Читать книгу Echnatons Bruder. Der Pharao und der Prophet - Heinz-Joachim Simon - Страница 14

Das Sedfest

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Die schrillen hohen Schreie der Weiber ließen vermuten, dass jemand Wichtiges zu den Göttern gegangen war. Es kümmerte sie nicht. Sie hatten genug damit zu tun, sich über ihre Situation Klarheit zu verschaffen.

»Es war eine Scheißidee!«, krächzte Eumenes. »Du siehst aus wie ein zermanschter Apfel.«

»Du bist keineswegs schöner«, keuchte Thotmes. Er versuchte, sich möglichst wenig zu bewegen. Das Blut auf dem Rücken war getrocknet, aber die Wunden platzten bei jeder heftigen Bewegung auf und verursachten schier unerträgliche Schmerzen.

»Ja, ja. Wir gehen nach Kadesch und schauen uns da mal um. Ein kleiner Spaziergang!«, ätzte Eumenes.

»Es sollte dir ein Trost sein, dass ein Prinz nicht anders behandelt wurde als der Sohn eines gemeinen Esels.«

»Auch als Prinz bist du mit deinen Beleidigungen nicht fantasiereicher geworden. Hast du einen Hauch von Ahnung, wie es weitergehen soll? Du bist schließlich Thotmes, der Sohn des Amenophis. Ha, ha!«

»Unser gemeinsamer Freund Raneb wird weiter unsere Rücken streicheln.«

Doch es kam anders. Als sich die Tür wieder öffnete, erschraken sie zunächst. Es war Raneb, der sie mitleidig musterte.

»Aschar-Ur ist gestern an einem Hühnerknochen erstickt. Merkwürdig, nicht wahr? Hast du ihn verflucht, Thotmes? Baschar-ben-Apzu ist sein Nachfolger, aber er ist auch nicht besser. Vielleicht wird er euch bei der Totenfeier der Göttin opfern.«

»Tolle Aussichten!«, stöhnte Eumenes.

»Warum bist du gekommen?«, fragte Thotmes. Der riesige Schwarze wischte sich nachdenklich über das Gesicht.

»Ich weiß, unter wessen Schutz du stehst. Seit damals in Gosen. Da befiehlt mir Aschar-Ur dich auszupeitschen und schon stirbt er an einem kleinen Hühnerknochen. Ich habe nur getan, was man mir befohlen hat. Ich bitte dich, verzeih mir. Ich kann dir ein Gefolgsmann sein. Ich kann dir Diener, Dolchmann und Schatten sein. Bei den Göttern Kuschs, bei Sobek und Chnum, ich würde dir treu dienen und deinen Weg gehen, wenn es sein muss, bis zum Westen. Osiris soll mich den Dämonen vorwerfen, wenn ich dir je untreu werde.«

Thotmes sah ihn scharf an. Er reichte ihm die Hand und nahm Ranebs Kuss auf die Fingerspitzen entgegen.

»Gut. Ich nehme dich in meine Gefolgschaft auf«, sagte er förmlich. »Wir müssen hier weg und zwar schnellstens, ehe dieser Baschar auf die Idee kommt, uns auf den Altar seiner schmutzigen Götter zu legen.«

Raneb nickte eifrig und holte aus dem Beutel, der an seinem Gürtel hing, kleine Töpfchen mit Salben heraus und beschmierte ihren Rücken.

»Beten wir, dass es keine Entzündungen gibt. Ich komme heute Nacht zu euch – und dann hoffen wir auf das Glück des Thotmes und den Beistand seiner Götter.«

»Oh ja, der hat Glück! Deswegen hat man uns auch in Kadesch so freundlich behandelt«, spottete Eumenes.

»Hab dich nicht so!«, wies ihn Thotmes zurecht. »Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs wird mit uns sein.«

»Da holst du dir aber einen mächtigen Gott zu Hilfe, der nicht mal deinen Leuten in Gosen helfen kann.«

»Mir wäre es auch lieber, wenn euch Sobek zur Seite stünde«, bekräftigte Raneb.

»Mir kann nur der große Herkules helfen. Ich bin zu schwach, um zu gehen«, jammerte Eumenes.

»Dann nehme ich das schwächliche Griechlein auf den Rücken«, schlug Raneb vor.

»Wie sprichst du mit dem Adjutanten des Prinzen Thotmes, du kuschitischer Rüpel!«, empörte sich Eumenes.

