Читать книгу Echnatons Bruder. Der Pharao und der Prophet - Heinz-Joachim Simon - Страница 10

Die Heimkehr des Sohnes

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Alles, was geschieht in Ober- und Unterägypten, geschieht durch die Götter, so predigen es die Priester, und der Herr der Binse und Biene vollstreckt ihren Willen. Er ist der fleischgewordene Gott, Inkarnation der Götter Osiris und Horus, und Bewahrer von Ordnung und Recht.

Viele Hapi waren ins Land gegangen. Der Nil hatte die Ufer gewässert und den segensreichen Schlamm gebracht und das Land war im Gleichgewicht der Maat. Die Götter liebten Amenophis und ließen ihn lange bei seinem Volk. Die Menschen waren an ihn gewöhnt und liebten ihn und konnten sich nicht vorstellen, dass er nicht mehr in seinem Haus in Theben unter ihnen weilte. Nefertari war nie wieder zum Pharao gerufen worden, gleichwohl galt sie als seine Gemahlin, aber dies traf auch für viele andere Frauen im Haus der Frauen zu.

Ihr Leben verlief eintönig und alle Ehren wurden ihr schal, alle Annehmlichkeiten zu einer Gewohnheit, die sie nicht mehr wahrnahm. Je älter sie wurde, umso nutzloser fühlte sie sich. Sie trank gleichgültig den Becher des Glücks und erkannte auf dessen Grund nur die Sinnlosigkeit ihres Daseins. Immer öfter schlich sich nun in ihre Gedanken, dass sie einen Sohn geboren hatte und sie fragte sich, was aus ihm geworden war. Anfangs vermochte sie den Gedanken wieder zu verdrängen, aber wie eine Mücke kam er immer wieder und störte ihre Ruhe.

Eines Tages fasste sie den Entschluss, ihm nachzugeben. Sie ging in den Garten und suchte den Gärtner auf, dem sie sich einst hingegeben hatte und der nun zum Obergartenpfleger aufgerückt war. Beinahe hätte sie ihn nicht wiedererkannt. Wie Tau hatte sich die Zeit auf sein Gesicht gelegt. Seine Haut war grau und die Muskeln waren schlaff geworden. Seine Schönheit war nur eine Erinnerung. Er übte keinen Reiz mehr auf sie aus. Im Gegenteil, sie fand Widerwillen bei dem Gedanken, sich ihm einst hingegeben zu haben.

»Du Schmutz unter meinen Sandalen! Was ist aus dem Kind geworden?«, fragte sie kalt und voller Hochmut, jede Vertraulichkeit von vornherein unterbindend.

Er sah sie lange schweigend an. Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Nun rede!«

Ein Lächeln flog über sein Gesicht, sanft und voller Verständnis.

»Du hast dich nicht verändert, Nefertari.«

»Deine Rede ist mir wie Fliegengesumm! Ist das Kind tot?«

»Oh nein. Es lebt bei meinem Bruder im Delta, wie ich es dir damals zugesagt habe. Es geht ihm gut und es wächst zu einem prächtigen Jungen heran.«

»Fragt er nach mir? Geht er in den Tempel?«

»Nein. Du weißt doch, warum dies nicht geht, soll er doch ein Findelkind sein. Jochebed ist ihm die Mutter. Er weiß nicht von dir und den Tempel braucht er nicht aufzusuchen. Er betet zu dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.«

»Er betet nicht zu Amun-Re?«

»Nein. Wie sollte er auch? Er wächst als Habiru auf.«

»Wie einer aus dem Sklavenvolk«, stellte sie unzufrieden fest.

»Wie einer aus dem Volk, das für den Pharao die Tempel baut«, bestätigte er.

»Er kennt also nicht den Weg in den Westen zur Waage des Anubis und das Urteil vor Osiris?«

»Nein. Mit solchen Greueln lässt ihn mein Bruder nicht aufwachsen.«

»Greuel? Was wagst du mir ins Gesicht zu sagen, Unwürdiger? Mein Sohn ist verworfen, wenn er nicht weiß, was jeder unseres Volkes weiß.«

»Er ist ein Habiru, Nefertari«, wiederholte er sanft.

Angst presste das Herz der Prinzessin zusammen, wurde sie sich doch wieder bewusst, dass sie gegen das Gleichgewicht der Maat, gegen Wahrheit, Ordnung und Gerechtigkeit, verstoßen hatte. Damit würde ihre Lebenswaage vor Osiris nicht im Gleichgewicht sein und ihr Herz würde von einem Dämon verschlungen werden.

»Mein Sohn muss in ordentliche Verhältnisse.«

»Dann lass ihn dort leben, wo er ist. Er wächst zu einem Menschen heran, wie man ihn sich besser kaum vorstellen kann. Wie ich von einem Habiru aus seinem Dorf hörte, ist er weit über sein Alter klug und wird ein Gerechter unter dem Herrn.«

»Er ist ein Prinz aus dem Hause Amenophis. Er gehört in den Palast. Ich werde dir Bescheid geben, wenn ich eine Entscheidung getroffen habe.«

»Du willst ihn als deinen Sohn anerkennen?«, fragte er erstaunt. »Du hast dich doch seiner geschämt!«

»Ach was. Ich hatte andere Gründe damals, ihn wegzugeben. Doch es ist viel Zeit verflossen. Ich war damals sehr … jung und verletzt«, gestand sie stockend.

»Du bist dir der Tragweite bewusst?«, insistierte Isaak und betrachtete sie aufmerksam. Die Jahre schienen spurlos an ihr vorbeigegangen zu sein. Aber um ihren Mund lag ein grämlicher Zug, der ihn dauerte.

»Wieso? Welcher denn?«

»Er ist ein Habiru und … mein Sohn.«

Sie zuckte mit den Achseln.

»Er ist vor allem mein Sohn und wird sein, was ich will. Er hat das Blut unserer Familie in seinen Adern«, gab sie zurück.

