Читать книгу Wir denken an ....... - Heinrich Jordis-Lohausen - Страница 7
Oscar Wilde
ОглавлениеEr war ein Zeitgenosse Bernard Shaws und André Gides und beendete mit 44 Jahren freiwillig sein Leben, als er – entlassen aus dem Zuchthaus – sein altes Dasein nicht fortführen wollte und ihm ein Neues nicht mehr gelang. Denn es ist leichter, in einer Gefängniszelle zu sein wie die Lilien auf dem Felde, als in der Welt. Und leichter dort neu zu beginnen als da.
So nahm er Gift, um einen Zustand zu entfliehen, den er zeitlebens das größte aller Laster genannte hatte: der Halbheit. (Und vielleicht auch um das Alter zu fliehen; denn Jugend war ihm „Das Ziel aller Vollkommenheit“ gewesen und „noch jung sein, innerliche jung, die Tragödie des Alters.“). Nicht halb sondern ganz zu sein aber das Gesetz jeden Erfolgs.
Von seinem Ursprung ist nicht mehr zu erzählen, als dass er Ire, adelig, katholisch und dass seine Begabung vererbt war, denn beide Eltern hatten sich zu Zeiten schriftstellerisch betätigt.
Er studierte in Oxford. Dort wurde er Mode, noch ehe er schrieb. Wohl erlebten seine ersten Gedichte in drei Wochen sechs Auflagen. Denn nicht sein Buch hatte eingeschlagen, sondern er – sein Auftreten, seine Kleidung, seine Konversation. Was sonst als Geheimnis begnadeter Schauspielerinnen gilt, wurde hier die Kunst eines Mannes.
Unbekümmert sich selbst zu spielen und damit die Vielen zu bezaubern, die nie sie selbst sein könnten: denn „Die meisten Leute sind andere Leute“, Kopien, Nachahmungen.
Wilde war niemandes Nachahmung (allein das war verwirrend), er war Gentleman, Dandy, Schöngeist, Zyniker, Romantiker, Libertin – alles in einem, und alles echt. Zum Esprit eines Pariser Literaten – das Gehaben eines Lords.
Der Dichter lief nebenher. „Ich gab mein Genie meinem Leben, meiner Kunst nur mein Talent“.
Wir kennen sein Wort: „Ich liebe Beschäftigung, aber sie darf nicht in Arbeit ausarten“. Wilde hätte sich niemals müde geschrieben.
Er improvisierte, was immer er schrieb, binnen Tagen und oft genug war der Anlass bloß eine Wette. Und er hörte nicht auf, seiner geschäftsbesessenen Zeit vor Augen zu halten, Nichtstun und Schönheit seien eines Geistes Kind, „Fleiß die Wurzel aller Hässlichkeit; und die Voraussetzung aller Vollkommenheit: Müßiggang….“.
„Alle Kunst ist nutzlos.“ Und doch wertvoller als Wissenschaft. Denn „es ist wichtiger, sich an der Schönheit einer Rosenblüte zu erfreuen, als ihre Wurzel unter das Mikroskop zu bringen.“ Wilde verabscheute Maschinen und Instrumente. Nicht ob ihrer Hässlichkeit, sondern weil sie dazu verwendet werden, den Reichtum der Menschen zu mehren, statt ihre Muße.
Man kann statt „Muße“ auch Zeit sagen, „Zeit zu sich selbst“, Zeit, endlich die eigene Einmaligkeit zu begreifen und zu pflegen….“
„Die erste Pflicht im Leben ist, so kunstvoll als möglich zu sein, eine zweite ist noch gar nicht entdeckt….“ – „Kunstvoll“ heißt hier, nicht wie die Natur, nicht wie alle.
„Wissen Sie, was das Kunstwerk ausmacht und was das Werk der Natur? Eine Narzisse ist so schön wie nur irgendein Gemälde. Schönheit kann also nie ihr Unterschied sein.
Nur das Kunstwerk aber ist einzig in seiner Art, ein Unikum. Die Natur hingegen wiederholt sich, wiederholt sich ohne Unterlass, damit nichts von dem, was sie schafft, jemals verloren geht. Also gibt es viele Narzissen. Und wann immer die Natur neue Formen erfindet, wiederholt sie sie schon….
Selbst da Gott einen Nero, einen Borgia, einen Napoleon schuf, stellte er sie einen dem anderen zur Seite. Nur einmal schien es, als ob die Natur wirklich ein Einziges, ein wahrhaft Einziges schaffen wollte. Und Christus ward geboren…
Und Wilde erzählt die Legende vom Jüngling, der dem Herrn in allem gefolgt war, selbst seine Wunder getan hatte, den zu seinem Kummer doch niemand kreuzigen wollte, weil er den Sinn allen Menschseins, Ausnahme zu sein, unwiederholbar, unvergleichbar zu sein, nicht begriffen hatte.
