Читать книгу Alexanders letzter Traum - Heinz-Joachim Simon - Страница 13

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7.

Wir standen am Garnikos. Kein besonders aufregender Fluss. An manchen Stellen nur zwei Steinwürfe breit. Hinter uns ging die Sonne langsam unter und blendete den Feind vor uns, den wir nur als dunkle Wand sahen. Der Garnikos führte viel Wasser, das zwar nicht tief, aber reißend und braun und von weißen Sandbänken durchzogen war, die wie Rücken urzeitlicher Tiere aus dem Fluss ragten.

Ich stand daneben, als Parmenion vorschlug, die Schlacht auf den nächsten Tag zu verschieben, da die Männer vom Marsch abgekämpft seien und man überlegen solle, wie der Übergang am nächsten Tag an anderer Stelle gelingen könne. Das Ufer gegenüber erklärte er als zu steil für einen Frontalangriff. Alles Ausflüchte, die ihm wohl die Angst vor der Entscheidung eingegeben hatte. Alexander wischte sie mit einer energischen Handbewegung fort, als verscheuche er lästige Fliegen.

„Ich schäme mich, wo ich den Hellespont mühelos überschritten habe, bei dem Gedanken, dass uns dieser elende Bach dort hindern soll, hinüberzugehen. Das wäre dem Ruhm der Makedonen nicht gemäß.“

So hat es Kallisthenes festgehalten und deswegen hört es sich ein wenig hölzern und prahlerisch an. Immerhin stand uns die erste große persische Streitmacht gegenüber. Aber so ähnlich habe ich es auch von Alexander gehört.

Der Feind war uns auf den ersten Blick überlegen. Sie hatten zwanzigtausend Reiter am Ufer und dahinter standen noch einmal zwanzigtausend griechische Söldner. Und darin lag der Fehler. Alexander erkannte ihn sofort. Indem die Perser ihre Reiter an den Fluss stellten, neutralisierten sie ihre griechischen Söldner. Alexander war am Garnikos noch kein so großer Stratege wie Epameinondas und Mithridates. Er war wie Achilleus ein Krieger und mit der Begabung gesegnet, auf dem Schlachtfeld die Schwächen des Feindes sofort zu erkennen. Hätte Memnon, der Befehlshaber der griechischen Söldner, den Oberbefehl gehabt, wäre vielleicht alles anders gekommen, aber die Perser standen unter dem Doppelkommando des Spithridates und Arsites, beide Satrapen des Großkönigs und so eitel, dass sie nicht auf Memnon hörten, weder seinen Vorschlag annahmen, keine Schlacht anzunehmen noch in die erste Reihe am Granikos griechische Söldner zu stellen. Alexander war sich absolut sicher, dass er siegen würde.

Er ritt noch einmal die eigenen Reihen ab. Jeder konnte ihn an der weißen Feder an seinem Helm erkennen. Er redete den Männern gut zu. Unsere Leute brannten nun darauf sich mit dem Feind zu messen. Alexander hatte die Fähigkeit ihnen den Glauben an die eigene Stärke und Unbesiegbarkeit zu vermitteln. Also griffen wir nicht erst am nächsten Tag, sondern bereits in der Abendröte an.

Mit dem Ruf der Griechen bei Troja, mit Ares–Ares–Rufen stürzten sich unsere Makedonen in den Fluss. Alexander hielt sich auf dem rechten Flügel noch zurück und ließ erst einmal einen Scheinangriff ausführen, der die persische Reiterei zum Voranstürmen veranlasste. Es kam im Fluss zu einem schrecklichen Handgemenge, und nun, wo er sah, dass drüben beim Feind eine Lücke entstanden war, befahl er an der Spitze seiner Reiter den Angriff. Ich war dicht hinter ihm. Wir preschten durch das flache Wasser, durchbrachen die Reihen der Perser und jagten das Steilufer hoch. Ich versuchte Alexander die Flanke freizuhalten. Sein Speer war schon beim ersten Angriff zersplittert und ich warf ihm einen meiner Speere zu. Schon drang Mithridates, der Schwiegersohn des Dareios, auf ihn ein. Er schlug nach Alexander und dieser stieß ihm meine Lanze ins Gesicht. Nun stürzte sich Phoisakes, der Bruder des Mithridates, auf Alexander und schlug ihm ein Stück von seinem Helm ab. Aber Alexander stürzte nicht, sondern schlug seinerseits nun auch Phoisakes vom Pferd. Die Namen der persischen Führer erfuhr ich Jahre später von Mazaios.

Wir waren mitten in das Herz der persischen Reiter hineingestoßen und nun trafen wir auf Spithdridates, und der hätte ihn, weil Alexander sich noch einmal zu Phoisakes umdrehte, bestimmt niedergestreckt, und der Krieg wäre zu Ende gewesen. Alexander konnte niemand ersetzen. Doch Kleitos, der Schwarze, wie wir ihn nannten, Befehlshaber der thrakischen Reiterei, hieb dem Perser den Arm ab. Mittlerweile hatte auch Parmenion mit den Phalanxregimentern am Ufer des Garnikos Fuß gefasst. Da die Perser kein einheitliches Kommando mehr hatten, lösten sich ihre Reihen auf. Schließlich standen uns nur noch die griechischen Söldner gegenüber.