Ohne die Trauerrituale um Aschar-Ur zu achten, feierte Baschar-ben-Apzu seinen Aufstieg zum Fürsten von Kadesch. Er hatte deswegen viel Wein austeilen lassen und seine Krieger vergnügten sich maßlos mit den Kebsweibern.

Es war die dritte Stunde, als Raneb auftauchte und Eumenes hochnahm, als wäre dieser ein Kind, und ihm einen Sack über den Kopf zog. Eumenes protestierte wütend, aber Raneb gab ihm einen Schlag auf den Kopf.

»Ruhe! Zapple nicht so. Es geschieht zu deinem Besten.«

»Gehen wir? Schaffst du es?«, fragte er Thotmes.

»Ich bin, der ich bin. Es muss gehen.« Er erhob sich und folgte dem Nubier.

Vor dem Eingang des Turms lagen zwei Hyksoskrieger mit durchgeschnittener Kehle.

»Es musste sein«, sagte Raneb lapidar.

Er hatte für sich und Thotmes Kapuzenmäntel mitgebracht, die sie wie Angehörige der Wüstenvölker aussehen ließen. Die Straßen hatten sich geleert. Überall lagen Betrunkene in den Ecken. Als sie zum Marktplatz kamen, wies Raneb auf die dort aufgestellte Kriegsstandarte der Hyksos.

»Sie glauben, dass in der Standarte eine göttliche Kraft steckt. Sie ist ihnen so heilig wie die Statue des Baal in ihrem Tempel. Sie glauben, dass die Standarte sie unbesiegbar macht, so lange sie ihre Schlachtenreihe anführt.«

Thotmes hielt inne. Raneb erriet Thotmes’ Gedanken.

»Du willst sie ihnen stehlen?«

»Ja. Bestrafen wir sie für das, was sie uns antaten.«

Raneb nahm sie ungehindert aus der Halterung. Die beiden Hyksos, die sie bewachen sollten, waren längst vom Wein besiegt. Brummend band er Thotmes die Standarte auf den Rücken, nachdem dieser die Messer der Wachen eingesteckt hatte.

»Ist es das wert?«, fragte er besorgt. »Sie ist doch nur hinderlich.«

»Es ist fürstlicher Unfug!«, protestierte Eumenes dumpf aus dem Sack.

»Es ist ein fürstlicher Lohn!«, verbesserte Thotmes ihn.

Sie kamen unbemerkt zum Osttor. Dort wurden sie von zwei Wachen angehalten.

»He, Raneb, wo willst du mit deinem Sack hin?«

Dann fiel ihr Blick auf Thotmes und die Kriegsstandarte. Fluchend hoben sie die Speere. Die Antwort Ranebs war ein Dolchstoß ins Herz. Dem zweiten Wächter fuhr Thotmes’ Messer als Wurfgeschoss in den Hals. Eilig hob der Nubier den Querbalken des Tores hoch, öffnete einen Seitenflügel und sie traten hinaus. Vorsichtig zog er den Flügel hinter sich zu.

»Sie werden erst am Morgen die Toten und unsere Flucht entdecken. Wir müssen zu Gazellen werden«, sagte Raneb.

Als die Sonne aufging, war Kadesch ein ferner Punkt. Doch bald konnte sich Thotmes nur noch mühsam vorwärtsschleppen. Die Standarte schmerzte in seinem Rücken und oft war er versucht, sich ihrer zu entledigen. Aber er hielt durch. Die Sonne versengte ihnen Gesicht und Arme, was Raneb nicht viel ausmachte, aber Thotmes’ zerschlagenes Gesicht noch übler aussehen ließ. Als er immer wieder erschöpft hinfiel, schlug Raneb eine kurze Rast vor und ließ Eumenes sehr grob auf die Erde fallen.

»He, was erlaubst du dir, elender Kuschit?«

»Während Thotmes sich mühevoll vorwärts quält, hast du bequem auf meinem Rücken gedöst. Kein einziges Mal hast du angeboten, dass er deinen Platz einnehmen kann!«

»Du hast recht. Aber ich bin nicht in der Lage zu gehen«, sagte Eumenes beschämt. Thotmes winkte ab.

