Читать книгу Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon - Страница 12
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Als ich mein Pferd durch das seichte Wasser ans Ufer führte, hatte ich nicht das Gefühl, dass etwas besonderes passierte. Es war ein diesiger Morgen irgendwo bei Abydos. Wir hatten nicht den Hafen angefahren, sondern waren etwas entfernt von der Stadt in einer Bucht an Land gegangen. Nachdem was geschehen war, mussten wir damit rechnen, dass wir auch hier erwartet wurden. Wir waren noch elf Reiter, als wir uns am Ufer Asiens auf die Pferde schwangen. Mir kam keinen Augenblick in den Sinn, dass ich Makedonien niemals wieder sehen würde. Ehrlich gesagt, habe ich es auch später nie vermisst. Es ist meines Vaters Land, und später merkte ich, dass auch Alexander nie Sehnsucht danach hatte, wieder nach Makedonien zurückzukehren. All zu gute Erinnerungen hatte er an Makedonien auch nicht. Es war ihm später nur ein Schoß, der für gute Krieger sorgte.
Wir winkten noch einmal zu dem Kapitän hinüber und ritten auf Troja zu. Als es auftauchte, war ich ziemlich enttäuscht. Eine Hügelkuppe mit einer nicht einmal sehr großen Stadt. Mir lief jedenfalls kein Schauer über den Rücken. Wir ritten auf der persischen Heerstraße weiter. Die Felder waren karst und gelbbraun und staubig. Wir kamen durch einen Ort, der für mich namenlos war und, nach den armseligen Häusern zu schließen, auch keine besondere Bedeutung hatte. Was mir nur seltsam vorkam, war die Stille in dieser Stadt. Keine Menschenseele war zu sehen. In den Seitenstraßen sah ich ein paar Hühner herumlaufen. Irgendwo meckerte eine Ziege. Aber keiner der Bewohner war zu sehen.
„Hier stimmt was nicht!“ rief ich Attalos zu und lockerte den Speer in dem Lederköcher auf meinem Rücken.
„Hier haben welche Sehnsucht nach uns!“ stimmte Phokis zu und sein fleischiges bärtiges Gesicht strahlte, als hätte man ihm eine Nacht mit einer Frau versprochen.
Hinter dem kleinen Marktplatz verengte sich die Straße. Ich war nicht überrascht, dass sie versperrt war. Hinter der Barrikade standen Söldner. Nein, es waren keine Perser. Es waren Griechen und sie trugen die gleiche Rüstung und hatten die gleichen Waffen wie wir.
„Dreh dich mal um!“ rief Attalos.
Nun sah ich, dass auch hinter uns Soldaten herankamen. Wir saßen in der Falle.
„Die Götter sind mit uns!“ rief mein Phokis. Keine Ahnung, woher er dies wusste. Aber es gab unseren Männern Mut. Wir preschten auf die Sperre zu, die aus einigen Karren bestand. Dahinter hielten uns Hopliten ihre Speere entgegen. Große Sorgen machten wir uns deswegen nicht. Schließlich hatten wir in Aigai und Pella oft genug geübt, wie man solche Hindernisse überwand. Ich drückte meinem Pferd die Fersen in den Leib und mit einem erstaunten Wiehern flog es über die Karren hinweg. Dabei streckte ich einen unserer Gegner mit dem Speer nieder. Bis auf einen Reiter waren wir alle durchgekommen. Ich sah, wie ein Agriane vom Pferd gezerrt wurde. Wir konnten keine Rücksicht darauf nehmen und jagten weiter. Schon waren wir aus der Stadt heraus. Es folgte uns niemand, was auch merkwürdig war.
„Was sind denn das für Stümper?“ staunte Attalos.
„Warum Stümper? Wir sind nun einmal gewaltige Krieger!“ rief Phokis lachend. Er war nur ein Diener, aber meine Agrianen hatten sich mittlerweile daran gewöhnt, dass er sich selbst gegenüber den Gefährten des Königs einen recht respektlosen Ton herausnahm. Meinem schwarzbärtigen Riesen konnte niemand so richtig böse sein.
„Jeder vernünftige Anführer hätte ein paar Reiter bereit gehalten“, sagte Attalos.
„Sie waren sich zu sicher. Wahrscheinlich glaubten sie, dass wir aufgeben würden“, mutmaßte ich.
„Die Welt ist voller Dummköpfe“, rief Phokis. „Gut für die, die ein bisschen Grips im Kopf haben.“
Mein Molosser konnte manchmal ein richtiger Philosoph sein.
Am Nachmittag des nächsten Tages erreichen wir Parmenions Lager in der Nähe von Ephesos. Das Lager war sorgfältig befestigt. Parmenion war ein guter Feldherr, was er bereits vielfach unter Philipp bewiesen hatte. Er war ein Stratege, der nur ungern ein Risiko einging und immer versuchte, seine Verluste in Grenzen zu halten. Die Männer liebten ihn dafür. Er was das Idol der Philippischen.
Man ließ uns auch gleich vor und ich marschierte mit Attalos in sein Zelt. Parmenion stand mit einigen Offizieren um einen Tisch und sie hatten jede Menge Papyrusrollen vor sich liegen, die merkwürdige Zeichnungen enthielten. Attalos klärte mich später auf, dass sie die Küste von Ionien zeigten. Auch mein Vater war unter den Offizieren. Seine Miene wechselte von Erstaunen zu Fassungslosigkeit. Natürlich erkannte er an der Scheibe mit dem Gorgonenhaupt auf meinem Lederpanzer, dass ich zu Alexanders engster Gefolgschaft gehörte und damit einen Rang hatte, der seinen übertraf und dies nur, weil ich einmal im Wald zur rechten Zeit zur rechten Stelle gewesen war. Das eine Auge, das er noch hatte, erzählte genug davon, was er mir am liebsten antun würde. Mein Herz schlug bis zum Hals. Ich hoffte, dass mein Gesicht dies nicht zeigte.