Alexander ließ sich ein anderes Pferd geben, da Bukephalos erschöpft war und stürzte sich mit der Gefährtenschwadron auf die Griechen. Von den Persern im Stich gelassen, konnten wir die Söldner einkreisen. Nun begann ein Blutbad, wie es in dieser Phase des Alexanderzuges immer dann von Alexander ausgelöst wurde, wenn er auf Verräter traf. Für ihn, dem Hegemon Griechenlands, waren Landsleute auf Seiten der Perser Abtrünnige, und er bestrafte sie erbarmungslos. Tausende wurden niedergemetzelt und die Gefangenen in die Heimat zurück geschickt – in die Bergwerke als Sklaven. Dies um der Wahrheit willen. Alexander war nicht ohne Fehler. Die Götter waren offensichtlich auf seiner Seite, aber warum haben sie ihm nicht eingegeben, dass dies nicht nur ein Verbrechen war, sondern ein Fehler, der ihn in Athen nicht gerade beliebter machte?

In der Nacht erreichten wir das persische Lager und wenn Alexander knapp bei Kasse war, wie manche Chronisten schreiben, so waren diese Zeiten seit dem Sieg beim Garnikos ein für allemal vorbei. Neben goldverzierten Möbeln und goldenem Tafelgeschirr fiel uns die Kriegskasse der Perser in die Hände. Von nun an brauchte Alexander keine Angst zu haben, dass ihm die Heimat den Geldhahn zudrehte. Athen übersandte er dreihundert persische Rüstungen, die man auf der Akropolis mit einer Tafel aufstellte:

Alexander, Sohn des Philipp, und die Griechen

mit Ausnahme der Lakedaimonier bringen diese

Beutestücke der Barbaren Asiens der Stadt Athen

zum Geschenk.

So wurde Athen gerächt und geehrt und Alexanders Ruhm wuchs in der Welt, und doch war dies erst der Anfang.

Ehe wir weiter zogen, genossen wir erst einmal den Triumph und Alexander ließ Spiele veranstalten und die Tapfersten der Tapferen wurden ausgezeichnet. Ich bekam vor allen Heeresführern eine goldene Kette von Alexander. Mein Vater war, als Adjutant des Parmenion, auch dabei. Meine Auszeichnung machte ihm wenig Freude. Gleichzeitig war die Ehrung eine Beförderung und ich wurde nun auch offiziell Leibgardist und war Verwandter des Königs und hatte damit ständigen Zugang zu ihm. Neben Hephaistion durften sich nur acht Gefährten als Verwandte bezeichnen, darunter Perdikkas, Ptolemaios, Peukestas, Lysimachos und Kleitos. Ich schrieb diese schnelle Beförderung Hephaistion zu, aber dieser versicherte mir später, dass er damit nichts zu tun hatte.

„Alexander glaubt, dass dich Apollon geschickt hat.“

Ich erzählte ihm darauf hin, welches Gesicht ich auf den Stufen des Tempels in Troja hatte und was ich glaubte gehört zu haben und natürlich erzählte er es Alexander und dieser ließ mich bald kommen.

Diesmal war ich in seinem Zelt mit ihm allein und er forderte mich auf von meinem Traumgesicht zu erzählen und ich wiederholte es, so gut ich es vermochte.

„Und das geschah, während wir das Grab es Achilleus umrundeten?“

„Ich konnte ja nicht mitmachen“, antwortete ich und deutete schmerzlich lächelnd auf mein Bein.

„Du sollst helfen, dass sich meine Sehnsucht erfüllt? Die Götter schicken mir in dir einen seltsamen Helfer.“

„Gesunde Krieger und Schreiberlinge hast du doch genug.“

„In der Tat. Tapfere Gefährten habe ich genug. Auch Schreiberlinge wie Eumenes, dem ich jeden Tag mein Tagebuch diktiere. Und Kallisthenes ist unser Chronist des Feldzuges und sorgt dafür, dass die Ereignisse den Griechen wie süße Trauben schmecken. Was also will der Gott von dir?“

„Ich weiß es auch nicht. Ich habe dir nur berichtet, was ich vor Trojas Tempel hörte. Ich habe mich nicht um diesen Auftrag gerissen. Es bleibt alles recht unklar.“

Alexander nahm mich bei der Schulter und ging mit mir im Zelt auf und ab, erst schweigend und dann sprudelte aus ihm heraus:

„Gut, ich will dir sagen, was meine Sehnsüchte sind. Ich werde die Sterne berühren und alles übertreffen, was je getan wurde, sei es nun von Sterblichen wie Epamoneindos oder Perikles, sei es von Halbgöttern wie Achilleus, Dionysos und Herakles. Ich werde bis zum Ende der Welt vorstoßen und meine Städte dort errichten, wo noch kein Grieche, geschweige denn ein Makedone gewesen ist. Die Ägypter sollen das Wissen über die Unsterblichkeit haben. Ich werden unsterblichen Ruhm erringen!“

„Sind das deine Sehnsüchte?“

„Ja. Und dabei wirst du mich begleiten, Bote des Apollon.“

Alexander reichte mir einen Becher Wein und wir stießen an und ich versprach ihm, den göttlichen Auftrag zu erfüllen.

Der Kriegszug ging weiter durch Westasien, dem Land, das uns die Weisheit schenkte. Natürlich ist Athen die Wiege der Kultur, aber es ist nur die eine Seite der Medaille. Wie jeder Grieche weiß, hat uns Ionien viele Philosophen gebracht und nicht nur Heraklit, sondern Thales und Anaximander, um nur einige zu nennen. Es ist heiliges griechisches Land und so nahmen wir Sardes in Besitz. Es warf sich Alexander bereitwillig in die Arme. Die Hauptstadt des westlichen Perserreiches, wo die von Susa kommende königliche Straße endete, nahm ihn wie einen Geliebten auf. Anfangs glaubte Alexander, dass es so weitergehen würde. Wir saßen in dem großen Palast auf der Spitze des Berges Tomolos zusammen und hielten Kriegsrat.

„Wir marschieren weiter. Immer weiter. An der Küste entlang bis wir nach Tyros kommen“, fasste er seine Pläne zusammen.