Denn insofern wir den anderen gleichen, sind wir nur Tiere, Exemplare einer Gattung, Ergebnisse einer Zucht und das ist es, wozu uns jede Herden-Moral herabdrücken will, eben zu sein wie die Herde: Natur, nicht Kunstwerk.
Als Mensch aber hat man einzig die Wahl entweder Kunstwerk zu sein oder Kunstwerke zu schaffen.
„Sein ist hier mehr als schaffen und den Frauen scheint es mehr als den Männern gegeben, zu sein. Aber welche von ihnen macht wirklich Gebrauch davon? Auch zum Sein gehört der Mut der Künstlerin zu sich selbst. Die den nicht hat, sinkt zurück in die Masse der Mütter, Gattinnen, Schwestern ….“
Dass das oft, fast immer so ist, ist die Tragödie vieler, die selbst Ausnahme, vergeblich die andere Ausnahme suchen – ist auch die Tragödie Wildes.
„Schöne Frauen sind nicht da, verstanden, sondern geliebt zu werden… Sie geben uns den Wunsch ein, Meisterwerke zu schaffen und hindern uns daran, sie auszuführen… Sie sind nur dekorativer Art. Sie haben oft zu wenig zu sagen, aber sie sagen es so hübsch….“
Beneidenswert immerhin, dass ihre Schwächen sosehr ihre Stärken sein können. Allerdings: „Kann eine Frau ihre Fehler nicht reizvoll gestalten, dann ist sie nur mehr ein weibliches Wesen….“
Das ist, wie alles bei Wilde, leicht hingesagt, betont blasiert und oberflächlich, aber doch Variation eines sehr ernsten Themas. Wer kein persönliches Kunstwerk mehr ist, ist – ob Mann oder Frau – nur mehr ein Geschöpf der Natur.
Ein Sprühregen ähnlicher Bemerkungen durchzieht seinen „Dorian Gray“, durchzieht seine Bühnenstücke:
„Gewöhnliche Frauen sind immer auf ihre Gatten eifersüchtig, schöne Frauen niemals…. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, eifersüchtig auf die Gatten anderer zu sein.
…………Es gibt im Leben einer Frau nur eine einzige Tragödie: die Tatsache, dass ihre Vergangenheit immer ihr Geliebter, ihre Zukunft regelmäßig ihr Gatte ist.
………… Nichts in der Welt geht über die Liebe einer verheirateten Frau – etwas wovon kein verheirateter Mann etwas weiß “ … und so weiter.
Wilde war selbst verheiratet und er begegnete seiner ausgesucht schönen Frau mit ebenso ausgesuchter Ritterlichkeit. Dann schrieb er:
„Der wahre Nachteil der Ehe ist der, dass sie uns selbstlos macht. Und selbstlose Leute sind farblos. Es fehlt ihnen an Individualität. Aber es gibt Temperamente, die durch die Ehe nur noch komplizierter werden. Sie bewahren ihren Egoismus und gewinnen noch manches Neue dazu. Sie sind gezwungen, mehr als ein Leben zu führen. Sie werden höher organisiert und hoch organisiert zu sein, ist das Ziel unseres Daseins.“
In diesen Worten liegt alles Für und Wider: Die Gefährtin darf nicht zurückbleiben. Aber in zu viel Selbstlosigkeit liegt ein Ausweichen vor dem Leben und damit doch ein Zurückbleiben.
Wir hören es noch schärfer: „Aufopferung sollte gesetzlich verboten sein. Sie demoralisiert die Leute, denen man sich aufopfert. Sie gehen regelmäßig daran zugrunde.“
Und wir hören – scheinbar noch ohne Zusammenhang – den oft zitierten Satz:
„Ich liebe Frauen, die eine Vergangenheit, und Männer, die eine Zukunft haben….“
Doch das Wesentliche dieser Worte liegt nicht in ihrer Frivolität, sondern in der mitenthaltenen Frage: „Warum haben Frauen so selten Zukunft?“
Wilde war an 40, als er dem 24-jährigen Lord Douglas Queensberry begegnete.
Dieser sehr schöne junge Mann – wenn auch nicht er allein – war Wildes Verhängnis:
„Ich war es müde geworden, auf den Höhen zu wandeln, da stieg ich aus freien Stücken in die Tiefe hinab…. Was mir das Paradoxe in der Sphäre des Denkens war, wurde mir nun das Perverse im Bereich der Leidenschaft.“ Ein Prozess, den Wilde wegen Ehrenbeleidigung gegen Lord Douglas Vater angestrengt hatte, führte zum Wahrheitsbeweis des Angeklagten und brachte den Kläger ins Zuchthaus.
Das geschah aufgrund einer etwas merkwürdigen Rechtsprechung, aufgrund etwas vorsintflutlicher Gesetze und zum Hohn und Spott von ganz England.
Nun rächte sich die Gesellschaft an dem, der sie so lange herausgefordert hatte. Und sie rächt sich mit Fanatismus und mit jener Grausamkeit, zu der nur der Fanatismus befähigt.
