Читать книгу Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon - Страница 7

Оглавление

1.

Es war kein Gott. Am Anfang glaubte er, im Auftrag der Götter zu handeln, und dafür stand ihm eine genügende Anzahl zur Verfügung. Und weil sich alles so gut für ihn fügte, glaubte er schließlich, zu ihnen zu gehören und sah sich gleichberechtigt im Kreis der Götter. Jedenfalls meistens. Schuld daran hatte Olympias, seine Mutter, die ihm von Kindesbeinen an Vorträge hielt, dass Achilles zu ihren Ahnen zählte, und Philipp, sein Vater, war kaum bescheidener und verwies auf Herakles. Wenn man dies ein ganzes Kindesleben lang erzählt bekommt, dann bleibt etwas davon hängen, und so kam es, dass er mit dem Sterblichsein nicht zufrieden war und sich damit überanstrengte, ein Gott zu sein. Er konnte kaum seinen Namen nennen, da hörte er auch schon, dass bei seiner Geburt der Tempel der Artemis zu Ephesos gebrannt und der Gott Amun in Gestalt einer Schlange ihr, der Olympias, beigewohnt habe. All dies hätte auch jemand, der mit nüchternem Sinn ausgestattet ist, schließlich um den Verstand gebracht. Aber Alexander war zudem noch ein Mensch mit viel Herz und der Fähigkeit, sich die Träume seiner Kindheit zu bewahren. Dies vermischt mit dem Glauben, ein Gott zu sein und dass das Schicksal nie Dagewesenes mit ihm vorhabe, zusammen mit dem Ehrgeiz, alles zu übertreffen, was je getan wurde, machten aus ihm eine Sagengestalt, die das Staunen der Welt hervorrief.

Jawohl, die Menschen haben ihn bestaunt wie den Olymp und doch war ich am Ende der einzige Freund, den er hatte. Aber ich war ihm nicht Hephaistion, der ihm so bereitwillig seine Schenkel öffnete. Ich habe mich dagegen allein auf die Frauen konzentriert, und dies hat mir Kummer genug eingebracht. Mir auch noch Ärger wegen der Männer einzuhandeln, kam mir nicht in den Sinn. Aber nach Hephaistion war ich sicher derjenige, dem sich Alexander am meisten anvertraute, jedenfalls in den letzten Wochen seines Lebens.

Ich, Leonnatos, Sohn des Anthes, sollte nach Alexanders Willen Herr über Asien werden und seinen letzten Traum erfüllen. Ich sollte aus dem, was er mit der Hochzeit in Susa eingeleitet hatte, zum größten Wunder der Menschheitsgeschichte führen. So hatte er es vorgesehen. Jawohl, er nannte einige von uns seine Verwandten, was nicht auf Blut und Samen zurückzuführen war, sondern seine Worte, seine Umarmung, sein Kuss hob uns aus den Gefährten heraus. Nur bei mir kam noch anderes dazu, wovon noch zu berichten sein wird.

Nun, wo er tot ist, glauben sie alle, seine Gefährten und Nachfolger, dass sie so sein können wie er. Sie gebärden sich als kleine Alexander, ahmen seine Körperhaltung nach, kämmen sich das Haar wie er und schaben sich das Gesicht und sind dennoch bestenfalls schlechte Kopien. Alle haben ihn verraten und sich aus dem, was er hinterließ, einen blutigen Fetzen herausgerissen.

Dies ist die wahre Geschichte des Alexander und es ist die Geschichte von Hephaistion, Perdikkas, Peukestas, Lysimachos, Seleukos, Krateros, Eumenes und Ptolemaios und die, die nicht mehr unter uns weilen, die für Alexander starben oder von und durch ihn gemordet wurden. Aber in erster Linie ist es meine Geschichte. Und ich schreibe sie nieder, weil er, Ptolemaios, mir seine Sicht des Alexanderzuges geschickt hat. Fünf Rollen liegen vor mir, und ich muss ihm zugestehen, dass er das Leben unseres Königs und Gottes gar nicht so schlecht erzählt. Ein bisschen steif vielleicht, aber sein Machwerk gefällt mir besser als die Lobeshymnen des Kallisthenes, diesem missratenen Neffen des Aristoteles. Aber es ist nicht Alexander, der darin vorkommt, sondern so eine Art anbetungswürdige Marmorstatue. Als hätte sich Ptolemaios an den Statuen eines Phidias berauscht. Nun, Ptolemaios ist kein Homer und wenn er noch so oft die alten Heldensagen beschwört. Er will nun meine Meinung dazu hören und ich soll ihm die Absolution erteilen. Er glaubt etwas Unvergleichliches geschrieben zu haben. Unvergleichlich sind die Taten Alexanders. So einen wie ihn hat es noch nie gegeben, und ich wage zu behaupten, dass es so einen wie ihn auch nie wieder geben wird. Er streicht sich auch kräftig heraus, der gute Ptolemaios, und natürlich komme ich in seiner Niederschrift kaum vor, dafür umso mehr er. Schließlich glaubt er, seit er Pharao ist, zu den Unsterblichen zu gehören und Ahnherr einer Dynastie zu sein, die noch in tausend Jahren Ägypten regiert. Mit weniger gibt er sich nicht mehr zufrieden. Wer miterlebt hat, wie schnell die Nachkommen Alexanders, der Sohn der Roxane, aber auch der kleine Herakles, Sohn der Barsine, gestorben sind, muss hinsichtlich der Langlebigkeit von Dynastien eigentlich skeptisch sein. Alexanders Kinder wurden getötet. Sie wurden ermordet von denen, die ihm alles verdanken. Auch wenn ich daran keinen Anteil hatte, so bedrückt es mich doch, dass ich dies nicht verhindern konnte. Der Papyrus des Ptolemaios verschweigt vieles. Alexanders Vermächtnis und die Hochzeit zu Susa, die alles einleiten sollte, wird ein pittoreskes Ereignis, ihm nur eine Randnotiz wert.