Währenddessen saß Apelles, der berühmte Maler, an seiner Seite und malte ihn, was uns nicht groß störte, doch etwas befremdlich war, denn dieser fluchte dauernd, weil Alexander keinen Augenblick still stehen konnte. Und das Alexanders Pferd Bukephalos mitten in der Halle stand, von Sklaven am Zügel gehalten, machte auf die Altmakedonen einen zwiespältigen Eindruck.

„Die persische Flotte bedroht uns“, erwiderte Parmenion mit einem Gesicht, als hätte er auf eine Zitrone gebissen.

Was er von der Gegenwart des Pferdes und des Malers hielt, brauchten wir ihn nicht zu fragen. Er hielt es für einen Affront und sah sich geringschätzig behandelt.

„Wir sollten eine Seeschlacht wagen“, fuhr er fort. „Bisher sind wir den Persern auf See immer überlegen gewesen. Ich erinnere nur an Salamis. Wenn wir sie vom Meer gefegt haben, können sie uns nicht in den Rücken fallen und wir können in aller Ruhe weiter marschieren.“

„Nein. Umgekehrt. Wir werden den Persern die Städte an der Küste wegnehmen und sie von ihren Heimathäfen absperren. Wir marschieren weiter und befreien Stadt um Stadt. Sie haben lange genug unter der Knute des Persers gelitten.“

Ich glaube nicht, dass das der eigentliche Grund war. Die Schiffe hatten die Griechen, insbesondere Athen, gestellt und er konnte sich nie sicher sein, dass sie ihn nicht doch im Stich ließen.

Von den Offizieren des Parmenion, alles alte Kämpen des Philipp, kam besorgtes Gemurmel und ein anderer als Alexander hätte sich vielleicht deren Mahnungen zu eigen gemacht. Doch er tat so, als wäre ihre Sorge unerheblich und ging zu Apelles und sah sich das Gemälde an und schüttelte unzufrieden den Kopf.

„Also, der Kopf des Bukephalos scheint mir nicht sehr gelungen.“

Apelles sah hoch und zu dem Pferd hinüber und dieses hob den Kopf und wieherte.

„Dein Pferd scheint mehr vom Malen zu verstehen als du.“

Wir, die Gefährten des Königs, lachten. Die Offiziere des Parmenion blickten böse drein, dass der König ihre Argumente so wenig achtete und sich, während sie ihre Sorgen vortrugen, mit seinem Maler beschäftigte. Zudem stimmte Alexander in unser Lachen ein.

„Der größte Fehler der Athener war, sich mit einem Sokrates anzulegen. Ich werde den Fehler nicht wiederholen und mich mit einem Maler streiten. Aber den Kopf würde ich an deiner Stelle doch überarbeiten.“

„Du bist nicht Apelles.“

„Nein. Und du nicht Alexander, sondern ein sturer Ziegenbock.“

„Es gibt einen anderen Ziegenbock, der genau so stur ist. Vielleicht muss man so sein, wenn man den persischen Widder besiegen will“, wehrte sich Apelles und der König schmunzelte. Hephaistion warf Apelles einen Beutel mit Drachmen zu und hieß ihn am nächsten Tag wiederzukommen. Als er an den Generälen vorbei ging hörte ich ihn flüstern: „Was seid ihr doch alles für Hosenscheißer.“

Er war ein rebellischer Geist, der Apelles, und für seine Kunst, aber auch für seine grobe Ausdrucksweise bekannt. Ihm bedeutete ein König nicht viel und schon gar nicht dessen Generäle. Er ließ nur Phidias gelten und Homer und die großen Tragödiendichter. Ich weiß dies so genau, weil ich ihn selbst zu Alexander geführt hatte und er mir gleich erklärte, dass er sich nichts darauf einbilde, Alexander malen zu dürfen und dass er nur komme, weil der König als großzügig gelte. Und im Übrigen sei es keine Kunst Menschen zu morden und Länder zu überfallen, sondern ein Verbrechen.

Darin mag er Recht haben. Aber dass man von Alexanders Taten im Gegensatz zu seinem Werk in tausend Jahren keiner mehr sprechen würde, das glaubte ich dann doch nicht. Er war ein sehr von sich eingenommener Mann, der Maler Apelles.

Nachdem sich die Generäle über Apelles’ Unverschämtheiten beruhigt hatten, fingen sie erneut an ihre Bedenken vorzutragen. Es lief alles darauf hinaus, dass Alexander auf die Erfahrung der Altmakedonen hören sollte. Bei Garnikos wäre viel Glück dabei gewesen. Sie hatten also die Hosen gestrichen voll. Sie wussten immer noch nicht, wie Alexander dachte, und sie würden es auch nie kapieren. Nur wir Jungen, seine Leibgardisten und Gefährten, die täglich um ihn waren, kannten ihn im Guten wie im Schlechten, wobei das letztere unsere Liebe zu ihm lange nicht beeinflusste.

„Leonnatos und Philotas, ihr reitet als meine Gesandten nach Milet und bringt denen die Botschaft, dass auch zu ihnen nun die Freiheit kommt. Auch dort wird man uns die Tore öffnen und wir werden in den Tempeln den Göttern huldigen.“

Ich war nicht gerade begeistert darüber und hätte als Begleiter lieber wieder den Attalos gehabt. Zumal Philotas mir schon oft seine Abneigung gezeigt hatte. Als Kommandeur der thessalischen Reiter war er mir rangmäßig überlegen, was mir auch nicht schmeckte. Aber dies konnte ich kaum öffentlich vorbringen und so schickte ich mich drein, den Befehl auszuführen.