»Warum dieser Sinneswandel?«

»Ich will es so!«

Der Obergartenpfleger, dem sie einst ihren Leib überlassen hatte, verneigte sich tief.

»Du bist die Tochter und Gemahlin des Allgewaltigen, ich verstehe.«

»So ist es, Habiru!«, erwiderte sie und ging aus dem Garten.

Ihr Entschluss war gefasst. Sie wollte ihren Sohn zurück, um ihrem Leben einen Sinn zu geben und das Unrecht wieder gut zu machen, das sie einst begangen hatte. Sie überlegte lange, wie sie vorgehen sollte, und beriet sich mit ihrer Amme, die ihr näher war als ihre leibliche Mutter. Aber auch sie wusste keinen Rat.

»Immerhin hast du den Sohn des Pharao weggegeben«, warnte sie Nefertari. »Ich habe dich damals gewarnt, dass es gegen die göttliche Ordnung verstößt, das Kind fortzugeben. Du hast dein Muttersein verletzt.«

»Ja, ja. Summe mir nicht so ärgerliche Vorhaltungen. Du weißt doch, was passiert war.«

»Der Pharao wird zornig werden, wenn er die Wahrheit erfährt. Wer weiß, was geschieht, wenn du ihm deinen Frevel gestehst. Er wird dich aus seinem Palast entfernen und dich irgendeinem Gefolgsmann schenken und du wirst in dessen Frauenhaus an der Grenze des Reiches ein langweiliges, ödes Leben führen. Besinne dich, Nefertari!«

Sie fantasierten wilde Pläne und kamen doch zu keiner Lösung. Da die Amme erkannte, dass Nefertaris Wunsch nach ihrem Kind umso stärker wurde, je größer die Hindernisse erschienen, verwies sie schließlich auf Teje.

Die Hauptfrau des Pharao war erstaunt, als Nefertari um eine Audienz bei ihr bat.

»Du bist doch die Tochter jener Frau, die glaubte, sie könnte mich aus dem Herzen Amenophis’ verdrängen, nur weil du kurz das Bett des Königs geteilt hast.«

Sie lag langgestreckt auf einer goldenen Liege und musterte Nefertari feindselig. Die Dienerinnen fächerten ihr Luft zu.

»Ich habe gefehlt. Ich möchte dir ein Geheimnis anvertrauen und um deinen Rat bitten.«

»So? Einen Rat willst du? Dann lass hören.«

Sie scheuchte die Dienerinnen hinaus und hieß Nefertari, sich zu setzen und nickte ihr aufmunternd zu. Als sie sah, das Nefertari noch mit sich kämpfte, sagte sie weniger streng:

»Da war doch diese Geschichte, als die Frucht des Pharao entführt wurde, nicht wahr? Der Pharao war damals sehr bestürzt. Er war so stolz darauf gewesen, in seinem Alter noch zeugen zu können. Der Hohepriester hatte ihm einen Floh ins Ohr gesetzt, dass aus diesem Knaben dem Reich ein Schild und Schwert erwachsen würde, ein Gewaltiger, dessen Name noch in tausenden von Jahren unvergessen ist.«

Nefertari nickte. »Es geht um den Knaben. Wir ließen ihn, wie es Brauch ist, in einem Kästchen aus Pech auf dem Nil schwimmen und es kamen Männer und entführten ihn.«

»Ich erinnere mich. Und?«

»Ich hatte es mit einem Diener abgesprochen; er half mir, das Kind zu entführen.«

Teje sprang auf und starrte sie verwundert an.

»Warum, bei Amun-Re? Was war der Grund?«

»Ich wollte … Ich war noch ein halbes Kind. Der Pharao hatte mir wehgetan und ich wollte ihm wehtun. Die Frucht der Nächte mit ihm sollte ihm keine Freude bereiten. Ich wollte auch durch das Kind nicht ständig an das Unglück erinnert werden. Jawohl, der Pharao bereitete mir nur Schmerz und Scham.«

»Dein eigen Fleisch und Blut aus dem Samen des Pharao weggeben? Ein unerhörter Frevel an der Göttlichkeit des Pharao. Du bist eine Verworfene und dümmer als ein Mistkäfer!«

»Ja, ich war töricht und so jung.«

»Und dieser Diener, der dir geholfen hat? Warum half er dir?« Sie legte den Finger an ihr Kinn und nickte. »Ich verstehe. Du hast dich mit ihm …«

Nefertari senkte den Kopf, aber schwieg.

»Oh ja, ich verstehe. Du hast mit ihm … und weißt vielleicht nicht einmal, ob das Kind von ihm oder vom Pharao stammt.«

»Oh doch …doch! Ich weiß, dass es vom großen Pharao, unserem Herrn, stammt. Aber ich hasste ihn so und wollte es nicht. Er war doch mein Vater.«

»Du bist sicher die dümmste Frau, die je im Haus der Frauen gelebt hat. Jede Frau ist glücklich, wenn sie von meinem Gemahl ein Kind empfängt.«

»Seth hat mich auf Abwege geführt.«

»Schieb es nicht auf Seth! Was ist mit dem Diener?«

»Er ist … tot«, log sie. Ihn zum Tode zu verurteilen, vermochte sie dann doch nicht.

»Nun, wenigstens brauchen wir uns um den nicht zu kümmern, du Verworfene!«

»Ich war doch so jung, noch ein Kind«, wiederholte sie.

»Ja, ja. Das sagtest du schon. Und, was willst du? Warum gestehst du mir dein Verbrechen?«

»Ich will das Kind wieder zurück, will meinen Fehler wiedergutmachen.«

»Du willst, dass er in seine Rechte als Sohn des Amenophis eingesetzt wird, dieses Kind, das vielleicht der Sohn eines Sklaven ist?«

»Nein, nein! Ich habe das Kind schon gefühlt, bevor ich mit dem Habiru …«

»Und nun willst du, dass ich dir helfe, dass der Pharao deine Schuld verzeiht und diese peinliche Frucht in seinem Haus als Prinz aufnimmt? Warum sollte ich dir helfen?«

»Weil du die Gerechtigkeit herstellen kannst. Ich weiß mir keinen anderen Rat, oh, große Hauptfrau des Pharao. Jeder weiß, dass du sein Herz und Ohr besitzt.«

»Du willst, dass ich mich für eine Frau einsetze, die dümmer ist als Käfer und Würmer«, sagte sie nun nachdenklich geworden.