»Lass nur! Die Rast wird mir guttun. Es kann bald wieder weitergehen.«

»Auch wenn sie unsere Flucht erst am Nachmittag entdeckt haben, werden sie bald eintreffen.«

Schon nach kurzer Zeit scheuchte Raneb sie weiter. Um Thotmes zu helfen, nahm er seinen Gürtel vom Leib und gab ihm das Ende, damit er sich an ihm festhalten konnte. Mit ihm im Schlepptau und Eumenes auf dem Rücken schritt er voran. Wie lange kann er das aushalten?, sorgte sich Thotmes. Der Riese legte zwar immer wieder Pausen ein, quälte sich jedoch weiter. Doch dann erlahmten auch Ranebs Kräfte und seine Schritte wurden langsamer. Er fing an zu keuchen. Schließlich blieb er stehen und drehte sich um. Dort wo sie hinter den Hügeln Kadesch wussten, waren Punkte zu sehen.

»Sie kommen. Es wird nicht lange dauern, bis sie uns eingeholt haben.«

Raneb mobilisierte noch einmal alle Kräfte. Schon hörten sie hinter sich das Stampfen galoppierender Pferde.

»Gleich werden sie uns erreichen«, keuchte Thotmes. »Schade. Aber es war ein Versuch wert. Trotzdem, danke, Raneb.«

Plötzlich stieß der Riese einen Schrei aus, der wie der Trompetenruf eines Elefanten klang. Vor ihnen tauchten nun ebenfalls Punkte auf.

»Das Lager! Wir sind gleich beim Lager!«, schrie Thotmes.

Sofort fiel alle Müdigkeit von ihnen ab und sie rannten auf die Punkte zu. Streitwagen kamen ihnen entgegen. Das Donnern der Hufe erschien ihnen so tröstlich wie der Gesang im Tempel der Isis. Dann waren sie heran. Ka-aper sprang ab.

»Den Göttern sei dank, Prinz Thotmes. Der Hauptteil des Heeres ist seit gestern auf dem Rückzug. Ich habe mit der Nachhut gewartet, weil ich den dritten Tag abwarten wollte.«

»Die Hyksos sind dicht hinter uns.«

»Ja. Aber sie drehen bereits ab. Sie haben nicht vor, mit uns zu kämpfen. Ihre Verstärkung scheint noch nicht eingetroffen zu sein. Doch was ist das?« Er wies auf die Standarte.

»Das Feldzeichen der Hyksos.«

»Bei Amun-Re, er hat den Hyksos die Kriegsstandarte entwendet. Das ist wie ein Sieg.«

Die erschöpften Männer stiegen in die Streitwagen und im Galopp ging es zum Lager zurück, in dem nur noch wenige Krieger ausharrten. Sofort wurde das Lager abgebrochen. In Eilmärschen jagte man dem Hauptheer hinterher. Schon bald stießen sie auf die einst stolze Armee, die nur noch ein Schatten ihrer selbst war. Doch das Heer fasste wieder Mut, als es Thotmes gewahrte und ließ ihn hochleben. Ihre Jugend half Thotmes und Eumenes sich schnell zu erholen, wenn auch die Spuren aus Kadesch noch einige Zeit in ihren Gesichtern unübersehbar waren. Natürlich mussten sie sofort Bericht erstatten.

»Bei den Göttern, du siehst fürchterlich aus!«, sagte Prinz Amenhotep mitleidig.

»Die Hyksos scheinen dich kräftig gevögelt zu haben«, lästerte Haremhab. Thotmes ging nicht darauf ein und berichtete nur ganz allgemein, was er in Kadesch erlebt hatte.

»Trotz ihrer Verluste sind sie uns an Zahl immer noch überlegen. Sie fühlen sich auch nicht als Verlierer. Für sie war die Schlacht, in der sie uns nicht bezwingen konnten, nur ein Scharmützel. Im Moment hat der neue Fürst sicher genug damit zu tun, seine Macht zu sichern. Ich glaube daher nicht, dass sie uns gleich folgen werden.«

»Und Aschar-Ur starb durch Thotmes’ Fluch!«, warf Eumenes ein und wurde dafür von Haremhab mit einem vernichtenden Blick bedacht. Was maßte sich dieser namenlose Grieche an, im Kreis der Prinzen zu sprechen? Doch diese sehr übertriebene Aussage, die durch nichts zu belegen war – aber auch durch niemanden zu widerlegen – beeindruckte die Prinzen sehr. Scheu sahen sie auf Thotmes. Prinz Amenhotep nannte Thotmes einen Löwen, der höchste Ehren verdiene.