Wir ritten schon am nächsten Tag los und nahmen dreißig Gefährten mit. Um Eindruck zu schinden, hatten wir uns schön herausgeputzt und mit genug Ketten behängt. Da ich kein so großer Freund von Gold bin, hatte ich mir von den Drachmen, die mir Alexander zur Beförderung als Leibgardist schenkte, meinen Brustharnisch sowie Helm und Beinschienen mit Silber beschlagen lassen. Ich fand mich sehr ansehnlich und nicht ganz so barbarisch wie Philotas, der wohl den gesamten Goldschatz des Agamemnon um den Hals und an den Armen trug. Ich war stolz darauf, dass ich mich nun als Kurier des Königs bezeichnen konnte und genoss den Ritt, die wunderbare Landschaft, die so schön ist, dass einem das Herz aufgeht und ließ mir durch Philotas, der mich nicht als gleichrangig behandelte, und sein mürrisches Wesen nicht die Laune verderben.

Wir wollten den Auftrag schnell hinter uns bringen und ritten bis in die Nacht hinein. Wir übernachteten auf freiem Feld, indem wir uns in unsere Mäntel hüllten. Schließlich waren wir Soldaten Makedoniens und wesentlich kühlere Nächte gewohnt.

Milet ist die heimliche Hauptstadt Westasiens und so griechisch wie Athen, ein kultureller und geistiger Mittelpunkt. Als wir die Mauern sahen, mit der Akropolis darüber, stockte uns der Atem und wir hielten die Pferde an und Philotas grinste wölfisch.

„Sie sind reich, diese Herren in Milet! Hoffentlich ergeben sie sich nicht. Fette Beute, nicht wahr?“

„Du weißt doch, dass wir hier sind, um Ionien zu befreien und nicht, um es auszuplündern!“ entgegnete ich.

„Du bist ein Träumer, Leonnatos. Dafür hätte kein Makedone die Heimat verlassen.“

An dem Stadttor ließ man uns anstandslos passieren und wir ritten, bestaunt vom Volk, zur Agora. Aber niemand jubelte. In Sardes war dies anders gewesen. Aber hier rief keiner „Hoch lebe Alexander“. An der Agora saßen wir ab und ließen unsere Begleitmannschaft zurück. Philotas nahm einen Thraker und ich nahm Phokis mit und wir stolzierten in den Empfangssaal der Bürgerhalle. Dort war alles versammelt, was in Milet Rang und Namen hatte. Philotas leierte die Botschaft Alexanders herunter. Er machte es so hochmütig, dass die Mienen der Ratsherren versteinerten. Philotas’ Rede lief darauf hinaus, dass sie froh sein könnten, dass ihnen Alexander die Freiheit brachte und er im Übrigen nicht verstehen könne, warum sie dafür nicht selbst gesorgt hatten. Der Dummkopf bedachte nicht, dass die Mileter einst den Aufstand gegen die Perser anführten und dafür fürchterlich bestraft worden waren. Die Mileter redeten eine Weile drum herum und sprachen von Wohltaten, die sie vom Großkönig in der letzten Zeit erfahren hatten. Wir mussten also feststellen, dass die große Freiheit, die Alexander verkündete, nicht für alle Ionier so attraktiv war wie wir gedacht hatten.

„Ihr müsst euch ja auch nicht ergeben!“ sagte Philotas grinsend. „Dann ergeht es euch so wie Theben.“ Er drehte sich um und deutete mir mit dem Kopf an, dass wir gehen sollten und so stiefelten wir wieder hinaus.

„Das hast du ja toll hinbekommen“, rief ich Philotas zu, als wir aufsaßen.

„Wir haben unseren Auftrag doch ausgeführt!“ sagte Philotas gleichmütig und schwang sich aufs Pferd.

Der Kommandant der miletischen Garde kam nun winkend aus der Ratshalle und bat uns zurückzukommen. Philotas schüttelte den Kopf und wollte los reiten. Aber da ich wieder vom Pferd stieg, blieb ihm nichts anderes übrig, als mir mit wütendem Gesicht in die Halle zu folgen. Die Gesichter der Ratsherren waren kalkweiß. Aber sie beteuerten nun, dass sie Alexander als Schutzherrn anerkennen würden und ihn gern willkommen hießen.

„Warum nicht gleich so“, brummte Philotas. „Wir werden es dem König ausrichten.“

Wir ritten also mit guten Nachrichten zurück. Philotas sprach auf dem Rückweg kein Wort mit mir. Alexander war jedenfalls sehr zufrieden und lobte unser Verhandlungsgeschick.

„Ich hatte schon befürchtet, dass wir die Stadt belagern müssen. Wir hätten Zeit verloren. Wie die gefangenen Perser berichten, sind die Mileter gute Untertanen des Großkönigs geworden. Das war gute Arbeit, ihr beiden.“

Nach der Audienz nahm mich Ptolemaios beiseite: „Du siehst nicht sehr zufrieden aus. Was war denn los?“

Ich erzählte ihm, wie es abgelaufen war.

„Sie fühlen sich unter persischer Herrschaft wohler als in griechischer Freiheit?“

„Sieht so aus, Ptolemaios.“

„Das kann ja heiter werden.“

Es wurde bereits am nächsten Tag heiter und trug mir unzufriedene Blicke Alexanders ein. Die Mileter schickten eine Gesandtschaft, die nun erklärte, dass man doch neutral bleiben wolle. Sie würden Alexander ehren, aber sie würden auch den Großkönig Dareios achten, der ihnen so viele Wohltaten erwiesen habe. Alexander sah mich stirnrunzelnd an.

„Habt ihr irgendetwas falsch verstanden, als ihr bei ihnen wart?“

„Nein. Überhaupt nicht“, beeilte sich Philotas zu sagen, mit einer Miene, die befürchten ließ, dass er am liebsten über die Abgesandten herfallen würde.

„Leonnatos?“ fragte mich Alexander nun.

