Читать книгу Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon - Страница 10

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4.

Ich spürte die Hand auf meiner Schulter. Es war nur eine flüchtige Berührung, als hätte mich der Flügel eines Vogels gestreift. Ich war sofort wach. Spitames nickte mir auffordernd zu. Seine Augen glitzerten wie bei einem Jungen, der zum ersten Mal am Fest des Dionysos teilnehmen durfte. Ich liebte diesen Mann wie einen Vater. Die Knechte meines leiblichen Vaters warfen Steine nach ihm. Er war ein Außenseiter wie ich und wir mochten uns von Anfang an und er hatte mir alles beigebracht, um ein Jäger zu sein und mit meiner Behinderung zurecht zu kommen. Ihm verdanke ich auch mein Wissen darüber, wie man Pferde zu Gefährten macht und mit ihrer Seele zurecht kommt. Er wohnte zwar in einer verwahrlosten Hütte, aber die Felle von Wölfen und Bären brachten ihm doch so viel ein, da er sich zwei Pferde halten konnte. Es waren gute Pferde und Spitames lehrte mich die Sprache der Tiere und wie man selbst aus dem elendsten Klepper das heraus bekam, was in ihm steckte. Natürlich konnte er mir nicht die Mutter ersetzen und auch nicht einen liebenden Vater, aber geliebt hat er mich schon auf seine Weise. Er sagte dies nie. Meistens knurrte er nur mit mir, aber seine kurzen bellenden oder gebrummten Kommentare schufen die Basis dafür, dass ich später mit Alexanders Gefährten reiten konnte.

An diesem Morgen ging es ihm darum, mich aus meinem Gefängnis zu befreien, den Schmerz und die trüben Gedanken zu verscheuchen, die mich wie in einer dunklen Kammer gefangen hielten. Er murmelte, dass er nun wisse, wie man dem Kyros beikommen könne. Also erhob ich mich von meinem Lager und trat aus meinem Unterstand auf dem Berggipfel, der unserer Burg gegenüber lag, die nur als Schemen herüber drohte. Die Hunde umkreisten bereits die grasenden Ziegen, wachsam, wie ich es ihnen beigebracht hatte. Sie waren schwieriger zusammen zu halten als die Schafe, die wir beim Erdbeben verloren und noch nicht ersetzt hatten. Es war ein kalter Morgen und Nebel hing noch in den Tälern und ein Wind kam von Osten. Es würde am Nachmittag regnen, genau so wie an den vorangegangenen Tagen. Spitames hatte nun auch Phokis aus den Fellen bekommen und dieser ging hinter die Hütte, um seine Notdurft zu verrichten. Ich wusch mich an der Quelle und das Wasser war kalt und erfrischend und verscheuchte sofort die Müdigkeit. Phokis erschien wieder und machte ein Gesicht, als habe er gerade den großen Pan getroffen oder zumindest eine Quellennymphe. Jedenfalls sah er so aus, als sei etwas passiert.

„Hast du die Hunde gesehen?“

„Ja. Warum? Sie passen schon auf. Sie wissen, wie weit die Ziegen grasen dürfen.“

„Nein, nicht unsere Hunde. Die hinter der Hütte, die Spitames angeschleppt hat.“

Ich schüttelte den Kopf und folgte ihm hinter unsere Behausung. Dort war ein ganzes Rudel angebunden und guckte dumm drein und war still. Hunde, die nicht bellen, sind schon seltsam genug. Aber diese waren so groß wie Kälber und pechschwarz und hatten gelassene stumpfe Augen. Unheimliche Viecher, die sich für den Eingang des Hades geeignet hätten.

„Sie bellen nicht!“ sagte Phokis kopfschüttelnd und kraulte seinen schwarzen Bart. „Weiß der Dionysos, wo er die her hat.“

Ich konnte mir auch keinen Reim darauf machen und ging ins Haus zurück und nahm meinen Speer und den thrakischen Bogen und das lange Messer, das mir Spitames geschenkt hatte und ging zur Feuerstelle, wo dieser bereits hockte und den mit Wasser verdünnten Wein in einem Kessel über die Flammen hielt. Wir aßen Brot, Feigen und kaltes Fleisch. Der heiße Wein wärmte den Magen. Ich fragte ihn nicht, was es mit den Hunden auf sich habe. Er würde es mir beizeiten erklären. Spitames löschte sorgfältig das Feuer und wir gingen zu den Hunden.

„Molosser!“ brummte er als Erklärung und gab ihnen Wasser zu trinken und den Rest von unserem Fleisch. Die Bestien schnappten danach, als wären sie seit Tagen nicht gefüttert worden und ihre Zähne waren lang genug, um sich vorzustellen, was sie anrichteten, wenn sie sich einen Menschen vornahmen. Es waren die Kampfhunde der Molosser und man tat gut daran, ein scharfes Schwert bei sich zu haben, wenn man ihnen begegnete. Einer dieser Hunde war schon schlimm genug, aber hier standen sechs dieser Prachtexemplare, einer hässlicher als der andere, mit triefenden Lefzen. Sie waren festgebunden, aber ich traute diesem Umstand nicht. Spitames klopfte ihnen knurrend auf die Köpfe und sie ließen es sich gefallen und verhielten sich so zahm wie Schoßhunde.

„Wo hast du die Viecher her?“

„Gewonnen! Beim Menandos war ein Molosserhäuptling, der groß angab, was er für ein Bogenschütze sei. Er war nicht mal halb so gut wie du.“

„Und er hat mit dir gewettet?“

„Ja. Er bot mir die Hunde an.“

„Und was hattest du als Wetteinsatz?“

„Meinen Bogen.“

„Ach ja.“

Nun verstand ich, warum der Molosserhäuptling darauf eingegangen war. Sein Bogen war tatsächlich etwas besonderes. Uralt und Spitames behauptete, dass dies der Bogen sei, mit dem Odysseus die Freier erledigt hatte. Ich konnte den Bogen nie spannen, genau so wenig wie die Freier der Penelope. Es war ein Trick dabei. Der Bogen aus dem Holz der Kornelkirsche und mit Horn verklebt konnte nur unter großen Kraftanstrengungen gespannt werden und dann mußte man noch den Trick beherrschen. Es war ein herrlicher Bogen und hätte dem Odysseus gut angestanden. Dass er tatsächlich der Bogen des Listenreichen war, musste man nicht unbedingt glauben.

