Читать книгу Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon - Страница 14

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8.

Die Schwierigkeiten, die wir nun bekamen, haben alle Chronisten heruntergespielt. Sowohl Kallisthenes als auch Eumenes und selbst Ptolemaios. Aristobulos macht darin auch keine Ausnahme, obwohl er doch vor Halikarnassos für seine Tapferkeit gelobt wurde. Wahrscheinlich war es allen peinlich, dass Alexanders gefährlichster Gegner ein Grieche war und zudem edelmütig und fähig und Alexander ebenbürtig. Memnon war sein Hektor. Alexander brachte ihn nicht zur Strecke. Das erledigten für ihn die Götter. Er störte doch sehr bei den Plänen, die sie mit Alexander hatten.

Wir zogen nach Halikarnassos. Parmenion hatte den Memnon genug gelobt, so dass Alexander darauf brannte, sich mit ihm zu messen. Die Stadt war gut befestigt und lag von Bergen umringt auf einer Landzunge, die wie ein Dorn ins Meer ragte. Eine alte karische Festung überragte wie ein Adlerhorst selbst das berühmte und in aller Welt wegen seiner Pracht und Schönheit bekannte Grabmal des Mausolos.

Ich stand mit Alexander und den Gefährten der Stadt gegenüber auf einem Berg und wir sahen zu, wie unsere Truppen die Stadt umzingelten und Stellung bezogen. Es war eigentlich eine zu schöne Gegend, um hier Krieg zu führen. Hinter der Stadt mit seinem Hafen schimmerte das Meer, an den Ufern grün und in der Ferne in einem tiefen Blau. Zu beiden Seiten der Stadt sahen wir kleine Buchten mit einem weißen Strand, der gut einen Tummelplatz für die Götter hätte abgeben können.

„Es wird eine Weile dauern, bis wir den Adlerhorst ausgeräuchert haben!“ stellte Parmenion missmutig fest. Seit Alexander seinen Vorschlag, auf die Flotte zu setzen, abgelehnt hatte, war seine Laune ohnehin nicht die beste.

„Wir können ihn nicht einmal aushungern. Die Schiffe dort drüben werden ihn ständig mit dem notwendigsten versorgen“, stimmte Philotas zu.

Wir konnten sehr gut in den Hafen hineinsehen. Dort drängten sich hunderte von gewaltigen Trieren. Doch auch in der Ferne, außerhalb des Hafens, im offenen Meer, waren noch genug Punkte zu sehen, die den Ausgang einer Seeschlacht sehr ungewiss gemacht hätten. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn Memnon diese Flotte nach Athen schickte.

„In ein paar Tagen haben wir das Belagerungsgerät in Stellung gebracht und dann werden wir sehen, was die Mauern aushalten!“ brummte Perdikkas.

„Wir werden viel Geduld haben müssen“, sagte Permenion.

Dies hätte er besser nicht gesagt. Seine bedächtige Art, seine Vorsicht brachten Alexander noch jedes Mal in Rage.

„Wir greifen morgen an!“ sagte er entschlossen und Hephaistion nickte eifrig. Manchmal wünschte ich mir, er würde einen Einfluss mäßigender einsetzen. Aber er war immer nur das Echo, das Alexander in seiner Meinung bestätigte. Obwohl ich Hephaistion viel verdanke, begann meine Zuneigung zu ihm zu schwinden. Alexander hätte einen ehrlicheren und integeren Freund verdient gehabt.

Ich verzog mich an diesem Abend früh in mein Zelt und tafelte nicht mit Alexander und den Verwandten. Es hatte sich eingebürgert, da Alexander den Schlaf hasste, bis tief in die Nacht hinein zusammen zu sitzen und oft unmäßig zu trinken. Dabei ging man die Ereignisse des Tages durch und es wurde gelacht, geulkt und mancher Schabernack getrieben. Dagegen war nichts zu sagen. Aber es machte sich die barbarische Gewohnheit breit, den Wein unverdünnt zu trinken. Am nächsten Tag hatten alle einen schweren Kopf. Aber wir waren jung, und am Anfang des Kriegszuges machte uns die schwere Trinkerei noch nicht so viel aus.

Ich entschuldigte mich mit einem leichten Unwohlsein und unter dem gutmütigen Spott der Gefährten verzog ich mich beizeiten. Phokis lobte mich dafür.

„Alexander sollte froh darüber sein. Mir wäre es jedenfalls lieber, wenn ich morgen beim Kampf einen ausgeschlafenen Leibgardisten neben mir wüsste.“

„Du weißt, dass er sich um sein Leben nicht viel sorgt. Er vertraut auf die Götter. Dass ich heute Abend früher gegangen bin, hat er sicher bemerkt.“

Und so war es auch. Am nächsten Morgen, die Sterne waren noch am Himmel, sah er mich besorgt an, als er aus dem Zelt kam.

„Du bist krank, Leonnatos?“

„Nein, mein König.“

„Aber so hat man mir berichtet.“

„Ich habe nur nicht eine so stabile Gesundheit wie du. Ich wusste doch, dass es heute früh losgehen würde.“

„Ach, das war es!“ sagte Alexander und lächelte so warmherzig wie nur er es konnte. „Aber heute Abend bist du doch wieder dabei.“

„Ja. Wenn du nicht wieder einen Angriff im Morgengrauen befiehlst.“

Er lachte und schlug mir kurz auf die Schulter.

Die Generäle kamen und er gab ihnen die nötigen Anweisungen. Schon bald erhoben sich die Makedonen aus den Gräben um die Festung, und wir stürmten schweigend auf die Mauern zu. Die Hypaspisten hatten lange Bohlen und Leitern dabei, mit denen wir schnell den Festungsgraben und die Mauern überwinden konnten. Ehe die Soldaten in der Stadt den Schlaf abgeschüttelt hatten, waren wir bereits an den Mauern und legten die Leitern an und kletterten sie hoch. Ich war dicht hinter Alexander und hinter mir waren Peukestas und Ptolemaios. Alexander war einer der ersten auf den Mauern von Halikarnassos und wir dachten schon, dass die Stadt in unserer Hand ist. Aber das war sie noch lange nicht.

Die griechischen Söldner drangen von allen Seiten auf uns ein, und da wir ein kleines Häuflein waren und immer mehr Hopliten auf uns einschlugen, wurde es richtig ungemütlich. Mit meinem Hinkebein bin ich etwas unbeweglich und konnte den König nicht so gut schützen wie auf einem Pferderücken. Selbst Ptolemaios, Attalos und Hephaistion bekamen Schwierigkeiten. Ich rief Hephaistion zu, dass wir uns zurückziehen sollten und dieser nickte zustimmend. Alexander, obwohl er wie Ares, der Kriegsgott, unter den Verteidigern wütete, akzeptierte dies schließlich. Ich tastete mich auf dem Wehrgang, dabei fechtend, zu der Stelle zurück, wo ich die Leiter wusste. Aber ich kam ins Stolpern und verlor das Gleichgewicht und stürzte vom Wehrgang in die Stadt hinunter. Sofort war ich von einigen Söldnern umringt. Es war sinnlos weiterzukämpfen. Ich warf das Schwert weg.

