Читать книгу Echnatons Bruder. Der Pharao und der Prophet - Heinz-Joachim Simon - Страница 8

Die Lust des Löwen

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Es war zu der Zeit, als Hapi, die große Nilflut, kam und mächtig und segensreich über die Ufer trat. Die Menschen liefen an den Fluss und sangen das Lied der ewigen Wiederkehr des Lebens. Der Hohepriester Unas trat vor den Pharao und pries ihn und die Götter:

»Heil dir, Gebieter von Biene und Binse. Heil dir, Leben und Gesundheit. Deine Herrschaft ist voller Segen und Amun-Re ist mit dir, oh Herrlicher. Gehe zu den Weibern und verkehre mit ihnen und zeuge, denn stark sind deine Lenden, wie ein Stier deine Brunst. Der Sohn, den du in dieser Nacht zeugst, wird ein großer Fürst, den man noch in Jahrtausenden rühmt.«

Der Pharao schüttelte energisch den Kopf. Still ward es in der Halle der Morgenröte.

»Ich habe bereits viele Söhne und Amenhotep hat gute Anlagen. Obwohl er noch ein halbes Kind ist, beherrscht er bereits die heilige Schrift und übt sich am Speer. Ein Löwe wird aus ihm werden.«

Unas verbeugte sich und legte den Kopf zur Seite.

»Wie gut du sprichst, oh Herrlicher. Doch man weiß nie, was die Götter in ihrer Weisheit beschlossen haben. Die Vorzeichen sind sehr verwirrend, was Amenhotep betrifft.«

»Ha, verwirrend? Was redest du da, Unas? Er geht mit großem Eifer in den Amuntempel und scheuert sich die Knie wund vor dem Abbild des Amun-Re.«

»Zweifellos. Er ist sehr gläubig. Aber es ist eine seltsame Unrast in ihm, eine Sehnsucht, ein Durst, den niemand zu stillen vermag. Es dünkt Amun richtig, einen zweiten Pfeil im Köcher zu haben. Geh zu deiner Tochter Nefertari und liege ihr bei und zeuge einen Sohn. Nie waren die Vorzeichen günstiger.«

Der König erhob sich von seinem Thron, winkte Unas heran und zog an seinem Ohrläppchen, wie er es immer tat, wenn er trotz seines milden Gemütes unzufrieden war.

»Unas, Unas, was legst du mir im Namen der Götter auf? Sie ist meine Tochter und gerade zur Geschlechtsreife erblüht. Ich wollte ihr die Lust meines alten Leibes ersparen und sie glücklich Kind sein lassen. Denn mit dem ersten roten Tau beginnt für die Weiber die Beschwernis des Lebens.«

»Wie edel du denkst, oh Herrlicher. Aber es ist nun einmal von den Göttern gestattet, dass der Pharao sein Blut bewahrt, damit es rein bleibt und sich niemand anmaßt, vom gleichen Blut zu sein und Ansprüche zu stellen. Was dem Volk verwehrt ist, wirkt beim Vertreter des Osiris segensreich. Gehe also noch in dieser Nacht zu dem Weibe von deinem Blut und opfere aus der Quelle des heiligen Lebens. Amun gab uns Zeichen in der Leber des weißen Stieres, im Stand der Sterne, dass man noch in tausenden von Jahren deinen Sohn rühmen wird.«

»Meinen Sohn Amenhotep?«

»Auch ihn. Sicher. Vor allem den Sohn, den du heute Nacht zeugen wirst.«

Amenophis schwieg und bedachte seine Taten und Herrschaft. Es war immer richtig gewesen, überlegte er, die Ratschläge des Unas zu befolgen.

Er seufzte und wedelte unzufrieden mit der Hand.

»Du machst mir nichts als Mühe, Unas!«

Der Hohepriester warf sich auf die Erde, legte die Hände über dem Kopf zusammen und rief: »Wir sind alle in der Hand des Amun-Re.«

»So ist es wohl«, erwiderte Amenophis grimmig. Er wusste, dass er wohl oder übel den Rat des Unas befolgen würde. »Du darfst dich deinen heiligen Pflichten widmen«, verabschiedete er ihn ungnädig.

Also ließ er nach dem Nachtmahl seine Tochter kommen. Teje, die mit ihm auf dem Horusthron saß, seine Gemahlin, mehr noch seine Beraterin und Herrscherin über das Frauenhaus, sah dies ungern und machte ihm Vorwürfe.

»Warum lässt du dieses Kind kommen?«, fragte sie mit einem Unterton, der ihm sagte, dass sie Ärger machen würde.

Sie war eine große schöne Frau, größer als all die Frauen, die sonst in seinem Palast lebten. Er schätzte sie sehr.

»Amun will es«, sagte er verlegen.

»Was weißt du schon von den Göttern!«, erwiderte sie abwinkend.

Sie durfte sich das erlauben. Eine andere hätte er schon längst aus seinem Harem entfernen lassen. Doch er wusste, was er an Teje hatte. Längst hatte er akzeptiert, dass sie klüger war als er und dass sein Verdienst, das Land so glücklich zu lenken, eigentlich ihr gebührte. Ohne ihre Unterstützung hätte er das Gesetz der Maat nicht so problemlos bewahren können.