„Und warum wolltest du diese hässlichen Viecher? Sie werden dir nur die Haare vom Kopf fressen.“

„Da werden sie aber tüchtig hungern“, warf Phokis ein.

„Sie sind unsere Vorhut.“

„Ach so, du willst ….“

„Ja. Sie dem Kyros auf dem Pelz schicken.“

„Verstehe. Sie werden ihn beschäftigen und wenn er müde ist, übernehmen wir ihn.“

„Ja. So könnte es klappen.“

„Ich habe gehört, dass das schon eine Generation von Jägern versucht!“ wandte Phokis ein.

„Alles geht einmal zu Ende. Damals war er auch jünger“, knurrte Spitames.

„Zwei Eisen von uns sitzen ihm schon in der Brust und es hat ihm nicht viel ausgemacht“, gab ich zu bedenken.

„Ja. Er ist ein guter Bär“, knurrte Spitames und löste die Stricke und nun waren die Hunde frei und ich trat schnell ein paar Schritte zurück. Ich hatte gehörigen Schiss vor den Viechern, aber sie verhielten sich wie eine Lammherde und liefen nicht einmal im Kreis herum, sondern standen stumm da und glotzten Spitames an.

„Warum bellen sie nicht?“

„Sind stumm. Sie wurden stumm gemacht.“

„Warum?“

„Die Molosser sind Barbaren. Damit sie den Feind nicht zur Unzeit aufschrecken, haben sie den Hunden ….“

„Seid ihr Makedonen etwa keine Barbaren?“ warf Phokis unwillig ein.

„Hauptsache, die wissen, wer der Feind ist“, antwortete ich besorgt.

„Komm her. Fahr ihnen mit der Hand über die Schnauze!“ forderte mich Spitames auf.

Mir war nicht wohl dabei. Phokis machte auch ein Gesicht, als sollte ich nun das Frühstück der Hunde abgeben. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fuhr dem erstbesten Hund über die Schnauze und die Bestie sah mich an, als sei sie am überlegen, ob ich mich zum Frühstück eignete oder nicht. Aber nach einem Glubschblick auf Spitames ließ er es sich gefallen und die anderen waren genau so geduldig. Spitames redete die ganze Zeit auf die Viecher ein, wenn man sein Grunzen und Knurren als Rede bezeichnen will. Wir gingen zu den Pferden, die er mitgebracht hatte und ich befürchtete schon, dass jetzt ein Riesentheater anfangen würde. Aber es passierte nichts. Die Hunde blieben weiter lammfromm und ich begann mir schon Gedanken zu machen, ob sie tatsächlich so gefährlich waren wie sie aussahen.

Wir schwangen uns auf die Pferde und die Hunde liefen uns voraus. Phokis sollte hier auf dem Berg bleiben und auf die Ziegen aufpassen. Er war nicht besonders unglücklich darüber.

„Seht zu, dass ich euch wiedersehe!“ sagte er mit schiefem Grinsen.

„Spitames ist ein guter Jäger. Der Beste.“

„Mag sein. Aber das hilft dir nichts, wenn der Bär sich um dich kümmert.“

„Apollon ist mit mir.“

„Dann sag ihm, dass seine Schwester Artemis dir beistehen soll.“

Ich nickte und wir ritten den Berg hinunter ins Tal.

Noch bevor wir die Wälder erreichten, fing es an zu regnen. Kein gewöhnlicher Regen, denn es goss Hunde und Katzen, wie es bei uns heißt. Man konnte zeitweilig nicht die Hand vor Augen sehen. Als wir endlich den Wald erreichten, wurde es besser, da uns das Blattwerk vor dem übelsten bewahrte, dennoch war es unangenehm. Nass bis auf die Haut waren wir schon lange. Spitames ritt mir voran. Ich hatte keine Ahnung, wohin es ging und warum er welche Richtung einschlug. Es wurde immer steiler und gegen Abend erreichten wir die Baumgrenze, ohne dass die Tiere einmal unruhig geworden waren. Mit einem Knurrlaut schwang sich Spitames vom Pferd und schlug eine Rast vor. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es schließlich, ein Lagerfeuer zu machen. Spitames hatte an alles gedacht, nicht nur an Proviant für uns, der aus Brot, Oliven, Wein und einem Schinken bestand, sondern auch an die Hunde, die sich schwanzwedelnd um ihn drängten. In hohem Bogen warf er ihnen die Fleischbrocken zu und ihre langen Zähne blitzten auf und meine Befürchtung, dass sie nur halb so gefährlich waren wie sie aussahen, verschwand wie Schnee in der Sonne.

„Wie geht es weiter?“ fragte ich den Wolfstöter.

„Jetzt ruhen wir uns erst einmal aus. Morgen haben wir einen schweren Tag vor uns.“

„Und du glaubst wirklich, dass wir auf ihn stoßen werden?“

„Ja“, bestätigte Spitames und stocherte in dem Feuer herum, so dass die Funken hoch sprühten.

„Weswegen vermutest du das?“

„Vermuten? Ich habe ihn jetzt ein halbes Jahr verfolgt. Ich kenne seine Gewohnheiten. Morgen erreichen wir ein Hochtal. Dort werden wir auf seine Fährte stoßen und wir werden die Hunde frei lassen und dann wird es soweit sein!“ Für seine Verhältnisse war es eine lange Erklärung.

Am nächsten Morgen, ich hatte nicht besonders gut geschlafen und mir eine tüchtige Erkältung eingehandelt, ging es weiter. Dem Apollon sei Dank, hatte es aufgehört zu regnen. Anfangs ging es noch ein wenig den Gebirgszug hoch, bis dann die Felsen nackt und weiß vor uns lagen. Endlich ritten wir hinunter in ein Tal mit einem Fluss. Der Wald reichte bis an das Ufer heran. Der Alte nickte zufrieden, als er im Wasser Fische hochspringen sah.