Teje war mit den Jahren eine harte und berechnende Frau geworden, hatte sie doch viele Intrigen gegen ihre Stellung abwehren müssen. Sie war trotzdem nicht nur Hauptfrau des Pharao geblieben, sondern auch seine Beraterin geworden, der Amenophis blind vertraute. Mehr konnte sie nicht erreichen und ihr blieb nur, dass ihr Sohn Amenhotep sein Nachfolger wurde. Aber sie wusste sehr wohl, dass dessen Zartheit und Neigung, sich allein den Göttern angenehm zu zeigen, ihn nicht gerade dazu prädestinierte, sich gegen Thronansprüche aus der Reihe der mächtigen Familien zu erwehren. Seine ständige Zwiesprache mit den Göttern machte ihr schon lange Sorgen. Aber ein Bruder, der wegen seiner nicht ganz makellosen Abstammung ohne jede Chance war, ihm gefährlich zu werden, konnte ein Schutz, ein Schild für ihn sein und die Rute gegen andere Thronanwärter. Jemand, der durch ihre Gnade im Haus des Pharao lebte, der mit Amenhotep aufwuchs, würde dessen Schwäche vielleicht ausgleichen können.

»Gut!«, sagte sie entschlossen. »Ich werde zu meinem Gemahl gehen. Du wirst ihn demütig um seine Huld anflehen. Vielleicht wirst du seinen Leib wärmen müssen.«

»Ich soll …?«, rief Nefertari erschrocken. Zu gut erinnerte sie sich, wie qualvoll ihr die Umarmungen des Vaters gewesen waren und welch Ekel sie erfüllt hatte und nun … war er noch älter geworden.

»Ich denke, du willst deinen Sohn zurückhaben?«, sagte Teje kalt. »Also, wie ist es?«

»Ich werde tun, was du verlangst«, sagte sie demütig. »Wird der große Pharao mir verzeihen?«

Teje zuckte mit den Achseln. Aber sie hielt dies nicht für unmöglich. Sie kannte sich im Seelenleben ihres Gemahls aus.

Amenophis hatte einen guten Tag gehabt, weil die Priester des Amun-Re ihm wieder einmal ein langes Leben vorausgesagt hatten. An diesem Tag mundete das zarte Fleisch einer Antilope besonders gut und der Nachmittag mit einer dickbusigen Nubierin brachte ihm angenehme Erinnerungen an die Freuden früherer Jahre … in diesem glücklichen Moment kam sie zu ihm in sein Gemach, kniete vor ihm nieder und bat ihm um Vergebung für die Störung.

»Was soll das, Teje? So demütig kenne ich dich nicht. Meist zerren und kneifen deine Worte an mir herum. Also, was willst du?«

»Ich möchte für eine deiner Töchter bitten, die einen großen Fehler gemacht hat und sich danach verzehrt, deine Vergebung zu erhalten.«

»Ha, was soll das? Da steckt doch mehr dahinter, Teje. Noch nie hast du dich für eine meiner Töchter interessiert, geschweige denn dich für sie eingesetzt.«

Der Pharao nahm ein Stück Honigkonfekt, steckte es sich in den Mund und verzog sein Gesicht, denn seine Zähne bereiteten ihm schon seit Jahren Kummer. Er versuchte sich mit einer Dattel von seinem Schmerz abzulenken, was jedoch keine Erleichterung brachte. Trotzdem, so erkannte Teje, war er immer noch in gnädiger Stimmung.

»Ich habe eine deiner Töchter, die kleine Nefertari, mittlerweile eine reife Frau, unter meine Obhut genommen und sie bittet um Vergebung, was sie dir einst angetan hatte.«

»Ha, war das nicht die Tochter, die meine Gunst nicht … Na, jedenfalls hat sie sich sehr ablehnend gezeigt.« Seine Stimmung schlug um. Mit schmerzlich verzogenem Gesicht fuhr er fort: »Ja, sie hat mir leidgetan. Sie mochte mit mir nicht … Du weißt schon. Es ist schlimm, wenn das eigene Blut einen derart ablehnt. Ich wollte ihr doch nichts Böses tun, sondern sie mit meiner Liebe ehren. Aber sie schrie immerzu, erbrach sich auf meine Brust … Ich habe sie fortgeschickt, denn ihr Anblick hat mir Pein bereitet.«

»Nicht jede Tochter will so von ihrem Vater geliebt werden.«

»Ich weiß. Ich weiß doch. Ich habe es bereut, was ich ihr antat. Sie war ein zärtliches, glückliches Kind und vertraute mir. Aber was ich tat, geschah nur, weil es der Tradition entspricht.«

»Nicht nur«, sagte Teje trocken.

»Gut, gut, ich nahm sie auch aus Lust, denn sie war gut gewachsen. Doch dann mied ich sie all die Jahre und nun, wo ich sie fast vergessen habe, kommst du als Bittstellerin zu mir. Was hat sie denn verbrochen, die Kleine?«

»Sie bittet um deinen Sohn.«

»Ich erinnere mich. Da war doch diese seltsame Geschichte …«

»Richtig, dein Sohn wurde entführt.«

»Ja. Ein schreckliches Unglück. Ich habe um ihn getrauert. Unas hatte ihm ein großes Schicksal vorausgesagt. Mir schien, Nefertari hat auf das Kind, das ich ihr gezeugt habe, nicht gut aufgepasst. Aber ich ließ es ihr durchgehen. Sie war ja selbst noch ein halbes Kind.«

»Eben. Sie hat auch Schuldgefühle, dass sie das Kind von betrunkenen Dienerinnen umsorgen ließ. Aber jetzt hat sie erfahren, dass dein Sohn lebt.«