»Unas hat von Vorzeichen gesprochen, die dies erfordern. Es muss wohl sein. Ich habe keine andere Wahl, als Amun-Re zu gehorchen.«

»Unas zu gehorchen, meinst du wohl. Er ist korrupt und nur darauf aus, Spenden einzustreichen, die den Tempel des Amun-Re noch reicher machen. Bei jedem Kind musst du Amun-Re eine Dankesgabe überreichen. Darum geht es ihm. Vielleicht hat ihm auch die Mutter der Nefertari einige Goldspangen zugesteckt. Die Thebanerin strebt danach, durch ihre Tochter deine Gunst zu erlangen und mich zu verdrängen. Du weißt doch, dass ihre Familie gegen mich intrigiert, weil ich nicht von den besten Familien des Reiches abstamme. Sie hoffen, dass deine Lust auf Nefertari anhalten wird, auf ein junges, willfähriges Geschöpf, das noch mit dem Tau des Morgens bedeckt ist.«

»Geh! Du verdirbst mir die Laune!«, brüllte Amenophis erzürnt, wusste er doch, dass sie recht hatte, dass sie mal wieder klüger dachte als er. Doch konnte er den Unas erzürnen, sich Amun-Re verweigern?

Teje nannte ihn einen geilen Bock und anderes und er ließ es sich mit hängendem Kopf gefallen. Er war betrübt über dieses Zerwürfnis. Sie war ihm Frau, Schwester, Mutter und verbreitete eine friedvolle Stimmung und … er war sie seit Jahrzehnten gewohnt. Er konnte sich keine bessere Frau auf dem Osiristhron vorstellen. Aber ihre Vorwürfe ließen ihn trotzig werden und bestärkten ihn in seinem Entschluss, ihr zu zeigen, dass er der Pharao war und alle Menschen ihm zu folgen hatten, auch die Hauptfrau.

Und so kam das Kind zu ihm, vertraute seiner väterlichen Liebe und schrie, als er das tat, was der Priester ihm geraten hatte. Sie schlug um sich und weinte, als er sich in ihr verströmte. Er dachte, das würde sich geben. Aber als er sie wieder kommen ließ, wehrte sie sich noch wilder, schrie zu Hathor, zerkratzte ihm Arme und Brust und erbrach sich in seinem Bett. Dies ernüchterte ihn sehr und er unterließ es, sie noch einmal kommen zu lassen, obwohl ihm Unas dazu riet.

Er schämte sich der Tränen, die sie geweint hatte. Sie jedoch vergaß die Nächte mit ihrem Vater nicht, nicht die Schmerzen, den Ekel vor dem faltigen Fleisch, und sie hasste ihren Vater von nun an. Wenn sie ihm begegnete, mied sie seinen Blick, schlug die Augen nieder und dies ließ auch später nicht nach.

Der Vater ließ ihr kostbare Geschenke und Ehrungen zukommen, die sie annahm, denn sie sah es als berechtigtes Entgelt für das, was sie erduldet hatte. Gleichwohl war sie zum Weib erwacht und sah die Jünglinge in ihrem Umfeld mit anderen Augen an als vor der Nacht mit dem Vater, der ihre Kindheit jäh beendet hatte.

Wenn sie sich im Palastgarten am Ufer des Nils erging, fiel ihr einer der Gärtner auf, der für die Rosenbüsche verantwortlich war. Er sah aus wie die Götterstatuen der alten Könige, hatte breite Schultern, einen hohen Wuchs, einen flachen Bauch, sein Fleisch war fest, und die Muskeln die eines Kriegers. Besonders aber beeindruckte sie sein leidenschaftliches, stolzes Gesicht mit den dunklen Augen. Er war ein Sklave mit Namen Isaak, ein Habiru, wie sie von ihren Dienerinnen erfuhr, Abkömmling eines Sklavenvolkes. Immer sah er sie unverwandt, fast frech an, obwohl er doch wusste, dass er ein Niemand war und sie dem Geschlecht der Götter angehörte. Erst verweigerte sie sich seinen dreisten Blicken und versuchte, ihm aus dem Wege zu gehen. Aber sie ertappte sich bald dabei, dass es sie immer in den Garten zog, wenn sie wusste, dass er an den Rosenbüschen arbeitete. Und dann erkannte sie, was sie in den Garten trieb. Es war nicht nur die Lust des erwachten Weibes, sondern der Plan, dem Vater und Pharao das zu verweigern, was er in ihren Leib gesenkt hatte. Sie glaubte zu spüren, dass sein Samen sie erweckt hatte und sie der Hilfe Hathors, der kuhäugigen Göttin, bald bedürfen würde. Und sie fasste einen Plan, wie er schlimmer nicht gegen die Gesetze des Amun und des Palastes verstoßen konnte. Er sollte auf das Reich der Biene und Binse gewaltige Auswirkungen haben.

Sie war flink im Geiste und ihr fiel das ein, was klugen Frauen immer rechtzeitig einfällt. Sie stellte sich hilflos. Dicht vor den Rosenbüschen, wo Isaak die Triebe zurückschnitt, strauchelte sie, knickte mit dem Fuß um und fiel hin. Isaak starrte sie an, wagte aber nicht zu ihr zu gehen.

»Du Dummkopf, siehst du nicht, dass ich nicht aufstehen kann!«, fauchte sie.

Seine Hände ließen die Zweige erzittern, war er doch ein Niemand und sie aus dem Geschlecht des Pharao.

»Nun rühr dich endlich!«, schimpfte sie und nun kam er zögerlich zu ihr und beugte sich über sie.

»Heb mich auf und bring mich zur Bank bei der Hecke.«

Er zögerte immer noch, stand tief gebeugt über dem Fuß mit der goldenen Sandale und wagte nicht, ihr göttliches Fleisch zu berühren. Sie gab ihm einen Schlag in den Nacken.

»Nun mach schon, Sohn eines Nilpferdes!«

Es blieb ihm also gar nichts anderes übrig, als sie hochzuheben und auf ihr fast durchsichtiges Gewand zu sehen, was verrutscht war und seine Knie zittern ließ wie das Laub zur Zeit der Nilflut.