„Das mag er.“

Wir ritten durch das Wasser auf die andere Seite des Flusses. Es reichte uns bis zu den Schenkeln und war kalt und rein und floss schnell. Man konnte die Fische auf dem Grund sehen. Die Steine am anderen Ufer schimmerten wie Edelsteine und wir ließen die Pferde im seichten Wasser noch einmal saufen. Dann ging es weiter, immer am Fluss entlang.

Es war hoher Mittag, als Spitames absprang und zur Sonne hochsah, die uns endlich für die vorangegangenen Regentage entschädigte. Dennoch war es kalt. Wir waren in einem Hochtal. Der kalte Wind war unangenehm. Spitames ging in die Knie, und nun sah ich es auch. Der Abdruck der Bärentatzen.

„Ist er es?“

„Solche Pratzen hat nur unser Kyros.“

Er stieß die Hunde mit der Schnauze in die Spuren und diese verwandelten sich, rannten plötzlich unruhig hin und her und blickten nicht mehr glubschig, sondern kalt, gemein und mordlüstern. Sie nahmen die Spur auf und wir ritten ihnen nach. Es ging weiter am Fluss entlang bis zum Abend, ohne dass wir Kyros zu sehen bekamen. Wir begegneten einigen Hirschen und sogar einem Berglöwen, aber dies war nicht unser Wild. Wir beachteten die Tiere kaum und sie ahnten wohl, dass wir diesmal nicht hinter ihnen her waren und sahen nur kurz auf. Wir rasteten im Schatten eines Felsens. Ich war hundemüde. Unsere Molosser dagegen hätten weitergemacht, wenn wir dies zugelassen hätten. Spitames musste ihnen ein paar Fleischstücke in den Rachen werfen, damit sie Ruhe gaben. Es war kalt hier oben und ich war froh, dass ich den Wolfsmantel mitgenommen hatte. Ein Geschenk von Spitames. Ich schlief unruhig. Plötzlich hörte ich eine Lyra. Im Lichtschein des Mondes schwebte er herab. Aber statt der Lyra hatte Apollon diesmal einen silbernen Speer in der Hand.

„Sei guten Mutes. Auch Zeus ist jetzt mit dir. Du bist auf dem Weg, der zu den Sternen führt.“

Eine Botschaft, die mich erregte und doch auch Furcht auslöste. Ich, der Kröterich, sollte den Sternen nahe kommen? Ich fand, dass ich bisher von den Göttern nicht gerade bevorzugt worden war.

Als ich aufwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Ob Apoll nun wirklich da gewesen war oder ich dies geträumt hatte, hätte ich nicht beantworten können.

„Du, mir ist Apoll heute Nacht erschienen“, gestand ich Spitames beim Frühstück.

„Wurde auch Zeit, dass er sich rührt!“ knurrte Spitames. Seit ich ihm erzählt hatte, was mir beim Erdrutsch widerfahren war, hielt er mich ohnehin für etwas Besonderes.

„Vielleicht habe ich es auch nur geträumt.“

„Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht“, erwiderte er und beäugte mich, als wäre ich eine Statue im Tempel.

„Was ist denn?“ fragte ich irritiert.

„Du hast so eine Helligkeit an dir.“

„Unsinn.“

„Nein. Da ist irgendetwas in deinem Gesicht.“

Ich sah es um seinen Mund zucken und nahm einen Zweig und warf ihn nach ihm und er protestierte kichernd.

„He, dafür habe ich dir die Treffsicherheit nicht beigebracht.“

„Verscheißere mich nicht noch einmal. Von wegen Helligkeit und so. Möchte mal wissen, was Apollon gemeint hat.“

„Erzähl!“

Und ich wiederholte die Worte des Apollon und diesmal lachte er nicht.

„Es geht also los.“

„Was geht los?“

„Seit deinem Aufenthalt im Hades weiß ich, dass die Götter mit dir etwas vorhaben. Kann sein, dass das nicht immer angenehm wird, und in der Vergangenheit war es für dich ja auch nicht besonders angenehm, aber sie wollen dich auf den Weg schicken. Nichts geschieht aus Zufall. Du stehst am Anfang und nun geht es los und vielleicht gehört diese Jagd auf Kyros dazu.“

Für Spitames war dies eine ungewöhnlich lange Rede. Mein Freund und Lehrer wurde in letzter Zeit, so fand ich, langsam zur Quasselstrippe.

„Dann wollen wir nicht über die Götter reden, sondern unserem Kyros folgen“, schlug ich vor.

„Apollon hatte einen Speer dabei?“

„Ja. Einen silbernen Speer.“

„Das ist gut.“

Ich wusste nicht, was daran gut sein sollte. Er aber schien es für bedeutsam zu halten.

Am Nachmittag verloren wir die Spur, weil es wieder angefangen hatte zu regnen. Spitames fluchte, wie nur alte Männer fluchen können, die einiges erlebt haben. Wir ritten auf gut Glück weiter. Auf einmal hörten wir ein ersticktes Brüllen und Spitames hob den Arm und wir zügelten die unruhig schnaubenden Pferde und lauschten. Wieder hörten wir ihn brüllen. Es konnte nur unser Kyros sein.

„Er kämpft mit einer Hirschkuh, und sie scheint sich tüchtig zu wehren.“

„Dann los!“

„Noch nicht. Nun wollen wir erst einmal sehen, was unsere Vorhut ausrichtet!“ knurrte Spitames.

Die Molosser hatten mittlerweile auch begriffen, worum es ging und jagten durch das Gebüsch davon. Wir banden die Pferde fest, die tüchtig schnaubten und die Augen rollten. Langsam, mit vorgehaltenem Speer, gingen wir im Dickicht auf das Rumoren zu. Was wir dann sahen, ließ uns das Blut in den Adern gefrieren.