»Er lebt? Ist das sicher?«

»Er lebt bei den Habiru im Delta. Er wurde dort in einem Kästlein angeschwemmt und gute Leute haben ihn aufgenommen und großgezogen.«

»Das klingt wie ein Göttermärchen«, stellte Amenophis nachdenklich fest. »Und jetzt soll ich Nefertari in Gnade aufnehmen und den Sohn als Prinz anerkennen?«

»Vielleicht reizt dich erneut ihre Gestalt. Sie ist wirklich eine außerordentlich schöne Frau geworden.«

»Ach, ich bin mit meiner dicken Nubierin ganz zufrieden. Sie stellt keine Ansprüche. Immer schwerer fällt es mir, die Inkarnation des Osiris zu sein, mit meinem Leib für das Wohl von Binse und Biene einzustehen. Oh ja, ich bin ein Gott und doch ein Mensch, dem die Gelenke schmerzen.«

»Oh ja, ich weiß, wie schwer dir das Alter fällt«, sagte sie mitfühlend. »Große Opfer bringst du uns. Aber gib ihr den Sohn wieder, zeige ihm deine Gnade und lasse ihn in deiner Huld zum Mann werden, denn er entsprang deinen Lenden.«

Amenophis kniff die Augen zusammen.

»Warum setzt du dich für Nefertari und den Knaben ein? Du tust nichts ohne einen Vorteil für dich.«

»So verkennst du mich!«, schniefte Teje. »Ich habe doch immer zu deinem Wohl gehandelt.«

Amenophis lächelte amüsiert.

»Wir brauchen uns doch kein Theater vorzumachen, Hauptfrau des Pharao!«, sagte er aufmunternd. »Komm auf mein Lager und lass dich drücken und dann erzähle mir, worum es dir wirklich geht.«

Sie schneuzte sich, lächelte und setzte sich zu ihm und legte ihren Kopf in seine Armbeuge. »Wir hatten doch eine gute Zeit«, flüsterte sie und streichelte seine faltige Brust.

»Die hatten wir. Musst du solche Umwege fahren? Was ist los?«

Sie seufzte.

»Nun ja, ich mache mir große Sorgen um Amenhotep. Gewiss, er ist sehr klug, aber von schwächlicher Gesundheit. Ich weiß, dass die Knaben, mit denen er aufwächst, ihn mehr bemitleiden denn achten. Er wird es nicht leicht haben, wenn sie sehen, dass er sich lieber mit den Göttern beschäftigt, statt mit harter, aber gerechter Hand zu regieren. Er ist weich und braucht einen Gefährten neben sich, der einerseits von ihm abhängig ist, aber andererseits die Peitsche zu führen weiß.«

»Verstehe. Du suchst einen Stock für Amenhotep. Und da denkst du an den Sohn der Nefertari. Alle werden sich fragen, ob er mein Sohn ist oder ein Niemand aus dem Kuckucksnest. Verstehe. So jemand wird nie auf den Gedanken kommen, den Thron des Osiris besteigen zu können. Oh, du bist so klug, Teje, so verschlagen und klug! Du denkst schon über meinen Tod hinaus.« Seine Stimme war in Bitterkeit umgeschlagen.

»Du musst wie ein Pharao denken, dann wirst du mir recht geben.«

»Und du denkst für mich!«, spottete er.

»Es ist ja nur ein Vorschlag. Eine Idee, wie uns dieser Sohn nützlich sein kann. Soll er unter dem Sklavenvolk aufwachsen?«

»Und? Soll ich die dort im Delta züchtigen?«

»Oh nein. Sie haben doch deinem Sohn gutgetan und damit auch dir.«

»Na gut, setzen wir ihn in seine Rechte ein. Hoffen wir, dass er uns keinen Ärger bereitet. Aber lass mich damit in Ruhe, Nefertari nochmal in mein Bett zu nehmen.«

»Ach, du bist immer noch der Stier, der seine Kühe machtvoll besteigt!«, schmeichelte sie ihm.

»Wenn es doch so wäre!«, stöhnte er wehmütig.

Am nächsten Tag rief Amenophis Hohepriester Unas zu sich und schilderte ihm, dass er vorhatte, den wiedergefundenen Sohn im Palast aufzunehmen und ihn in seiner Würde zu bestätigen. Unas tat, als wäre ihm dies neu, doch Teje hatte ihn bereits darauf vorbereitet. Er nickte feierlich.

»Das ist wohlgetan. Auch die Götter wollen nicht, dass ein leibhaftiger Sohn des Pharao unter Sklaven aufwächst und nie erfährt, wessen Blut in seinen Adern fließt.«

»Lassen wir das Getue! Du willst für den Tempel des Amun-Re wieder etwas herausschlagen. Ich kenne dich. Gut, gut. Ich werde dich und deine Priester weiter mästen. Wenn der Nil das nächste Mal wieder so reichlich die Ufer nässt, werde ich für eine besondere Spende sorgen.«

Amenophis grinste und Unas grinste zurück.

»Verstehe! Listig und stark bist du, mein Pharao, Inkarnation des Osiris, behütet von Horus.«

Und so kam es, dass der gesamte Hofstaat am Ufer versammelt war, als das silbern beschlagene Schiff funkelnd auf dem Nil heranglitt. Der Gesandte des Amuntempels betrat mit Thotmes den Kai, wobei er die Etikette beachtete und dem Prinz den Vortritt ließ. Unas, der Hohepriester, ging auf Thotmes zu, nahm ihn bei der Hand und warf sich vor Amenophis zu Boden, wobei er Thotmes mitzog, was sich dieser nur widerwillig gefallen ließ.

»Es ist der Herr über alles Leben«, zischte er.

Thotmes sah nur einen alten Mann, mit seltsamen Kleidern angetan, aber er hatte in den letzten Tagen viel Seltsames und für ihn Unverständliches erlebt, so dass er sich dreinfügte. Amenophis lehnte sich in seiner Sänfte zurück.