»Und er hat den Hyksos ihre Standarte entwendet!«, lobte Ka-aper. »Wir haben nun einen eindeutigen Beweis unseres Sieges.«

»Er wird mir mein liebster Gefolgsmann sein!«, verkündete Amenhotep, sprang auf und gab Thotmes den Bruderkuss. »Wie freue ich mich, dem großen Pharao, meinem Vater, davon zu berichten. Es ist ein Zeichen, dass Aton mit ihm ist. Schaut in sein Gesicht. Er ist von der heiligen Röte des Aton gekennzeichnet.«

Die anderen Prinzen nickten gleichmütig. Mittlerweile hatten sie sich daran gewöhnt, dass Amenhotep bei jeder Gelegenheit auf diesen fast unbekannten Gott hinwies. Jeder Pharao hatte bisher einen Lieblingsgott gehabt. Er würde sich also in der besonderen Huld dieses Aton wähnen.

Der Einzug in Theben war triumphal. Alle Bewohner Thebens standen an den Straßenrändern und winkten jubelnd mit Tüchern.

Es dauerte nicht lange, bis Thotmes wieder bei Kräften war. Die Narben auf dem Rücken allerdings blieben als Erinnerung an Kadesch zurück. Sie galten allen am Hof als ein Zeichen, dass die Götter ihm große Prüfungen auferlegt hatten, aber er gleichwohl ihre Huld besaß, denn er war als Sieger zurückgekommen. Er war dem Volk ein Held und wenn er sich in der Sänfte zum Ufer tragen ließ, um auf einer der Königsbarken zum anderen Ufer überzusetzen, wo er sich im Vogelfang übte, jubelten sie ihm zu, so dass Teje begann sich Sorgen zu machen, ob so viel Zuneigung ihrem Amenhotep schaden konnte. Doch dieser freute sich über die Liebe des Volkes zu Thotmes, seinem Herzbruder, wie er ihn nun nannte, und gönnte ihm diesen Liebesbeweis.

Als Thotmes sich wieder einmal im Garten erging, um sich an den Blumen zu erfreuen, an den Vögeln in den Büschen des Oleander traf er auf eine Frau von so überirdischer Schönheit, dass er meinte, Isis zu begegnen. Nie, so meinte er, war er einem so göttlichen Wesen begegnet. Es konnte keine Sterbliche sein. Ein schmales Gesicht mit einer klaren hohen Stirn, eine wohlgeformte Nase, fein geschwungene Augenbrauen über großen, dunklen Augen. Ein Mund, edel geschwungen wie ein Flügel des Horusfalken. Ihm stockte der Atem. Er blieb stehen und starrte sie bewundernd an. Sie lächelte und wandte sich dann dem Frauenhaus zu. Er bewunderte ihren aufrechten, stolzen Gang. Unter dem weißen, fast durchsichtigen Gewand war sichtbar, dass ihre Figur ohne Makel war. Isaak, der ihn beobachtet hatte, lächelte verstehend.

Thotmes ging zu dem Haupthofgärtner und legte ihm den Arm um die Schultern. So vertraulich behandelte er Isaak mittlerweile, wenn er auch nicht benennen konnte, warum es ihn zu diesem einfachen Menschen hinzog. Weil er wusste, dass er den Habiru angehörte und für ihn ein Bindeglied zu Amram und Joche­bed war?

»Lieber Freund, sag mir, wer dieses göttliche Wesen ist. Ich dachte, der Isis zu begegnen.«

»Es wird dir nicht gefallen, wenn ich dir enthülle, wer sie ist«, antwortete er zögernd.

»Sie ist also verheiratet. Natürlich muss sie verheiratet sein und ich komme zu spät. Doch wenn schon… Noch nie hat mich ein Gesicht so verzaubert.«

»Sie ist deine … zukünftige Herrin.«

»Bei Sachmet, der Löwenhäuptigen! Das also ist die Frau von Prinz Amenhotep? Gewiss, ich hörte, dass man sie mit Hathor und Isis vergleicht, aber hielt dies für übertrieben. Da ich überwiegend bei Ka-aper in der Kaserne wohne, bin ich ihr bisher nicht begegnet.«

»Sie ist erst kürzlich in den Harem aufgenommen worden. Sie stammt von einem Gau-Fürsten aus dem Delta ab.«

»Ha, welch eine Verschwendung! Unser guter Amenhotep kann doch mit so einem Weib kaum etwas anfangen.«

»So solltest du nicht sprechen. Amenhotep nennt dich seinen Herzbruder.«

»Ich weiß, ich weiß. Deine Rede ist mir wie Fliegengesumm. Kommt die Prinzessin oft in den Garten?«

»Überlege, ehe du handelst.«

»He, was erlaubst du dir!«, rief Thotmes, stieß ihn dabei aber lächelnd in die Seite.