„Eine Botschaft von unserem König Alexander!“ sagte ich und übergab Parmenion die Rolle, und er brach das Siegel und rollte den Papyros auf und las und nickte.
„Er kommt also.“
„Es ist soweit!“ bestätigte Attalos.
„Schwierigkeiten gehabt?“ fragte Parmenion und wies auf Attalos’ verbundenen Arm. Der General sah meinem Vater sehr ähnlich. Er war groß, wesentlich größer als die meisten Makedonen, fast ein Riese, und hatte ein hageres längliches Gesicht mit einem kräftigen Gebiss. Sein Bart war an den Seiten weiß gefleckt.
„Wir haben sechs Mann verloren.“
„Euch wurde aufgelauert?“
„Ja. Man kannte unsere Route und die Wichtigkeit dieses Papyrus!“sagte ich und wies auf die Rolle in seiner Hand.
„Woher wussten die …?“
„Ja. Woher?“ fragte Attalos grimmig
„Verräter?“
„Sicher. Was sonst.“
„Es waren Griechen, die uns überfielen. Söldner im persischen Dienst. Aber jemand muss ihnen verraten haben, dass der Papyrus den Tag der Überfahrt nach Asien enthält. In der Heeresversammlung nannte Alexander den Tag nicht. Deswegen war dieser Papyrus wichtig für die Perser“, klärte ich Parmenion auf.
„Dich kenne ich noch nicht.“
Mein Vater beugte sich zu Parmenion und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
„Ach so. Das also ist der Bärentöter!“ sagte er und musterte mich interessiert.
„Du bist schnell aufgestiegen, Leonnatos“, sagte er mit einem Lächeln und deutete auf die Plakette auf meiner Brust. Er musterte mich ausgiebig und sein Blick ging hinunter zu meinem Fuß.
„Dem König macht das nichts aus!“ sagte ich feindselig.
„Ja? Auch Philipp war nicht gut zu Fuß!“ stimmte Parmenion zu. „Wenn er noch leben würde, wäre mir vor dem Feldzug nicht bange.“ Er seufzte.
Ich fand die Bemerkung sehr unpassend. Sie sagte nichts anderes, als dass Philipp der bessere König war.
„Alexander wird bald hier sein“, sagte Attalos eisig.
„Ja. Alexander!“ sagte Parmenion dumpf und las noch einmal den Papyrus und rollte ihn zusammen.
„Ihr könnt morgen zu ihm zurück reiten. Ihr werdet ihm die Nachricht überbringen, wo wir uns mit ihm vereinigen. Ich gebe euch ein paar von meinen besten Reitern mit. Kommt heute Abend zu mir zum Nachtmahl. Anthes, du kümmerst dich derweil, dass dein Sohn und seine Männer eine entsprechende Unterkunft bekommen und sich ausruhen können. Du wirst mit Leonnatos sicher auch genug zu erzählen haben.“
Er lächelte und nickte meinem Vater zu und der presste die Lippen zusammen und winkte mit dem Kopf und wir folgten ihm aus dem Zelt. Als er draußen Phokis sah, wurde sein Gesicht noch finsterer. Große Lust mich mit ihm zu unterhalten hatte ich genau so wenig wie er. Ich merkte, dass sich auch Attalos ungemütlich fühlte.
Vater führte uns zu einem Zelt, in dem einige Liegen standen. Er brüllte nach einem Aornos und dieser kam sofort angewieselt. Er befahl dem Sklaven Wasser und etwas zu essen zu bringen.
„Ihr seid im Königspalast sicher besseres gewöhnt“, sagte er höhnisch. „Aber wir sind Soldaten. Mehr Komfort können wir euch nicht bieten. Wir sehen uns heute Abend beim Festmahl.“
Er nickte Attalos zu und ging hinaus.
„Ist der Einäugige wirklich dein Vater?“ fragte Attalos verblüfft.
„Ja. Daran kann ich leider nichts ändern.“
„Was ist zwischen euch?“
„Hass.“
„Zwischen Vater und Sohn?“
„Ja. Entweder bringt er mich um oder ich ihn.“
„Ich werde heute Nacht wach bleiben!“ warf Phokis ein.
„Ihr aus den Bergen seid Barbaren“, sagte Attalos kopfschüttelnd.
„Ja. Wir sind etwas ungeschliffen“, erwiderte ich und lachte verlegen.
„Barbaren seid ihr!“ wiederholte Attalos.
Dann kamen die Sklaven und lenkten uns von diesem Thema ab. Sie brachten Wannen mit dampfendem Wasser und wir konnten uns nach Tagen wieder einmal den Dreck abwaschen. Danach salbten uns die Sklaven und kneteten uns durch und schabten schließlich das Öl von der Haut. Nach einem kräftigenden tiefen Schlaf gingen wir gut ausgeruht zum Gastmahl des Parmenion. Die Sklaven hatten unsere Lederpanzer gewienert und uns neue Röcke bereit gelegt, so dass wir uns wie neugeboren fühlten. Phokis musste natürlich zurück bleiben. Was diesen aber nicht zu stören schien, da er sich zum Würfelspiel verabredet hatte.
In dem Zelt des Feldherrn war nun eine große Tafel aufgebaut. Ungefähr zwanzig Personen lagerten um den Tisch. Im Gegensatz zu der Umgebung des Königs waren es meist gestandene Männer, Veteranen des Königs Philipp. Sie hatten verwitterte harte Gesichter und ihre Bärte waren grau. Sie sahen uns entweder gleichgültig oder geringschätzig an. Für sie waren wir Grünschnäbel.