»Steh auf, Sohn!«, sagte er zu Thotmes. »Lass dich betrachten.«

Hast du so einen Sohn gezeugt?, fragte er sich. Er sieht aus wie ein Göttersohn. War das gut? Alle seine anderen Söhne sehen gegen ihn schwächlich aus. Er zählte die Nilschwemmen, die seit der Nacht mit seiner Tochter vergangen waren. Oh ja, die Zeit stimmte.

Er winkte Nefertari zu, die aus der Schar der Frauen heraustrat und mit klopfendem Herzen diesen Jüngling betrachtete. Sie hoffte, dass Amenophis den Gärtner nie zu Gesicht bekommen würde. Thotmes dünkte ihr so schön wie einst Isaak im Garten, doch war sein Blick der eines stolzen Falken. Sie wollte auf ihn zueilen, aber Teje gab einen kurzen Zischlaut von sich, so andeutend, dass sie nicht gegen die Etikette verstoßen solle, und so blieb sie neben der Horussänfte stehen.

»Das also ist unser Sohn!«, stellte der Pharao fest. Es war keine Frage, sondern eine Bekräftigung gegenüber dem Hofstaat, den Reichsfürsten und dem Volk.

»Sieh doch sein Gesicht. Er ähnelt dir in deiner Jugend, Großer Vater«, pries Nefertari ihren Sohn. »Sieh seinen stolzen Blick, so schaut nur einer, der dein Blut in den Adern hat. Er sieht so stark und schön aus, wie eine Mutter es sich nur wünschen kann.«

Amenophis legte den Kopf zur Seite.

»Na ja, er ähnelt mehr meinem Vater, der, wie wir ihn alle rühmen, ein großer Kriegsheld war. Denn vom Blick mal abgesehen, kann ich nur wenig Ähnlichkeit feststellen. Und das ist vielleicht auch gut so, wenn ich mich heute so betrachte.«

Niemand vom Hofstaat wagte zu lachen, obwohl Amenophis in sich hinein kicherte. Teje betrachtete ihn wesentlich kritischer. Von wegen Ähnlichkeit, dachte sie. Was für ein gerissenes Luder ist doch Nefertari. Wenn ich doch nur wüsste, für wen sie ihr himmlisches Delta breit gemacht hat. Aber egal, kräftig schaut er aus. Er wird meinem Amenhotep Schild und Speer sein können.

So war Thotmes am Hof des Pharao als das angenommen, was sich Nefertari erhofft hatte. Sie hatte gehofft, Zeit zu bekommen, sich mit ihrem Sohn eingewöhnen zu können, aber Tejes Pläne ließen dies nicht lange zu. Dafür waren ihnen nur ein paar Tage gegeben. Als sie zum ersten Mal allein waren, dauerte es eine Weile, bis sie ihre Verlegenheit überwunden hatten. Sie hatte ihm im Haus der Frauen ein schönes Zimmer neben ihrem einräumen lassen. Es war luftig und hatte einen herrlichen Blick auf den Nil.

»Ich hoffe, es gefällt dir«, sagte sie, als sie ihm das Zimmer zeigte. »Du hast außerdem zwei Sklaven zu deiner Bedienung.«

»Du bist meine Mutter?«, fragte er immer noch ungläubig und starrte die schöne Frau an, die ihn in ihrem leichten Gewand, durch das ihre Brüste schimmerten, verlegen machte. Die plötzliche Veränderung seines Lebens erschien ihm wie ein Traum. Zwar hatte ihm der Priester während der Nilfahrt erzählt, dass er von edler Herkunft sei und dem Haus des Pharao angehöre, aber die Konsequenzen waren ihm unklar geblieben. Er wurde nun in ein anderes Leben hineingestoßen und es schmerzte ihn, wenn er an Jochebed und Amram dachte.

Nefertari erzählte ihm unter Tränen, was damals geschehen war, aber es war eine gereinigte Version. Er sei geraubt worden und sie habe nach ihm suchen lassen und erst vor Kurzem erfahren, wo er all die Jahre gelebt hatte. Ihre Schilderung war so lückenhaft wie die Beichte vor den Göttern, gleichwohl reichte sie ihm erst einmal als Erklärung. Er fühlte sich nicht wohl, wenn ihn dieses fremde schöne Wesen umarmte und ihn ihren Sohn nannte. Wenn er ihr auch Achtung entgegenbrachte, so blieb sie ihm fremd.

Die Zeit war also nur kurz, um sich aneinander zu gewöhnen, denn nach wenigen Tagen wurde er dem Hof des Prinzen Amenhotep zugeteilt und hatte dort eine eigene Zimmerflucht mit Dienern. Trotzdem fühlte er sich einsam und bat schließlich Nefertari, seinen Freund Eumenes aus Gosen holen zu lassen, damit er einen Vertrauten um sich hatte.

Dem Prinzenhof gehörten fünf Auserwählte an: Amenhotep, Semenchkare, Cheruf, Haremhab und Thotmes. Amenhotep war der vornehmste, weil er Amenophis nachfolgen würde. Haremhab war nicht einmal ein Sohn des Pharao, sondern der eines wichtigen Generals. Semenchkare war der Ersatzprinz, der zweitälteste Sohn der Teje. Cheruf stammte von einer Nebenfrau.

Sie aßen zusammen, lernten zusammen und wurden nachmittags mit sportlichen Übungen auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereitet. Nur der Thronfolger wurde wegen seiner schwächlichen Konstitution von vielen Übungen verschont. Obwohl sie alle fast gleich alt waren, überragte sie Thotmes schon bald bei weitem. Während die anderen dies als gegeben hinnahmen, erzeugte es bei Haremhab Neid und er spottete über den Findelprinz, wie er ihn nannte, besonders wenn er beim Speerwurf, Wettlauf und Weitsprung übertroffen wurde. Er tat diese Siege als unerheblich mit der Bemerkung ab, dass es in der Schlacht auf andere Werte ankäme, wie Mut, Gewandtheit und strategischer Überblick.