Sie umfasste seinen Hals und ließ sich zu der Rosenhecke tragen, die durchaus dazu geeignet war, die beiden vor neugierigen Blicken zu schützen. Sie schmiegte sich an ihn und ihre kleinen Brüste drückten gegen seinen Brustkorb. Sie roch seinen Körper und sein Schweiß schien ihr besser zu riechen als der parfümierte Leib ihres Vaters. Sie griff unter seinen Lendenschurz und fühlte sein Geschlecht stark und drängend wie das des Apisstiers.

Als sie auf der Bank lag, öffnete sie ihre Beine und zog ihn auf sich, und er vermochte ihr nicht zu widerstehen, vielleicht aus Angst und vielleicht besinnungslos über ihre Gunst. Jedenfalls erschauerte er vor Lust, als sie sich ihm entgegendrückte, und folgte seiner Begierde und sie nahm ihn auf und nun erfuhr sie, was körperliche Liebe sein konnte, und sie schrie aus Lust an diesem Nachmittag im Park des Palastes des Pharao Amenophis.

Sie tat es zweimal mit ihm und dann offenbarte sie Isaak ihren Plan.

»Ich bin schwanger von dir. Die Göttin Hathor meint es gut mit mir. Du weißt, was es bedeutet, wenn dies bekannt wird. Ein Unwürdiger hat die Tochter des Pharao geschwängert. Ein todeswürdiges Verbrechen. Man wird dich in das Becken des Sobek werfen.«

Natürlich hatte Isaak Angst, dem Krokodilgott geopfert zu werden. Sein Gesicht zeigte seine Not und er dauerte sie. Mit hängendem Kopf starrte er auf sie nieder.

»Sei nicht so ein Hasenfuß! Es gibt eine Lösung.«

»Willst du das Kind nicht bekommen?«, stotterte er schüchtern.

»Ich versündige mich doch nicht gegen Hathor, die Kuhäugige. Nein, das Kind werde ich austragen und du wirst es fortbringen, damit es der Pharao nicht als sein Kind anerkennt.«

Wie konnte Isaak auch die ganze Verworfenheit ihres Plans erahnen? Es war eine Intrige, die so böse war wie der Gott Seth. Sie hatte nicht vor zu verschweigen, dass sie schwanger war und dem Pharao ein Kind gebären würde. Abgesehen davon, dass man dies im Haus der Frauen ohnehin nicht verbergen konnte. Sie hatte vor, ihm, dem Pharao, dieses Kind, das vom Hohepriester Unas mit solch günstigen Vorzeichen bedacht worden war, zu nehmen. Es war ihr Kind und sie wollte mit ihm dem Pharao eine Wunde zufügen. Bestürzt fragte Isaak, wohin er das Kind bringen solle.

»Lass dir etwas einfallen, Dummkopf!«, schimpfte sie ihn. Das war nicht mehr dieses zarte Wesen, das sich hingebungsvoll an ihn geschmiegt hatte.

»Ich kann meine Arbeit hier nicht im Stich lassen. Es würde doch auffallen, wenn ich den Garten verlasse und mit einem Kind fliehe«, jammerte er.

Isaak war schön wie ein griechischer Apoll, aber mit außergewöhnlichen Geistesgaben hatten ihn die Götter nicht ausgestattet.

»Ach, was für einem Esel habe ich mich hingegeben. Du wirst doch irgendwelche rechtschaffenen Leute kennen, die gern ein Kind aufnähmen.«

Isaaks Gesicht hellte sich auf.

»Mein Bruder Amram. Er und sein Weib Jochebed haben bisher vergebens den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs angefleht, ihnen einen Sohn zu schenken. Doch bisher hat sie Gott nicht erhört.«

»Sind es gute Leute?«

»Ja. Sie sind aus dem Stamm der Levi. Wir sind die besten unter den Habiru. Man sagt uns große Geistestiefe und Frömmigkeit nach.«

»Sie werden das Kind also gut behandeln.«

Er nickte heftig.

»Na siehst du. Es gibt für alles einen Weg. Isis und Hathor werden mit uns sein. Der Pharao wird verflucht sein wie Seth, der Mörder des Osiris. Nun schenk mir noch einmal Lust, die Zeit ist günstig. Wer weiß, ob wir in den nächsten Wochen oder Monaten dazukommen werden.«

So genoss sie noch einmal seinen Leib und dann nie wieder.

Lange blieb es nicht verborgen, wie es um sie stand. Eines Tages kam Teje zu ihr und sah sie missgünstig an.

»Der Löwe hat dir also seinen Samen nicht umsonst gegeben?«

»Sieht man das nicht?«, erwiderte sie widerborstig und bekam eine Ohrfeige.

»Du bildest dir darauf etwas ein? Der Löwe hat schon hunderte von Frauen beglückt und im Haus der Frauen tummeln sich allein zwei Prinzen und noch mehr Prinzessinnen.«

»Aber niemand wurde mit solchen Auspizien gezeugt«, erwiderte sie hitzig.

»Ach, du meinst die lächerlichen Voraussagen des Hohepriesters Unas?«

»Noch in tausenden von Jahren wird man den Namen meines Kindes kennen.«

Teje gab ihr eine zweite Ohrfeige.

»Du dummes Ding! Das sagte er nur, um dem Herrn über Biene und Binse zu schmeicheln und ihm weitere Geschenke für den Tempel zu entlocken.«

»Als ich seinen Samen empfing, hörte ich das Gebrüll eines Löwen«, log sie trotzig. Dabei bestand die Erinnerung an die erste Nacht nur aus einem Schleier aus Feuer und Schmerz. Doch Teje lächelte höhnisch über diesen Versuch, sie einschüchtern zu wollen.