Ich war Gefangener der Perser, obwohl ich erst einmal nur Griechen entdeckte. Sie stießen mich rüde in eine Straße hinein und stellten mir wiederholt ein Bein und schlugen mich. Sie brachten mich zur Zitadelle und übergaben mich einem Haufen Perser. Es waren große bärtige Männer mit kühnen, edlen Gesichtszügen. Sie behandelten mich besser als die Griechen. Nach einem Blick auf meine Armreifen und Ketten, die mich als Gefährten und Leibgardisten des Königs auswiesen, verbeugte sich einer ihrer Offiziere vor mir und sagte in bestem Griechisch:

„Bist du Leonnatos?“

„Ja. Ich bin Leonnatos.“

„Wir haben von dir gehört. Der hinkende Bote des Apollon“, sagte er ernst.

Er machte auf mich einen sehr sympathischen Eindruck. Er hatte schwarze Augen und einen ebenholzfarbenen Bart und trug das lange Gewand und den topfartigen Helm der Unsterblichen. In der Hand hielt er den Apfelspeer. Die goldenen Armspangen verrieten, dass ich einen wichtigen Mann vor mir hatte.

„Ja. Apollon ist mit mir“, bestätigte ich.

„Aber er hat nicht verhindert, dass wir dich gefangen genommen haben.“

„Es wird nichts Gutes daraus entstehen, wenn ihr mich tötet.“

„Wer spricht von Töten?“ erwiderte der Perser. „Du bist viel zu wertvoll, als dass wir dich umbringen.“

Aber so wertvoll war ich den Persern wohl doch nicht. Man warf mich in ein Verlies. Ein Ort, an dem man alle Hoffnung fahren lässt. Das Stroh war faulig und es stank bestialisch. Erfreulicherweise war ich in dieser Katakombe nicht allein. Noch zehn andere Gefangene waren in dem Verlies, überwiegend einfache Soldaten. Ich war als Leibgardist Alexanders der Ranghöchste.

Als sie die blauen Streifen an meinem Rock sahen, ließen sie ihrem Unmut freien Lauf und schimpften auf die Offiziere, die Alexander einen solchen verrückten Angriff nicht ausgeredet hatten. Nein, nicht auf Alexander schimpften sie, sondern auf seine Berater und Gefährten. So war es immer. Wenn etwas schief lief, dann war nicht er, sondern waren seine Generäle oder Gefährten daran schuld.

„Wenn er doch nur auf Parmenion hören würde!“ klagte ein bärtiger Veteran. Er hatte wohl nicht übel Lust mir das anzutun, was draußen schon die griechischen Söldner geübt hatten. Aber so weit ging er dann doch nicht. Schließlich waren wir alle Gefangene der Perser.

„Aber die jungen Spunde mit ihrem Achilleusfimmel verhindern dies“, fuhr er grimmig fort. „Bei Philipp hatten Alter und Erfahrung noch ihren Stellenwert. Aber Alexander hat nur Knaben um sich und so ist es kein Wunder, dass man angreift, ohne dass die Stadt sturmreif geschossen ist. Aufgrund welcher Leistungen gehörst du zu den Gefährten des Königs? Du, mit deinem verkrüppelten Bein. Was hast du Großes vollbracht, dass du die silbernen Spangen des Leibgardisten tragen darfst?“

Ich hätte einiges anführen können, aber ich wusste, dass es ihm nicht genügen würde und so hielt ich den Mund. Ich war anfangs fast froh, als die Perser erschienen. Ich wurde in eine Kammer geführt, die auch nicht besonders wohnlich aussah, und ein Hauptmann, ein griechischer Söldner mit einem brutalen Gesicht, begann mich mit einigen Kollegen zu verhören.

Ich sagte ihnen meinen Namen und meinen Rang, aber ich schwieg zu den Fragen hinsichtlich unserer Truppenstärke. Nun begannen mich die Griechen gehörig zu verprügeln. Ich musste eine Menge einstecken, und dass es Griechen waren, die mir das antaten, machte es auch nicht besser. Als ich zu mir kam, lag ich wieder in dem stinkenden Verlies. Sie hatten mich so lange geschlagen, bis ich das Bewusstsein verlor.

Am nächsten Tag wiederholten sie die Übung. Nun hatte auch der alte Veteran Mitleid mit mir und gab zu, dass ich mich für einen jungen Burschen ganz anständig halten würde. Selbst im Kerker der karischen Festung bekamen wir mit, dass die Belagerung an Heftigkeit zugenommen hatte. Die Belagerungsmaschinen waren angekommen. Die Mauern wurden durch ständige Einschläge erschüttert und dies machte uns Mut. Die Griechen hatten wohl die Hoffnung aufgegeben, aus mir noch etwas Brauchbares herausholen zu können und ließen mich in Ruhe. Meine Rippen konnten sich erholen und bald konnte ich wieder ohne Schmerzen atmen. Mein Gesicht sah jedoch immer noch verbeult aus. Ich hätte im Theater gut einen Satyr spielen können. Mit jedem Einschlag stieg unsere Hoffnung, aber es blieb die Angst, dass man uns umbringen würde, wenn der Fall der Stadt kurz bevorstand.

Als sie mich wieder holten, dachte ich natürlich, dass meine letzte Stunde geschlagen hatte. Ich schickte ein paar Stoßgebete zu Apollon und hoffte, dass er mich nicht im Stich ließ. Sie führten mich in einen Turm, in eine Halle mit schönen Rundfenstern, so dass ich sehen konnte, welchen Schaden unsere Belagerungsmaschinen bereits angerichtet hatten. Es schien für die Belagerten nicht gut zu stehen.

Ein hochgewachsener Mann betrat die Halle, vielleicht zehn Jahre älter als ich. Er hatte ein gut geschnittenes Gesicht und trug eine persische Rüstung. Seine Augen blickten freundlich und neugierig. Unter seinem Gefolge sah ich den Perser, der mich in Empfang genommen hatte. Auch er machte nicht den Eindruck, als wolle er mir gleich sein Schwert in den Leib stoßen. Der Grieche war Memnon, wie ich nun erfuhr.