Von Anfang an entwickelte sich zwischen Amenhotep und Thotmes eine besondere Beziehung. Thotmes bewunderte die Gläubigkeit des Thronfolgers, seine tiefen Gedanken über die Herkunft allen Lebens, und Amenhotep war beeindruckt von Thotmes’ Mut und Stärke. Sie sahen sich nicht nur als Verwandte, sondern als Brüder im Geiste.

Auch die Lehrer staunten über den neuen Schüler, der zwar nichts über die göttliche Ordnung, aber bereits über fremde Länder wie Babylonien, das Hethiterreich oder über die Länder der Philister und Kanaaniter Bescheid wusste, sogar die Sterne benennen konnte und die heiligen Schriftzeichen beherrschte.

»Er ist in jeder Beziehung außergewöhnlich. Wir haben so einen Schüler noch nie gehabt«, berichteten sie Amenophis, der sich von Zeit zu Zeit Bericht erstatten ließ.

»Er hat wohl in Gosen einen guten Lehrer gehabt«, wandte Teje gelassen ein, um den Bericht nicht zu fantastisch klingen zu lassen.

»Zweifellos, ehrwürdige Gemahlin des großen Pharao, ganz zweifellos«, erwiderte Hotep, der die Knaben in Länderkunde unterrichtete. »Aber auch alles Neue saugt er wie ein Schwamm auf. Er ist für jeden Lehrer eine Freude.«

»Ich habe einen Leoparden gezeugt«, freute sich Amenophis und sah seine Hauptfrau stolz an. »Das ist mein Blut und das seines Großvaters«, setzte er nach einem spöttischen Blick Tejes trotzig hinzu.

Er wäre viel besser als Amenhotep geeignet, nach mir zu herrschen, sagte er sich insgeheim, aber er sprach dies nicht aus, um Teje nicht zu erzürnen.

»Er wird Amenhotep ein guter Schild sein«, sagte er stattdessen. Teje hörte es mit Befriedigung.

Es lief sehr gut für Thotmes und doch hatte er anfangs Heimweh. Auch langweilten ihn die zusätzlichen Verhaltensregeln: wie man zu Tisch saß, wie man sich beim Hofzeremoniell verhielt und welche Götter wichtig für das Wohlbefinden des Reiches waren. Erst als Eumenes eintraf, verzogen sich die dunklen Wolken.

Als er ihm seine Räume zeigte, vermochte dieser keinen Ton herauszubringen und staunte über die Pracht, die wunderbar gearbeiteten Möbel, insbesondere die Stühle, deren Rückenlehnen mit kostbaren Intarsien geschmückt waren. Erdrückend fand er den Luxus, die dicken Polster, die Fächerträger, die versuchten, die Hitze erträglich zu machen. Auf den Tischen standen goldene Becher und Schalen mit Obst.

»Du bist also tatsächlich ein Prinz und nicht der Sohn von Amram und Jochebed?«

Thotmes erzählte ihm die Geschichte, die er von Nefertari erfahren hatte. Eumenes verzog skeptisch das Gesicht.

»Noch eben warst du der Sohn eines Schmieds im Delta und nun bist du ein Sohn des … Pharao? Wenn du mir das bei unseren Streichen in Gosen erzählt hättest, wären wir alle in Gelächter ausgebrochen. Schade, dass ich nicht geklaut wurde.«

Thotmes kam die Geschichte selbst unglaubwürdig vor. Wenn er gestohlen worden war, wie war er zu Jochebed und Amram gekommen? Hatten die Räuber ihn dort in Gosen ausgesetzt und wenn ja, warum? Er nahm sich vor, dies zu hinterfragen, wenn er die geliebten Alten wiedersehen würde. Denn das würde er, hatte er sich vorgenommen.

»Ich weiß auch nicht, wie mir geschieht«, gestand er Eumenes. »Aber was hat dein Vater gesagt, als man dich holte?«

»Ach, Vater ist in der Welt bewandert. Er hat es als großes Glück angesehen. ›Wenn ein Priester des Amun-Re sich ins Delta bemüht, um Thotmes zu holen, dann müssen sich Männer von Rang für ihn interessieren. Wenn er dich zu sich holt, dann kann dir dies Möglichkeiten eröffnen, die mir verschlossen waren‹, so seine Worte. Ich solle mein Glück machen. Doch wenn er wüsste, dass ich im Palast des Pharao wohne, würde er sicher Geschenke zum Gott nach Delphi schicken.«

Aber so oft sahen sie sich dann doch nicht, da Thotmes und Haremhab dessen Vater, dem berühmten General Ka-aper, zugeteilt wurden. Dieser war ein strenger Herr und schonte weder seinen Sohn noch Thotmes. Sie wurden gedrillt wie die Soldaten aus Nubien, mussten mit Marschgepäck um das hunderttorige Theben laufen, den Speer wieder und wieder werfen, lernen, den syrischen Bogen zu spannen, und mit dem Schwert das Gefecht Mann gegen Mann führen. Tag für Tag die gleichen eintönigen Übungen, die Thotmes’ Geist ermüdeten, was Ka-aper durchaus bemerkte, aber nur dazu anhielt, ihm eine weitere Trainingsübung zu verordnen.

Interessant fand er dann, wenn Ka-aper sie ins Schwerthaus rief und ihnen bei einem Becher Wein erzählte, wie er die Wüstenvölker besiegt hatte. Wie man einen Stoß in die Mitte des gegnerischen Heeres vortäuschte und den Gegner von beiden Seiten umfasste, spielte er ihnen wieder und wieder mit kleinen Holzklötzchen vor.

»Die Streitwagen entscheiden heute die Schlacht. Merkt euch das! Schnelligkeit ist der Vater aller Siege. Die Mitte muss halten, die Flügel müssen beweglich sein wie die des Horusfalken«, dozierte er mit großem Ernst. Es war ihm anzumerken, dass es ihm wohltat, über seine vergangenen Siege, die bereits Jahre zurücklagen, zu sprechen.