Es wurde mächtig aufgetischt und es war ein makedonisches Mahl. Es gab viel Hammelfleisch und Bohnen und Hirse. Der Wein wurde unverdünnt getrunken, nachdem man zu Ehren des Dionysos Wein auf den Boden geschüttet hatte. Der General stellte uns als Gefährten des Königs vor und die Offiziere machten gelangweilte Gesichter. Es war offensichtlich, dass sie nicht viel von uns hielten. Wenn Parmenion gesagt hätte, dass wir die Schoßhunde des Königs seien, hätten sie wohl ähnlich desinteressiert reagiert. Mein Vater, als Parmenions Adjutant, stand wie ein Schatten hinter ihm. Es musste ihn hart ankommen, dass sein Sohn gleichberechtigt an Parmenions Tafel lag, während er stehen und beim Essen zusehen musste. Es geschah ihm ganz recht. Wie oft hatte er mich beschimpft und von seiner Tafel gewiesen.
„Alexander wird bald zu uns stoßen!“ weihte Parmenion die Runde ein.
„Dann geht es also los“, sagte ein finster dreinblickender Schlagetot. Kurze Stirn, stechende Augen, zerschlagene Nase und ein wollüstiger Mund, in dem einige Zähne fehlten. Nicht gerade ein seltener Typus in jedem Soldatenhaufen.
„Ich rechne in Kürze damit, Myros“, gab Parmenion zu und biss herzhaft in eine Keule.
„Es wird nicht einfach werden. Memnon ist ein fähiger Feldherr und er hat nicht nur genug griechische Söldner, sondern jetzt auch noch baktrische Reiter bekommen.“
„Eine Schande, dass wir auf Griechen treffen!“ stieß Attalos hervor.
Die Offiziere sahen ihn an, als hätte er stinkende Luft abgelassen.
„Ihr müsst ihn verstehen“, entschuldigte uns Parmenion. „Die Gefährten des Königs sind zweimal von griechischen Söldnern überfallen worden.“
Sie gingen nicht darauf ein.
„Den Hundesöhnen wird es ergehen wie bei Chaironeia“, sagte Myros und wedelte verächtlich mit der Hand, als würde er etwas Lästiges wegscheuchen. „Aber was dann? Wenn wir Sardes, Ephesos und Milet geplündert haben, kehren wir dann um oder wie geht es weiter?“
„Keine Plünderungen. Wir werden den Städten Ioniens die Freiheit bringen“, sagte Parmenion dumpf. Es klang nicht sehr begeistert.
„Keine Plünderungen? Was ist denn dann der Sinn des Feldzuges?“ empörte sich Myros und die anderen Offiziere pflichteten ihm bei. Sie sahen wie Kinder aus, denen man ihr liebstes Spielzeug wegnehmen wollte.
„Rache für die Zerstörung der Akropolis in Athen. Rache für die Thermopylen, darum geht es. Rache für die verwüsteten Städte.“
„Was gehen uns die Griechen an? Und außerdem ist dies schon hundertfünfzig Jahre her.“
„Das musst du Alexander fragen“, erwiderte Parmenion. Es klang nicht wie eine Zurechtweisung.
„Na schön. Ich habe kapiert“, gab Myros zurück. „Mit dem Memnon werden wir fertig werden. Aber was machen wir, wenn der Großkönig mit hunderttausenden von Kriegern kommt?“
„Hast du Angst, Myros?“ fragte sein Nachbar, der auch nicht viel besser aussah und dem obendrein eine Narbe über das Gesicht lief. Alle gröhlten und Myros lief rot an.
„Rede nicht so! Jeder weiß, dass ich keine Furcht kenne. Ich will ja nur wissen, ziehen wir uns dann nach Makedonien zurück oder lassen wir uns hier in Ionien auf einen Kampf mit ihm ein?“
„So dumm werden wir doch nicht sein. Wir werden die Ionier ordentlich schröpfen und uns dann nach Makedonien zurückziehen. Nach den Erfahrungen der letzten fehlgeschlagenen Feldzüge in Griechenland wird Dareios keine große Lust haben uns zu folgen“, sagte Narbengesicht.
„So würde Philipp handeln“, stimmte Parmenion zu.
„Ja, das war ein König!“ rief Myros. „Auf unseren guten König Philipp“, setzte er hinzu und hielt seinen Becher Wein hoch und wir konnten uns dem Trinkspruch nicht verweigern und ließen also Philipp hochleben.
„Du meinst, Alexander wird sich nicht zurückziehen?“ fragte Myros, nachdem wir ordentlich aus den kübelartigen Herkulesbechern getrunken hatten. Die Altmakedonen verstanden zu saufen.
„Niemand weiß, was den König bewegt.“
„Außer Hephaistion“, rief Myros und alle schüttelten sich vor Lachen.
Es folgten einige Anzüglichkeiten, wer von den beiden bei der Liebe oben liegen würde und wer unten. Parmenion rief sie nicht zur Ordnung. Wir saßen mit roten Köpfen daneben und ich bemerkte, dass mich mein Vater hämisch beobachtete.
„Du bist sein wichtigster General. Irgendwann muss er dir doch sagen, was er vorhat“, fuhr Myros fort.