„Wie ich hörte, haben wir einen Gefährten Alexanders gefangen genommen.“

„Ja. Ich bin Leonnatos, Leibgardist des Königs.“

„Steht es so schlecht um die Makedonen, dass ein Krüppel Leibgardist des Königs wird?“

„Er ist der, den man den Boten des Apollon nennt“, warf der Perser ein.

„Ach ja. Von dem habe ich gehört“, sagte Memnon und betrachtete mich wie ein seltenes Möbelstück.

„Steht es so schlecht um die Perser, dass sie sich an wehrlosen Gefangenen vergehen?“ frage ich trotzig.

Memnon runzelte die Brauen, und der Hauptmann, der mich verhört hatte und sich auch im Gefolge befand, machte ein wütendes Gesicht. Memnon drehte sich zu ihm um.

„Was habt ihr mit ihm gemacht? Er ist immerhin ein Verwandter des Königs.“

„Wir wollten etwas über die Truppenstärke herausbekommen. Als Gefährte Alexanders muss er wissen, wie stark die Makedonen sind“, stotterte der Hauptmann verlegen.

„Und?“

„Nein. Wir haben nichts aus ihm herausbekommen.“

„Sehr gut“, lobte mich Memnon. „Du bist kein Verräter. Hätte mich auch gewundert. Alexanders Gefährten nennt man nicht umsonst die Besten der Besten. Nein, wir Griechen wissen Anstand und Moral zu schätzen. Deswegen werde ich dich zu Alexander zurückschicken.“

Das war nun nicht gerade eine schlechte Nachricht. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies ganz uneigennützig geschah.

„Um was zu tun?“

Memnon lächelte anerkennend.

„Du wirst Alexander eine Botschaft überbringen: Der Großkönig wird ihm verzeihen, wenn er sich jetzt zurückzieht. Noch war diese kleine Schlacht am Garnikos nur eine …. Nichtigkeit, über die Dareios hinwegsehen will. Die Botschaft des Großkönigs an Alexander, den König der Makedonen, ist: Alexander, geh nach Makedonien zurück und ich werde dir dein Gewicht zehn Jahre lang in Gold aufwiegen. Solltest du auf deinem verhängnisvollen Weg weitergehen, dann werde ich dich in einen Käfig sperren und du wirst in einem Karren durch alle Länder meines Reiches geführt. Die Kinder werden dich anspeien und die Frauen werden dich mit faulem Obst bewerfen. Das wird dein Ende sein. So lautet die Botschaft des Großkönigs, des Herrn der Welt.“

Das klang bombastisch und ich wusste, dass es Alexander nur bestärken würde, seinen Krieg gegen das Perserreich fortzuführen.

„Du kennst Alexander nicht, Memnon.“

„Nein. Warum?“

„Alexander schüchtert man nicht ein!“

„Gibt es nichts, was Alexander zur Umkehr bewegen könnte?“ fragte er ratlos.

„Nein. Nichts. Denn mit einer Umkehr würde er vor den Göttern Schande auf sich laden. Alexander muss immer siegen.“

„Was ist das nur für ein seltsamer Mensch?“

„Er will alles übertreffen, was je getan wurde.“

„Das also brachte ihn vor Halikarnassos?“

„Ja. Einen Menschen wie ihn gab es noch nicht und deswegen ist die Annahme, dass er mehr als ein Mensch ist, nicht so verkehrt.“

„Wir haben es also mit einem Verrückten oder einem Gott zu tun“, sagte Memnon und sah hinaus auf Halikarnassos, auf die Stadt, die unter den Steinen der Katapulte langsam zusammensank.

„Was für ein Wahnwitz, mit so wenigen Soldaten gegen Dareios zu marschieren“, murmelte er kopfschüttelnd.

„Und doch belagert er dich und nicht du ihn.“

„Weiß er nicht, dass Dareios’ Truppen wie Sand an den Ufern des Meeres hat. Für ihn sind diese Scharmützel bisher nur unwichtige kleine Ärgernisse am Rande des Großreiches.“

„Alexander wird bald in das Herz des Großreiches marschieren!“

„Es gibt keinen wirklichen Grund für diesen Krieg. Dareios ist ein großmütiger König. Ganz Asien schnurrt wie eine Katze unter seiner Hand. Er ist ein Herrscher, wie wir ihn uns nur wünschen können.“

„Er hat Pech, dein Großkönig. Philipp wäre sicher auf seinen Vorschlag eingegangen. Vielleicht hätte er die Westküste Asiens als Pfand genommen. Aber Alexander wird weitermarschieren und seinem Stern folgen.“

„Und ihr folgt ihm bei diesem Wahnwitz?“

„Wir folgen ihm.“

„Wir werden sehen, ob das bis zum Ende so sein wird.“

Eine Bemerkung, deren Sinn mir erst später aufging.

„Also gut. Es ist der Wunsch des Großkönigs, dass seine Worte Alexander übermittelt werden und du, Bote des Apollon, wirst der Bote des Großkönigs sein. Übergib ihm diesen Papyrus.“

Obwohl ich im klar gemacht hatte, dass diese Botschaft nicht viel Erfolg haben würde, entließ er mich in die Freiheit. Man führte mich in ein Bad und massierte mich und versorgte meine Wunden und gab mir saubere Kleidung. Meinen Brustpanzer gab man mir auf Hochglanz poliert zurück. Ein Bote des Großkönigs, so dachten sie wohl, muss manierlich aussehen. In einer Gefechtspause ließ man mich an einem Seil von der Mauer herab und ich schwenkte ein paar grüne Zweige. Trotzdem flogen mir ein paar Pfeile entgegen, die mich nur knapp verfehlten. Als ich endlich unsere Reihen in den Belagerungsgräben erreicht hatte, schloss mit Ptolemaios in die Arme.

„Leonnatos, wir wähnten dich tot!“

„Viel hat nicht gefehlt.“

„Du siehst ganz schön verbeult aus.“

„Da hättest du mich vor ein paar Tagen sehen sollen.“

Alle Gefährten kamen nun zusammen und der Ruf, dass ich lebte, brachte die Belagerer in den Gräben zum Jubeln. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich mittlerweile so bekannt war.

„Erzähle!“ forderte mich Perdikkas auf. Die Gefährten begleiteten mich zum Zelt des Königs und ich umriss kurz, ohne die Botschaft zu verraten, wie ich in Gefangenschaft gekommen war und was man mit mir angestellt hatte. Als ich von den Verhören erzählte, schworen meine Gefährten Rache. Memnons Söldner würden keine Gnade zu erwarten haben.

Alexander sprang von seinem Stuhl auf, als ich sein Zelt betrat und zog mich an seine Brust und drückte mich.