Wilde hatte offen erklärt: „Das einzig Farbige, was dem modernen Leben geblieben ist, ist die Sünde – und die Moral eine Zuflucht derer, die Schönheit nicht begreifen“.
„Und Verworfenheit ein Mythos biederer Leute, erfunden, die geheimnisvolle Anziehungskraft der Nichtbiederen zu erklären. „
Das war zu viel. Einzelne können zuweilen über sich lachen. Die Masse kann es nie, sie konnte es auch hier nicht. Denn könnte sie`s, dann wäre sie nicht Masse. Der landesübliche „cant“ tat das Übrige, denn immerhin wäre in Frankreich die Verurteilung eines Künstlers zum Signal der Empörung und Anlass geworden den Verurteilten umso entschiedener in seinen Werken zu feiern.
In England wagte kein Verleger mehr, seine Stücke zu drucken, keine Bühne, sie aufzuführen und seine Bücher wurden massenweise auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Nicht genug damit, wurde Wilde gesetzmäßig seiner Kinder beraubt und ihm der Zutritt zum Sterbebett seiner Mutter verweigert.
Nach Monaten haltloser Verzweiflung an den Grenzen des Wahnsinns schrieb Wilde aus der Qual seiner Erniedrigung sein bedeutendstes Werk: „De Profundis“ – eine Rechenschaft und ein Beginn, und das Zeugnis einer Wandlung, die keiner erfährt, „es sei denn, er hätte allem entsagt, was er jemals sein Eigen genannt“.
Und er sagt: „Ich sehne mich nach dem Leben, um zu erforschen, was jetzt eine neue Welt für mich ist … das Leid und alle Lehren, die wir ihm danken … Es ist das Geheimnis des Lebens und hinter allem verborgen.
Leid und Schönheit gehen Hand in Hand und haben die gleiche Botschaft…. Und der Schmerz ist der Prüfstein aller hohen Kunst.
Und mich dünkt, dass Liebe die einzig mögliche Erklärung ist für das ungeheure Maß von Weh in der Welt….
Denn alle Leiden der Seele sind verlorene Liebe. Ihnen sind keine Grenzen gezogen wie den Qualen des Körpers, und die Leidensfähigkeit eines Menschen ist so groß wie seine Fähigkeit zu lieben, und die ist unbegrenzt.“
Als Wilde so dachte, las er die Evangelien – griechisch, wie sie geschrieben wurden, und seine Gedanken kreisten um den einen Menschen, dem es gelungen war, vollendet zu sein. Und er schrieb über ihn: „Seine Absicht war nicht, die Menschen zu bessern, so wenig, wie Leiden zu lindern. Ihm kam es nicht darauf an, einen interessanten Dieb in einen langweiligen anständigen Menschen zu verwandeln“.
Wenn er sagte: ‚Vergebt Euren Feinden‘, so sagte er es nicht den Feinden zuliebe, sondern um unserer selbst willen, weil Liebe schöner ist als Hass. Wenn er den reichen Jüngling aufforderte: ‚Verkaufe, was Du hast und gib es den Armen‘, so denkt er nicht an die Armen, sondern an die Seele des Jünglings.“
Ihm war die Sünde der nächst-denkbare Weg zur Vollendung des Menschen - und die Reue ein Weg, selbst die Vergangenheit zu verwandeln.
„Noch die Griechen hatten das für unmöglich gehalten. Nicht einmal die Götter könnten die Vergangenheit ändern. Er bewies, dass der gemeinste Sünder dazu in der Lage ist“.
Mit ihm kam der Glaube an die unbeschränkte Wandlungsfähigkeit des Menschen in die Welt. Das Wissen: es ist niemals zu spät.
Und ist nicht „alles, was Christus in leise mahnendem Ton zu uns spricht: dass jeder Augenblick schön sei, dass die Seele stets gerüstet sein solle zur Ankunft ihres Geliebten?“
Die, denen das Leben ein steter Handel um Vorteile ist, wissen allezeit, wohin sie gehen und sie gehen auch dahin. Sie sind es, die Wilde „Zyniker“ nennt, weil sie „von allem den Marktpreis wissen und von nichts den wirklichen Wert“.
Nur die nach der Entfaltung streben, wissen niemals, wohin ihr Weg führt. Sie können es nicht wissen und sie brauchen es nicht.
„Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung?“
Wer könnte nicht mit „etwas Freiheit, Blumen, Büchern und dem Mond ganz und gar glücklich sein“.
Dies schrieb Wilde in der Gefangenschaft. Und zuletzt fügt er hinzu:
„Ich zittere vor Freude, wenn ich daran denke, dass an dem Tage, an dem ich das Gefängnis verlasse, Goldregen und Flieder in den Gärten blühen werden, und dass ich sehen werde, wie der Wind das glänzende Gold des einen rütteln und das blasspurpurne Gefieder des anderen zausen wird, sodass die Luft um sie aussehen wird, wie eine Arabeske“.
==========