»Sie ist die Frau deines zukünftigen Herrn!«, warnte Isaak eindringlich.

»Ach, sei nicht so streng. Überlässt nicht auch Teje, die Hauptfrau des Pharao, Eje die Gnade ihres Schoßes, wie allgemein bekannt ist?«

»Weil ihr Gemahl ein müder Büffel ist. Früher, als er noch der Löwe war, hätte er sich das nicht gefallen lassen. Aber heute liegt er lieber unter einem Palmbaum zwischen den Brüsten einer dicken Nubierin. Lass dich von einem erfahrenen Mann warnen. Die Lust hat schon manchem Verderben gebracht. Ich habe auch mal den Nektar einer Hochwohlgeborenen gekostet. Und dass ich dafür nicht bestraft wurde, verdanke ich nur der Tatsache, dass ich zu unwichtig bin, und der Gnade des Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs.«

»Was? Hast du es etwa mit einer der Prinzessinnen aus dem Frauenhaus getrieben?« Thotmes schlug ihm lachend auf die Schulter. »Sieh mal an, mein guter Isaak ist ein ganz heimlicher! Doch mach dir keine Sorgen, was ich auch tue, ich tue es mit Vorsicht und Bedacht.«

Isaak seufzte, schüttelte den Kopf und schnitt die wilden Triebe von einem Rosenstrauch. Wenn man doch auch die Leidenschaften der Menschen einfach zurückschneiden könnte, dachte er dabei. Doch Thotmes überlegte, wie er es anstellen könnte, dieses wunderbare Wesen wiederzusehen.

Am nächsten Tag zur gleichen Zeit war Thotmes im Garten. Wieder sah er sie mit ihren Dienerinnen lustwandeln, um dann am Ufer des großen Stroms die Füße ins Wasser zu tauchen. Auch diesmal beobachtete es Isaak mit Sorge und schüttelte warnend den Finger.

»Lass ab von der Frau, Prinz Thotmes!«

»Wie heißt sie nun?«, fragte Thotmes barsch in einem Ton, den er sonst gegenüber dem Gärtner nie angeschlagen hatte.

»Nofretete heißt sie. Teje persönlich hat sie für Amenhotep ausgesucht. Ihre Mutter war eine hethitische Prinzessin. Diese Frauen gelten als sehr fruchtbar.«

»Na und? Bin ich nicht der Sohn des Amenophis?«

»Oh, Thotmes«, stöhnte Isaak und dachte verzweifelt: Ich kann ihm doch nicht sagen, dass er vielleicht mein Sohn ist.

Thotmes lief den Weg hinunter zum Ufer, der in einen Steg überging, auf dem die Mädchen saßen und die Füße ins Wasser tauchten.

»Ich grüße dich, Nofretete, die die Isis erblassen lässt.«

»Was flüsterst du für lästerliche Worte, Prinz Thotmes? Hat man dir nicht Ehrfurcht vor dem Weib deines zukünftigen Herrn beigebracht?«

»Du hast also von mir gehört?«, fragte er geschmeichelt.

»Wer hat nicht von Thotmes gehört? Der Held in der Schlacht von Kadesch, der uns die Hyksos-Standarte brachte und den Amenhotep seinen Herzbruder nennt und nicht aufhört zu rühmen.«

Sie gab ihm durch ihr vor den Augen hängendes Haar einen Blick, der ihm Gänsehaut auf die Arme trieb. Ihre Brust bebte unter dem zarten Gewebe. Sie wandte sich zu den Dienerinnen und befahl ihnen sich zurückzuziehen, da sie Prinz Thotmes eine Nachricht ihres Gemahls zu übermitteln habe.