„Leonnatos, mein Bote. Was für ein Wunder, dich lebend zu sehen. Den Göttern sei Dank.“

Er sah mich prüfend an. Meine blauen Flecken verrieten noch genug von den Bemühungen des griechischen Hauptmanns. „Sie haben dir übel mitgespielt.“

„Sie haben sich Mühe gegeben.“

Alexander nickte grimmig. „Erzähle! Der Reihe nach.“

Ich begann mit dem Moment, als ich mich auf dem Wehrgang zurückziehen wollte und endete mit der Botschaft des Dareios und übergab ihm den Papyrus. Während ich erzählte, was mir Memnon gesagt hatte, las Alexander die Drohungen und Versprechungen des Großkönigs. Diese schienen ihm nicht zu gefallen. Er zog ein Gesicht, als hätte er am Garnikos verloren.

„Eine Unverschämtheit! Er bietet mir ein Linsengericht an. Er will mich kaufen und, wenn ich dies ablehne, wie ein wildes Tier behandeln. Nein, mein Großkönig, du kennst Alexander nicht.“

„Das habe ich Memnon auch gesagt“, bestätigte ich.

Alexander lächelte. „Du kennst mich, nicht wahr, mein Hinkefuß?“

Er wanderte wie ein Löwe unruhig im Zelt hin und her.

„Was für ein Mensch ist dieser Memnon?“

„Er ist deiner würdig.“

„Ein Hektor?“

„Das würde ihm gerecht werden.“

„Nun, dann werden wir ihm morgen zeigen, was wir von dem Angebot seines Großkönigs halten. Zur Abwechslung werden wir mal auf der linken Seite der Stadt angreifen. Die Mauern sehen dort ziemlich ramponiert aus.“

„Als sie mich durch die Stadt führten, habe ich gesehen, dass sie dahinter bereits eine neue Mauer hochziehen.“

„Er gibt sich Mühe, der Memnon.“

„Ich sagte dir ja: Er ist deiner würdig.“

„Aber er ist nicht Alexander.“

„Das nicht.“

„Du hast ihm erzählt, wer Alexander ist.“

„Ich habe es ihm gesagt.“

„Und?“

Ich zuckte mit den Achseln. „Er will es nicht glauben.“

„Dann werden wir es ihm morgen noch einmal erzählen.“

„Das erwartet er.“

„Er erwartet es?“ fragte Alexander unzufrieden.

„Er ist Hektor“, erinnerte ich meinen König.

Alexander hatte jetzt genug von diesem Vergleich und winkte ab und bat zu Tisch.

Es gab rustikale Kost, Wildschweinbraten und Wildgänse. Nach meinem Aufenthalt im Verlies mundete es mir, als würde ich an der Tafel der Götter speisen. Als ich mein Zelt aufsuchte, war es bereits spät. Natürlich hatte Phokis bereits erfahren, dass ich am Leben war und pries ein um das andere Mal Apollon.

„Irgendwie konnte ich es nicht glauben, dass du tot bist!“ rief er mit Tränen in den Augen. „Mein Herz wollte es nicht wahr haben. Doch mein Verstand sagte anderes.“

Es wurde noch eine lange Nacht, denn ich musste das, was ich den Gefährten erzählt hatte, noch einmal erzählen.

Mit einem etwas schweren Kopf stellte ich mich am nächsten Morgen bei Alexander ein und er blinzelte mir verständnisvoll zu.

„Eigentlich hatte ich mit dir heute nicht gerechnet.“

„Ich bin doch dein Leibgardist.“

„Das bist du wirklich.“

Er schien sich zu freuen, dass ich ihm wieder den Rücken decken wollte.

Als der Morgenstern langsam zu verblassen begann, gab Alexander den Befehl zum Angriff. Pioniere stürzten zu den Gräben um die Stadt und schoben vorgefertigte Brücken gegen die Mauer. Wie ich es schon einmal erlebt hatte, legten wir wieder Leitern an und hasteten die Sprossen hoch. Diesmal klappte der Angriff besser als beim letzten Mal. Ich war mit Alexander wieder auf dem Wehrgang von Halikarnassos. Neben mir waren Attalos, Ptolemaios und Lysimachos. Ich merkte, dass sie den Auftrag hatten, auch mich aufzupassen. Wir hatten die Mauer wieder einmal überwunden, aber diesmal genug Männer in die Stadt gebracht. Nun mussten wir uns mit der zweiten Mauer auseinandersetzen und die bereitete uns doch einige Schwierigkeiten. Wie bei jeder Schlacht, insbesondere wenn sie in den Straßen einer Stadt abläuft, war es ein entsetzliches Durcheinander. Ich habe mir erst mit der Zeit die Ruhe und Umsicht aneignen können, die man in solchen Situationen braucht.

Wir droschen also auf unsere griechischen Brüder ein und kämpften uns an die zweite Mauer heran. Nun wurden durch die geöffneten Tore der ersten Mauer die Belagerungsmaschinen heran geschoben und diese fingen an, gegen die neue Mauer zu klopfen. Gegen Abend gelang es, auch diese zum Einsturz zu bringen. Wir stürmten in die Stadt.

Plötzlich umringten uns persische Elitesoldaten, die uns ordentlich zusetzten. Unter ihnen sah ich den Offizier, der mich anständig behandelt hatte. Als auch er mich erkannte, lachte er mir zu. Es fing an zu regnen und der Boden unter uns wurde glatt. Wie in der Ilias standen sich auf einmal Achilleus und Hektor gegenüber. Mein König stürzte sich mit einem Aresruf auf Memnon und dieser wich zurück. Alexander kam ins Straucheln und rutschte aus und stürzte auf die Erde. Das Schwer entfiel ihm. Ptolemaios und Lysimachos waren zu weit entfernt, um ihm zu Hilfe eilen zu können. Ich hatte gerade genug damit zu tun, mir meinen persischen Freund vom Leibe zu halten. Memnon holte aus und nun hätte dies Alexanders Ende sein können. Gestorben als jugendlicher Held in den Straßen von Halikarnassos. Ist auch schon anderen Helden passiert, dass sie in einer Straßenschlacht ums Leben kamen.

Aber Memnon schlug nicht zu. Seine erhobene Schwerthand verharrte, als würde ein Gott sie festhalten. Ich erledigte mit verzweifelter Wut meinen persischen Freund, indem ich ihm mein Schwert in die Kehle schleuderte. Er war ein anständiger Mensch und ein würdiger Gegner gewesen. Ich hatte keine Zeit seinen Tod zu bedauern. Ich stürzte zu Alexander und zog ihn am Schweif seines Helmes aus der Gefahrenzone. Memnons Schlag ging ins Leere. Alexander sprang auf und wollte sich wieder auf Memnon stürzen, als vor uns eine Mauer zusammenbrach und auf die Straße fiel und uns erst einmal von den Persern trennte. An diesem Abend trafen wir nicht mehr auf Memnon. Obwohl es dunkel wurde, ging der Kampf weiter. Es war eine fürchterliche Nacht, in der wir uns von Haus zu Haus kämpften. Es regnete die ganze Zeit.