»Wie dumm du bist. Unreif. Ein Kind noch. Ich werde dich zukünftig genau beobachten. Ich werde dafür sorgen, dass dir der Pharao niemals wieder beiwohnt. Verlass dich darauf!«

Wer so lange die Herrin im Haus der Frauen gewesen war, wer dem Pharao mit großer Weisheit die Hand hielt, duldete keine Veränderung des Gleichgewichtes. Sie wusste sehr wohl, dass Amenophis mit Scham und Liebe Nefertari zugetan war und das Kind dieses Kindes als etwas Besonderes ansehen würde. War es doch ein Beweis, dass seine erschlafften Lenden immer noch zeugen konnten. Seine Liebe zu dieser Frucht konnte ihren Söhnen gefährlich werden und sie hatte nicht vor, dies zuzulassen.

»Denke immer daran, dass mein Auge auf dir ruht, wenn du dem Pharao begegnen solltest. Senke dein Gesicht und blicke zu Boden, sonst trifft dich meine Hand.«

Mit diesen Worten rauschte sie hinaus.

Du wirst schon sehen, dass sich Unas’ Prophezeiung erfüllen wird, dachte Nefertari hasserfüllt. Und der alte Pavian wird darunter zu leiden haben.

In der Nacht des Pfauenfestes gebar Nefertari einen Sohn. Als man ihr das Kind in den Arm legte, betrachtete sie es mit Scheu. Das also war in ihr gewesen. Zärtlich strich sie über den Flaum. Sie hielt das Kind für ein besonders schönes Baby, was ihr alle bestätigten, und sie sah es als Tribut an das Schicksal an, das diesem winzigen Wesen bestimmt war. Dieses Kind würde eines Tages ein Allgewaltiger unter dem Himmel sein.

Den Pharao erfüllte die späte Frucht seiner Lenden mit großem Stolz. Noch einmal nannte er sich einen glücklichen Menschen.

»He, ein großes Schicksal wartet auf ihn?«, fragte er Bestätigung suchend den Hohepriester.

»Noch in mehr als tausend Jahren wird man seinen Namen rühmen.« Worte, für die sich Unas später grämte.

Einige Tage, nachdem Nefertari das Wochenbett verlassen hatte, ging sie mit dem Kind in den Garten und zeigte es Isaak. Sie sagte: »Es ist dein Sohn. Sorge dafür, dass er im Schoß deiner Familie aufwächst.«

Isaak glaubte im Gesicht des Kindes sein Abbild zu entdecken, nahm es in die Arme und verspürte eine tiefe Liebe in sich. »Thotmes«, flüsterte er innig.

»Thotmes? Das ist kein Name für den Sohn des Amenophis. Offiziell ist er natürlich der Sohn des Pharao«, fügte sie schnell hinzu. »Aber es soll mir recht sein. Ein Name ist so gut wie der andere. Er wird ihm selbst Bedeutung geben.«

»Er soll ein guter Mensch werden«, sagte Isaak trotzig.

»Ein bedeutender Mensch«, verbesserte sie ihn und fragte scharf: »Ist alles vorbereitet?«

Es gefiel ihr, mit welcher Liebe er das Kind ansah, und es gefiel ihr auch wieder nicht. Wie konnte sich ein Habiru einbilden, dass das Kind ihm gehörte?

»Ja, wenn sich die Dienerinnen am Ufer des Flusses mit ihm ergehen, werde ich mit meinem Bruder im Schilf warten und das mit Pech beschmierte Kästlein an mich nehmen. Mein Bruder wird das Kind wie seinen eigenen Sohn in seiner Familie aufnehmen und großziehen.«

Es war ein alter Brauch, das Kind schon bald nach der Geburt in einem Kästlein, das man auch als kleines Boot bezeichnen konnte, auf dem Nil schwimmen zu lassen, um es dem Hapi zu zeigen und ihn um Schutz für das Kind am Ufer des großen Flusses zu bitten. Möge es nie Hunger und ein gutes Leben haben.

»Niemand darf etwas über seine Herkunft erfahren, bis ich es zu mir rufe.«

»Es wird geschehen, wie du es verlangst, Herrin!«, antwortete Isaak demütig.

»Das will ich meinen. Sonst findest du dich bald in der Barke des Osiris auf dem Weg zum Totenreich.«

Sie selbst sorgte dafür, dass es so ablief, wie sie es geplant hatten. Sie zeigte dabei eine Kaltblütigkeit, die einer Pharaonin würdig gewesen wäre. Die Dienerinnen hatten am Ufer Matten ausgebreitet und Nefertari hatte Wein ausschenken lassen. Es gab kleine Kuchen und alle waren guter Dinge.

»Kommt, lasst uns meinen Sohn dem segenbringenden Nil anvertrauen, damit Hapi ihn erkennt und von nun an vor allem Übel bewahrt.«

Sie legten das Kind in das mit Pech abgedichtete Kästlein, gingen mit ihm an das Wasser und senkten es in die Flut und sangen ein Lied zur Ehre der segensreichen Göttin. Wie ein Boot tanzte das Kästlein auf dem funkelnden Nil. Da brachen zwei vermummte Männer aus dem Schilf heraus, stießen die Dienerinnen zurück, ergriffen das Kästlein und verschwanden mit ihm wieder im Schilf. Die Dienerinnen schrien aufgeregt, reckten die Hände, aber aus Angst und vielleicht auch wegen des zu viel genossenen Weins vermochten sie nicht richtig zu denken und den Flüchtigen zu folgen. Sie schrien nach Hilfe und weinten und rauften sich die Haare. Endlich eilten Kriegsleute herbei und durchsuchten das Schilf und die Gegend, doch fanden sie weder das Boot noch das Kind.