Der Bär stand hoch aufgerichtet in einer Lichtung und neben ihm lag die Hirschkuh und vor ihm krochen bereits drei unserer Molosser mit aufgeschlitzten Bäuchen. Die Därme hingen ihnen heraus. Die anderen drei umsprangen ihn und versuchten dabei, seinen Tatzen auszuweichen. Man musste ihnen zugestehen, dass sie tapfere Kerle waren und sich durch ihre halbtoten Leidensgenossen nicht abschrecken ließen. Immer wieder verbissen sie sich in seinem Fell. Ich nahm meinen Bogen und jagte Kyros einen Pfeil in die Seite. Aber er kümmerte sich nicht einmal darum. Auch ein zweiter und ein dritter Pfeil beeindruckten ihn nicht. Spitames lief nun los und machte einen seitlichen Bogen um das Tier und ging es von hinten an und stieß Kyros den Speer in die Flanke. Der Bär drehte sich ihm zu und schüttelte den mächtigen Kopf, als hätte sich Spitames nicht an die Spielregeln gehalten. Er ließ sich auf alle Viere fallen, schüttelte sich noch einmal und der Speer fiel ab. Nun gab er dem letzten Molosser noch einen Hieb, so dass dieser durch die Luft flog. Schon war der Bär im Dickicht verschwunden. Er war also nicht nur stark, sondern auch klug und sagte sich wohl: Diesmal überlasse ich euch das Feld und komme erst einmal zu Kräften und dann sehen wir weiter.

Er ließ uns also mit der Erkenntnis zurück, dass wir keinen Schritt weiter gekommen waren. Bei genauer Betrachtung war es nicht einmal ein Remis. Wir hatten sechs Molosser verloren, die doch als die fürchterlichsten Kampfhunde galten, die jemals gezüchtet worden waren. Wir gaben den verletzten Tieren den Gnadenstoß. Spitames hatte dabei Tränen in den Augen. Ich konnte für die Ungeheuer nicht die gleiche Trauer aufbringen. Aber tapfer waren die Viecher gewesen.

Dann folgten wir der Blutspur, und es ging nun wieder hinunter und in ein Tal hinein. Dort wurde es morastig und wir mussten durch einen Wald waten, der überschwemmt war. Das Blut an den herabhängenden Zweigen verriet uns, dass Kyros hier vorbei gekommen war. Als wir aus dem überschwemmten Wald heraus waren, hörten wir einen verzweifelten Ruf.

„Da schreit jemand!“ stellte ich überflüssigerweise fest.

Wir liefen in eine Lichtung hinein.

Vor uns hatte Kyros ein Pferd zu Boden geworfen. Der Reiter lag daneben und unser Bär war nun dabei, sich den wehrlosen Mann vorzunehmen. Offensichtlich war sein Bein unter dem Pferdeleib eingeklemmt. Ich zog meinen Speer vom Rücken, denn mit dem Bogen würde ich den Bären, dies wusste ich nun, kaum aufhalten können. Ich weiß nicht, was mich zu dieser Tat trieb. Im Zweifelsfall Apollon. Ich humpelte mit dem Speer auf den Bären zu. Dieser wollte dem am Boden liegenden Mann gerade den tödlichen Schlag verabreichen. Ich trieb Kyros den Speer in den Nacken. Das Ergebnis war, dass er sich mir zuwandte. Vielleicht erkannte er, dass ich zu denen gehörte, die ihm schon einmal Schmerzen zugefügt hatten. Jedenfalls war ich nun das Ziel seiner Begierde. Er tapste auf mich zu. Ich nahm den zweiten Speer vom Rücken und diesmal warf ich ihn nicht, sondern stellte ihn wie einen Spieß auf den Boden. Er erhob sich wieder zur fürchterlichen Größe, und ich hielt ihm den Spieß entgegen und er ließ sich fallen und spießte sich selber auf. Da ich mich zur Seite warf, verursachte der Prankenhieb nicht mehr als einen Luftzug. Ich rollte mich möglichst weit von ihm fort, und dies war auch gut so. Denn Kyros war ziemlich verärgert und seine Tatzen wühlten den Boden auf und nun schrie er. Es klang sehr menschlich, wie er schrie, und mir lief ein Schauer über den Rücken.

Spitames warf mir seinen Speer zu. „Töte ihn! Es ist soweit. Lass ihn nicht länger leiden. Ich kümmere mich um den Reiter.“

Es war ein guter Eschenspeer und ich ging auf den Bär zu, dessen Tatzen immer noch den Boden aufwühlten. Er blickte mir ruhig entgegen. Als ich vor ihm stand, wurde sein Blick, so erschien es mir, vorwurfsvoll. Er war nicht bereit zuzugeben, dass er besiegt war. Ich stieß ihm den Speer in den Hals und er fauchte noch einmal und starb. Er hatte uns einen großen Kampf geliefert und nun war es vorbei und es tat mir leid, dass ich ihn getötet hatte. Er war ein König und ich ehrte ihn, indem ich einen Zweig abbrach und in sein Maul steckte.

Spitames hatte den Reiter mittlerweile von seinem Pferd befreit. Der Mann lehnte gegen einen Baum und sah mit immer noch bleichem Gesicht zu mir herüber.

„Alles in Ordnung, mein Junge?“ rief mir Spitames zu.

„Alles in Ordnung. Es war ein guter Kampf.“

„Mann gegen Mann!“ stimmte er zu, was so nicht stimmte. Aber er wollte damit ausdrücken, dass ich Kyros im Nahkampf bezwungen hatte.

„Er hat sich aufgespießt. Ich hatte Glück.“

„Du hast ihm ins Gesicht gesehen. Das allein zählt.“

„Apollon hat mir geholfen.“

„So wird es sein“, gab Spitames zu.

Ich ging zu dem Mann, den wir gerettet hatten und besah mir seine Wunden.

„Es ist nicht schlimm!“ wehrte er ab. „Die Fleischwunde an der Schulter ist nicht tief. Nur mein Bein schmerzt. Aber es scheint nicht gebrochen zu sein.“

Er war ein sehr gut aussehender Mann, und dies ist noch eine Untertreibung. Er sah aus wie ein junger Gott und war höchstens drei oder vier Jahre älter als ich.