„Sie waren schon recht widerspenstig. Erst als Philotas mit dem Schicksal Thebens drohte, knickten sie ein.“

„Ach so war das?“

Alexander lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah die Mileter drohend an.

„Ihr zieht also den Großkönig der Freiheit vor. Das nenne ich Verrat an Griechenland! Wie erbärmlich seid ihr. Habt ihr euch für persisches Gold verkauft wie die Spartaner?“

Die Mileter zitterten wie Espenlaub. Aber Alexander war kein Barbar. Jedenfalls durften sie unbehelligt mit der Botschaft von dannen ziehen, dass ein Strafgericht auf sie wartete, wenn sie sich für den Großkönig entschieden. Natürlich würde er keine Neutralität akzeptieren.

Nun war der König nicht mehr zu halten. Am nächsten Tag brach das Heer auf und wir marschierten auf Milet zu. Sie hätten es sich überlegen sollen, Alexander zu trotzen. Die großen Belagerungsmaschinen brachten bald die Mauern zu Fall. Die persische Flotte, mit deren Hilfe die Mileter gerechnet hatten, konnte nicht in den Hafen einlaufen, da dieser durch Alexanders Flotte blockiert wurde. Die Schiffe der Perser mussten wegen Trinkwasserknappheit unverrichteter Dinge nach Samos zurück segeln. Das einfache Volk von Milet empfing Alexander zu unserem Erstaunen wie einen Befreier. Die Oligarchen hingegen, der miletische Adel und die reichen Handelsherren, verschanzten sich in der Zitadelle, die bald von den Gefährten zu Fuß erobert wurde. Alexander gab das Stadtviertel der Vornehmen einen Tag zur Plünderung frei.

Als wir mit dem König die Ratshalle betraten, in die man die Oligarchen gebracht hatte, starrten uns die Gefangenen ängstlich entgegen. Ihr Stolz war gebrochen. Alexander jedoch war ganz friedlich und begnadigte sie. Selbst die griechischen Söldner wurden diesmal nicht in die thrakischen Bergwerke geschickt, sondern als Söldner in unsere Mannschaften eingereiht. Alexander hatte gelernt. Lediglich die persischen Gefangenen erwartete ein Sklavendasein. Die Mileter waren nun zuckersüß und begeistert zeigten sie ihm die Statuen auf der Agora, lauter Statuen von Olympiasiegern, um so zu demonstrieren, wie griechisch sie waren. Aber damit konnten sie Alexander nicht imponieren.

„Wo waren diese Sieger, als ihr das Joch Persiens auf euch nahmt?“ erwiderte er kalt. In der Tat eine gute Frage.

Nach wenigen Tagen hatte der König die künftige Ordnung in den Städten geregelt, und wir konnten gegen Halikarnassos ziehen, wo sich, wie unsere Späher berichteten, Memnon verschanzt hatte. Doch wir waren guten Mutes und das nicht nur, weil wir Milet in unsere Gewalt gebracht hatten, sondern es sprach sich herum, was in Dydyma passiert war, und dies hatte auch mit den Göttern zu tun und verstärkte die Zuversicht der Makedonen.

Nachdem sich Sardes uns in die Arme geworfen hatte und Milet klein beigeben musste, unterwarf sich auch Epheso und sie luden Alexander ein, sich doch davon zu überzeugen, wie sehr ihn die Einwohner liebten. Alexander, der auf solche Worte immer mit Zuneigung reagierte, entschloss sich ohne große Begleitung nach Ephesos zu reiten. Er nahm nur fünfhundert Getreue mit. Nein, diese Stadt musste nicht mit dem Schwert erobert werden. Hier reichte bereits sein wachsender Ruhm. Er musste sich nur darum kümmern, wer von nun an in seinem Namen die Stadt regieren sollte. Und das war auch für einen Alexander nicht immer einfach, da die Unterworfenen sich nur von der besten Seite zeigten und ihm zujubelten und nach dem Mund redeten. Aber sein Instinkt war noch unverdorben, und die Männer, die er für die Regierung bestimmte, erschienen auch mir rechtschaffen. Als er dem Rat versprach, den Tempel der Artemis wieder aufzubauen, nahm der Jubel kein Ende. Zu diesem Tempel hatte er eine besondere Beziehung. Es ging das Gerücht, dass Herostratos den Artemistempel am Tage der Geburt Alexanders angezündet hatte. Er sorgte also dafür, dass der Ruf „Groß ist die Artemis von Ephesos“ bald wieder zu hören sein würde. Ich fand, dass er mit Weisheit regierte.

Doch schon bald wurde er unruhig. Die Sitzungen wurden immer kürzer und er packte in seinen Tagesablauf so viele Besprechungen, dass wir ihn in seinem Schaffensdrang zwar bewunderten, aber auch um seine Gesundheit fürchteten. Er schlief nur noch wenige Stunden.

Eines Nachts, ich hatte zusammen mit Ptolemaios und Attalos Wache vor den Königsgemächern zu Ephesos, kam er mit Hephaistion im Schlepptau herausgeschossen und winkte uns zu, ihm zu folgen.

„Ihr kommt mit!“ sagte er nur kurz.

Wir ritten mit kleiner Bedeckung mitten in der Nacht aus Ephesos heraus. Nur er wusste wohin. Attalos und Ptolemaios ritten mit den Fackelträgern an der Spitze der Schwadron. Alexander war sehr still und wirkte wie abwesend. Es dämmerte bereits, als wir in Dydima ankamen.