„Er wird es mir sagen, wenn er die Zeit für gekommen hält. Alexander ist nicht nur unser König, sondern der Hegemon Griechenlands. Er wurde dazu ernannt, um den Griechen in Asien Freiheit und Demokratie zurückzubringen und die Perser zu bestrafen. Er hat also vieles zu bedenken. Wenn er doch nur mehr auf die Gefährten Philipps hören würde. Sein Vater legte den Grundstein für unsere Stärke. Ihn sollte er sich zum Vorbild nehmen und nicht mythische Helden.“ Parmenions Gesicht war ganz ruhig, fast traurig.
„Dann trinken wir auf den Sohn Philipps“, rief Myros und schwenkte seinen Becher.
„Ich denke, er wurde von einer Schlange gezeugt in der Nacht, als der Tempel zu Ephesos abbrannte“, rief Narbengesicht dazwischen.
„Du bringst alles durcheinander. Als er geboren wurde, brannte der Tempel zu Ephesos“, wies ihn Myros zurecht.
„Ist doch egal“, erwiderte Narbengesicht. „Jedenfalls soll ein ägyptischer Gott in Gestalt einer Schlange in den Schoß der Olympias gekrochen sein. Dabei hat doch jeder von uns so eine Schlange.“ Narbengesicht sah anzüglich grinsend an sich herunter.
Dies waren noch die harmlosen Lästereien und als wären nun alle Dämme gebrochen, stellten sie Alexander als knabenliebendes Jüngelchen hin. Nein, so rüde sagten sie es nicht. Sie lobten seine Schönheit und stellten dagegen, was Philipp für ein Kerl und Weiberheld gewesen sei.
Attalos und ich sahen uns an, als wären wir unter die Räuber geraten. Die Umgebung des Königs gewohnt, kannten wir nur Verehrung für Alexander. Wir wussten, dass er etwas Besonderes war. Die Kerle hier hätten sich nur ins Bewusstsein rufen müssen, dass er bei Chaironeia ein erstes Meisterstück abgeliefert hatte. Auch wie er die Illyrer und Thebaner zur Räson gebracht hatte, ließ nicht darauf schließen, dass er ein verwöhnter Männerliebhaber war. Aber für diese alten Veteranen des Philipp schien dies alles nicht zu zählen. Sie waren Alexander gegenüber voller Vorurteile. Ptolemaios hatte mir von den Philippischen erzählt, und nun wusste ich, was dies bedeutete. Sie warteten nur darauf, dass Alexander Fehler machte.
„Alexander wird das tun, was ihm die Götter eingeben!“ schleuderte Attalos wütend und mit rotem Kopf in die Runde. „Und wir werden ihm gehorchen. Egal was er befiehlt.“
„Welcher Gott? Etwa Amun?“ fragte Myros feindselig zurück und wiegte sich provokativ in den Hüften. „Ich brauche keine fremden Götter, und ein König der Makedonen sollte uns ein Vorbild sein und zu unseren Göttern beten. Er ist makedonischer und nicht griechischer oder gar ägyptischer König.“
Alle stimmten ihm zu und Parmenion machte nun ein sorgenvolles Gesicht. Vielleicht weil er sich Gedanken machte, wie dieses Gerede bei uns ankam und was daraus entstehen konnte, wenn wir Alexander davon berichteten.
„Hört auf“, wies er seine Leute endlich zurecht. „Was der König tut, ist recht getan. Wir sind Makedonen und gehorchen. Lykestes rief im Kronrat ‚Hoch lebe Alexander, Sohn des Philipp’ und daran haben wir uns zu halten.“
„Aber was ist nun? Was passiert nach der großen Schlacht gegen Dareios?“ fragte Myros hartnäckig. Er sah dabei Attalos und mich herausfordernd an.
„Was auch passiert, was Alexander auch verlangt, ich jedenfalls werde ihm folgen“, sagte Attalos mit leuchtenden Augen. Ich beeilte mich hinzuzufügen, dass ich genau so dachte.
Es dauerte einen Moment, ehe sie sich davon erholten. Denn unsere Antworten waren echt makedonische Art und eigentlich hätten sie uns jetzt beipflichten müssen. Aber sie lächelten sich nur höhnisch zu. Parmenion erkannte die Gefahr und mischte sich wieder ein.
„Attalos ist ein treuer Gefolgsmann des Königs wie wir auch.“
Um die Diskussion abzuschließen, wandte er sich an seinen Nachbarn und fragte ihn, wie viel Reiter Spithdridates, der Hauptstatthalter von Lydien und Ionien, wohl aufbringen könne. Denn dieser und Arsites, der Vizekönig von Nordphrygien, waren die Oberbefehlshaber des persischen Heeres und nicht Memnon. Dass dies nur gut für uns war, erfuhren wir erst später. Er lenkte also gehörig ab und wir saßen wie Fremde unter Makedonen. Wir, die Gefährten Alexanders, waren anders als sie. Die Makedonen hier im Zelt waren alle vom gleichen Schlag wie mein Vater. Sicher kannten sie keinen einzigen Vers der Ilias. Sie tranken für meinen Geschmack auch zu viel und prahlten wie bockbeinige Satyrn.
Attalos und ich waren froh, als uns Parmenion ins angrenzende Zelt winkte. Er übergab mir eine Papyrusrolle.
„Auch für diesen Brief gilt, dass er auf keinen Fall den Persern in die Hände fallen darf. Solltest du in Gefahr geraten, vernichte ihn. Solltest du durchkommen, so berichte Alexander, dass ich ihm entgegen ziehe und an dem vorgeschlagenen Ort zur Stelle sein werde. Und sage ihm, dass sich westlich von Ephesos etwas zusammenbraut. Diesmal wird es kein kleines Scharmützel sein. Und damit über das Gerede vorhin kein Missverständnis aufkommt, wir alle sind dem König treu ergeben. Meine Leute sind etwas ungeschliffen und wenig höfisch, aber sie sind reines Gold.“
Katzengold, dachte ich bei mir. Aber ich hatte nicht vor die Männer zu verpetzen, getreu dem Sprichwort, dass man den Verrat liebt, aber nie den Verräter. Und außerdem, nach dem Gesicht meines Vaters zu urteilen, hatte ich genug Ärger am Hals. Attalos schien dasselbe zu denken und verbeugte sich mit einem zustimmenden Lächeln.
