubiger Katholik und milder Patriarch, geboren und aufgewachsen im Königreich Preußen, ein Jurist und lebenslang ein Verwaltungsbeamter reinsten Wassers. Kein glanzvoller Redner, keine schillernde, charismatische Persönlichkeit – doch ein höchst fähiger Mann in Krisenzeiten.
Wilhelm Bodens privates Leben verlief zunächst sehr gradlinig. Er wurde am 5. März 1890 in eine Juristenfamilie in der Nähe von Trier hineingeboren, Abitur daselbst, dem ein Studium der Rechts- und Staatswissenschaft in Bonn und Berlin folgte, das er 1915 mit dem 2. Staatsexamen abschloss. Zwischendurch hatte er pflichtschuldigst und in kürzester Zeit 1912 in Würzburg die kirchenrechtliche Promotion eingeschoben – und die war sicherlich nicht irgendwo abgeschrieben. Selbstverständlich war er während seiner Studentenzeit einer der ältesten katholischen Studenten-Verbindungen Bonns beigetreten, und selbstverständlich wurde 1919, bald nach dem Studium, also zur rechten Zeit geheiratet, eine Frau aus dem gleichen bürgerlichen »Stall« und mit gleichem Glaubensbekenntnis. Es kann nicht überraschen, dass eine Familie gegründet wird mit sechs Kindern, für die ein großes Haus gebaut wird. Ein Lebenslauf wie aus dem Schnittbogen für das wohlsituierte katholische Bürgertum.
Als er 1919 im Jahr seiner Heirat zum Landrat für den Kreis Altenkirchen/ WW bestellt wird, ist er der jüngste Landrat in Preußen, dem größten und einflussreichsten Land innerhalb der neuen Weimarer Republik, das von Danzig bis ins Ruhrgebiet reichte. Seine Anfangsjahre sind nicht einfach: Das Gebiet ist gegliedert in einen Oberkreis um die Stadt Betzdorf, geprägt von der Industrie des angrenzenden Siegerlandes, und einen Unterkreis um das Verwaltungszentrum in der kleineren Stadt Altenkirchen, der vorrangig von der Landwirtschaft lebt. Darüber hinaus glauben und wählen die beiden Regionen verschieden – der Norden katholisch und der Zentrumspartei zuneigend, der Süden protestantisch, deutschnational und von Bismarck begeistert. Der junge Landrat, Mitglied der rein katholischen Zentrumspartei, stößt zunächst auf Misstrauen, das er aber nach und nach überwinden kann. In den ersten Jahren seiner Amtstätigkeit muss Boden die drängende soziale Not bekämpfen. Tausende ehemalige Soldaten der geschlagenen deutschen Armee sind zurück in ihre Westerwälder Heimat gekommen, seelisch und körperlich versehrt. für sie und ihre Familien muss ein Auskommen geschaffen werden, das wenigstens zum überleben reicht. Gleichzeitig bewirkt der »Versailler Vertrag«, mehr Racheakt als Friedensstiftung, mit unvernünftig hohen Reparationen eine schwere Inflation.
Der Geldwert verfällt im Stundentakt, und die Arbeiterfrauen stehen am Ausgang der Fabriken, um in Waschkörben den Tageslohn ihrer Männer abzuholen. Schließlich sehen sich die Landkreise und Gemeinden genötigt, eigenes Sondergeld auszugeben, so auch Altenkirchen. Diese Notgeldscheine tragen die Unterschrift von Wilhelm Boden als Vorsitzendem des Kreisausschusses. Nach Einführung der Rentenmark 1923 stabilisiert sich die Wirtschaft, und der junge Landrat kann sich tatkräftig an die Gestaltung des öffentlichen Lebens im Kreis machen. Mit der Fusion der Elektrizitätswerke Siegerland (EWS) und den viel größeren Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerken (RWE), die 1927 abgeschlossen wurde, regelt er die Sicherung der Stromversorgung des Gebiets. Dieser Zusammenschluss zu einem effizienten, großen Energiebetrieb nützt auch dem Haushalt des Kreises. Bis heute, wenn auch in den letzten Jahren abnehmend, finanziert der Kreis mit den Dividenden aus seinen RWE-Aktien vor allem die Kulturarbeit. Weil er die Notwendigkeit erkennt, die Erzförderungs-, Hütten- und Basaltindustrie des Kreises an die großen Verkehrswege anzubinden, widmet er sich überdies intensiv dem Ausbau der Westerwald-Bahn.
