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Charles Morgan

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„Die Götter bieten ihr eigenes Wesen uns allen an. Aber nur ein Gott weiß es zu empfangen und hinzunehmen. Einzelne werden Götter auf Stunden, die meisten nie. Und die es wurden und sich für Augenblicke entlassen fühlen durften aus sich und der Enge ihres Menschseins, sind für immer vom Heimweh befallen und warten ewig auf Wiederkehr des einmal Erfahrenen.“

„So erscheint der Mensch den Göttern wie ein stummes Tier dem Menschen. Er kann ihre Sprache weder sprechen, noch sie verstehen. Und doch ist er nicht ganz stumm. Dreimal wenigstens vermag er sie zu sprechen und zu verstehen – in der Liebe, in der Versenkung und in der letzten Agonie.“

„Das sind seine drei Entrückungen, seine drei Tore für diese Welt, die ihn vom lebenden Grab des Leibes befreien …. denn Liebe, Versenkung und Tod sind ein- und dasselbe – ein Hinauslangen aus der zeitlichen Verbannung.“

Diese Sätze, aus mehreren Werken entnommen, enthalten im Keim, was Charles Morgan in seinen drei größten Werken entwickelte. Schon das erste „Der Quell“ verbindet, was sonst nur als Gegensatz empfunden wird: Nämlich Wollust und Abgeschiedenheit.

Und das wiederholt sich im nächsten, der „Flamme“, nur dass hier noch ein anderes hinzutritt, der immer wiederkehrende Vergleich mit dem Tod.

In seinem dritten großen Werk, der „Lebensreise“, stehen Tod und Entrückung nur noch wie Wolken am Horizont und die Anziehung zweier Menschen zueinander beherrscht allein das Feld und ausschließlich.

Es ist eine seltsame Anziehung, -- die zwischen dem halbheiligen Barbet und der leichtsinnigen Therese Depreux – eine, die keine Bestätigung sucht, nicht Nähe, nicht Treue, nicht irgendein irdisches Ziel: Und doch bedarf der wunderliche Heilige der Chansonette wie eines unerlässlichen Schlüssels zu sich selber – als ob er ohne sie, die Sünderin, seinen Weg niemals fände. Sie selbst lebe dabei, wo immer sie wolle. Es genügt, sie zu wissen.

Die Entdeckung, dass vereinzelten Menschenpaaren ihr Geschlecht zu gewähren vermag, was sonst nur Heiligen gewährt wird und auch denen nur in äußerster Abgeschiedenheit, diese Entdeckung ist es, die Morgan verfolgt und die ihm nicht loslässt durch alle seine Werke hindurch.

Dazu ein Auszug:

„Er versuchte ihr zu erklären, dass Liebe für ihn nicht nur sinnliche Leidenschaft und auch nicht, wenn auch noch so tiefe Zuneigung sei und auch nicht, wofür sie sie halte, die Summe dieser beiden, sondern eine Entrückung, ein Sterben, um wiedergeboren zu werden.“

Und ein andermal:

„Als ich Dich zum ersten Mal sah, warst Du das schönste Tier auf der Welt. Dann warst … Du mehr, immer mehr, bei jeder Zusammenkunft.“

In diesem Bekenntnis Piers, des Titelhelden von „Lord Sparkenbrook“, vor Mary liegt sein heimliches Staunen, jenes Staunen Tristans vor Isolde, im „Quell“ des Alisons vor Julie:

„…. Er fühlt, dass sein Leben jederzeit auf ge-heimnisvolle Weise in Verbindung mit dem ihren gestanden hatte“…. Oder:…. „Dass Du mich liebst, ist … als hätte ich plötzlich entdeckt, dass mir die Wogen gehorchen.“

„Es gibt keine zauberhaftere Überraschung als die, geliebt zu werden. Sie ist Gottes Finger auf der Schulter des Menschen.“

Das alles sind – ob romantisch oder nicht – Ausdrücke staunender Verwunderung bis zur äußersten Steigerung im Ausruf Sparkenbrooks: „Du hast mich losgesprochen, denn sich geliebt zu wissen, kann sein wie eine Absolution.“

Nicht für die vielen hat Morgan Bücher wie den „Quell“ oder „die Flamme“ geschrieben. Sie wenden sich an jene Wenigen, denen die Umarmung der Geschlechter mehr bedeutet als die bloße Befriedigung zweier Körper. Was anderen als beglückendes Spiel schon zum Selbstzweck wird, ist für sie nur ein Weg, das Rennpferd, das sie über die Hürde trägt.