So gingen viele Nilschwemmen ins Land und die Knaben traten ins Jünglingsalter ein. Eines Morgens ließ Ka-aper sie schon früh – Nut hatte die Sonne noch nicht wiedergeboren – zu sich rufen. Vor dem Schwerthaus standen drei Streitwagen, bespannt mit je zwei Pferden. Die Wagenlenker konnten die unbändigen Tiere nur mit Mühe zurückhalten.

»Es sind unsere drei besten Gespanne mit den besten Wagenlenkern von Ober- und Unterägypten. Wir werden heute auf Löwenjagd gehen, um euch im Angesicht der größten Gefahr zu prüfen.«

Haremhab stieß einen Jauchzer aus. Thotmes wurde der Mund trocken. Es war die härteste denkbare Prüfung.

»Auf die Wagen!«, befahl Ka-aper und schwang sich auf das größte Gefährt. Die beiden Prinzen bestiegen mit klopfenden Herzen ihre Streitwagen. Die Wagenlenker nickten ihnen beruhigend zu. Im Galopp ging es durch Thebens Straßen. Ka-aper kümmerte sich nicht darum, dass die Menschen sich nur mit Mühe vor den Hufen der Pferde retten konnten. Händlerstände wurden umgerissen und Esel retteten sich schreiend in einen Tempel, was die Priester empörte Rufe ausstoßen ließ.

In rasendem Galopp ging es weiter in die Wüste hinein. Als die Sonne sich langsam über den rotsteinigen Bergen erhob, schrie Ka-aper den Schlachtruf der Löwengarde. Die Wagenlenker taten es ihm nach und feuerten die Pferde zu noch schnellerer Gangart an. Schaumfetzen flogen von ihren Mäulern den Prinzen entgegen, die heftig durchgeschüttelt wurden. Aber auch sie begeisterte die rasende Jagd und sie vergaßen, welcher Gefahr sie entgegeneilten. Die Wüste ging nun in eine karge Steppe über. Schließlich stießen sie unter einer Tamariske auf ein Rudel Löwen, das sich beim Anblick der heranjagenden Streitwagen erhoben hatte und wachsam zu ihnen herübersah. Sie umkreisten das Rudel. Die Pferde schnaubten nervös. Schließlich schob sich ein riesiger Löwe mit einer schwarzen Mähne nach vorn.

Ka-aper befahl, die Bogen auf ihn abzuschießen. Ein Pfeilhagel ging auf das Tier nieder und es brüllte auf. Mit geschmeidig vorgestrecktem Oberkörper preschte der Löwe heran. Drei Pfeile wippten auf seinem Rücken.

»Nun kommt es darauf an! Die Speere!«, rief Ka-aper. Seine Stimme klang ruhig und bestimmt.

Die Jungen entnahmen den Köchern, die seitlich am Wagen angebracht waren, die Eschenspeere mit den bronzenen Spitzen und schwangen sie, wie es ihnen beigebracht worden war.

Vor Thotmes’ Streitwagen tauchte das Tier auf, bereitete sich lauernd auf den Sprung vor, um das rechte Pferd zu schlagen. Schon flog ihm Thotmes’ Speer entgegen und versank hinter der Mähne. Haremhab wollte es ihm gleich tun und warf ebenfalls seinen Speer, der jedoch nur leicht die Flanke des Tieres streifte und zu Boden fiel. Da wandte sich der Löwe Haremhab zu und sprang dessen Gespann an, verbiss sich in der Kehle des rechten Pferdes und riss es zu Boden. Der Wagen kippte und Haremhab fiel heraus. Wehrlos lag er neben dem Löwen. Ka-aper schrie seinem Wagenlenker zu, den Löwen abzulenken. Thotmes sprang mit einem neuen Speer in der Hand vom Streitwagen, rannte auf den Löwen zu, der sich mit dem um sich schlagenden Pferd beschäftigt hatte, aber sich nun einem neuen Opfer, dem wehrlosen Haremhab, zuwandte. Mit einem mächtigen Wurf stieß ihm Thotmes den Speer seitlich in den Leib. Der Löwe brüllte auf und blickte sich fauchend um. Aus seinem Maul tropfte Blut. Thotmes zog das Langschwert, das er von dem griechischen Söldner Hephästion zu handhaben gelernt hatte, und wollte dem Tier den tödlichen Hieb versetzen. Der Löwe sprang, stand einen Augenblick wie von einer göttlichen Kraft gehalten, in der Luft und riss Thotmes nieder, gleichwohl bohrte sich das Schwert ins Herz des Tieres. Unter dem Löwen begraben floss dessen Blut in Thotmes’ Gesicht. Der Löwe zuckte noch einmal und lag still. Thotmes befreite sich mühsam von dem schweren Tier und starrte, bestürzt über seine Schönheit, auf seinen urwüchsigen Gegner. Die anderen Löwen hatte Ka-aper vertreiben können und er kam nun herangesprescht, sprang ab und bestaunte das riesige Tier.

»Du hast einen guten Kampf geliefert, Löwe«, sagte er andächtig. »Aber Bastet war mit dir, Thotmes. Der Löwe war ein König und hat einen würdigen Gegner gefunden. Schon lange habe ich nicht mehr so eine mächtige Mähne gesehen. Wir ehren dich, Löwe. Du bist deiner Pflicht nachgekommen und wolltest dein Rudel beschützen und dafür lieben wir dich. Nichts Böses ist zwischen uns.«

Haremhab kam herangehumpelt und bestaunte gleichfalls die prächtige Mähne. Sein Gesicht verhehlte nicht seinen Neid. Es verzerrte sich zu einer Fratze, als der Vater zu ihm sagte: »Thotmes hat dir das Leben gerettet. Erinnere dich immer daran. Du bist ihm ein Leben schuldig. Wenn du diese Schuld nicht begleichst, wird dir das auf der Waage vor Osiris zum Nachteil gereichen.«

»Wenn das Pferd nicht gescheut hätte, wäre mein Speer tödlich gewesen!«

»Ist er aber nicht«, erwiderte Ka-aper trocken.