Als wir uns einen Moment an einem Feuer ausruhten, kam Alexander zu mir.

„Warum hat er nicht zugeschlagen?“

„Ich weiß es nicht.“

„Ein Gott hat ihn wohl zögern lassen.“

Wenn er das glaubte, war ich nicht der Mann, der ihm dies ausreden wollte. Darüber, dass ich ihm das Leben gerettet hatte, verlor er kein Wort. Nun, seine Rolle war in dem Augenblick auch nicht die des siegreichen Achilleus gewesen.

„Vielleicht hat er überlegt, ob es nicht besser wäre, dich gefangen zu nehmen“, rätselte ich weiter.

„Dann hätten sie mich in einem Käfig durchs Land geführt“, sagte er grimmig.

„Ich glaube nicht, dass er dies gern getan hätte. Er scheint mir ein ganz anständiger Kerl zu sein.“

Alexander sah mich an, als hätte ich etwas Unanständiges gesagt.

„Dareios hätte ihn mit Gold behängt. Hätte er Alexander getötet, wäre ihm unsterblicher Ruhm gewiss!“

Er sprach jetzt immer öfter von sich, als wäre er eine andere Person.

„Den hat er bereits.“

„Warum? Ich lebe und die Stadt wird morgen uns gehören!“

„Indem er gegen dich kämpfte.“

„Warum nennst du ihn anständig? Ehrenhaft haben dich die Perser nicht behandelt.“

„Da wusste er nicht, dass ein Verwandter Alexanders gefangen genommen worden war. Ich nenne ihn anständig, weil er auf mich den Eindruck eines ehrenhaften Mannes macht. Bedenke, du warst ihm einen Augenblick wehrlos ausgeliefert. Vielleicht war es ihm nicht Ehre genug, einen Wehrlosen zu töten. Hätte Hektor auch nicht getan.“

Alexander schien meine Vermutung nicht zu gefallen.

„Achilleus hätte keine Rücksicht genommen!“ knurrte er finster. Damit konnte er Recht haben. Wenn man berücksichtigt, was dieser dem toten Hektor angetan hatte, indem er den Leichnam an einen Streitwagen band und um Troja schleifte, hätte er auch gewiss gegenüber einem wehrlosen Hektor keine Rücksicht genommen. Besonders ehrenvoll war die Bemerkung meines Königs nicht.

„Du meinst, ich schulde ihm etwas?“ fragte er unzufrieden.

„Er ist ein hartnäckiger Kämpfer. Du wirst sicher noch Gelegenheit haben, es ihm zu entgelten.“

Zum Abtragen dieser Schuld sollte es nicht kommen, aber Alexander sprach seit den Tagen von Halikarnassos immer mit Hochachtung von Memnon.

Im Morgengrauen griffen die Perser wieder an und warfen uns zur ersten Mauer zurück und steckten unsere Belagerungstürme und Katapulte in Brand. Doch Alexander raste wie ein Berserker, und gegen Nachmittag gelang es uns ein zweites Mal, die zweite Mauer zu erreichen, und doch wurden wir wieder vertrieben. So ging es einige Tage lang hin und her und unser König war die ganze Zeit unleidlich. Halikarnassos und Memnon verhielten sich einfach nicht so, wie es sich gegenüber dem Sohn eines Gottes gehörte. Vielleicht peinigte Alexander auch der Gedanke, ob er nicht doch nur das Ergebnis einer Liebesnacht zwischen Olympias und Philipp war?

Ich traf Alexander eines Nachts, als ich von einer Patrouille zurückkam, wo ich die Wachtposten kontrolliert hatte, auf der zweiten Mauer. Mit zurückgelegtem Kopf starrte er den Mond an, die Hand weit ausgestreckt, als wolle er nach ihm greifen, als wolle er das Licht auf sich konzentrieren. Kann sein, dass er in dieser Nacht zu Zeus–Amun betete und ihn daran erinnerte, dass er ihn, Alexander, nicht im Stich lassen durfte. Ich störte ihn nicht bei seiner Andacht. Aber vergeblich war sein Gebet nicht.

Am nächsten Tag war die Stadt leer. Zwar waren nicht die Einwohner verschwunden, aber Memnon und die Perser waren fort. Als wir in die Zitadelle eindrangen und die Türme bestiegen, sahen wir auf dem Meer die Segel vieler Schiffe. Memnon hatte Halikarnassos aufgegeben. Natürlich legten wir dies als Sieg aus und Alexander ließ seine Männer plündern und feiern. Aber wohl fühlten wir uns alle nicht. Wohin segelte Memnon? Wenn er nach Griechenland segelte, bestand die Gefahr, dass Griechenland abfiel. Alexander war nur Hegemon geworden, weil seine Faust den Griechen die Kehle zudrückte. Aber bald kam die Nachricht, dass Memnon nach Kos gesegelt war und dort auf Befehle des Großkönigs wartete.

Im Kriegsrat herrschte bei uns allgemeine Ratlosigkeit.

„Warum nutzt er nicht seine Möglichkeiten? Leonnatos, du kennst ihn am besten und hast ihn mir als klugen Kopf geschildert“, fragte Alexander unzufrieden.

„Vielleicht will der Großkönig nicht einem Griechen den Ruhm zuteil werden lassen, Griechenland erobert zu haben“, mutmaßte ich.

„Dareios wird doch seinen eigenen Feldherrn nicht behindern!“ wehrte Alexander verärget ab. „Dieser Memnon ist mir wie ein Dorn in der Ferse.“

Wie wir später erfuhren, war meine Vermutung so falsch nicht.

Nicht die vierhundert Schiffe des Memnon beunruhigten Alexander, sondern die offene Rechnung in Halikarnassos. Es dauerte noch eine Weile, ehe wir endlich die Stadt verlassen konnten, denn er hatte erst einmal genug damit zu tun, die Region zu ordnen. Er setzte eine abgehalfterte Königin in Halikarnassos wieder in ihre Rechte ein, die ihn darauf flugs adoptierte, so dass über die wahren Herrschaftsverhältnisse keine Missverständnisse aufkommen konnten. Mit Freiheit und Volksherrschaft hatte das jedenfalls nicht viel zu tun. Aber darüber sollten sich die Athener das Maul zerreißen, uns Makedonen regte es nicht groß auf. Als endlich der Abzug bevorstand, teilte Alexander das Heer. Parmenion sollte die anatolische Hochebene besetzen, während wir entlang der Küste durch Karien, Lykien und Kilikien weitermarschieren würden, um die Küstenregion unter Kontrolle zu bekommen. Wir würden dadurch Memnon mit seiner Flotte vom Festland absperren. Von den Scharmützeln will ich nicht berichten, denn die waren so langweilig wie siegreich, jedoch von einem Wunder, das Kallisthenes als Gotteswunder bejubelt hat.