Sie suchen des Anderen Wesen in ihrer Verzückung. Die Trennwand zwischen Ich und Du soll fallen, sich auflösen in ein tiefer als diese beiden liegendes „Wir“ und dieses „Wir“ sich erkennen als Tropfen im Ozean des einen unendlichen Lebens.

Die solches an sich erfahren, sie, denen die Gnade gewährt wird, innerhalb ihrer paar Jahrzehnte irdischen Lebens den ihnen vorbestimmten Partner zu solchem Erleben zu finden, sprechen zu niemand davon. Kaum wagen sie es untereinander und dann nur rasch in irgendwelcher Umschreibung, als gäben sie mit jedem darüber verlorenen Wort ein unantastbares Heiligtum preis, das einzig nur ihnen gehört – ihnen und Gott in jenem seltsamen Dreieck, das ihre Zweisamkeit, die nun keine mehr ist, in unsagbar beglückender Weise erhöht.

Jenen aber unter ihnen, denen wie Morgan das Schreiben und Künden Beruf ist, die hüten ihr Geheimnis auf ihre Weise und schützen es gegen Unberufene, indem sie in Gleichnissen sprechen, in Bildern oder Gedichten. Hierfür eigens bereitgehaltene Worte stellt ihm die nur für Irdisches geschaffene Sprache ohnedies nicht zur Verfügung.

Es ist nicht Wissen voneinander, was zwei Menschen unwiderstehlich zueinander führt, sondern ein unsägliches Erstaunen, das wie ein Hinabstürzen ist in Abgründe gegenseitigen Erkennens. Erkennen strebt nach Allwissenheit, wird die auch niemals erreicht. Dazu aus der Erzählung „Der Quell“:

„Was wir bis jetzt Allwissenheit nannten, ist wahrscheinlich besser mit einer unendlichen Kraft des Staunens zu bezeichnen.

Das Wissen ist stetig wie ein Stein im Strom, aber das Staunen ist der Strom selbst… Daraus ist es das Ziel eines besinnlichen Menschen, die Fähigkeit des Staunens zu stärken… ist das die Nachfolge Gottes.

Sie ist schwer genug, denn die Seele verhärtet sich gleich dem Verstand. Verfestigt sich der Verstand, so verschließt er sich neuer Erkenntnis und die Seele verschließt sich dem Staunen, das in Gott, in den Kindern und in den sanfteren Heiligen lebt. …

Es sei denn, dass ihr umkehret und werdet wie die Kinder, sonst werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“

Jener Strom des Staunens jedoch ist ein Fließen durch immer neue Verwandlungen.

Und wieder hören wir Piers: „Du hattest Dich für mich neugeschaffen? Es gibt nichts Größeres, nichts Genialeres, als das zu tun.“

Und wie ein Echo die Gedanken Julies im „Quell“: „Nichts war, wie es gewesen. Die Erde war neugeschaffen.“ Und dann ihre Erkenntnis: „Es gibt keinen Frieden, der dem des Liebens gleichkommt.

Selbst der Drang, zu widerstehen, die Demütigung, durch das eigene Begehren zur Unterwerfung gezwungen zu werden … sie waren dahin… Die Begierde hatte alle ihre Widerhaken verloren… und… war so unbefleckt wie das Ausstrecken einer Hand im Sonnenschein.“

Immerhin sind das noch Wandlungen, die ein „Du“ zur Bedingung haben. Doch gibt es noch andere ohne solches „Du“.

Er war noch ein Kind: „Er fühlte, er wäre von allem, was Dasein hatte, erfüllt und würde selbst ein Teil von allem Dasein, wie eine Flamme Teil eines Brandes wird oder ein Regentropfen seine Selbsteigenheit im Meer verliert….“

Das Fehlen dieses Fühlens aber empfand er als Qual wie alle Schauenden die Rückkehr aus der Entsinkung, wie alle Liebenden die Trennung von der Geliebten.