»Ich habe eine Bitte: Dass du meinem Gemahl stets ein treuer Diener bist. Er ist nicht so wie du. Er ist von schwacher Gesundheit. Erst vor Kurzem hatte er einen Ohnmachtsanfall. Der Feldzug nach Kusch war zu viel für ihn. Er braucht jemanden, der ihn beschützt, wenn er nicht bei sich ist. Sei ihm der Bruder und mir ein Freund.«

Das war nicht gerade das, was er hatte hören wollen. Wie würdevoll hatte sie ihn in seine Schranken verwiesen und an seine Freundschaftspflichten gegenüber Amenhotep erinnert. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig, als darauf einzugehen.

»Ich bin sein Bruder und auf sein Wohl bedacht. Deine Bitte und dein Freundschaftsangebot sind für mich eine große Ehre, der ich mich immer verpflichtet fühlen werde.«

Er verbeugte sich und entfernte sich dann, um in den Palast zurückzukehren.

Thotmes und Haremhab wurden von Ka-aper weiterhin im Handwerk des Krieges geschult, was Thotmes mit Leidenschaft betrieb. Haremhab dagegen litt unter der Strenge des Vaters und der Eintönigkeit der Übungen und nannte ihn einen Schinder. Am meisten litt er darunter, dass ihm Thotmes immer als Vorbild vorgehalten wurde. Amenhotep, Semenchkare und Cheruf wurden dagegen in die geheimen Riten der Götter eingeführt, waren mehr im Tempel als in der schlichten Kaserne. Der Pharao legte großen Wert darauf, dass alle Prinzen von den Wilden erfuhren, die jenseits der Grenzen lebten. So hörten sie vom ewigen Babylon, von Türmen, die bis zu den Wolken reichten, von den grausamen Assyrern, von den kriegslüsternen Hethitern und den Wüstenvölkern, den Kanaanitern und Amoritern, die Kuschiten nicht zu vergessen. Sie bekamen eine Ausbildung, die sie in die Lage versetzen würde, das Land der Binse und Biene klug zu regieren.

Das Sedfest in Heliopolis versetzte schon lange vorher das gesamte Reich in Aufregung. Es sollte besonders prächtig werden, da das siebenunddreißigste Jahr der Thronbesteigung des Amenophis gefeiert werden sollte. Die Tempel wurden restauriert und neue Tempel für Amun gebaut. Nie waren die Fresken auf den Wänden schöner, nie die Priester zahlreicher. Die Glorie des Friedenspharao zeigte sich triumphal in der Liebe des Volkes. Ein Ereignis am Rande der Vorbereitungen blieb jedoch kaum beachtet. Der Gott Re, der in einer Sonnenscheibe verehrt wurde, bekam auch einen kleinen Tempel in Memphis, nicht weit von dem Tempel des Amun entfernt.

Als der Vortag der Feierlichkeiten gekommen war, bestiegen der gesamte Hofstaat und die Priester des Amun und der anderen Götter, sei es Hathor, Isis, Ptah, Bastet, Chnum, Sachmet, die silbern beschlagenen Barken und segelten nach Heliopolis. Die Priester der Götter Ägyptens huldigten mit Lobliedern dem Pharao. In weiße Gewänder gehüllt hoben sie die Hände zum Himmel und sangen die heiligen Lieder. Und in Heliopolis waren die Opfertiere so weiß wie Seerosenblüten, die Feuer auf allen Altäre brannten und der Duft von gebratenem Fleisch zog durch die Straßen der Stadt. Die Menschen fühlten, dass dieser Feiertag der Höhepunkt der Herrschaft Amenophis III. war. Alle waren ergriffen. Sie schrien: »Lang lebe der große Pharao, der Herr der Welt!«

Die Priester des Amun wussten es besser. Der Pharao kränkelte seit geraumer Zeit. Noch war das Gleichgewicht der Welt ungestört. Doch dann befahl der Nachfolger des Pharao einen Besuch, der die Amunpriester die Köpfe zusammenstecken ließ.

Amenhotep ging mit seinem Hofstaat zum Tempel des Re, der Inkarnation der Sonne, außerhalb der heiligen Bezirke, und erwies im Vorhof des Tempels dem Gott seine Referenz und opferte zu seinen Ehren Kraniche und Schwäne, also Vögel, die der Sonne sehr nahe kamen. Es gab viel Gerede darüber und man erklärte den Besuch damit, dass Amenhotep seinen Vater ehren wollte, der bereits eine etwas absonderliche Schwäche für den Sonnengott gezeigt hatte.