„Alle Makedonen sind dem König treu ergeben.“
„So ist es“, sagte Parmenion erleichtert. „So ist es wirklich.“
Ein bisschen viel Bestätigung, dachte ich.
Als wir zu unserem Zelt gingen, fragte Attalos. „Was hältst du davon?“
„Wir können nur hoffen, dass Alexander weiter siegt, so wie bei Chaironeia oder bei den Bergvölkern. Wenn es bei unseren Leuten schon Widerstand gibt, so geh mal davon aus, dass dieser bei den Griechen, vor allem bei den Athenern, noch wesentlich größer sein wird.“
„Es hängt also alles davon ab, dass er siegt.“
„Er muss der sein, der er zu sein glaubt.“
„Was meinst du?“
„Er muss das sein, was Olympias ihm andichtete… der Sohn eines Gottes. Er hat eine Menge Arbeit vor sich.“
In dieser Nacht lag das Schwert griffbereit neben meinem Lager. Aber es geschah nichts.
Wunschgemäß weckte man uns früh. Das Frühstück fiel etwas bescheiden aus, aber ein Feinschmecker war ich nie. Die Pferde, die uns Parmenion zur Verfügung stellte, erfreuten dagegen mein Reiterherz. Es waren baktrische Pferde. Klein, zottelig, schnell und ausdauernd. Keine Schönheiten, aber sehr zuverlässig. Als das Begleitkommando kam, verflog meine gute Laune Es war deren Kommandeur, der in mir die Wut hochsteigen ließ. Er schien auch nicht besonders erfreut zu sein, mir Begleitschutz geben zu müssen.
„Na, Kröterich, wie man hört, hast du dich mächtig hochgeschleimt“, sagte Antiochios mit schiefem Lächeln.
„Mach so weiter und ich melde deinem Hauptmann, dass du dich gegenüber einem Gefährten des Königs ungebührlich benommen hast!“
Seine Miene glich daraufhin einer beleidigten Klapperschlange.
Wir ritten also in Richtung Troja zurück und ich achtete darauf, dass mein Bruder nicht hinter mir ritt. Phokis blieb an seiner Seite und Antiochios wusste warum. Wir gaben ihm keine Möglichkeit, auf dumme Gedanken zu kommen. Ich tat so als wäre er Luft und unterhielt mich nur mit Attalos. Auch dieser gab sich keine Mühe Antiochios gegenüber freundlich zu sein und behandelte ihn sehr von oben herab. Es war kein angenehmer Ritt für meinen Bruder.
Als wir durch den Ort kamen, in dem wir überfallen worden waren, war von dem Vorfall nichts mehr zu sehen. Diesmal war die Stadt voller Menschen. Es war ein Markttag. Wir fragten einen alten Mann hinter einem Obststand, was aus den Söldnern geworden war, aber dieser tat so, als würde er uns nicht verstehen. Mit anderen Dorfbewohnern hatten wir auch nicht mehr Glück. Sie taten alle so, als wüssten sie nicht was wir meinten.
„Sie haben Angst“, sagte Attalos. „Vielleicht befürchten sie, dass die Söldner zurückkommen.“
„Wir brennen das Nest ab und nehmen uns einige dieser Dreckskerle vor“, schlug Antiochios vor. Was Vernünftiges war von ihm auch nicht zu erwarten gewesen.
„Nein. Wir sind keine Mordbrenner“, widersprach ich. „Der König will die Menschen in Ionien für sich gewinnen.“
„Das hier sind doch nicht einmal Griechen“, maulte mein Bruder.
Ich gab ihm keine Antwort.
Wir ritten weiter und niemand behelligte uns. Noch vor Troja kamen uns Reiter entgegen. Wir waren ein wenig besorgt und überprüften unsere Waffen. Aber dies erwies sich als unnötig. An der Spitze der Reiter lachte mir Ptolemaios entgegen.
„Was machst du hier?“ fragte ich erstaunt.
Er schmunzelte. „Wir gehören zur Vorhut. Hast du Parmenion informiert?“
„Ja. Er wird zur Stelle sein.“
„Und was sind das hier für Kerle?“ fragte er und musterte misstrauisch meinen Bruder. Er traute niemandem, der nicht zu den Gefährten gehörte. Dies wird verständlich, wenn man weiß, dass er, als Alexander bei Philipp in Ungnade war, mit diesem in die Verbannung gehen musste. Keiner der Altmakedonen um Philipp war für sie eingetreten, und sie hatten in der Fremde eine harte Zeit, denn in welchem Land liebt man schon Flüchtlinge? Ich klärte ihn über Parmenions Begleitschutz auf und Ptolemaios sagte Antiochios, dass er zurück reiten könne.
„Bis Troja ist alles Land in unserer Hand.“
„Wir haben Befehl, meinen Bruder bis zum König zu begleiten und daran halten wir uns!“ widersprach Antiochios. Auf einmal gestand er, dass der Kröterich sein Bruder war.
„Dein Bruder?“ staunte Ptolemaios und sah mich fragend an und ich zuckte mit den Achseln und unterstrich so, dass ich von dieser Verwandtschaft nicht viel hielt. Ptolemaios grinste.