Morgan erklärt die große Ruhe der Schauenden als einen Zustand völliger Unverwundbarkeit. Und Unverwundbarkeit sei das „Eine was alle Menschen ersehnen – mehr als Unsterblichkeit, die doch nur ein Teil von ihr wäre.“

Darum stutzt Allison vor Julie. Er weiß, dass er nun aufgehört hat, Herr seines Schicksals zu sein, dass er nun verwundbar geworden ist, doppelt verwundbar – oder doppelt unverwundbar.

Denn kein Mann ist an irgendeiner Stelle seines eigenen Wesens so verletzbar wie an seiner Geliebten – immer ist sie das Lindenblatt zwischen den Schultern. Sie wird zum Quell seines Lebens, wie nichts in der Welt hat sie die beglückende Gewalt in den Händen, ihn mit der Sicherheit der Unverwundbarkeit zu beschenken. Es hängt nur von ihrem innersten Wesen ab, ob sie davon Gebrauch macht oder nicht.

Denn wenn einmal in der Begegnung eines Menschenpaares die beiden tiefsten Triebe des Alls -- der Sinnliche nach Dauer und Wiedergeburt und der Überbesinnliche nach Überwindung des Eigendaseins und Erlösung aus der Einsamkeit – zu einem einzigen verschmelzen, und – wie im Falle Tristans und Isoldes – Sehnsucht und Begierde voneinander nicht mehr zu trennen sind, dann wird der Körper zum Gleichnis und seine jäh erlangte Bedeutung widerstreitet aller bisherigen Erfahrung. Dann erhält auch sinnliche Schönheit einen zweiten tieferen Sinn:

„Als Tristan Isolde eines Tages am Bug des Schiffes erblickte, ihre Wange eingemeißelt in die leichte Weite des östlichen Himmels, erkannte er, dass, was ihn bezauberte, ihre Macht war, ihr ganzes Wesen in den Linien ihres Leibes zu sammeln.“

„Der Schlüssel zu jeder Frau“ schreibt Morgan, „ist ihr persönlicher Stolz.“ Finde heraus, worin der besteht und Du kannst die ganze Geheimschrift entziffern.

Die Männer nähern sich vielmehr einem allgemeinen Typ. Oder folgen einem gegebenen Kodex. Man kann bald herausfinden, wie weit ein Mann gehen wird und in welche Richtung.

Aber jede Frau hat ihren eigenen Stolz. Sie wird Dinge, die gegen die Überlieferung verstoßen, wieder und wieder tun, bis Du denkst, es gäbe verdammt wenig, was sie mit einiger Überredung nicht täte. Und plötzlich, wenn Du es am wenigsten erwartest, steht sie wie ein Fels…

So ist ihre Unantastbarkeit ihr persönlich so eigen wie ihr Gesicht. Sie kann Keuschheit einschließen oder auch nicht.1 Das Halten eines bestimmten Versprechens, jedoch nicht eines anderen. Sie kann sich in Widersprüche verstricken, die Außenstehenden unglaublich erscheinen.

Aber so ist sie nun einmal – ganz ihr eigen und innerhalb ihrer Grenzen auf geheiligtem Boden. Sie ist imstande, dafür zu sterben.

„Kannst Du mir sagen, was Julies innerster Stolz ist, welches ihre eigenen Ansichten von ihre Unantastbarkeit sind, dann sag ich Dir alles übrige, das kann ich mit ziemlicher Sicherheit erraten, was sie in einem bestimmten Falle tun wird.“

Jedenfalls, es wird ein unbedingter Stolz sein, unbedingter als die Vorstellungen irgendeines Mannes von ihr.