»Der Wagenlenker hat Schuld!«, rief Haremhab, ging zu diesem und schlug ihm ins Gesicht. »Du verdammter Sohn einer räudigen Hündin! Du hast alles verpatzt!«

»Hör auf! Es fehlte dir an Kaltblütigkeit. Du hast übereilt geworfen. Es ist eben etwas anderes, auf ein lebendiges Tier zu werfen statt auf eine Zielscheibe. Wenn du eines Tages Verantwortung übernehmen willst, dann schieb einen Fehler nie auf deine Untergebenen. Niemals! Sonst verlierst du das Vertrauen deiner Männer. Merk dir das!« Haremhab senkte den Kopf und warf hasserfüllte Blicke auf den Löwen und dessen Bezwinger. Ka-aper begutachtete die Wunden des Löwen.

»Ein guter Wurf!«, lobte er Thotmes.

Haremhab keuchte, aber unterließ eine Bemerkung. Der General schlug Thotmes anerkennend auf den Rücken und befahl den Wagenlenkern, das Tier zu häuten. Langsam beruhigte sich Thotmes’ Puls. Er kniete neben dem Tier nieder und streichelte die dunkle Mähne und flüsterte: »Tut mir leid, Löwe. Du tatest doch nur, was deine Ehre verlangte.«

Er fühlte sich nicht gut und sah weg, als die Wagenlenker dem Tier die Haut abzogen. Ka-aper sah nachdenklich zu und dann auf den Jungen und dachte: Was für ein guter Kampf. Ich kann mich nicht entsinnen, wann je ein so junger Bursche einen solchen Löwen erlegt hat. Die Götter scheinen Großes mit ihm vorzuhaben. Hoffentlich bleiben er und Haremhab Freunde. Sie wären beide ein gutes Gespann zum Wohle des Reiches.

Seit diesem Ereignis war eine gewisse Fremdheit und Spannung zwischen Haremhab und Thotmes, obwohl Haremhab sich Mühe gab, seine Eifersucht nicht erkennen zu lassen. Die anderen Prinzen bemerkten es trotzdem. Besonders ärgerte es Haremhab, dass Amenhotep, Semenchkare und Cheruf so großes Aufsehen davon machten und immer wieder darauf zurückkamen, Thotmes einen großen Krieger nannten, der die Gunst von Bastet und Sachmet besaß. Für diese war Thotmes’ Tat auch deswegen so gewaltig, weil sie durch ihre körperliche Konstitution für Kampf- und Kriegshandwerk keine Eignung hatten. Amenophis beobachtete die Entwicklung von Thotmes mit großem Interesse. Er ist ganz nach meinem Vater geraten, freute sich der Pharao über seinen Findelsohn, wie er ihn insgeheim nannte.

Eines Vormittags, als sich Thotmes im Garten erging und in einem Papyrus über die Taten des großen Amenophis II. las, begegnete er einem Gärtner, der sich tief vor ihm verbeugte. Thotmes, der dem Geringsten Respekt entgegenbrachte, wie es ihn Jochebed und Amram gelehrt hatten, zog ihn ins Gespräch.

»Nirgendwo habe ich schönere Rosen gesehen als in diesem Garten.«

Der Gärtner sah ihn erschrocken an und warf sich, nach einem Blick auf die Halskette, die Thotmes als Mitglied der Königsfamilie auswies, zu Boden. Thotmes hieß ihn aufzustehen.

»Wer bist du, dass du es so gut mit Blumen verstehst?«

»Ich bin Isaak, der Hauptgartenpfleger.«

»Isaak?«, fragte Thotmes erstaunt. »Du bist ein Habiru?«

»Das bin ich, edler Prinz. Aus dem Stamm der Levi.«

»Welch ein Zufall! Kennst du etwa Amram und Jochebed aus dem Dorf Huka bei Pithom in Gosen?«

»Amram ist mein Bruder«, erwiderte der Hauptgartenpfleger mit gesenktem Kopf.

»Vor nicht so langer Zeit hätte ich dich Onkel genannt!«, sagte Thotmes erfreut und drückte den Mann an sich und dieser zitterte unter der Berührung des königlichen Prinzen. Schweiß nässte seine Stirn. Er glaubte nun zu wissen, wer vor ihm stand. Dieser junge Mann, der ihn so herzlich umarmte, war der Sohn der Nefertari und sein … Sohn.

»Du darfst einen Unwürdigen nicht umarmen. Du bist der Sohn des Pharao«, stammelte er und sah sich scheu um. Aber es war niemand sonst im Garten. »Ich bin keiner Beachtung wert. Aber verzeih mir, wenn ich mir das Urteil anmaße, du bist ein großes Geschenk für unser Volk.«

Thotmes hielt dies für eine Höflichkeit und fragte sich nicht weiter, warum sich Isaak genötigt fühlte, ihn so zu loben. Er erfuhr also nicht, welchen Anteil der Hauptgartenpfleger an seinem Schicksal hatte. Dem königlichen Haushofmeister gegenüber erwähnte er, welche Freude ihm die Blumen im Garten bereiteten, und befahl ihm Isaak ehrenvoll zu behandeln, da dieser ein großer Künstler sei. Dieser wunderte sich zwar über die Marotte des Prinzen, einen Gärtner zu bemerken, aber begegnete Isaak seitdem mit großer Huld.

Durch seine Leutseligkeit unterschied sich Thotmes bereits in frühen Jahren von den anderen Prinzen. Dies sprach sich sogar im Volk herum und man nannte ihn den Löwenprinz und rief, sowie sie ihn gewahrten: »Heil, Thotmes, der in der Gnade Bastets und Sachmets wandelt!«

Es vergingen nochmals einige Nilschwemmen, in denen die Prinzen auf ihre zukünftigen Aufgaben vorbereitet wurden. Im Murmeln der dahinfließenden Wasser wuchsen sie zu Männern heran.

Echnatons Bruder. Der Pharao und der Prophet

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