„Man kann nichts für seine Verwandtschaft, eh?“
Antiochios’ Hand fuhr zum Schwert, aber er besann sich und warf Ptolemaios einen hasserfüllten Blick zu. Jeder Makedone wusste, dass Ptolemaios Alexanders besondere Wertschätzung genoss, fast so sehr wie Hephaistion. Es wäre unklug gewesen, sich mit ihm anzulegen.
„Du reitest zurück!“ wiederholte Ptolemaios bestimmt.
„Er kann ja die Gegend absuchen, wo wir überfallen wurden. Vielleicht treiben sich dort noch einige Söldner herum,“ schlug ich vor.
„Ihr seid überfallen worden?“
Ich erzählte ihm was geschehen war und wie viele von den Agrianen den Tod gefunden hatten und er machte ein entgeistertes Gesicht.
„Du glaubst an einen Maulwurf in der Umgebung des Königs?“
„Anders ist es nicht möglich, dass sie so genau Bescheid wussten“, unterstützte mich Attalos.
„Beim Zeus, das muss Alexander wissen. Los, reiten wir! Die Vorhut hinter mir kommt auch ohne mich zurecht. Seleukos ist ihr Befehlshaber. Und du, Antiochios, machst, was dein Bruder vorgeschlagen hat. Sieh zu, dass du ein paar von den Mordgesellen fängst. Sollte dies der Fall sein, kommst du mit ihnen nach Troja, andernfalls kannst du dich zu Parmenion scheren.“
Antiochios krümmte sich wie ein geprügelter Hund. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als Ptolemaios’ Befehl Folge zu leisten und ritt mit seinen Männern davon.
„Er ist verprügelt worden wie noch nie in seinem Leben“, flüsterte Phokis hinter mir. „Auch das wird er dir nie vergessen.“
Es gab viel, was mein Bruder und ich nicht vergessen konnten.
Wir ritten nach Troja und kamen gerade rechtzeitig, um Alexander am Altar des Priamos opfern zu sehen. Nun darf man sich Troja nicht so vorstellen, wie es uns Homer in die Köpfe gepflanzt hat, als stolze Festung mit uneinnehmbaren Mauern, die die Griechen nur durch die List des Odysseus bezwangen. Es gab weder hohe weiße Mauern noch Paläste, sondern nur ein paar armselige Häuser um einen Hügel, auf dem ein halbverfallener Tempel stand, in dem ein paar rostige Waffen gezeigt wurden, die angeblich dem Achilleus gehörten. Den Schild lieh sich Alexander aus und ließ dafür seinen Schild zurück. Der Schild des Achilleus begleitete ihn in allen Schlachten. Ich habe ihn auch einmal tragen dürfen. Er war nichts Besonderes und sein Wert erklärt sich nur durch die Träume, die Alexander mit ihm verband. Es lag bestimmt nicht an der schartigen Bronze, dass unser König aus allen Schlachten siegreich hervorging.
Der Strand von Troja war nicht schön, sondern mit elendem Strauchwerk bewachsen. Aber Alexander glühte wie ein Verliebter und abends deklamierte er Verse aus der Ilias und wir mussten uns anhören, wie Achilleus’ Schild gemacht wurde:
Erst nur formt der Meister den Schild, den großen
und starken,
ganz ihn verzieren und legte darum einen schimmernden
Reifen,
dreifach und blank verbunden mit silbernem Tragegehänge..
Von all dem sahen wir nur eine Ahnung, aber wir taten so, als würden wir genauso empfinden wie unser König. Danach mussten wir uns anhören, wie Achilleus den Hektor um Troja schleifte und Priamos um seinen Leichnam bettelte. Ich fand Hektor von all den göttlichen Figuren, die Homer uns schenkte, immer am sympathischsten. Aber Alexander war in Achilleus verliebt und hielt sich für seine Wiedergeburt und für noch etwas mehr, wovon noch zu erzählen sein wird. Aber das mit dem Achilleus nahm er sehr ernst. Sein ganzes Leben war wie eine Dichtung von Homer und er glaubte Achilleus zu sein und war doch eher Odysseus. Aber das ging ihm lange Zeit nicht auf.
Nachdem wir genug Verse gehört hatten, machte ihn Hephaistion auf mich aufmerksam und Alexander winkte mich zu sich und ich übergab ihm den Brief des Parmenion. Während er las, erzählte ich ihm, was wir erlebt hatten. Er runzelte die Stirn und schlug sich empört auf die Knie.
„Mit ihrem Gold können sie sich alles erlauben! Ihr Gold hat den Pausanias zum Mord getrieben, ihr Gold macht meine Verbündeten unsicher und ihr Gold ….“
„Wir sind verraten worden.“
„Ja. Mit ihrem Gold haben sie sich einen Maulwurf gekauft.“
Er sah streng um sich und die Flötenspieler hörten auf unsere Ohren zu quälen und Alexander sagte:
„Einer unter uns hat mich verraten. Eines Tages wird herauskommen, wer es war und meine Strafe wird fürchterlich sein!“
Es war so still, dass man den Flügelschlag eines Vogels hätte hören können. Alexander nickte noch einmal drohend und las weiter.