Denn „kein Mann liebt eine Frau ganz um ihrer selbst willen. Was er liebt, das ist seine in ihrer Person kristallisierte Idee. Das ist der Grund, weshalb, wenn sie ihn verrät, er ihr zwar verzeihen und sie vielleicht sogar wieder zu begehren vermag, sie aber nicht mehr auf die gleiche Weise lieben kann. Sie hat eine Idee vernichtet und Ideen haben keine Auferstehung…..“

Dann aber lässt Morgan seinen Sprecher Sparkenbrook vor der unbeschränkten Wandlungsfähigkeit des Lebens in die Knie gehen und sein Wort klingt wie ein staunender Widerruf:

„So ist es denn wahr, dass alles in Dir verloren und alles in Dir wiedergefunden werden kann.“ 2

Die ewige Erneuerungskraft des Lebens ist stärker als vorgefasste Ideen. Es schafft immer wieder sich selbst – als reine Gegenwart.

Und mit ihr immer wieder von neuem die Gelegenheit zur Unbedingtheit.

„Die Götter bieten ihr Wesen uns allen an“. Und sie bieten es immer wieder und zu jeder Stunde… und sie bieten, was (nach Morgan) ein der ganzen Welt eigenem Verlangen entgegenkommt: Endgültigkeit.

„Er wird jene beruhigende Gewissheit der Endgültigkeit gehabt haben, die das tiefste Wesen der Kunst ist, das Wesen der Liebe, das Wesen aller Religion. Endgültigkeit zu erlangen, über das Fließen hinauszugelangen, ist das einzig restlos Gute. So glaub ich wenigstens.“

Allerdings, jede Unbedingtheit, jede Endgültigkeit verlangt ein Sterben. Kein „Sich-wieder-geschenkt-werden“ ohne ein „Sich-vorher-verloren-haben“.

Was nottut, ist „Kraft zu sterben, um wiedergeboren zu werden in der Liebe, in der Dichtung, wo immer – aber zu sterben….“

Das ist der Preis, der gefordert wird, und der ist unumgänglich. Und Morgan nennt diese Kraft Genialität.

Fehlt sie, weil wir von uns aus nicht sterben können, wir so schwach sind, dass wir keine der Gelegenheiten, über uns selbst hinauszugelangen, und wir dem eisigen Kerker unserer Einsamkeit nicht entfliehen können, wird der Tod selbst vollbringen, was wir nicht vermögen und uns mit der Auferstehung begnaden.“

Und er fügt hinzu „Die Menschen sind nicht glücklich oder zufrieden oder auch nur gefasst, wenn er herannaht, aber sie sind entrückt. Was sie sehen, fordert sie, beansprucht sie und es scheint ein bedingungsloser Anspruch zu sein…“

Einmal, in der Zurückgezogenheit einer Winternacht fragte Piers:

„Siehst Du die Fenster in diesem Zimmer? Die Vorhänge sind zurückgeschlagen. Was siehst Du?“

„Nichts, es ist dunkel draußen“.

„Aber draußen ist der Stadtwall und über dem Wall und hinter den Bäumen ist der ganze Himmel erleuchtet. Es ist nichts zwischen uns und ihnen, als nur Glas. Und das Glas ist durchsichtig. Nun sag mir nochmals, was Du siehst?

„Nur das Blinken der Lampen und Kerzen auf der Scheibe.“

„Sie sind diese Welt. Solange sie in unsere Augen schienen, können wir über sie nicht hinaussehen. Lösche sie aber und plötzlich stürmt die Nacht mit ihren Sternenbildern auf Dich ein. Alle ihre Fernen sind in Reichweite….

Und das, glaube ich, geschieht, wenn wir sterben. Doch gibt es auch während wir leben, Möglichkeiten, die Kerze zwar nicht auszulöschen, aber doch abzublenden, in der Liebe, in der Kunst oder im Gebet. Jeder Mensch tut es auf seine Weise, je nach Veranlagung und Kräften. Die sind unvollkommen, aber sie sind alles was wir haben, solange wir in das beleuchtete Zimmer eingeschlossen sind.

Im Tode, glaub ich, fallen diese Mauern und die Lichter verlöschen. Weiter geschieht nichts (oder braucht nicht zu geschehen), denn der Tod ist nicht der Wechsel eines Zustandes, sondern einer Wohnstätte. Er ist ein Zwischenfall in einer immerwährenden Unsterblichkeit.“


Wir denken an .......

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