Es war noch sehr früh und auf den Straßen war noch niemand zu sehen. Wir ritten zum Apollontempel. Nun wusste ich, warum er mich dabei haben wollte. Noch vor dem Tempel kamen wir am riesigen steinernen Haupt der Gorgon vorbei und mir schien, als blicke sie sorgenvoll, als zweifle sie daran, daß der Beistand, den sie den Menschen brachte, wirklich zu ihrem Nutzen war. Wir sprangen vor dem Apollontempel von den Pferden und gingen die Treppe hoch, als Alexander sich plötzlich umdrehte und befahl, dass die anderen vor dem Tempel warten sollten.

„Nur Leonnatos kommt mit!“ Mit entschuldigendem Lächeln zu Hephaistion setzte er hinzu: „Es geht um mich und seinen Gott.“

„Verstehe“, sagte dieser. Aber besonders erfreut war er natürlich nicht.

„Ich will wissen, ob Delphi Recht hat.“

„Du bist in Asien!“ erwiderte Hephaistion. „Du hast bei Garnikos gesiegt.“

„Das war nur der erste Schritt von vielen.“

„Gut. Ich warte“, sagte Hephaistion gepresst. Er sah krank aus. Vielleicht lag es an dem grauen Licht des frühen Morgen.

Wir gingen in den Tempel. Drei Priester kamen uns entgegen. Sie waren alt. Sehr alt. Zu alt für die neue Zeit und das was Alexander in ihr war. Doch der König blieb höflich stehen und sie verneigten sich vor ihm und er grüßte ehrerbietig zurück.

„Du willst dem Apollon opfern, König der Makedonen?“

„Ja. Und eine Auskunft einholen.“

„Dann stelle deine Frage.“

„Ich werde sie dem Gott selbst stellen.“

„Die Quelle ist versiegt. Der Gott spricht nur noch durch uns.“

„Ich brauche keinen weiteren Mittler, um mit Apollon zu sprechen! Durch Leonnatos hat er schon zu mir gesprochen.“

Das war zuviel der Ehre und besonders wohl war mir nicht dabei. Ich kannte Alexander gut genug, um seine Ungeduld aus der Stimme herauszuhören. Er winkte mir zu und wir gingen an den Priestern vorbei ins Allerheiligste und die Treppe hinunter, die zu der ‚Halle der Stimme’ führte.

„Geh nicht weiter!“ hörten wir hinter uns einen der Priester rufen. „Geh nicht hinunter, wenn du ein langes Leben haben willst!“

Doch Alexander konnte man nicht mit der Angst vor dem Tod aufhalten. Und ich folgte ihm, weil er mein König war und insgeheim auch darauf vertraute, dass Apollon nicht gerade zu den rachsüchtigen Göttern gehörte. Und war ich nicht sein Bote?

Es war ein wundersamer Raum, von einem Säulengang umgrenzt. Vor uns war eine Bank aus Stein, auf die sich, als Apollon noch sprach, der Ratsuchende zu setzen hatte. Dahinter war ein riesiges Wasserbecken, das jedoch leer war. Über dem Becken an der Wand war ein großer Apollonkopf. Mit aufgerissenem Mund und weit geöffneten Augen starrte uns der Gott an. Doch aus dem Mund sprang kein Wasserstrahl. Das Kinn Apollons war rotbraun verfärbt. Die Quelle galt schon seit Generationen als versiegt. Aus dem Boden des Beckens stiegen Dämpfe hoch. Es war feucht und warm in der Halle. Längst hatten wir die Helme abgenommen. Alexander setzte sich vorsichtig auf die Bank und starrte das Haupt des Gottes an. Mit fester Stimme fragte er, wozu ihn sein Vater Zeus–Amun auf die Welt geschickt hatte.

„Was ist meine Bestimmung, Apollon? Wohin führt mich mein Weg? Wozu bin ich da?“ Seine Stimme hallte in dem Raum und kam mehrmals gebrochen zurück und blieb ohne Antwort. Wieder schrie er ungeduldig werdend die Fragen. Schließlich drehte er sich zu mir um, als hätte ich Schuld daran, dass man ihm nicht antwortete. Mein Traumgesicht hatte ihn schließlich darauf gebracht hierher zu kommen und ich wollte ihm helfen und rief dem Apollonkopf zu: „Was ist Alexanders Bestimmung?“ Meine Stimme verhallte. Der Gott antwortete nicht.

Mit vorwurfsvollem Blick nahm Alexander seinen Helm und stand auf und wir wandten uns dem Ausgang zu. Doch nun kam eine Antwort. Anders, als wir es erwartet hatten. Aus dem marmornen Mund des Apollon begann ein Rinnsal herauszulaufen. Wir stürzten zum Beckenrand zurück. Das Rinnsaal wurde zu einem Strahl. Die Quelle des Apollon war zurückgekommen. Dampfendes Wasser fiel in das Bassin und ich setzte mich wieder auf die Bank und schloss die Augen, und nun hörte ich den Gott und er sagte, dass Asien Alexander gehören würde und ihm dennoch weder Glück noch Zufriedenheit beschieden sei, bis zu der Stunde, in der er seine letzte Sehnsucht erkenne.

Alexander schüttelte mich. „Was ist mit dir, Leonnatos? Hörst du etwas?“

„Ja. Er spricht zu mir!“ flüsterte ich.

„Was sagt er? Was?“

„Was ist die letzte Sehnsucht Alexanders?“ rief ich.

„Er muss das finden, das ihn wertvoll macht“, hörte ich im Rauschen des Wassers.

Ich flüsterte Alexander dies zu. Er war über diese Botschaft nicht sehr glücklich.

„Ich bin Alexander! Zu meinen Ahnen zählen Herakles und Achilleus!“ rief er trotzig.

Apollon mutete ihm ganz schön etwas zu. Aber das ist uns Menschen von den Göttern nicht so ganz unbekannt. Jeder von uns hat dies schon einmal erfahren. Für jemanden, der sich als Abkömmling eines Göttergeschlechtes versteht, ist das natürlich schwer zu verdauen.