Wir marschierten einen Küstenstreifen direkt am Meer entlang, der eigentlich als unpassierbar galt, da normalerweise Westwind herrschte, der das Wasser bis an die Steilküste drückte. Als wir erschienen, drehte der Wind und das Meer ging zurück. Ein kräftiger Nordwind legte vor uns einen Streifen Strand frei, den wir als Straße benutzen konnten. Sicher ein erfreulicher Zufall, doch Alexander gab an, dass ihm Amun zu Hilfe gekommen sei und unsere braven Makedonen schluckten dies und fingen nun langsam auch an daran zu glauben, dass er der Sohn eines Gottes war. Nachdem wir Aspendos erreicht hatten, wollten wir uns dem Landesinneren zuwenden, um uns mit Parmenion wieder zu vereinigen. Wir hatten die Nachricht bekommen, dass der Großkönig das größte Heer zusammenzog, das die Welt bis dahin gesehen hatte. Nun ja, wir wissen doch, wie die Orientalen übertreiben.

„Es wurde auch Zeit, dass er seinen Hintern vom Thron bewegt!“ war Alexanders Kommentar dazu. Dies sagte er nach einem anderen wundersamen Ereignis, das unter uns Gefährten lange Zeit für Gesprächsstoff sorgte.

Ich hatte in dieser Nacht zusammen mit Attalos Dienst vor Alexanders Gemächern in Aspendos und wir hatten uns die Zeit damit vertrieben, indem wir dem Würfelspiel huldigten und mein Freund verlor ein gutes thessalisches Pferd, das seitdem Phokis als Leibtier dient. Als es Zeit war, den König zu wecken, ging ich in sein Schlafgemach. Als ich an sein Lager treten wollte, sah ich auf seinem Kopf einen Vogel. Die Schwalbe sah mich mit geneigtem Kopf an und schien keine Angst vor mir zu haben. Sie schilpte, flog jedoch nicht davon. Alexander erwachte und sah erstaunt hoch und ich deutete auf sein Haupt. Nun bemerkte er, dass sich ein Vogel auf seinem Kopf einnisten wollte und fuhr sich durchs Haar. Die Schwalbe flog kurz auf und setzte sich wieder auf seinen Kopf.

„Was für ein mutiger kleiner Kerl“, staunte der König.

„Muss irgendetwas zu bedeuten haben.“

„Geh und hol den Priester.“

Ich verließ das Schlafgemach. Attalos sah mich fragend an und ich sagte ihm, was los war, und wir liefen zu Aristander und erzählten ihm die seltsame Geschichte. Er trommelte Wahrsager, die Gefährten und sogar Kallisthenes zusammen und wir gingen zu Alexanders Schlafgemach zurück. Und tatsächlich, noch immer lag Alexander auf seinem Lager und hatte die Hand ausgestreckt, und auf seinem Arm lief die Schwalbe auf und ab und schilpte dabei. Obwohl sich der Raum nun mit Männern füllte, ließ sich der Vogel nicht stören und konzentrierte sich allein auf Alexander.

„Aristander, was hat das zu bedeuten?“ flüsterte Alexander.

„Hm, die Schwalbe ist ein geselliges Tier. Sie lebt bei den Menschen.“

„Aber so ein geselliges Tier habe ich noch nicht erlebt.“

„Es ist eine Botschaft!“ drängte sich Kallisthenes vor. Sein eingefallenes Gesicht mit der Pergamenthaut nickte eifrig.

„Schön. Aber was für eine?“ fragte Alexander seufzend.

Er mochte Kallisthenes nicht besonders. Aber dieser war ein Neffe des Aristoteles, seines geliebten Lehrers, und er hatte sich den Kerl aufschwatzen lassen, damit er den Griechen von dem Feldzug berichtete und bisher hatte er seine Sache auf zu Alexanders Zufriedenheit erledigt. Ich fand seine Berichte ein wenig schmalzig. Ich wusste, was Kallisthenes nicht wusste, dass Alexander dem Eumenes jeden Abend sein Tagebuch diktierte, um die Ereignisse aus seiner Sicht festzuhalten.

„Ich glaube, er will dich warnen“, sagte Kallisthenes.

„Wovor?“

Kallisthenes zuckte mit den Achseln.

„Ich werde sofort den Göttern opfern und die Leber lesen“, beeilte sich Aristander zu versichern. So ganz wohl fühlten sie sich nun alle nicht.

„Vielleicht will er dich im Auftrag der Göttervor dem Großkönig warnen“, mutmaßte Philotas, der sich auch ins Schlafgemach gedrängt hatte. „Vielleicht sollten wir doch auf seine Verhandlungsangebote eingehen. Wenn er wirklich ein so großes Heer zusammenzieht, warnen dich die Götter zu Recht.“

„Du redest wie dein Vater. Nein, ich warte doch nur darauf, dass sich Dareios endlich stellt. Wir fürchten die Launen der Götter, aber nicht die Zahl seiner Männer.“

Philotas bekam einen roten Kopf und verteidigte sich wütend.

„Ich fürchte mich nicht. Allerdings verschließe ich mich auch nicht den Realitäten. Wenn das Heer so groß ist, wie man hört, werden wir Schwierigkeiten bekommen und wir werden alles verlieren, was wir gewonnen haben.“

„Aber wenn wir siegen, können wir die Welt gewinnen!“ widersprach Alexander lächelnd. Damit hatte er Philotas den Mund gestopft, und dieser zog beleidigt ab.

Der Vogel blieb noch bis zum Abend im Schlafgemach, ehe er in die Freiheit davon flog. Alexander war ganz froh darüber, denn Schwalbenmist im Schlafraum kann ganz schön lästig werden. Die Wahrsager und Leberdeutung des Aristander brachten auch keine tolle Erklärung. Das mit der Warnung der Götter war von Philotas gar nicht einmal so schlecht geraten, wie sich ein paar Tage später herausstellte.

Es war mein Vater, der die Überraschung präsentierte. Er kam im Auftrag des Parmenion und hatte nun die Plakette eines Hauptmanns auf dem Brustpanzer, war also im Dienst des großen Generals weiter aufgerückt. Nun ja, meinen Rang hatte er damit noch nicht erreicht. Denn als Gefährte und Verwandter des Königs war ich in der priviligiertesten Stellung, die überhaupt denkbar ist. Hinzu kam, dass Alexander aufgrund des Vorfalls mit Memnon und noch mehr in Dydima mich als den Botschafter des Apollon bezeichnete.