Als dem Pharao der Vorfall gemeldet wurde, senkte er den Kopf und sah in dem Verschwinden dieses besonderen Kindes die Strafe dafür, dass er sich an seiner eigenen Tochter vergangen hatte.

»Es waren die Götter, vielleicht die kuhohrige Hathor, die mich strafen und nicht zulassen wollte, dass ich einen Sohn bekomme, den man noch in tausend Jahren rühmt.«

Er ließ Unas kommen. Dieser hatte schon von der Entführung gehört und wackelte bedenklich mit seinem Kopf.

»Fürwahr, ein seltsames Unglück. Ein unerhörter Frevel. Es gibt Legenden, dass Kinder, in einem pechverschmierten Kästlein angeschwemmt, zu mächtigen Herrschern wurden, aber nie umgekehrt, dass ein Kind im pechverschmierten Kästlein verschwindet. Vielleicht liegt die Bedeutung darin, dass jemand aus dem Königshaus auszieht, um mit fremden Völkern zu einem Allgewaltigen zu werden.«

»Unas, Unas, was redest du für einen Unsinn!«, grollte Amenophis. »Du sagtest mir einen Sohn voraus, der in aller Herrlichkeit über Ober- und Unterägypten herrscht.«

Nefertari sah seine Qual und weidete sich an seinem Unglück. Ich habe dir, obwohl ohne die Macht der Götter, das vergolten, was du mir angetan hast, sagte sie sich triumphierend.

Amenophis ließ alle Dienerinnen töten und, nachdem die Kriegsknechte nach einer tagelangen Suche ergebnislos zurückkamen, ließ er auch sie umbringen. So groß war sein Zorn. Teje aber war froh, diese Frucht des alten Leibes aus dem Haus zu haben. Unas grübelte noch eine Weile über diesen Vorfall. Später, viel später sollte er erkennen, dass dieser zu den Auspizien gehörte. Als der Tempel des Amun-Re verödet war, als zwischen den Granitplatten Gras wuchs und der Sand der Wüste durch die Hallen strich, wusste er, dass sich alles auf dieses Ereignis, auf das Verschwinden des Kindes, zurückführen ließ.

Amenophis lebte noch viele Jahre, aber zeugte keine weiteren Kinder mehr. Unas bestätigte Amenophis, dass Amenhotep den Thron der Binse und Biene besteigen würde.

»Wenn du die Fahrt nach Westen zu Osiris angetreten hast, wird er deine Nachfolge antreten«, sagte er zu dem alten Pharao.

Zu seiner Tochter Nefertari ging Amenophis auch jetzt nicht mehr und sie scheute seinen Blick, wo sie ihn auch traf.

Das Kind Thotmes, wie Isaak es getauft hatte, wuchs in Gosen beim Bruder des Isaak auf und niemand vermisste es im Haus des Pharao. Nur Nefertari schmerzte manchmal das Herz, wenn sie an der Uferstelle vorbeiging, wo ihr Kind verschwunden war.

Thotmes’ Heimstatt war nur eine Hütte an einem Nebenarm des Nils. Um die Hütten des Dorfes standen die Brennöfen und so lernte er früh den Geruch des Ziegelfeuers kennen. Jochebed, seine Stiefmutter, zog ihn mit Liebe und Strenge auf. Als wäre ein Zwang von ihr genommen, gebar sie nun auch einen Sohn, den sie Aaron nannte. Aber an der Liebe zu Thotmes änderte dies nichts. Amram, sein Vater, war ein Schmied, der täglich an der Esse stand und die Bronze fließen und erkalten ließ und daraus Speere und Schwerter für die Krieger des Pharao schmiedete. Ein ehrenwerter Beruf, der mehr einbrachte als das Ziegel brennen. Er war ein Mann des Feuers und sein Wort galt viel im Dorf.

So wuchs Thotmes in Unkenntnis über seine Herkunft heran und wähnte sich nicht besser als die Nachbarskinder, mit denen er schon bald die Plage des Dorfes wurde. Sein bester Freund war Eumenes, den er nie fragte, zu wem seine Eltern mit ihm beteten. Dieser erfasste schon bald, dass es mit Thotmes etwas Besonderes auf sich hatte. Selbst die Aufseher des Pharao, meist Krieger aus Nubien und Syrien, schlugen nie mit ihren langen Stöcken nach ihm, wenn sie durch das Dorf marschierten, nicht weil sie seine Herkunft kannten, sondern weil von seiner Haltung und seinem Gesicht eine Hoheit ausging, die sie beeindruckte. In­­stinktiv erkannten sie, dass dieser Knabe jemand war, der einmal Befehle erteilen würde. Auch Amram erkannte schon früh, dass er ein erstaunliches Kind war und schickte ihn zu einem Schreiber namens Nun, ein Habiru von zweifelhafter Herkunft, der aber für alle Dörfler in Gosen die Einsprüche, Klagen und anderen Schriftverkehr übernahm. Er galt allgemein als weiser Mann. Man sagte ihm nach, dass er von den Ufern des Euphrat nach Ägypten gekommen war, um das rätselhafte Volk der Ägypter zu studieren. Und dieser Lehrer staunte, wie schnell der Schüler lernte, wie dessen Geist gleich einem Schwamm alles aufsog, was er ihm über die Ägypter, die alten Habiru und andere Völker im fernen, geheimnisvollen Babylonien erzählte. Thotmes’ Gesicht glühte, als er von Gilgamesch und Enkidu erfuhr, von ihrer Suche nach dem ewigen Leben.

