Читать книгу Und wenn die Welt voll Teufel wär ... - Heinrich Christian Rust - Страница 12
1. Von antiken Weltanschauungen zum rationalistischmaterialistischen Weltbild
ОглавлениеWer heute noch von Himmel und Hölle, von Engeln und Dämonen und von der unsichtbaren Welt spricht, als sei sie selbstverständlich und begreifbar, der handelt sich schnell den Vorwurf ein, man wolle zurückfallen in den Aberglauben des Mittelalters. Wir wissen von den schrecklichen Folgen einer geradezu naiven Vorstellung von der unsichtbaren Welt. Zwischen 1450 und 1700 wurden allein über 100 000 Menschen als angebliche Hexen und Hexer auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das so genannte »finstere Mittelalter« wurde deshalb so dunkel, weil immer mehr Menschen die Macht des Bösen überbetonten und schließlich hinter jedem Kritiker und hinter jeder übersinnlichen Macht den Bösen vermuteten.1 Die kirchliche Inquisition sah hinter all dem das kosmische Komplott Satans gegen die christliche Kirche und damit gegen die christliche Gesellschaft.
Grundlegend für diese Ansicht war das sogenannte »biblische Weltbild« (Empyreum) der frühen und mittelalterlichen Christenheit, das sich die Wirklichkeit mit Himmel, Erde und Hölle wie in drei Stockwerken gegliedert dachte. Da gibt es ein »oben« und ein »unten«; da bekommt das Unsichtbare Namen und Gestalt. Mittelalterliche Darstellungen vom Teufel und von Dämonen müssen geradezu als naiv betrachtet werden. Attribute wie Hörner, Pferdefuß und Schwanz sind Produkte menschlicher Phantasien, die mit der Wirklichkeit satanischer Existenz nichts zu tun haben. Diese Vorstellungen von einer jenseitigen räumlichen Welt des Bösen hielten sich bis in die Tage der Aufklärung erstaunlich hartnäckig. Man stellte sich vor, dass über bzw. unter unserer Welt das Jenseits lag, ein Raum, der naiv räumlich gedacht wurde und an dem sich Gottes Engelheere bzw. die dämonischen Heere des Teufels aufhielten.
Obwohl Nikolaus Kopernikus (1473–1543) durch seine Entdeckung, dass die Sonne und nicht die Erde den Mittelpunkt unseres Planetensystems darstellt, bereits eine grundlegende Änderung in der Weltsicht einläutete, stellte erst der italienische Philosoph Giordano Bruno (1548–1600) die Existenz eines Jenseits als Ort der unsichtbaren Welt völlig infrage. Die Vorstellung einer jenseitigen Welt mit Engeln, Dämonen und unsichtbaren Mächten wich einer Sicht, in der alles innerweltlich verstanden werden musste. Obwohl man Giordano Bruno nach siebenjähriger, schmählicher Haft schließlich als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannte, konnte die Kirche nicht mehr einfach in den traditionellen Denkschemata bleiben.2 Dennoch hielt sie an der Grundüberzeugung fest, dass es eine unsichtbare Welt gebe, wenngleich ihr Ort nicht mehr eindeutig auszumachen sei.
Die Reformatoren sprechen mit einer großen Selbstverständlichkeit von Engeln und Dämonen. Besonders Martin Luther ging in seiner Frömmigkeit und Theologie von der Existenz Satans aus. »Nullus diabolus, nullus redemptor« (Wo kein Teufel ist, braucht es auch keinen Erlöser!) – diese Einsicht prägte auch die Theologie der Reformatoren. Luther lehnte die »neuen Astrologen« ab, sah jedoch auch die Auffassung vom Empyreum kritisch, in der Christus als im Himmel thronend gedacht wurde. Von besonderer Aktualität dürfte ein Predigtausspruch von 1520 sein: »Wenn sie mit dem Kopf durch den Himmel bohren und sehen sich in dem Himmel um, da finden sie niemand; denn Christus liegt in der Krippe und in des Weibes Schoß.«3 So konnte sich die klassische Auffassung von einem dreistufigen Weltbild zwar nicht mehr richtig halten, doch auch das neu entstehende Weltverständnis der aufkeimenden Aufklärung hieß die Kirche zunächst nicht willkommen.
Dieses aufklärerische Weltbild wurde entscheidend von den Philosophen René Descartes (1596–1650) und Baruch Spinoza (1632–1677) definiert. Auch die Naturwissenschaftler Galileo Galilei (1564–1642), Robert Boyle (1626–1691) und Isaac Newton (1643–1727) trugen dazu bei, dass ein neues Weltverständnis Ausbreitung fand. Dieses neue Weltbild ließ die verschiedenartigsten weltanschaulichen bzw. religiösen Deutungen zu. Der Geltungs- und Wahrheitsprimat der biblischen Offenbarung wurde jedoch mehr und mehr eingeschränkt. So rückte, allgemein gesprochen, auf vielen Forschungsgebieten die Offenbarung immer mehr an die zweite Stelle hinter die Vernunft.