Nun war Hufgetrappel zu hören und schon waren wir von Reitern umringt. Ein Mann sprang ab, der ein Zwilling des Verletzten hätte sein können. Er war allerdings kleiner, nur mittelgroß und hielt den Kopf seitlich geneigt. Ein ebenmäßiges stolzes Gesicht, über dem sich wie bei einer Löwenmähne das Haar zu beiden Seiten wölbte. Die Nase war etwas breiter als bei seinem verletzten Gefährten und ließ Energie ahnen, was auch das kräftige Kinn unterstrich. Nun bin ich kein Männerfreund. Aber der Neuankömmling war jemand, dessen Erscheinung einen sofort fesselte und dessen Freundschaft man sich wünscht. Er war nicht so schön wie der Verletzte, aber das, was von ihm ausging, war Achtung gebietend und hoheitsvoll. Er ging zu dem Mann, den wir vor dem Bären gerettet hatten und umarmte ihn und sie drückten sich aneinander, als wären sie ein Liebespaar.

„Hephaistion, dir ist nichts passiert? Den Göttern sei Dank!“ rief der Neuankömmling.

„Ihm musst du danken, Alexander!“ rief der Verletzte und wies auf mich.

Nun wusste ich, dass ich es mit dem Kronprinzen zu tun hatte und wunderte mich nicht mehr über das ehrerbietige Verhalten der anderen Reiter. Ich hatte gehört, dass Alexander die Schlacht von Chaironeia entschieden hatte. Er galt trotz seiner jungen Jahre bereits als Kriegsheld, und man erzählte von ihm, dass er ein genau so berühmter König werden würde wie sein Vater, der große Philipp.

„Wer bist du?“ fragte Alexander und ich sagte es ihm und humpelte zu dem Bär und zog ihm den Speer aus dem Hals und reichte ihn Alexander.

„Mit diesem Speer werde ich dir ein treuer Gefährte sein.“

Ich weiß auch nicht, was mich dazu veranlasste so zu sprechen. Ich war ein Niemand, der Kröterich des Anthes, und doch redete ich zu meinem zukünftigen König, als wäre ich ein Fürst. Ich kann nur vermuten, dass mir Apollon diese Worte eingegeben hatte.

„Bist du der Gott Hephaistos, der Schmied?“ fragte er, so andeutend, dass er mich nicht gering erachtete und ich klärte ihn auf, wessen Sohn ich war und obendrein ein Krüppel. Aber in seinen Augen schien mich das nicht herabzusetzen.

„Du bist mutig!“ stellte er fest und deutete auf den Bären.

„Das ist er in der Tat!“ bekräftigte Hephaistion, der nun notdürftig verbunden wurde.

„Er hat den Kyros bezwungen, der so manchen Jäger getötet hat. Es hieß von ihm, dass ihn niemand bezwingen könne“, rief jemand aus der Reitergruppe, die längst abgestiegen war und uns bewundernd umringte.

„Du bist ein Jäger?“ fragte Alexander und ich sah zu Spitames hinüber und dieser nickte.

„Ja. Ein Jäger und ein Schäfer und ….“

„….ein guter Reiter, der beste, den ich kenne!“ setzte Spitames hinzu.

„Du kannst gut reiten?“ fragte Alexander und sah dabei auf meinen Fuß. Aber ich sah in seinem Blick weder Mitleid noch Geringschätzung, sondern Neugier.

Ich neige mit meinem Urteil über Menschen sehr zurückhaltend zu sein, was sicher eine Auswirkung meiner Behinderung ist, aber dieser Mann, mein König, nahm mich sofort für sich ein, mehr noch, er verzauberte mich. Dabei wusste ich noch nicht einmal, welche Rolle er in meinem Leben spielen würde und dass von nun an unser Leben aneinander gekettet war. Wenn ich eine Frau gewesen wäre, hätte ich sicher gesagt, dass ich mich vom ersten Augenblick in ihn verliebt hatte. Aber dies ging nicht nur mir so. Alle Gefährten Alexanders sprachen von ähnlichen Gefühlen zu ihm.

„Ja. Ich verstehe mit Pferden umzugehen!“ bestätigte ich Alexander.

„Vielleicht glauben die Götter, dass sie dich dafür entschädigen müssen.“

Er wies auf mein Bein und nickte nachdenklich.

„Apollon ist mir sehr gewogen.“

„Apollon ist ihm heute Nacht erschienen“, bestätigte Spitames.

Später erklärte er mir, dass ihm bewusst war, dass dieser Augenblick über mein Leben entschied und er mir helfen wollte, mich ins rechte Licht zu rücken.

Alexander, der von Kindheit an in einem engen Verhältnis zu den Göttern stand, legte mir die Hand auf die Schulter und sah mir direkt in die Augen.

„Apollon ist dir erschienen?“

„Vielleicht war es auch nur ein Traum.“

„Erzähle!“

Und ich berichtete ihm von meiner Erscheinung und dass dies schon das zweite Mal war und erzählte ihm auch von meiner Begegnung im Hades und er hörte mir geduldig zu.

„Dann hat Apollon dich zu mir geschickt. Du hast mir das Liebste gerettet, das es auf der Welt für mich gibt. Das alles sind Zeichen, dass du zu mir gehören wirst. Du wirst zukünftig zu meinem Schutz bei den Gefährten reiten.“

„Parmenion liegt uns doch dauernd in den Ohren, den älteren Sohn des Anthes zu den Gefährten zu holen!“ sagte ein breitschultriger Jüngling, dessen Namen ich erst später erfuhr. Es war Perdikkas. Auch er war im gleichen Alter wie Alexander. Sie alle waren jung, die uns umstanden. Wie ich später erfuhr, nannte Alexander sie seine Verwandten.

„Ja. Meinen Bruder Antiochios. Er hinkt nicht“, klärte ich Alexander auf.