„Weißt du, was mir Parmenion rät?“
„Nein. Er sagte mir nur, dass er dich erwartet.“
„Ich soll noch einmal einen Parlamentär zu den Persern schicken und Mysien, Lykien und Karien fordern und mich damit zufrieden geben. Es hat noch nicht einmal angefangen und da soll ich schon aufhören? Was denkt er sich eigentlich? Hält er mich für …. Parmenion?“
Alles lachte befreit. Alexander umfasste meine Schulter und zog mich freundschaftlich auf das Lager neben sich. Ich mag es eigentlich nicht, wenn mich Männer anfassen, aber bei ihm wurde mir warm ums Herz. Der König gab mir das Gefühl, dass ich sein besonderer Vertrauter war. Später ging mir auf, dass jeder von uns so dachte und bald sollte das Heer, das die Schöpfung seines Vaters war, genau so denken. Es gelang ihm, die einfachen Soldaten, die sonst immer auf ‚die da oben’ schimpften, so für sich einzunehmen, dass sie sich allein ihm verpflichtet fühlten und nicht ihren Vorgesetzten. Bei keinem anderen Feldherrn habe ich derartiges erlebt.
„Was meinst du, Sohn des Hephaistos, was raten mir die Götter?“
Ständig musste er sich vergewissern, dass er sich mit den Göttern im Einklang befand, sozusagen auf Du und Du. Mit Hephaistos war nicht Hephaistion gemeint, sein liebster Freund, sondern der Gott der Schmiede, der dem Achilleus die Waffen gab, jedenfalls erzählt uns das Homer.
Ich hatte mit ihm nur gemeinsam, dass er auch hinkte. Aber er musste mich zu einem Abkömmling eines Gottes machen. Natürlich war dies nur ein Scherz von ihm.
„Am besten hörst du auf die Ratschläge deines Vaters, heißt er nun Philipp oder Amun.“
Es war wohl keine so gute Antwort, denn es wurde wieder mucksmäuschenstill im Zelt und Attalos hielt sich den Kopf und Ptolemaios machte ein Gesicht, als habe er Zahnschmerzen. Aber Alexander nahm es nicht schlecht auf, sondern nickte ernst.
„Amun wird mich das Rechte tun lassen!“ sagte er bedächtig. „Doch ich will deine Meinung hören.“
Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Warum wollte er gerade von mir hören, was ich dachte? Ich war ja nun gerade erst zu den Gefährten gestoßen. Er sollte lieber Perdikkas oder noch besser Hephaistion fragen. Auch Seleukos und Peukestas mit ihrer Erfahrung wären ihm bessere Ratgeber.
„Lass Alexander tun, was in Alexander ist“, stammelte ich.
Die einfachste und dümmste Antwort ist manchmal die beste.
Alexander schlug sich auf den Schenkel. „Das ist eine gute Antwort. Habt ihr gehört? Ich soll tun, was in mir ist. Wahrhaft, das werde ich! Morgen werden wir noch Spiele zu Achilleus’ Ehren veranstalten und dann ziehen wir in den Krieg und werden Memnon hinwegfegen. Perdikkas und Peukestas, ihr sorgt dafür, dass der Tross nachkommt und der Nachschub nicht abreißt. Geht davon aus, dass wir uns nicht mit diesem schmalen Streifen Asiens begnügen werden. Die anderen melden sich zu den Wettkämpfen. Wofür wirst du dich melden, Sohn des Hephaistos?“ fragte er und schüttelte meine Schulter.
„Meine Fähigkeiten sind leider begrenzt.“
„Er ist mutig wie Hektor!“ widersprach Hephaistion.
„Er kann reiten wie ein Zentaur!“ setzte Attalos hinzu.
„Na also, dann wirst du bei dem Wettrennen um das Grab des Achilleus mitmachen. Du bekommst von meinen Pferden ein gutes Tier. Peukestas, du sorgst dafür, dass er die Eos bekommt. Mit ihr müsste er eigentlich unter die ersten fünf kommen.“
„Eos ist etwas ungebärdig!“ warnte Hephaistion. „Die Stute ist eine Schwester des Bukephalos. Nur unter deinen Schenkeln lässt sie sich reiten.“
„Er reitet wirklich wie ein Zentaur“, nahm Attalos noch einmal für mich Partei. „Er wird auch Eos ins Ziel führen.“
„Na also. Er reitet Eos!“ schloss Alexander die Diskussion ab und schüttelte zufrieden meine Schulter, als habe er die ganze Zeit nichts anderes vorgehabt, als dafür zu sorgen, dass ich mich auf eines seiner Pferde schwinge.
Die nächsten Tage waren angefüllt mit Wettkämpfen. Das Heer hatte sich in Kreisen um die Wettkampfstätte versammelt, und es wurde gerungen, geboxt und es fehlten nicht Diskuswurf, Wettlauf und Weitsprung. Jede Phalanx schickte ihre besten Männer. Ich hätte gern beim Ringen mitgemacht, denn bei diesem Wettstreit traute ich mir einiges zu. Als ich sah, welche Muskelpakete antraten, war ich doch froh, dass die Gefährten Lysimachos für den Ringkampf bestimmten. Vor den Wettkämpfen wurden Zeus und Achilleus geopfert. Die Priester begutachteten die Innereien der Opfertiere und sagten natürlich voraus, dass wir gegen die Perser siegen würden. Am Nachmittag des zweiten Tages wurde das Pferderennen gestartet. Mir wurde die Ehre zuteil die Leibgardisten zu vertreten. Es war eine Auszeichung. Hephaistion winkte mir zu, was soviel hieß, dass ich ihm keine Schande machen solle. Von der Entourage um Alexander war noch Philotas dabei, der aber als Anführer der Reiterschwadronen deren Farben vertrat. Man hatte mir die Stute leider erst spät gebracht, so dass ich sie vor dem Wettkampf nicht einreiten konnte. Aber ich verliebte mich sofort in sie. Es war eine braune langbeinige Stute mit schönen nervösen Augen. Aber ich kam mit ihr gleich zurecht, ließ sie unter meinen Achseln schnuppern und fütterte sie mit Nüssen. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich mochte.