Ich soll ihm schreiben, ob er den richtigen Ton getroffen, ob er die Taten angemessen schildere oder etwas vergessen habe, was zu schildern notwendig ist. Ich sei doch in den letzten Tagen des göttlichen Alexander, so schreibt er ein wenig ölig, dessen liebster Begleiter gewesen. Dies schreibt er jedoch nur in seinem begleitenden Brief, aber in seinem Bericht über Alexander steht davon nichts, was sicher kein Zufall ist. Er wusste, dass ich Alexanders Tagebücher habe und an einem eigenen Bericht über den Alexanderzug arbeite und dies hat ihn sicher nervös gemacht. Erinnerungen können trügen und man solle sich abstimmen, schreibt er. Er war schon immer ein Fuchs, mein Freund Ptolemaios, der Alexander und mich verriet.

Vor mir liegen die Armreifen, die Halsketten, die mir einst Alexander schenkte und mich als Verwandten und Strategen auszeichneten. Wie fing alles an? Je tiefer ich in meine Vergangenheit eindringe, desto klarer wird mir, dass auch mein Bericht über den Alexanderzug, eine sehr persönliche Schilderung ist. Es ist meine Wahrheit, meine Sicht der Ereignisse. Es ist keine Aneinanderreihung von Triumphen, Schlachten und Morden. Jawohl, Alexander war ein Mörder, aber war das nicht auch Achilles, den Homer so unübertroffen besingt, dass man dem Sohn der Thetis nachsieht, welchen Frevel er dem Hektor antat? Ich werde Alexanders Missetaten nicht verschweigen, genau so wenig wie meine. Ich werde berichten, wie er tötete und dabei lachte und nicht verhehlen, dass auch ich getötet habe. Es klebt Blut an unseren Händen. Ich könnte es auf die Götter schieben, aber nicht sie, sondern wir sind verantwortlich für das, was wir taten. Auch wenn ich vorgab, im Namen Apolls zu sprechen, so standen doch meine Wünsche, meine Vorlieben dahinter. Apollon möge mir verzeihen, dass ich so oft seinen Namen missbrauchte.

Meine Geschichte fängt also vor der Zeit an, als ich dem König begegnete. Und es war keine gute Zeit. Es hatte mit Mord zu tun und dem Unaussprechlichen, das nur ich kenne. Doch hier auf dem Papyrus will ich es nicht verschweigen, nichts werde ich verbergen, weil ich abrechnen muss, mit mir, mit dem König und den Gefährten, die er zu seinen Verwandten zählte und die ihn erst liebten, aber zum Schluss nur noch fürchteten.

Mein Bericht ist nichts für zarte Seelen, denn er handelt von einer Mörderbande, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Es wird von Blut und Schweiß, von Tränen und meines Vaters Samen die Rede sein, vor allem aber von den Frauen, die ich liebte. Ich habe drei Frauen geliebt und jeder von ihnen habe ich hier in Gordion einen Tempel geweiht, wenn sie auch die Götternamen Hera, Artemis und Aphrodite tragen. Ich habe marmorne Statuen hineinstellen lassen, die ihnen nicht gerecht werden, obwohl ich die größten Künstler Griechenlands damit beauftragte.

Ptolemaios will eine ehrliche Antwort über seinen Alexanderbericht, ein Urteil. Ich soll wohl die Wahl des Paris wiederholen. Und natürlich erwartet er Lob und Anerkennung. Aber ich werde ihm nicht schmeicheln. Ich werde ihm schreiben, dass er vielleicht ein großer König ist, aber zum Chronisten nicht sehr viel taugt. Warum? Indem er Ereignisse aneinanderhängt, wird er Alexander nicht gerecht. Er ist nicht einmal ein Xenophon. Es ist eine blutleere lieblose Abhandlung. Mein Bericht über den Alexanderzug wird ihm den Unterschied aufzeigen. Natürlich wird er sich darüber ärgern und es wird ihm leidtun, dass er mir das Leben rettete. Es gibt da so einiges, was ich ihm bisher nicht heimgezahlt habe. Schließlich ist es seine Schuld und die des Perdikkas und Seleukos, dass man mich nicht Herr über Asien nennt.