„Wir können nur einen von der Familie zu uns holen und das sollte der sein, der mir das Leben gerettet hat!“ warf Hephaistion ein.

„Und der einen Gott auf seiner Seite weiß“, setzte Alexander zustimmend hinzu. „Du wirst von mir hören.“

Dann half er seinem verletzten Freund aufs Pferd und sprang aus dem Stand hinter ihm auf den Rücken des Tieres, was ich nie hinbekommen habe. Er nickte mir noch einmal zu und die Kavalkade verschwand wie ein Traumgespinst.

Nur der Bär zeugte davon, dass hier etwas passiert war, was ein Gott vorausgesagt hatte. Benommen stand ich vor dem Tier. Ich wusste nun, dass ich auf dem Weg war, von dem Apollon gesprochen hatte. Spitames sah mich mit seltsamer Scheu an.

„Das hat er gut hingekriegt!“

„Wer?“

„Dein Gott. Los, häuten wir das Tier. Das Fell wird dir eine gute Zudecke sein.“

Und sie wurde es auch. Das Fell des Kyros hat mich bis Indien begleitet.

Wir waren im Regen ausgezogen und kamen im Regen wieder aus den Bergen zurück. Und doch war etwas anders. Ich fühlte mich nicht mehr minderwertig. Es war etwas passiert, was mich heraushob, und ich wusste, dass der Tod des Kyros nur ein Anfang war. Es war nicht mehr wichtig, dass ich hinkte. Noch ehe wir meine Hütte erreichten, kam uns Phokis freudig winkend entgegen gelaufen. Verblüfft schaute er uns an.

„Ihr habt es geschafft? Ihr habt es tatsächlich geschafft!“ Er umsprang uns wie ein schwänzelnder Hund und strich immer wieder über das Fell des Kyros, das hinter mir auf dem Rücken des Pferdes lag.

„Und wo sind die Hunde?“

„Tot.“

„Und dennoch habt ihr ihn ….?“

„Ja. Es war ein Kampf von Angesicht zu Angesicht!“ bestätigte Spitames. „Unser Junge ist ein Mann geworden.“

Als wir Wochen später auf die Burg meines Vaters zurückkehrten, da in den Bergen der erste Schnee gefallen war, gab es natürlich großen Auflauf. Mittlerweile hatte sich der Tod des Kyros in der ganzen Gegend herumgesprochen. Das Gesinde kam aus den Ställen herausgelaufen und bestaunte das Fell, als wäre es das goldene Vlies des Jason. Für mich hatte es diese Bedeutung. Vater kam finster blickend aus dem Haupthaus und mit ihm mein Bruder. Eurydike machte ein Gesicht, als hätte man ihr den Beischlaf verweigert. Unwirsch scheuchte mein Vater die Knechte wieder an die Arbeit.

„Hast allerhand Hallotrie getrieben in den Bergen, was?“ begrüßte er mich. „Wir haben keine Ziege verloren.“

„Na schön. Sperrt die Ziegen in den Stall. Ihr könnt noch später erzählen, was ihr angestellt habt. Aber du, Spitames, scher dich vom Hof!“

Meinen Wolfstöter beeindruckte dies nicht. „Ich hatte ohnehin nicht vor zu bleiben. Ich wollte dir nur sagen, dass du schon die ganze Zeit auf das falsche Pferd setzt. Aber besonders gescheit warst du noch nie.“

„Scher dich vom Hof“, brüllte mein Vater und rief nach seinem Schwert.

Spitames nickte mir zu und wendete das Pferd und ritt langsam aus dem Burghof. Eine schmale einsame Gestalt. Mein Vater starrte ihm mit hochrotem Kopf hinterher.

„Ich sollte ihn töten!“

„Nein, Vater, was bringt’s?“ wandte mein Bruder ein. „Es ist doch nur der olle Spitames. Ein Nichts. Auswurf, wie Leonnatos.“

Ich hatte angenommen, dass sie mich nun fragen würden, wie ich den Kyros getötet hatte. Doch sie fragten nicht. Von meiner Begegnung mit dem Kronprinzen erfuhren sie also erst einmal nichts.

Umso größer war ihre Überraschung, als Tage später der Bote des Königs erschien. Als er mit dem weißen Stirnband in den Hof ritt, eilten Vater und Antiochios hinaus und begrüßten ihn freudig und ehrfurchtsvoll. Vater führte ihn in die Halle an den großen Tisch und ließ Wein kommen und Braten und Eurydike holte die besten Mischpokale heraus. Der Bote, aus dem Geschlecht des Andros, ließ sich erst einmal ordentlich bewirten. Vater und Antiochios bedrängten ihn nicht, weil sie ohnehin zu wissen glaubten, weswegen der Bote des Königs gekommen war. Ich hielt mich zurück, wie es sich für den Zweitgeborenen gehörte. Der Bote sah immer wieder neugierig zu mir herüber und mein Vater wunderte sich.

„Das ist nur Leonnatos. Kümmere dich nicht um ihn. Er ist ein Krüppel.“

„Er soll ein sehr mutiger Jüngling sein.“

„Ach was. Die Geschichte mit dem Bär wird fürchterlich übertrieben. Es war ein alter Bär.“

„In Pella hörte ich anderes darüber.“

„Man spricht in Pella über Leonnatos?“ rief Antiochios erstaunt.

„Ja. Jeder im Land kennt die Geschichte.“

Mein Vater grunzte dazu. Nach dem Essen reckte sich der Bote zufrieden und satt und dankte für die Gastfreundschaft und holte eine Rolle aus seinem Umhang und reichte sie meinem Vater.

„Dein Sohn ist unter die Gefährten des Kronprinzen aufgenommen worden“, sagte er dazu, und Vater strahlte und warf Antiochios einen triumphierenden Blick zu und dieser blickte drein, als beglücke er gerade die Eurydike. Vater rollte den Papyrus auf und las mühsam, denn weder Lesen noch Schreiben zählte zu seinen Stärken, und wurde kreidebleich und schließlich grau wie ein Felsen und ließ fassungslos die Hände fallen und sah mich an.