„Asien zu erobern ist gar nichts! Nur wenn er den Menschen etwas gibt, erweist er sich der Gaben würdig, die ihm die Götter gaben“, raunte die Stimme.

Ich sagte dies Alexander, war ihm die Stimme des Gottes.

„Nichts?“ fragte Alexander wild. „Ich würde Achilleus übertreffen und Herakles. Kein Mensch würde mir gleichen.“

Ein Stöhnen hörte ich in der Fontäne aus dem Mund des Apollon. Es klang, als würde sich der Gott über die Dummheit der Menschen ärgern.

„Nur wenn du mehr bist als ein Landeroberer und Städtezertrümmerer wirst du unsterblich werden.“

Ich zögerte ihm dies zu sagen. Denn das wollte Alexander gewiss nicht hören. Aber ich war der Bote des Gottes und gehorchte ihm und sagte Alexander seine Worte.

„Mehr zu sein als Herr Asiens? Was will er mir sagen? Frage ihn! So frage ihn doch!“

Ich tat es. Aber ich hörte nur noch das Rauschen des Wassers aus dem Mund des Gottes. Wir lauschten noch lange in die Dämpfe hinein und Schweiß lief über unsere Gesichter. Alexander sank auf die Bank zurück und wir atmeten tief die Dämpfe ein. Wir warteten. Ich weiß nicht wie viel Zeit verstrich. Die Dämpfe rochen merkwürdig. Traumgesichte gaukelten vor meinen Augen. Ich sah uns in riesige Städte einziehen. Menschen jubelten uns zu. Ich sah uns brandschatzen, sah Alexanders Gesicht inmitten von Flammen und dann Menschen, die Gefährten, an ihm vorbeiziehen. Er lag schweißnass auf einem Lager und ich sah ihn mir einen Befehl geben, aber ich hörte nicht die Worte, sah mich schließlich durch eine Wüste reiten.

Alexander zog mich hoch. Benommen taumelten wir zum Ausgang. Als wir in die Vorhalle des Tempels traten, hörte ich noch einmal die Stimme raunen:

„Leonnatos, gib auf ihn acht!“

Ich drehte mich um. Aber es kam keine weitere Erläuterung.

„Sehr auskunftsfreudig war dein Gott nicht!“ klagte Alexander unzufrieden. „Was ist es, was größer ist als Herr Asiens zu sein?“

„Er sagte mir zum Schluss, daß ich auf dich achtgeben soll. Vielleicht ist es eine Warnung, daß du an einem Abgrund entlang gehst. Du bist ständig in Gefahr.“

„Das weiß ich seit meiner Kindheit, als man eine Schlange in meinem Bett fand“, erwiderte er unwirsch.

Nun kamen die Priester auf uns zugeflattert. Erregt wedelten sie mit den Armen.

„Ein Wunder! Ein Wunder für Alexander! Die Quelle ist zurückgekommen.“

„Der Gott hat gesprochen. Asien gehört mir!“ sagte mein König und befahl den Priestern den Tempel zu reinigen und dem Apollon zu opfern und diese Botschaft zu verkünden.

„Du bist mir ein wertvoller Freund, Leonnatos!“ sagte Alexander, als wir dem Ausgang zueilten. „Wenn der Gott das nächste Mal zu dir spricht, dann frage ihn, was das ist, was mich erst wertvoll macht. Hörst du, das ist wichtig für mich, für uns, für alle Makedonen.“

Er schüttelte mich freundschaftlich und als wir draußen waren, sagte er zu Hephaistion. „Apollon hat durch den Mund Leonnatos’ zu mir gesprochen. Wir werden Asien unterwerfen.“

Alexander sah zum Himmel. Die Sonne stand bereits hoch. Wir waren viele Stunden im Tempel gewesen, doch uns erschien es nur wie Augenblicke. Ich weiß, in meinem Bericht ist viel von den Göttern die Rede. Aber wer Alexander begreifen will, der muss wissen, dass er sich mit den Göttern auf gleicher Augenhöhe fühlte. Ich habe immer an Apollon festgehalten. Ohne die Götter ist das Leben nicht zu ertragen und wir werden stumpf wie die Tiere, gleichgültig und ängstlich und der Glaube an die Zukunft schwindet. Ohne die Götter gibt es keine Träume, keine Phantasie. Wenn ich heute manchmal verzweifelt bin, dann gehe ich im hohen Mittag in einen Olivenhain und lege mich in den Schatten der Bäume, und nach kurzer Zeit höre ich im Rauschen der silbern schimmernden Blätter das Tollen der Satyrn, das Gurren der Sirenen und manchmal höre ich sogar noch immer die Stimme des Gottes. Der große Pan lebt. Er wird nie sterben, sondern in sich wandelnder Gestalt zu uns Menschen gehören. Die Götter sterben nicht. Würden sie sterben, wären wir verloren und würden zu Tieren werden.

Wir stiegen auf die Pferde. Eine Abordnung von Dydima kam heran und entbot dem König ihren Gruß.

„Ich werde dem Apollontempel einen Tribut vom nächsten Schlachtfeld schicken!“ versprach Alexander. „Lasst in die Mauern des Tempels einmeißeln: ‚Hier versprach Apollon Alexander die Herrschaft über Asien’.“

Er nickte ihnen zu, schnalzte mit der Zunge und wir ritten weiter und aus der Stadt, und die Gefährten warfen Alexander verwunderte Blicke zu, da er sehr einsilbig blieb. Er wirkte immer noch in sich gekehrt, als wir vor dem Palast in Sardes von den Pferden stiegen.