»Er ist so anders als alle Schüler, die man in meine Obhut gegeben hat. Wer hat bei deiner Frau gelegen und solch ein Kind gezeugt?«, fragte er scherzhaft Amram. Dieser lief rot an und verbat sich solche frivolen Worte.

»Er ist ein Sohn des Volkes, das an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs glaubt«, erwiderte er heftig. »Der Herr wirkt manchmal in der kleinsten Hütte.«

Er gestand niemandem die Herkunft des Thotmes und erklärte dessen Anderssein ganz allgemein damit, dass die Amrams aus dem Haus Levi schon immer ein wacher Geist auszeichnete.

»Er ist zweifellos gesegnet«, pflichtete der Schreiber bei. »Er ist mit seinen sechs Hapi verständiger als manch Zwölfjähriger. Amram, Amram, ich befürchte, vor ihm werden wir gewöhnlichen Menschen eines Tages die Knie beugen oder man wird ihn wegen seiner Klugheit lästig finden und der Neid der anderen wird ihn verfolgen.«

»Wen hat der Bruder in unsere Obhut gegeben?«, fragte er so manches Mal am Abend, wenn die Kinder schliefen, sein Weib Jochebed.

»Wir haben Thotmes als Geschenk angenommen und sind glücklich, seit er bei uns ist. Erst nach ihm schenkte uns Gott Aaron. Beten wir, dass Thotmes uns nicht wieder genommen wird. Ich fühle mich gesegnet, seit er bei uns ist.«

»Weib, Weib, was bildest du dir ein? Wir sind nichts Besonderes und das Besondere an Thotmes ist nur sein wacher Geist.«

»Nimm es, wie der Herr es für uns und ihn richtet! Es wird wohlgetan sein.«

Und als Thotmes zwölf Sommer bei den Habiru als Sohn Amrams galt, hatte er bereits die Statur eines Fünfzehnjährigen. Einer Bande von Jungen war er der Anführer. Selbst Ältere, mit zwei, drei Jahren Vorsprung, erkannten ihn als Häuptling an. Nachdem sie wieder einmal die Jungen des Nachbardorfes mit Steinwürfen und Stockschlägen verjagt hatten, stellte Thotmes fest, dass dies langweilig war und ihrer nicht würdig, denn es stand doch seit geraumer Zeit fest, dass sie stets siegten.

»Wir brauchen einen Gegner, der uns ebenbürtig ist.«

Sie saßen am Ufer des Flusses, versteckt hinter Schilf und anderen hohen Sumpfpflanzen. Thotmes hatte als Anführer einen Reif aus Binsen auf dem Kopf. In der Mitte brannte ein kleines Feuer. Über den Flammen drehte sich ein Spieß mit Fröschen und kleinen Fischen, die ein leckeres Mahl versprachen.

»Wer ist der natürliche Feind der Habiru?«, fragte er die Runde.

»Die Wächter, die Kriegsknechte des Pharao«, antwortete ihm die Runde wie ein Mann.

»Richtig. Dann wollen wir sie davon überzeugen, dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs sie strafen wird, das Volk der Habiru zu Sklaven gemacht zu haben.«

»Irgendwelche Vorschläge?«, assistierte ihm Eumenes. Alle schwiegen.

Thotmes’ Blick ging über sie hinweg am Ufer entlang, wo er einen Baum sah, um dessen Astloch Bienen schwärmten.

»Dort sehe ich unsere Waffen«, sagte er bestimmt.

Die Jungen blickten sich um, zuckten mit den Achseln und machten ratlose Gesichter und warteten, dass Thotmes ihnen erklärte, was er vorhatte.

»Du meinst, wir sollten uns von den Bienen stechen lassen?«, spottete Eumenes, der sich jedes Mal ärgerte, wenn er die Gedankengänge des Freundes nicht nachvollziehen konnte, erhob er doch den Anspruch, dass die Griechen das klügste aller Völker waren.

»Wir werden die Wächter heute Nacht in einer grandiosen Schlacht vernichten!«

»Ha!«, machte Eumenes. »Was hast du dir denn wieder ausgedacht?«

»Wir werden uns die Honigwaben holen, zu den Häusern der Wächter gehen und ihre Türen mit Honig beschmieren. Sie werden auf Tage nicht in ihren Häusern wohnen können«, sagte Thotmes im selbstherrlichen Ton eines Priesters.

»Und wir werden vorher gestochen werden und aussehen, als wären wir vom Aussatz befallen«, höhnte Hosea, der zwei Jahre älter war und schlecht verwinden konnte, dass Thotmes beim Ringkampf seine Schultern auf die Erde gedrückt hatte.

»Aber nein!«, wehrte Thotmes überlegen ab. »Wir werden vorher am Fuß des Baumes Melisse und Baldrian verbrennen. Der Rauch wird sie müde und friedlich machen. Kann sein, dass sie dich trotzdem stechen, weil du, wie wir alle wissen, ungeschickt bist.«

»Und das funktioniert?«, ließ Hosea nicht locker. »Thotmes als Herr der Bienen?«

Thotmes schob seinen Binsenkranz zurecht und sagte: »Untertan ist mir Bienenvolk und anderes Getier.« Alle lachten. Thotmes verzog nicht das Gesicht.

Wie er es vorausgesagt hatte, so lief es ab. Die Bienen blieben ruhig und ließen es zu, dass sie die Waben aus dem Astloch holten und den Honig an die Hütten der Wächter schmierten.

Am nächsten Tag war großes Wehklagen unter den Wächtern. Vielfach von Bienen gestochen, liefen sie aus ihren Hütten, rannten zum Fluss und warfen sich dort ins Wasser. Viele Tage lang konnten sie ihre Häuser nicht betreten. Sie gingen zum weisen Nun und fragten ihn, welche Bewandtnis dieses seltsame Ereignis habe. Nun, der aus den Äußerungen seiner Schüler wusste, was geschehen war, legte die Stirn in Falten und wiegte sich mit entrücktem Gesicht vor und zurück.