„Was ist denn, Vater?“ rief Antiochios.

Mein Vater reichte ihm die Rolle. „Lies!“ krächzte er und Antiochios ergriff sie und las und schüttelte immer wieder den Kopf.

„Das muss ein Irrtum sein!“ stammelte er schließlich.

„Nicht Leonnatos, sondern Antiochios sollte zu den Gefährten!“ kam ihm mein Vater zu Hilfe.

„Nein. Nicht von Antiochios, von Leonnatos spricht man in Pella!“ widersprach der Bote verwundert. „Sei froh, dass einem deiner Söhne diese Ehre zuteil wird. Schließlich gehört ihr nicht zu den Fürsten des Königreiches. Alexander versteht zu belohnen. Er kümmert sich nicht groß um die Herkunft, wenn ihm ein Dienst erwiesen wird.“

„Was für ein Dienst?“ fragte Antiochios und sah mich an, als sei ich ein Schatten aus dem Hades.

„Wisst ihr denn nicht, wovon ganz Pella spricht?“

„Es war ein alter Bär!“ wehrte mein Vater zornig ab.

„Das meine ich nicht. Leonnatos hat doch den Liebling des Alexander gerettet. Hephaistion wäre ohne den Mut deines Sohnes tot.“

„Und …..was wird aus mir?“ fragte Antiochios mit aufgerissenen Augen.

„Man wird dich schon bald zu den Getreuen zu Fuß rufen, mein Sohn. Keine Bange.“

„Und er hier, der Krüppel, wird mit den Gefährten des Königs reiten?“

„Auf einem Pferderücken wird sein Hinken nicht weiter auffallen. Und übrigens, er hat sogar gute Aussichten eines Tages zur Leibgarde des Kronprinzen und damit zu den Verwandten aufzurücken. Alexander machte so eine Andeutung, dass er ihn ständig um sich haben will. Du solltest dich daran gewöhnen, dass man ihm von nun an die nötige Achtung entgegenzubringen hat.“

„Diesem Krüppel?“ schrie Antiochios. „Niemals! Vater, tu etwas.“

„Ich werde mit Parmenion reden“, keuchte der Alte, als säße ihm ein Felsbrocken auf der Brust. „Er wird dafür sorgen, dass dieses Missverständnis ausgeräumt wird.“

„Nein. Alexander wird sich niemals von Parmenion etwas vorschreiben lassen. Selbst dessen Sohn Philotas, der zu den Gefährten gehört, hat er nicht unter die Verwandten aufgenommen.“

„Auch Antiochios muss bei den Gefährten des Kronprinzen aufgenommen werden!“ beharrte mein Vater.

„Zwei Söhne kannst du nicht bei den Gefährten unterbringen. Das wäre zuviel der Ehre. Du bist kein Fürst, mein lieber Anthes. Es ist schon eine unerhörte Auszeichnung, dass einer deiner Söhne berufen wurde.“

„Er ist der schlechtere!“ stammelte mein Vater und wies mit seiner Rechten auf mich. Diese Hand, die ich so oft gespürt hatte, an der zwei Finger fehlten, die er in einer der vielen Schlachten Philipps verloren hatte. Oh ja, mein Vater war ein großer Krieger. Wenigstens das will ich ihm nicht absprechen.

„Für Alexander scheint Leonnatos gut genug zu sein!“ wehrte der Bote ab und wandte sich mir zu. „Leonnatos, du sollst dich zur Hochzeit der Kleopatra, Alexanders Schwester, in Aigai einfinden. Bald danach geht es zum großen Feldzug gegen Persien. Unsere Rache für die schändliche Brandschatzung Athens. Ihr werdet alle bald zu den Waffen gerufen werden. Anthes, dein Protektor Parmenion, kann dir nicht helfen. Er ist bereits drüben in Kleinasien.“

„Deswegen habe ich so lange nichts von ihm gehört.“

„Ja. Und wenn er sich für dich verwandt hätte, so wäre dies auch vergeblich gewesen. Alexander schart nur junge, ihm treu ergebene Männer um sich, die genau so verrückt die Ilias lesen wie er.“

Eurydike sah mich mit Augen an, die wie Dolchklingen stachen. Aber einstweilen konnten meine drei Peiniger nichts ausrichten. Ich war zu den Gefährten des Kronprinzen gerufen worden und nicht Antiochios und sie konnten nichts daran ändern. Als der Bote am nächsten Tag fort geritten war, wurde es noch ungemütlicher für mich.

Bis dahin war ich schon Luft für sie gewesen, aber nun war ich auch noch stinkende Luft und sie zogen Gesichter, als habe ich Aussatz. Man aß nicht mehr mit mir, sondern stellte das Essen in die Küche. Und was sie mir durch die Dienerin hinstellen ließen, war besserer Abfall. Auch mein Freund und Lehrer Andreos konnte nichts dagegen tun. Als ich den Hirsebrei zum dritten Mal hintereinander bekam, ging ich hinaus und schüttete den Brei weg. Ein Hund kam vorbei und fraß davon. Wenig später sah ich seinen Leichnam im Hof liegen. Die Knechte wussten keine Erklärung, woran er gestorben war. Aber ich wusste es und aß nichts mehr, was man mir vorsetzte, und ernährte mich nur von Früchten und Brot. Von nun an legte ich einen langen Dolch neben mein Lager.

Bevor ich mich zur Königsstadt aufmachen konnte, ritt ich noch einmal zu Spitames, um mich von dem Menschen zu verabschieden, dem ich soviel verdankte.

„Du warst mir Vater und Mutter zugleich.“

Sein dunkles Gesicht war an diesem Tag noch runzliger als ich es kannte. Bekümmert nickte er. Seine Hände umklammerten seinen Oberkörper, als hätte er Angst auseinanderzufallen.