Als Ptolemaios den Start freigab, hielt ich mit anfangs erst einmal zurück und ritt am Ende des Mittelfeldes. Die Rennstrecke führte von Troja den Abhang hinab bis zum Grab des Achilleus und weiter bis an Meer und von dort zurück zum Ausgangspunkt vor der Stadt. Als wir am Meer ankamen, hatte ich zur Führungsgruppe aufgeschlossen. Ich machte mich leicht und lag fast über dem Kopf des Tieres und flüsterte Eos Zärtlichkeiten ins Ohr; wie schön sie sei und wie sehr ich sie liebe. Bei den Göttern, Eos verstand mich. Sie lief wunderbar leicht und als wir das Grab des Achilleus wieder erreichten, war nur noch ein Reiter vor mir. Philotas. Als Anführer der Reiterschwadronen war er natürlich einer der besten. Aber er war älter als ich und schwerer und Eos war ein Pferd, wie es nur Könige haben und ich versprach der Stute alle Herrlichkeit auf Erden und klopfte immer wieder ihren Hals, und wir schoben uns langsam an Philotas heran. Nun gab ich Eos die Zügel frei und schrie und feuerte sie an und schon waren wir im Ziel. Alle jubelten und umringten uns, und die Leibgardisten riefen mich als Sieger aus und die Reiterschwadronen Philotas. Alexander und Hephaistion kamen mit Lorbeerkränzen und Alexander drückte einen Philotas aufs Haupt und Hephaistion tat das gleiche bei mir.
„Keiner kann sagen, wer gesiegt hat. Ihr wart einander ebenbürtig. Ihr seid beide geritten, als würden die Götter hinter euch sitzen“, lobte Alexander.
„Nie habe ich deinen Eos so rennen sehen!“ setzte Hephaistion hinzu und Alexander nickte.
„Das Pferd gehört dir, Leonnatos. Die Eos scheint dich zu lieben. Behandle sie gut und denke daran, dass es eine Schwester meines Bukephalos ist.“
Das war typisch Alexander. Wenn er den Menschen eine Freude machen konnte, dann versäumte er keine Gelegenheit, um dies zu tun. Ich habe keinen freigiebigeren Menschen kennen gelernt als unseren König. Es machte sich nicht viel aus irdischem Besitz, wobei die Pferde sogar eine Sonderrolle spielten. Aus Pferden und Hunden machte er sich etwas, schließlich weiß heute die ganze Welt, wie sehr er seinen Bukephalos liebte. Er belohnte mich, wie nur Alexander belohnen konnte, dabei hatte ich nichts anderes getan, als sein Pferd zu reiten. Philotas zog bei dieser Ehrung ein schiefes Gesicht. Unsere Abneigung war durch den Ritt nicht kleiner geworden. Ich war überzeugt, dass ich ihn besiegt hätte, wenn ich die Eos hätte einreiten können oder wenn die Rennbahn nur ein wenig länger gewesen wäre.
Am Ende der Wettkämpfe rannten Alexander und Hephaistion nackt um das Grab es Achilleus, wenn es denn dessen Grab war. Mit Fackeln in der Hand liefen sie bei einbrechender Dunkelheit singend um den Hügel und das Heer stimmte den altmakedonischen Schlachtruf an. „Allallalei“ erscholl es aus tausenden von Kehlen. Die Gefährten schlossen sich dem Lauf an. Ich ritt mit Eos zu der Stadt hoch, die einst Homers Troja gewesen war. Bei dem Lauf um das Grab hätte sich ein Hinkender sicher nicht gut ausgemacht. Ich stieg vom Pferd und setzte mich auf die Stufen des kleinen halbverfallenen Tempels und sah hinunter auf die skamandischen Felder. Von hier oben waren nur die vielen Fackeln zu sehen, die wie ein Schwarm Glühwürmchen aussahen und ich hatte das Gefühl, dass noch ein anderer bei mir war.
„Nun beginnt es also!“ sagte ich zu dem Gott.
„Ja. Es beginnt etwas, was es noch nie gegeben hat und worüber man noch in tausenden von Jahren sprechen wid.“
„Und was mache ich dabei?“
„Du wirst auf ihn aufpassen!“ sagte der Gott.
„Ich? Er hat doch Hephaistion, Perdikkas, Ptolemaios und die anderen.“
„Es sind alles Krieger.“
„Bin ich kein Krieger? So schlecht habe ich mich gegen die Griechen nicht geschlagen.“
„Das ist nicht das Wichtige an dir.“
„Und was ist wichtig an mir?“
„Du bist ein guter Beobachter.“
„Und wozu soll das gut sein?“
„Kallisthenes wird Alexanders Ruhm besingen. Eumenes wird sorgfältig jedes Scharmützel festhalten. Was Alexander aber wirklich alle Grenzen überwinden lässt, werden sie nicht erfassen.“
„Schön. Und was tue ich dabei?“
„Du wirst ihm helfen, dass sich seine Sehnsucht erfüllt.“
„Ich? Ein Hinkefuß soll meinem König helfen? Ich bin nichts Besonderes.“
„Du bist die andere Seite Alexanders. Er wird dich brauchen, wenn er entdeckt, was seine Bestimmung ist.“
„Ich glaube, du willst mir ein schlechtes Geschäft zuschieben.“
„Das kannst du erst am Ende beurteilen!“ sagte der Gott schroff.
Das war mein Gespräch mit dem, der noch da war. War es Apollon? Vielleicht. Oder war es nur ich selbst? Aber immerhin ist es vor Troja passiert und dort haben sich, wenn man Homer glaubt, immer gern die Götter eingefunden. Unter mir leuchteten die Fackeln wie Glühwürmchen.