Ich liebte drei Frauen, so könnte ich anfangen. Denn mehr werden es nicht werden, so sehr man mir auch Alexanders Schwester als Gemahlin anpreist. Dies wäre ein guter Anfang für einen Dichter, aber mein Leben wurde nicht von ihnen bestimmt, sondern von dem Alp, der auf meine Seele drückte.

Ich sitze hier auf dem Turm meiner Burg und schaue auf das von der Sonne versengte Land, das man mir als mein Reich zugeteilt hat und das nur deswegen bekannt ist, weil unten in dem Tempel Alexander den berühmten Knoten, den gordischen, mit seinem Schwert löste. Es ist eine Burg, wie sie die Alten bauten. Nichts hat sie von den edlen Linien griechischer Tempel, nichts von der barbarischen Pracht der Apadama in Persepolis, noch von der uns fremd wirkenden Anmut ägyptischer Götterhäuser. Große mächtige Steine wurden fugenlos aufeinander getürmt, als hätten Titanen sie herangeschleppt, Sklaven der Götter, die sie in manischem Zorn zusammenfügten als Mahnung, dass es noch größere Wesen gibt als uns Menschen. Die Könige von Mykene hätten sich in Gordion sicher wohlgefühlt. Der alte Streitwagen steht noch in dem Tempel, aber der Knoten ist zerschlagen und die Enden hängen lose von der Deichsel. Alexander wurde Herr Asiens und nicht ich. Aber wenigstens neidet mir keiner die Herrschaft über Phrygien. Jedenfalls keiner von denen, die einmal meine Gefährten waren und die ich nun verachte. Ptolemaios wähnt sich immer noch als mein Freund, obwohl er sich an mir vergangen hat und an Alexander. Je tiefer ich grabe, je mehr ich bloßlege, umso deutlicher schält sich heraus, dass der Mann, dem ich mein Leben verdanke, es auch verdarb.

Obwohl es um den Alexanderzug geht, steht nicht der König, sondern mein Vater im Mittelpunkt. Wir sind Bergmakedonen und lebten oberhalb von Pella und Anthes. Mein Vater war der Clanhäuptling. Unser Haus stand auf einem von Felsen durchzogenen Hügel und sah von Weitem wie der Rumpf einer Triere aus, und die Winter waren lang und sehr kalt und der Frühling feucht und die Sommer so heiß, dass der Fluss in der Ebene austrocknete.

Ich hatte eine böse Kindheit, und Anthes, mein Vater, lag mir wie ein Fels auf der Brust. Ich hasste ihn so lange ich denken kann und er hasste mich und dies hörte nicht auf so lange er lebte. Er hat nie verwunden, dass mich Alexander zu seinem Verwandten machte, zu seinem Strategen und Leibgardisten, dass er meine Nähe suchte und meinen Rat. So lange meine Mutter lebte, war der Hass meines Vaters abgemildert und ich hatte als Ausgleich zu seinen Verwünschungen und Flüchen die zärtlichen Hände der Mutter auf meinem Kopf. Sie starb im Kindbett und seitdem war ich den Händen meines Vaters ausgeliefert und er prügelte mich so oft er mich sah. Dies wurde nicht besser, als er sich eine andere Frau ins Haus holte, sondern im Gegenteil noch schlimmer. Meine Geschichte und die des Alexanderzuges beginnt also mit der Lust meines Vaters. Er, der seinen Samen verströmte und mir damit das Leben schenkte, hatte lange gesucht, bis er ein neues Gefäß für die Wildheit seiner Lenden gefunden hatte, und dieses neue Weib war ihm ebenbürtig und auch sie habe ich gehasst. Ich glaube, mit ihr anzufangen, mit dem Tag ihrer Ankunft wäre ein guter Beginn, denn er unterschied sich von den vorangegangenen Tagen dadurch, dass mein Vater nun noch wilder wurde. Ich habe nicht viel gelacht in jener Zeit und so lange ausgehalten habe ich es nur, weil mir ein Gott zur Seite stand und mich zum Werkzeug nahm, zum Verkünder seines Willens. Dies also ist die Geschichte des Leonnatos, der nach Alexanders Willen Herr über Asien werden sollte. Es war der Tag, an dem sich mein Vater ein neues Weib nahm und damit meinem Leben eine neue Peinigung hinzufügte. So fängt es an.

Alexanders letzter Traum

Подняться наверх