„Lassen wir das“, knurrte er rau. „Ich habe aus dir einen Jäger gemacht. Nur Menschen mit Gefühl dürfen Jäger sein. Erinnere dich an den Kyros. Auch Tiere verlangen Achtung. Sie sind Lebewesen, die uns die Götter gaben. Wir müssen sie töten, weil wir nun einmal Fleischfresser sind. Aber nur deswegen und nicht weil uns das Töten Spaß macht.“

„Du hast mich nicht nur die Jagd gelehrt, sondern auch den Umgang mit Pferden.“

„Ja, der Kronprinz wird noch staunen, was du für ein guter Reiter bist“, pflichtete er mir bei.

„Alexander soll ein guter Reiter sein.“

„Das soll er. Aber du bist ein Pferdemensch und die Tiere spüren dies. Jedes Pferd wird es dir entgelten.“

Wir starrten uns noch eine Zeitlang schweigend an und ich seufzte und wir umarmten uns. Als ich hinausgehen wollte, hielt er mich noch einmal auf.

„Leonnatos?“

„Ja.“

„Du warst mir ….. wie ein Sohn.“

„Ich hatte das Glück dein Sohn zu sein.“

„Pass auf dich auf. Apollon wird sich hoffentlich um dich kümmern.“

„Ich werde dich nicht vergessen.“

Ich hätte schwören können, dass mein stoischer alter Spitames Tränen in den Augen hatte, als ich ging. Ich habe ihn nie wieder gesehen.

Am nächsten Tag bat ich meinen Vater um eine entsprechende Ausstattung für die Reise an den Königshof. In Lumpen konnte ich zwar hier in den Bergen herumlaufen, aber ein Gefährte des Kronprinzen würde darin doch einen seltsamen Eindruck machen.

„Du blamierst auch dich, wenn ich so erscheine!“ sagte ich zu ihm und wies auf meine schäbige Kleidung.

Der Alte glotzte mich böse an und drehte den schweren Ring an seiner Linken. Am liebsten hätte er mich umgebracht. Aber das ging nun nicht mehr. Einen Gefährten des Königssohnes konnte er nicht so einfach um die Ecke bringen.

„Rede mit Eurydike!“ brummte er unwirsch. „Du weißt, dass ich nicht reich bin.“

„Ich weiß, dass du und Antiochios anständig gekleidet seid. Und Eurydike schleppt genug Gold an ihrem Hals mit sich herum.“

„Sie ist die Reiche von uns. Nicht ich. Aber, na gut. Ein paar Drachmen werden wir zusammenkratzen können.“

Es fiel ihm schwer dies zu sagen und als ich Eurydike gegenüber meinen Wunsch nach besserer Kleidung äußerte, sah sie mich von oben nach unten an, als hätte ich ihre goldenen Ketten und Ringe verlangt. Aber die beiden sahen schließlich ein, dass es keinen guten Eindruck machte, wenn ich als Bettler nach Aigai käme. Sie gaben mir sogar Phokis mit, nachdem ich dies energisch verlangte. Ein Esser weniger, mag mein Vater gedacht haben. Mit den Pferden hatte ich keine Schwierigkeiten, da ich ohnehin Tiere wählte, die mein Vater und Antiochios verschmähten, weil sie hässlich und ungebärdig waren. Es waren magere Klepper und tückisch und voller Launen, aber ausdauernd und leidlich schnell und wir kamen ganz gut mit ihnen zurecht.

Es war ein nebliger Morgen, als wir aufbrachen. Nie vorher hatte ich so gute Kleider getragen und ich fühlte mich wie ein Prinz. Die Kleider waren zwar aus einfachem Leinen und ohne Zierrat. Aber auf den ersten Blick fiel es nicht auf, dass sie bereits von Antiochios getragen worden waren. Als Phokis und ich – auch dessen Kleider konnten sich sehen lassen – zu früher Stunde aus dem Hof traten, war dieser leer. Niemand verabschiedete uns. Gerade als wir uns auf die beiden Klepper schwingen wollten, trat Antiochios aus dem Haus. Sein Gesicht verhieß nichts Gutes und das Schwert in seiner Hand war sicher auch nicht für einen brüderlichen Abschiedsgruß gedacht.

„Was soll das, Antiochios?“

„Du willst nun in Aigai meinen Platz einnehmen, du Dieb!“

„Wieso deinen Platz? Hast du den Hephaistion gerettet? Du scheinst schlecht geträumt zu haben. Geh wieder hinein und schlaf weiter.“

„Du bist aufmüpfig geworden, Krötlein. Dir ist das, was in den Bergen passiert ist, wohl zu Kopf gestiegen. Ich werde dir zum Abschied die rechte Demut beibringen!“

Sein Kopf war hochrot. Mit dem blanken Schwert in der Hand kam er auf mich zu.

„Willst du deinen Bruder töten?“

„Nein. Nur zurechtstutzen. Wann kommt einer wie ich, einer der Gefährten zu Fuß, ein gewöhnlicher Krieger, schon dazu, einen Gefährten des Königssohnes zu verprügeln!“ brüllte er bitter.

Er stürmte kopflos auf mich zu, und ich trat schnell beiseite, stellte ihm ein Bein und er stürzte zu Boden. Sofort setzte ich ihm mein Messer an die Kehle und entwand ihm das Schwert.

„Und schon ist es aus!“ sagte ich gelassen. Sein eigener Übereifer hatte ihn niedergestreckt. „Nun lass es gut sein, Antiochios. Die Götter sind nicht mit dir.“

„Ich kriege dich noch!“ keuchte mein Bruder. „Ich schwöre bei unseren Ahnen, dass ich dich töten werde. Ich werde dich töten!“

„Darüber entscheiden die Götter“, erwiderte ich und nahm die Klinge von seiner Kehle und drehte mich um und humpelte zu meinem Pferd.

Unter den Flüchen meines Bruders verließen wir den Burghof. Ich sah nicht zurück. Beim Apollon, ich hatte keinen Grund meiner Jugend auf dem Berg nachzuweinen. Vor mir lag die Zukunft. Ein aufregendes Leben. Der Nebel löste sich auf. An diesem Wintertag schien die Sonne bei uns in den Bergen. Ich war auf dem Weg, den mir der Gott Apollon vorausgesagt hatte.

Alexanders letzter Traum

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