»Ein übles Vorzeichen«, sprach er schließlich. »Wisst ihr nicht, dass der Pharao Herr der Binse und Biene ist, Herrscher über Ober- und Unterägypten? Wenn die Bienen euch stechen, ist es ein Hinweis, dass der Pharao mit euch unzufrieden ist. Die nächste Warnung kann noch schlimmer ausfallen, wenn ihr euer Verhalten nicht ändert.«

»Worin haben wir gefehlt, guter Nun?«, rief Raneb, ein Nubier und ihr Anführer, der als besonders gewalttätig galt. Schon sein dunkles, grobschlächtiges Aussehen löste Furcht aus.

»Dazu muss ich die Sterne befragen. Werdet ihr befolgen, was euch der Ratschlag des Osiris weist?«

»Ja. Natürlich. Wir werden befolgen, was der Gott verlangt«, beteuerte Raneb.

Als sie am nächsten Tag wiederkamen, bat er die Wächter, sich zu ihm zu setzen. Lange schwieg er mit in den Nacken gelegtem Kopf. Als ein Falke das Dorf überflog, nickte er und murmelte etwas Unverständliches.

»Ist der Spruch der Götter ungünstig ausgefallen?«, fragte Raneb ängstlich.

»Wie man es nimmt. Aber ihr müsst euch ändern. Horus hat es eben bestätigt. Die Habiru sind wertvolle Knechte des Pharao, die unermüdlich für ihn arbeiten, damit Tempel zu seinen Ehren entstehen. Aber durch eure Schläge geschwächt, können sie nicht so hart arbeiten, wie sie es gern tun würden. Viele Tage gehen dem Pharao durch Krankheit der Habiru verloren. Ihr wisst doch, dass Amenophis eins ist mit Osiris und Herr über Binse und Biene? Deswegen schickte er euch die Bienenvölker. Wenn ihr aufhört, die Habiru zu drangsalieren, wird der Krieg der Bienen gegen euch aufhören. Beschmiert eure Türen mit Essig, geht in den Tempel und betet zu Osiris, und schon wird die Strafe von euch genommen werden.«

Von da an hörten die Wächter eine Zeit lang auf, die Habiru zu bedrängen.

Natürlich blieb nicht verborgen, welche Rolle Thotmes dabei gespielt hatte und die Habiru waren stolz auf ihren kleinen Helden. Amram und Jochebed sahen sich darin bestätigt, dass sie einen besonderen Menschen großzogen.

Aber auch Raneb erfuhr bald, dass der Sohn des Schmieds mit dem Krieg der Bienen gegen ihn und seine Leute etwas zu tun gehabt hatte. Eines Morgens, als Thotmes auf dem Weg zum Schreiber Nun war, fing er ihn an der Sykomore des Sobek oberhalb des Flusslaufes ab, in dem etliche Krokodile blinzelnd aus dem Wasser sahen und auf Opfer lauerten.

Raneb, der Nubier, war ein großer, breitschultriger, muskelbepackter Mann von dunkler, fast schwarzer Hautfarbe mit einem Gesicht wie ein Fels, kantig und vernarbt.

»Du sollst der Knirps sein, der uns die Bienen auf den Hals geschickt hat!«

Der Anblick des Knaben verblüffte ihn. Er hatte gehört, dass der Junge nicht älter als zwölf Hapi sei. Aber ihm stand jemand gegenüber, der kurz vor dem Jünglingsalter zu sein schien, ihm bereits bis zum Hals reichte und ihm selbstbewusst entgegensah.

»Ich bin nicht der Pharao, der den Bienen Befehle erteilt!«, erwiderte Thotmes und sah ihm furchtlos in die Augen.

»Ein Frechdachs bist du also. Siehst du unten die Krokodile?«, drohte er mit bösem Grinsen. »Sie warten bereits auf ihr erstes Tagesmahl.«

Die vier Kriegsknechte, die Raneb begleiteten, kreisten Thotmes roh lachend ein und schmähten den Jungen und seine Eltern. Auf ein Zeichen ihres Anführers packten die Männer Thotmes, um ihn hinunter zum Fluss zu den Krokodilen zu schleppen. Thotmes schlug um sich, was ihm nicht viel nützte. Doch es kam etwas dazwischen – und war dies bereits ein Zeichen? Der Himmel hatte sich bereits vor Ranebs Ankunft verdunkelt. Als sie den Jungen, an Händen und Füßen festhaltend, im hohen Bogen zu den Krokodilen schleudern wollten, fuhr ein Blitz aus der Wolke, ein Donnerschlag folgte und ließ die Vögel erschrocken auffliegen. Die Krokodile tauchten ab. Und damit nicht genug. Der Blitz hatte die Sykomore vor dem Fluss in Brand gesetzt, die wie eine Fackel brannte. Vor Schreck ließen sie Thotmes fallen und starrten fassungslos auf den brennenden Baum. Sie zweifelten nicht daran, dass ein Gott gesprochen hatte. Thotmes hatte sich zwar auch erschrocken, aber statt zu fliehen, was jeder andere getan hätte, nutzte er die Furcht der Wächter.

»Sehr nur, wie Sobek zürnt, wenn ihr euch an einem vergreift, der unter seinem Schutz steht!«

Die Wächter wandten sich jäh um und liefen voller Panik davon. Thotmes sah sich das Feuer des brennenden Baumes an und fragte sich nicht zum ersten Mal: Wer bin ich?