Also, mein Vater spazierte mit selbstbewusster triumphierender Miene in die Empfangshalle, nachdem ihn Attalos lang genug hatte warten lassen. Er stieß einen gut aussehenden jungen Perser vor sich her und gab ihm einen Tritt, so dass er vor Alexander auf die Knie fiel.

„Was soll das?“ fragte Alexander aufgebracht, der so rüpelhaftes Benehmen in seiner Umgebung nicht duldete.

„Der hier kommt vom Großkönig!“ sagte mein Vater.

„Noch eine Botschaft für mich?“

„Nein. Für Alexander Lynkestes.“

„Ach ja?“ sagte Alexander und kniff die Augen zusammen.

„Er heißt Sisines. Und bringt die Antwort auf einen Brief des Lynkestes.“

Wir sahen uns betroffen an. Mit dem Lynkestes war das so eine eigene Sache. Er war nicht nur der Anführer der thessalischen Reiter, sondern ein wirklicher Verwandter des Königs, der sogar Ansprüche auf den Thron hätte geltend machen können. Er hatte die Säuberung nach Alexanders Thronbesteigung nur deswegen überstanden, weil er in der Heeresversammlung als erster Alexander als Nachfolger Philipps ausgerufen hatte. Mein Vater reichte Alexander einen Brief und Alexander las ihn und wurde bleich und gab ihn mir.

„1000 Talente und die makedonische Krone, wenn Lykestes mich umbringt“, sagte er düster.

Ich überflog den Papyrus, der dies bestätigte und reichte ihn an die anderen Gefährten weiter. Mein Vater reckte sich stolz, als er mit so unerhörter Nachricht im Mittelpunkt des Interesses stand.

„Es ist gut!“ sagte Alexander zu meinem Alten und gab Perdikkas einen Wink. „Versorge ihn gut. Er kann morgen zu Parmenion mit meiner Antwort zurück reiten. Ruf die Heeresversammlung zusammen.“

Da ich dieser nicht angehörte, machte ich mich mit Phokis zu dem Quartier auf, das man meinem Vater zugewiesen hatte. Ich traute dem Alten nicht und wollte ihm ein wenig auf den Zahn fühlen.

Aspendos war eine griechisch geprägte Stadt, obwohl die Bevölkerung sehr gemischt war. Als wir vor dem Palast ankamen, der als Gästehaus für die vielen Delegationen diente, die täglich aus Griechenland eintrafen, sahen wir Philotas herankommen. Die Heeresversammlung war also bereits beendet. Dass Parmenions Sohn nun gleich meinen Alten aufsuchte, verringerte nicht gerade mein Misstrauen gegenüber meinem Erzeuger. Wir versteckten uns hinter den Säulen eines Artemistempels.

„Ich möchte zu gerne Mäuschen sein und wissen, was die beiden zu bereden haben.“

„Vielleicht will er gar nicht zu Anthes. Es sind auch noch andere Gäste hier einquartiert.“

„Und wenn doch?“

„Wenn du willst, gehe ich über die Mauer. Vielleicht kann ich die beiden belauschen.“

Schon lief mein wackerer Riese auf die andere Straßenseite und verschwand im Schatten des Palastes. Wenig später sah ich ihn bereits hinter der Mauer die Hauswand hochklettern und sich in einen Säulengang hinein schwingen. Ich schwitzte ein wenig, obwohl es Winter und die Nächte entsprechend kalt waren. Ich fürchtete um meinen braven Freund und Diener. Wenn mein Vater ihn erwischte, würde er ihn sofort töten. Aber meine Ängste waren unbegründet. Kurz nachdem Philotas den Palast wieder verlassen hatte, tauchte auch Phokis wieder auf.

„Hast du etwas erfahren können?“

Er grinste mir verschwörerisch zu.

„Ganz werde ich nicht klug daraus“, sagte Phokis nach einer Kunstpause. „Philotas machte deinem Alten heftige Vorwürfe, warum er mit so einer halbgaren Geschichte bei Alexander auftauchen würde. Im Rat wären die Meinungen ziemlich auseinander gegangen. Hephaistion sowie Nearchos und Perdikkas wollten den Lynkestes gleich vor ein Speerkommando stellen. Ptolemaios, Seleukos und Lysimachos waren dagegen und erinnerten, wie loyal Lynkestes bisher gewesen sei. Alexander habe die Angelegenheit erst einmal vertagt. Dein Alter stand etwas ungünstig, so dass ich ihn schlecht verstehen konnte. Aber so viel habe ich mitbekommen: Parmenion ist der Meinung, dass mit der Verurteilung des Lynkestes ein wichtiger Thronanwärter ausgeschaltet wäre, sollte Alexander etwas passieren.“

„Und was sagte Philotas dazu?“

„Die Situation könne bei Alexanders Achilleusspielerei immer auftreten.“

Welchen Vorteil hatte Parmenion von dieser Intrige? Oder war es keine? Alexander kannte doch das Siegel des Großkönigs. Er musste doch wissen, ob der Brief des Großkönigs echt war. Ich konnte mir keinen Reim aus der Geschichte machen.

Wir eilten zu dem Palast, der Alexander als Residenz diente. In den Gemächern des Königs traf ich ihn noch mit den Gefährten an. Als er mein ernstes Gesicht sah, verstand er sofort und tat so, als sei er plötzlich müde und löste die Tafel auf.

„Was hast du, Leonnatos?“ fragte er und ließ sich in seinem Schlafgemach aufs Bett fallen, und ich erzählte ihm, was Phokis erfahren hatte.

„Ich werde daraus nicht klug!“ schloss ich meinen Bericht.

„Das Siegel ist zweifellos das des Dareios. Vielleicht hat den Großkönig eine gefälschte Nachricht erreicht und Dareios ist darauf hereingefallen und natürlich ist es ein Königreich wert, wenn ich nicht mehr da bin.“

„Aber wer hat das eingefädelt? Wer ist so perfide? Doch nicht Parmenion. Der ist zu gerade für solche Geschichten.“

„Ja. Eigentlich ist er mir treu ergeben“, stimmte Alexander zu. „Er ist manchmal etwas widerborstig, aber ein gerader Halm. Aber Tatsache ist, dass bei meinem Tod Parmenion durchaus Chancen hätte, mein Nachfolger zu werden. Parmenion ist sehr beliebt bei meinen Makedonen. Mit Lynkestes’ Tod gäbe es einen Thronanwärter weniger.“

„Vielleicht hat jemand in seiner Umgebung diese Intrige eingefädelt, nur um höher zu steigen, wenn Parmenion höher steigt.“

„Du hast jemanden im Auge?“

„Nein“, gestand ich. Aber dies war eine Lüge. Aber ich wollte nicht derjenige sein, der aufgrund vager Verdächtigungen den eigenen Vater ans Messer lieferte. Doch so eine Intrige war ihm zuzutrauen, genau so wie meinem Bruder Antiochios.