W. Boden (im Führerstand) bei der Taufe einer neuen Dampf-Lok auf seinen Namen, 1927.
Eine der neuen Heißdampf-Lokomotiven wird feierlich auf den Namen »Landrat Dr. Boden« getauft. Als ebenso die Zeiten überdauernd erweisen sich seine Initiativen im Bereich der Ausbildung junger Menschen. Er sorgt dafür, dass das Real-Gymnasium Betzdorf als erstes in Preußen in die Trägerschaft des Kreises überführt wird – heute eine Selbstverständlichkeit – und begleitet die Schulreformen der folgenden Jahre mit dem Eifer des humanistisch Gebildeten. Das Gymnasium öffnet sich dadurch weiteren Kreisen der Gesellschaft, auch den Mädchen. Ein großzügiger Erweiterungsbau inklusive Sternwarte fängt den Zustrom der Schüler und Schülerinnen auf. Auch eine weitere Landwirtschaftsschule wird in seiner Amtszeit errichtet.
Boden verliert dabei die Schutzlosen und Belasteten der Zwanziger Jahre nicht aus seinem fürsorglichen Blick. Der Kreis erwirbt zwei Villen und gestaltet sie als Kindergenesungsheim und Müttererholungsheim um. Schließlich wird auf Veranlassung des Landrats in Kirchen ein modernes katholisches Krankenhaus errichtet, das bis in die Jetztzeit seine Aufgaben erfüllt. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 trifft vor allem den schwerindustriell geprägten Oberkreis hart. Die Arbeitslosigkeit steigt in ungeahnte Höhen, ein wesentlicher Grund für die Wahlerfolge der Nazis im Kreis. Viele verzweifelte Westerwälder wandern wieder einmal wie im 18. und 19. Jahrhundert nach Nord- und Südamerika aus. Engagiert stemmt sich Landrat Boden gegen die Stilllegung der Erzgruben mit Hunderten von Arbeitern. Wegen der »Grube Bindweide« richtete er sogar einen Appell an den Reichspräsidenten Hindenburg persönlich – vergeblich.
Die Machtergreifung der NSDAP bedeutet für Boden einen tiefen Riss in seinem sonst so makellosen Lebenslauf. Im Zuge der sogenannten »Gleichschaltung « wird er aus seinem Amt geworfen, wegen angeblicher Untreue wie viele andere Amtsträger angeklagt und in einem infamen, wochenlangen Schauprozess sogar zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt. Anders als viele andere der Verwaltungselite biedert sich Boden aber niemals bei den Nazis an. Es hilft ihm sicher, dass er tief in seinem katholischen Glauben verankert ist. Boden zieht sich für die zwölf dunklen Jahre des »Tausendjährigen Reiches« mit seiner Familie nach Köln zurück und arbeitet als Rechtsanwalt und Gutachter.
Nach dem katastrophalen Ende des Weltkrieges suchen die alliierten Besatzungsmächte händeringend nach unbelasteten Fachleuten für die Organisation des zerstörten Landes. Wilhelm Boden macht nun eine geradezu atemberaubende Karriere. Zuerst wird er 1945 von den Amerikanern per Federstrich wieder als Landrat des Kreises Altenkirchen eingesetzt, doch schon nach wenigen Wochen ernennen ihn die Franzosen, die diese Zone von den Amerikanern übernahmen, erst zum Oberpräsidenten, dann zum Regierungspräsidenten von Koblenz. Wieder einmal bestehen seine Aufgaben vorwiegend darin, die Wohnungsnot und den Hunger zu bekämpfen. 1947 heben ihn die Franzosen auch noch in das Amt des Ministerpräsidenten von »Rhéno-Palatin«, dem neu gegründeten Rheinland-Pfalz. Doch obwohl er dann die ersten demokratischen Parlamentswahlen gewinnt als Spitzenkandidat der auf den Trümmern der Zentrumspartei gegründeten CDU, gelingt es ihm nicht, eine neue Regierung zu bilden gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und auch seiner eigenen Partei. Das politische Revier der Strippenzieher und Fallensteller ist dem passionierten Jäger und Waldgänger Boden nicht sehr vertraut. Resigniert gibt er den Regierungsauftrag zurück und das Amt des Ministerpräsidenten auf. Seine letzten Berufsjahre verbringt er hochgeachtet und hochgeehrt mit dem Bundesverdienstkreuz als Chef der Landeszentralbank.
Die Glanzzeit seines Lebens aber waren die Jahre als junger Landrat in Altenkirchen, als er auf allen möglichen Gebieten Erstaunliches leistete in den wilden Jahren der ersten deutschen demokratischen Republik. In seinem Haus in Birnbach, nahe Altenkirchen, stirbt er am 18. Oktober 1961.
CG