„Wenn ich nur wüsste, was das Mehr bedeutet?“ sagte er zu mir, als wir die Treppen hochstiegen. „Was ist es, was mehr ist, als der Herr der Welt zu sein?“

„Vielleicht wollen die Götter, dass du in dir etwas findest, was du noch nicht kennst.“

„Sie behandeln mich … wie einen Menschen!“ sagte er unzufrieden.

Ich hielt dazu lieber den Mund.

Als wir die Königshalle betraten – Hephaistion hatte sie so getauft, weil sie mit ihren vergoldeten Säulenkapitellen wirklich prächtig aussah – kam uns Parmenion aufgeregt entgegen.

„Den Göttern sei Dank, dass du wieder da bist. Wir haben schlechte Nachrichten.“

Alexander nickte gleichmütig und reichte mir seinen Helm. Diener eilten herbei mit Tabletts voller Früchte und Schalen mit Käse, Brot und Oliven und Bechern mit Wein. Wir legten uns auf die Liegen und tranken, und nun erst forderte Alexander Parmenion auf zu sprechen.

„Unsere Kundschafter sind von Halikarnassos zurückgekommen. Memnon hat sich dort verschanzt. Er hat jetzt den Oberbefehl über Westasien bekommen und er hat griechische Söldner angeworben. Sphialtes und Thrasybulos, die uns damals in Theben so viel Ärger gemacht haben, sind zu ihm gestoßen.“

„Gut zu wissen, dass Verräter ihre Deckung verlassen. Aber was sind die schlechten Nachrichten?“

„Unterschätze Memnon nicht, Alexander!“ warnte Parmenion. „Er ist ein guter Stratege. Wenn er bei Garnikos die Befehlsgewalt gehabt hätte, wer weiß, ob wir Sieger geblieben wären….“

„Er ist ein Ärgernis!“ gab Alexander zu. „Aber nicht mehr. Wir werden in Halikarnassos nur wieder aufgehalten. Wir müssen noch einige Schlachten schlagen, ehe wir die Herren der Welt sind.“

Bisher war immer von der Befreiung der Griechen in Westasien die Rede gewesen. Jetzt gab der König offen zu, dass er ein wesentlich größeres Ziel im Auge hatte. Parmenion machte ein Gesicht, als habe Alexander wirr geredet.

„Da ist noch etwas!“ stammelte der Alte.

„Dann raus damit!“

„Es geht das Gerücht, dass Memnon dem Großkönig vorgeschlagen hat, dich ins Land zu locken, keine Schlacht zu schlagen, sondern dich durchs Land ziehen zu lassen, bis du keine Vorräte mehr hast und umkehren musst. Verbrannte Erde soll dich besiegen.“

„In der Tat?“ fragte Alexander und sah mich an.

„Wenn er das vorhat, warum verschanzt er sich in Halikarnassos?“ kam ich dem König zu Hilfe und Alexander lächelte zufrieden.

„Ja, Leonnatos ist nicht nur ein guter Bote, sondern hat auch Köpfchen. Warum stellt sich Memnon dann in Halikarnassos?“ fragte er mit sardonischem Lächeln.

„Ich weiß es nicht“, gab der Alte zu.

Plötzlich tauchte mein Vater hinter ihm auf und gab ihm eine Papyrusrolle. Parmenion rollte sie auf und las und nickte meinem Vater dankbar zu.

„Anthes gibt mir gerade eine Erklärung auf deine Frage. Dareios scheint diese Strategie abgelehnt zu haben. In der Bucht von Halikarnassos sind 400 Segler eingetroffen. Wir sollten doch noch einmal bedenken, ob wir ihnen nicht eine Seeschlacht liefern.“

„Haben wir 400 Schiffe?“

„Der Bund hat sie.“

„Ja. Der Bund. Schiffe aus Athen und Korinth. Die sind mir nicht zuverlässig genug. Es bleibt dabei. Wir rüsten die Flotte ab. Die Matrosen und Seesoldaten können wir gut bei den Hypaspisten, bei den Leichtbewaffneten, gebrauchen. Wir werden die persische Flotte aushungern, indem wir die Städte an der Küste erobern. Nach Halikarnassos ziehen wir die kilikische Küste hoch.“

„Halikarnassos ist gut befestigt!“ warnte Parmenion.

Doch Alexander machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir werden noch auf manche Stadt treffen, die gut befestigt ist. Du sorgst dafür, dass wir das Belagerungsgerät rechtzeitig vor der Stadt haben. Unsere Ingenieure und Techniker werden die Welt aufhorchen lassen. Mir ist vor Halikarnassos nicht bange und ….“ Er brach ab und sah mich wieder an.

„Leonnatos! Sag ihm, was Apollon geweissagt hat!“

Ich stand auf. Ich mochte Parmenion nicht. Er hatte mir zwar nichts getan, aber mein Vater war sein Adjutant und Philotas nun auch nicht gerade mein Freund. Aber ich hatte einen gehörigen Respekt vor ihm. Er verkörperte schließlich das alte Makedonien.

„Apollon versprach Alexander die Herrschaft über Asien. Er sprach zu Alexander durch meinen Mund.“

„Du hörst es! Lass diese Botschaft im Heer verkünden und die Männer werden voller Tatendurst sein und tapfer kämpfen.“

Parmenion stöhnte und schüttelte den Kopf.

„Wisst ihr jungen Leute denn nicht, wie groß Asien ist?“

„Wir jungen Leute fürchten die Größe nicht und nicht das Unbekannte und die Grenze!“ antwortete Alexander.

Wir murmelten zustimmend. Wir waren die Jugend. Mochten die Alten Bedenken haben und verzagen. Ich fragte mich in diesem Augenblick, ob die Quelle im Tempel des Apoll noch immer Wasser spendete.

Alexanders letzter Traum

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