Alexander ahnte, dass ich einen Verdacht hatte, mich jedoch scheute diesen auszusprechen und lächelte schließlich.

„Dein Vater? Aber wir haben keine Beweise, nicht wahr?“

„Nein. Nur Vermutungen.“

„Dafür ist dein Vater ein zu kleines Licht. Ich weiß ja, dass es zwischen euch nicht stimmt. Aber ich bin mir sicher, dass dein Verdacht unbegründet ist. Ich werde deinen Vater morgen mit einem Brief zurückschicken, der Parmenion beruhigt und ihm seine übergroße Sorge abnimmt.“

Aber ich nahm mir vor, meinen Vater im Auge zu behalten. Ich traute ihm durchaus zu, auch ohne Wissen des Parmenion diese Sache eingefädelt zu haben.

„Und was geschieht mit Lykestes?“

„Den bringst du jetzt zu mir.“

„Weiß er davon?“

„Nein. Offiziell weiß er nichts davon. Er wird sich natürlich gewundert haben, dass er zur Heeresversammlung nicht geladen wurde. Er hat bereits Hephaistion gebeten, dass er mich sprechen will. Er wird schlimme Stunden ausgestanden haben. Bring ihn jetzt hierher.“

Ich ging zu Lynkestes, der im benachbarten Palast sein Quartier hatte. Als ich mich bei seinem Diener meldete, wurde ich sofort vorgelassen. Lynkestes sah fürchterlich aus. Er hatte getrunken. Mit schreckensweiten Augen sah er mich an.

„Was geht hier vor, Leonnatos? Warum werde ich von allem ausgeschlossen? Die Gefährten des Königs meiden mich. Alle schauen mich an, als habe ich eine schlimme Krankheit.“

„Alexander will dich sprechen. Aber in dem Zustand kannst du nicht zu ihm. Steck deinen Kopf in kaltes Wasser.“

„Sag, was ist los. Was passiert hier?“

„Alexander wird dir alles erklären.“

Er verschwand mit seinen Dienern und Masseuren und nach einer Stunde war er halbwegs präsentabel, so dass ich mich mit ihm zum König begeben konnte. Schweigend gingen wir zu Alexander hinüber. Er hatte wohl begriffen, dass ich nichts sagen würde und unterließ es mich mit Fragen zu traktieren. Als ich mit ihm Alexanders Gemach betrat, diktierte dieser gerade dem Eumenes seine Tagebucheintragung.

„Einen Moment noch“, sagte er und diktierte, dass er eine seltsame Nachricht von Parmenion bekommen habe, die Rätsel aufwerfe. Dann schickte er den Schreiberling hinaus.

„Also, mein lieber Lykestes, ich habe Sorgen mit dir“, sagte Alexander unumwunden und reichte ihm die Rolle des Dareios und dieser las sie und wurde abwechselnd bleich und rot.

„Das kann doch nicht wahr sein! Das sind Lügen!“ stammelte er.

„Das darf nicht wahr sein!“ korrigierte ihn Alexander.

„Es ist nicht wahr!“ beteuerte Lynkestes und warf die Rolle auf den Tisch.

„Das sagt auch mein Herz“, bestätigte Alexander. „Unser Leonnatos glaubt, dass eine Intrige dahinter steckt. Andere beschwören mich, die Angelegenheit ernst zu nehmen. Wenn ich die Heeresversammlung heute hätte abstimmen lassen, wärst du zum Tode verurteilt worden. Einige sind nämlich der Meinung, dass du wie deine Brüder nach meinem Thron schielst.“

„Nein. Niemals!“

„Das möchte ich dir auch gern glauben. Aber dieser Brief des Dareios ist echt. Da gibt es keinen Zweifel. 1000 Talente und ein Königreich für meinen Tod. Der Großkönig ist nicht kleinlich.“

„Was kann ich tun, um ….“

„…den Verdacht abzutun?“ fragte Alexander traurig.

„Ja. Ich schwöre dir bei allen Göttern….“

„Nein, Lynkestes. Schwöre nicht. Ich will glauben, dass du unschuldig bist. Natürlich kannst du nicht mehr die thessalischen Reiter anführen, das wirst du einsehen. Du wirst den Feldzug erst einmal als …. Privatmann mitmachen. Wenn Gras über die Geschichte gewachsen ist, kann ich dich vielleicht bei den Proviantgenerälen einsetzen. Aber sonst wird dir nichts geschehen.“

„Kann ich dir nicht wenigstens bei den Gefährten zu Fuß dienen?“

„Nein. Niemals kann ein Lynkestes ein einfacher Soldat sein! Nun geh. Dir wird es an nichts fehlen. Aber die thessalischen Reiter werden von nun an … von Philotas befehligt!“

Diese Entscheidung sollte wohl Parmenion zeigen, dass er ihm traute und er dafür den Sohn belohnte. Er ließ Perdikkas kommen und teilte ihm seine Entscheidung mit.

„Ist das klug, Alexander?“ fragte dieser sorgenvoll. „Immerhin könnte er hinter der ganzen Geschichte stecken.“

„Ich weiß, was ich tue. Parmenion ist bei den Altmakedonen, den Anhängern meines Vaters, sehr beliebt. Aber natürlich werden wir diese seltsame Geschichte nicht vergessen. Doch einstweilen wollen wir die Philippischen in Sicherheit wiegen.“

„Und wenn Lynkestes doch ….“

„Ja. Auch Lynkestes bereitet mir Sorgen. Lass einen zuverlässigen Mann ständig in seiner Nähe sein. Ich werde ihn, wenn sich die Angelegenheit beruhigt hat, vielleicht den Nachschub kommandieren lassen. Sollte ich keine Kinder haben, dann ist Lynkestes durchaus ein Mann, der für meine Nachfolge infrage kommt. Sollte ich getötet werden und Kinder haben, ist Lynkestes sofort zu töten. Sonst haben wir einen Krieg unter uns Makedonen.“

So urteilte Alexander und er war noch ein junger Mann und doch klug und hart und mitleidlos. Es war eine Menge Anschauungsunterricht, den wir Gefährten bekamen, um später in seine Schuhe treten zu können. Aber für uns alle waren seine Schuhe zu groß.

Alexanders letzter Traum

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