Als er sich später mit Eumenes traf und ihm von dem Vorfall erzählte, sagte dieser: »Ich weiß auch nicht so recht, wer du bist. Du bist jedenfalls anders als alle hier im Dorf, das steht mal fest. Vielleicht bist du aus einem Kuckucksnest?«

Thotmes gab ihm einen Schlag in den Nacken.

»Sag das nicht noch einmal! Ich bin der älteste Sohn von Amram und Jochebed und liebe sie beide und sie lieben mich.«

»Warum schlägst du mich? Ich bin doch dein bester Freund!«, klagte Eumenes.

»Entschuldige, ich bin manchmal etwas heftig in meinen Gefühlswallungen«, besänftigte er den Freund.

»Das solltest du dir sagen, bevor du zuschlägst«, maulte Eumenes.

»Ich werde jedenfalls der beste Schmied im Delta werden«, versuchte er sich selbst davon zu überzeugen, dass er in die Fußstapfen seines Vaters treten und als geachteter Habiru aus dem Stamm der Levi gelten würde.

Von nun an sahen die Wächter an ihm vorbei, wenn sie ihm begegneten. Unter ihnen waren Geschichten im Umlauf, dass dieser Sohn des Schmieds unter dem Schutz des Sobek oder gar Osiris stehe und man sich besser nicht mit einem Schützling der Götter anlege.

So lebte Thotmes ohne nennenswerte Zwischenfälle im Haus des Amram, lernte am Vormittag beim Schreiber Nun nicht nur die Schriftzeichen, sondern hörte auch von den Babyloniern, Hyksos und Hethitern, vom Aufstieg und Niedergang der Reiche. Am Nachmittag half er dem Vater in der Schmiede und traf sich gegen Abend mit den Freunden und war ihnen der Anführer, der immer neue Spiele erfand. So verging die Zeit in der behüteten Liebe von Amram und Jochebed bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr.

Bis das Boot auf dem Flussarm auftauchte, mit silbernen Platten beschlagen, wie man es funkelnder noch nie gesehen hatte. Die Habiru verließen die Brennöfen und selbst die Wächter gingen bis an den Fluss. Mit ruhigem Schlag kam das Boot heran und ein Priester des Amun entstieg ihm. Seine Halsketten leuchteten wie Sonnenstrahlen. Der Priester fragte nach dem Haus des Amram und betrat dessen Hütte mit missbilligendem Blick. Amram sah ihm erschrocken entgegen und legte den Arm um die Schultern von Thotmes, denn er ahnte, dass man seinetwegen gekommen war.

»Das Haus des Pharao verlangt den Knaben Thotmes zurück.«

Amram stöhnte und senkte den Kopf.

»Der Knabe mit dem stolzen Blick ist es, nicht wahr?« Der Priester deutete mit seinem silbernen Krummstab auf den Jungen, der ihn mit offenem Mund anstarrte. Mit hängendem Kopf nickte Amram.

»Ich wusste, dass Thotmes nicht ewig bei uns bleiben würde. Seine Mutter will ihn sicher zurück. Und das ist nur recht«, flüsterte er.

»Er ist mein Sohn!«, schrie Jochebed heftig. Doch Amram schüttelte den Kopf.

»Nein, Frau. Wir wissen beide, wie er zu uns gekommen ist. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs hat uns ein Geschenk gemacht, indem er uns Thotmes gab und nun gibt er ihn seiner Mutter zurück. Fügen wir uns in seinen Ratschluss.« Er legte Thotmes die Hand auf den Kopf und sagte unter Tränen: »Wir müssen uns trennen, Sohn. Man wird dir im Haus des Pharao erzählen, wer du bist und wie es dazu kam, dass wir dir eine Zeitspanne Vater und Mutter waren.«

Der Priester zupfte ärgerlich an seinem Halsschmuck, hatte er doch nicht vor, länger als nötig in dieser Lagune zu verweilen, wo der Rauch der Brennöfen die Sonne hinter einem Schleier verbarg, geschweige denn in diesem Haus, in dem es nach Ziegen- und Schafsmist stank, der hier als Brennmaterial verwendet wurde.

»Was hat das zu bedeuten, Vater?«, fragte Thotmes verwirrt.

»Du wirst dahin gehen, woher du gekommen bist. Ich hoffe, dass dich der Herr Abrahams, Isaaks und Jakobs weiter beschützt. Wir durften vierzehn Jahre deine Eltern sein, mehr war uns nicht zugemessen. Ich habe immer gehofft, dass man dich bei uns belässt, aber es sollte nicht sein.«

»Wer bin ich denn?«, fragte Thotmes voller Angst vor der Antwort.

»Das wirst du im Haus des Pharao bald erfahren!«, sagte der Priester schroff, der einen unmündigen kleinen Jungen erwartet hatte und sich nun einem Knaben gegenübersah, der ihm fordernd in die Augen blickte.

Und so schickte sich Thotmes in sein Schicksal und umarmte voller Inbrunst die Frau, die er als seine Mutter angesehen hatte, und empfing den letzten Rat Amrams: »Sei ehrlich, treu und voller Barmherzigkeit. Achte das Gesetz und vergiss nicht, zu wem wir dich beten gelehrt haben.«

Thotmes schluchzte, als er die Hütte und das Dorf verließ. Die Kinder des Dorfes standen traurig am Wegesrand und winkten ihm zu. Eumenes folgte ihm weinend bis zum Ufer.

»Du kommst doch zurück, Thotmes? Lass uns nicht im Stich!«, schrie er.

Thotmes verließ Gosen mit bangem Herzen, aber trotzigem Geist. Wohin man ihn auch bringen würde, er würde den Weg hierher zurückfinden.

Echnatons Bruder. Der Pharao und der Prophet

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