Ausgenommen von dieser Tendenz war die Theologie, besonders in Deutschland. Aber schon bald erschütterte der aufkeimende Deismus auch die Theologie. Der Deismus geht davon aus, dass der Mensch alles, was er zur rechten Erkenntnis Gottes und seines Willens benötigt, in seiner eigenen vernünftigen Natur finden könne; die biblische Offenbarung kann deshalb nichts anderes aussagen als das, was man ohnehin mit der Vernunft erkennen könne. Die deistische Denkweise wurde angeführt von Herbert von Cherbury (1583–1648), John Toland (1671–1722), Thomas Morgan (1680–1743) oder auch Matthew Tindal (1656–1733). Erst durch Gottfried W. Baron von Leibnitz (1646–1716) findet das »neue Denken« stärkeren Einfluss in der Theologie. Leibnitz verstand sich nicht ausschließlich als Theologe; er gab den theologischen Aussagen in seinen Werken jedoch ihre klare Platzanweisung. Auch Gott ist in seinen Offenbarungen in gewissen Grenzen zu sehen. Diese Grenzen werden von der Natur gesetzt. Alle Offenbarung ist demnach der Vernunft des Menschen zuzuordnen. Mit diesem Ansatz versucht Leibnitz letztlich, die biblische Offenbarung »verständlich« zu machen. In seiner Schule steht Christian Wolff (1679–1754), der, bahnbrechend für die rationalistische Wissenschaft, Methoden der Erkenntnis festschreibt. Immer noch ging es darum, nachzuweisen, dass die biblische Offenbarung letztlich mit der rationalen Erkenntnis der Wissenschaft in Übereinstimmung stehe.
Viel kirchenfeindlicher und radikaler waren die Ansätze der französischen Aufklärer Voltaire (1694–1778) oder auch Julien Offray de Lamettrie (1709–1751). In Deutschland setzte sich zunächst eine gemäßigte theologische Position durch, die versuchte, das Gegeneinander von Vernunft und Offenbarung durch eine wie auch immer geartete Zuordnung zu lösen. Die älteren Vertreter dieser als Neologie verstandenen theologischen Schule waren die Berliner Theologen Johannes Joachim Spalding (1714–1804) und August F. W. Sack (1703–1786). Es ließ sich jedoch nicht vermeiden: Christliche Theologie verstand sich immer mehr im Sinne des Rationalismus; das Christentum wurde zunehmend als eine Vernunftreligion definiert, in der das Übersinnliche, das nicht durch die Vernunft Erfassbare, verschwand. Diese Vernunftreligion war jedoch nicht ohne Werte. Der Schriftsteller und Philosoph und als »Liebhaber der Theologie« bekannte Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) und schließlich auch Immanuel Kant (1724–1804) ordneten der christlichen Vernunftreligion die »christliche« Moral zu. Im Mittelpunkt des Interesses stand der Mensch in seiner Entscheidung für gutes oder schlechtes Handeln, nicht aber die Auseinandersetzung mit einem biblischen Weltverständnis.4
Der im 18. und 19. Jahrhundert aufkeimende Liberalismus und Rationalismus führte schließlich zur Verbannung alles Überirdischen aus dem Weltverständnis unzähliger Denker, Philosophen und auch Theologen. Wenn man sich tatsächlich auf eine Welt festlegt, die durch Raum, Zeit und Bewusstsein begrenzt ist, dann ist es völlig unsinnig, über geistige Einwirkungen von jenseits dieser Grenzen zu sprechen. Die Aufklärung räumte denn auch kräftig auf und verwies alle neutestamentlichen Berichte über die Wirksamkeit geistiger Wesen, Engel oder Dämonen in den Bereich des Unbedeutenden. Genauso wird der Glaube an Träume, Visionen, Geistheilungen und ähnliche Erfahrungen wie die Existenz handelnder und wirksamer Wesensmächte als absurd betrachtet. Da, wo man die moralstiftende Religion als außermenschliche Macht erlebte und deutete, gab es zaghafte Ansätze zu einer neuen Weltbilddebatte (Johann Gottfried Herder, Johann Georg Hamann). Gegen die so genannte liberale Theologie setzten sich jedoch weder diese Ansätze noch der aufkeimende Pietismus oder die Erweckungsbewegungen des 18. und 19. Jahrhunderts durch. Die bekannten Erweckungsprediger (z. B. Charles Finney) sprachen zwar offen von Teufel und Hölle, hatten aber auf Kirche und besonders Theologie nur geringen Einfluss. Die liberale Theologie des 19. Jahrhunderts betrachtete alle biblischen Berichte über diese Dinge als nicht akzeptabel. Rudolf Bultmann (1884–1976) und seine Schüler nahmen eine systematische »Entmythologisierung« der Bibel vor. Das wurde zum Brennpunkt einer teilweise hoch erregten Diskussion, in welcher die zentralen Themen des christlichen Glaubens zur Verhandlung kamen. Die Bibel wurde immer dünner, je radikaler man sich einem rationalistischem Weltverständnis verpflichtet sah. Karl Barth setzte mit seiner dialektischen Theologie einen Kontrapunkt gegenüber den zunehmend liberalen Theologien. Seine Engellehre meidet jedoch jede metaphysische Sprache; die Welt der Dämonen scheint ihm völlig verschlossen zu sein. Er will auf diese Welt nur »einen kurzen, scharfen Blick« werfen, denn – so der berühmte Theologe: »Ich liebe die Engel, ich mag aber die Dämonen und die Dämonologie nicht!«5 Auch der reformierte Theologe Emil Brunner (1889–1966) ist in seiner Dogmatik zurückhaltend, wenngleich er einräumt, dass die rationalistische Weltsicht dem Zeugnis des Neuen Testamentes nicht gerecht wird:
»Der Rationalismus ist zu allen Zeiten mit dem Teufel rasch fertig geworden – in der Theorie wenigstens! … Die Aufklärung hat den Teufel ganz einfach als nichtexistent erklärt und den Teufelsglauben als eine Ausgeburt mythenbildender Phantasie gedeutet. In das optimistische Weltbild der Aufklärung passt natürlich die Macht der Finsternis nicht hinein. Der Hinweis auf den Teufelsspuk und Hexenwahn früherer Zeiten und der nicht ganz unberechtigte Stolz darüber, dass diese betrüblichen Erscheinungen durch den Geist der Aufklärung überwunden seien, mochten dieser rein negativen Beurteilung zu einem gewissen Ansehen verhelfen. Aber diese rationalistische Einstellung wird weder dem biblischen Zeugnis, in dem die Macht der Finsternis den notwendigen dunklen Hintergrund der Erlösungsbotschaft bildet, noch der reiferen christlichen Erfahrung gerecht. Wir können dabei jedenfalls nicht stehen bleiben.«6
Trotz dieses Appells bleibt die Beschäftigung mit dem Unsichtbaren suspekt. Es fehlen Sprache und Denkkategorien, um dem wissenschaftlichen Anspruch des Theologietreibens gerecht zu werden. Die Ablösung von einem antiken Weltverständnis war gründlich; die Auseinandersetzung mit der erfahrenen Wirklichkeit des Unsichtbaren blieb jedoch weitestgehend unbefriedigend.
Als der Soziologe Peter L. Berger 1969 sein Buch: »Auf den Spuren der Engel« veröffentlichte, da schüttelte die theologische Welt nur den Kopf. Theologen waren vielmehr damit beschäftigt, den »Tod Gottes« zu proklamieren und zum aktiven politischen Handeln aufzurufen. Die Zeit für eine neue Weltsicht war scheinbar nicht reif. Da unternahm jemand den Versuch, auf eine Wirklichkeit hinzuweisen, die unsere Alltagswelt transzendiert, d. h. überschreitet und von enormer Bedeutung für die Menschen ist. Berger forderte eine Wiederentdeckung der Transzendenz und eine »Offenheit der Wahrnehmung« gegenüber der Wirklichkeit.7 Die Herausforderung Bergers findet jedoch kaum Gehör. Der Theologe Ernst Benz beschreibt in seinem Standardwerk »Die Vision« die Situation treffend. Erfahrungen mit der Welt des Unsichtbaren, so Benz,
»verführen den wissenschaftlichen Betrachter von heute meist zu einer rein psychopathologischen Deutung und – wenn möglich – Behandlung. Unsere heutige Zeit schützt sich so ängstlich gegen alle Erschütterungen vom Transzendenten her, dass sie die zeitgenössischen Träger einer visionären Begabung zunächst einmal in die Nervenklinik einliefert, mit dem redlichen Ziel, sie dort von ihren visionären Störungen zu befreien, und auch die früheren Träger derartig ›anormaler‹ seelischer Fähigkeiten zu Psychopathen erklärt.«8
Unbeachtet der philosophischen und theologischen Deutung blieb das Böse in der Welt, und es mehrte sich. Um es zu begreifen, braucht man neue Kategorien. Schließlich versteht man Teufel und Dämonen vielfach nur als Begriffe, als Personifikationen des Bösen im Menschen oder auch in der Welt. Damit ordnet man die Auseinandersetzung dem Bereich der Ethik und Moral zu. Das Böse hatte nun keine offizielle Definition mehr, »es ist im Prozess der Neuzeit ins Unbewusste, Subjektive und Private abgesunken. Der einzelne ist mit seinem Bösen allein.«9