In der darauffolgenden Nacht wurde Thotmes von einem Diener des Amenhotep geweckt und zu ihm geführt. Dieser stand bereits zum Aufbruch bereit vor seinen Gemächern und nickte Thotmes ungeduldig zu.

»Da bist du ja. Ich will Re huldigen und seine Sonnenscheibe ehren. Du wirst mich begleiten.«

»Ich werde die Garde anfordern«, erwiderte Thotmes automatisch, denn es war unvorstellbar, dass der Prinz allein durch Heliopolis lustwandelte.

»Nein. Nein. Wir gehen beide allein zum Licht des Lebens.«

»Dann lass wenigstens die anderen Prinzen kommen«, schlug Thotmes erstaunt vor.

»Ich sagte doch, wir gehen allein!«, erwiderte Amenhotep mit Ungeduld in der Stimme.

Nofretete kam hinzu und nickte Thotmes gleichmütig zu, so als würden sie sich nur flüchtig kennen.

»Ich werde meinen Gemahl begleiten«, sagte sie mit strenger Stimme, als erwarte sie Widerspruch, und nahm Amenhoteps Hand.

»So ist es recht«, stimmte dieser zu. »Meine Gemahlin soll an dem Gebet teilnehmen. Die Sonnenscheibe zu sehen, wird ihr und dem werdenden Kind guttun.«

»Wie du befiehlst!«, erwiderte Thotmes unbeeindruckt, ganz Soldat. »Ich hole mein Sichelschwert. Nehmt aber einen Überwurf mit. Des Nachts ist die Sonnenscheibe nicht zu sehen und es ist empfindlich kühl.«

Er lief in sein Gemach. Raneb, der nun als Leibwächter vor seinem Gemach schlief, erhob sich erstaunt.

»Ich habe dich gar nicht weggehen hören«, sagte er verlegen. »Ist etwas geschehen?«

»Schlaf weiter! Ich begleite nur den Thronfolger zu einem neuen Gott.«

Eumenes kam aus dem Nebenzimmer herausgelaufen und stellte die gleiche Frage und bekam die gleiche Auskunft.

»Beim Zeus, habt ihr nicht genug Götter? Mir schwirrt der Kopf von dem göttlichen Durcheinander. Du solltest jedoch den Totschläger aus Kusch mitnehmen. Jetzt, zum großen Sedfest, sind sicher tausende von Gaunern in die Stadt gekommen.«

»Nein. Der Prinz wünscht, allein den Gott zu ehren.«

Thotmes nahm sein Wehrgehänge und lief zum Gemach des Prinzen zurück.

»Gehen wir!«, sagte dieser ungehalten, nach einem kurzen missbilligenden Blick auf das Schwert. »Wir stehen unter dem Schutz des Re.«

Sie traten hinaus in die schwarze Nacht. Niemand war zu sehen. Alle Lichter waren gelöscht. Sie gingen im Rauschen der Palmblätter zu einem Seitenarm des Nils hinunter, wo ein leichter Wind wehte. Amenhotep fiel auf die Knie und Nofretete tat es ihm nach. Thotmes folgte nur zögernd diesem Beispiel. Bewegungslos sahen sie nach Osten und warteten. Am Horizont wurde es heller. Prinz Amenhotep murmelte etwas Unverständliches und bewegte sich schließlich nach vorn und zurück, als könne er nicht erwarten, dass sich etwas ereignete. Es graute. Das Dämmerlicht ließ die Umrisse der Palmen am gegenüberliegenden Ufer hervortreten. Nilpferde glitten ins Wasser. Am Horizont trat die rote Scheibe heraus. Amenhotep stand auf und breitete die Arme aus.

Goldenes Licht flutete über die Palmen und löste ihren Schattenriss aus dem Grau des Morgens. Die Vögel fingen an zu lärmen. Ein Büffel gegenüber lief im Kreis um ein Wasserrad. Kraniche flogen dicht über das Wasser. Amenhotep stieß den Schrei des Falken aus und legte seine Arme um Nofretete und Thotmes.

»Seht, meine liebsten Menschen! Da ist sie, die Sonnenscheibe, die für alles Leben verantwortlich ist«, erklärte er in feierlichem Ton.

Na schön, dachte Thotmes. Jeder Pharao hat sich einen Gott erwählt, zu dem er eine besondere Beziehung hat. Warum nicht eine Sonnenscheibe? Amun-Re und die anderen Götter sind erhaben genug, um einen weiteren Gott ohne Neid zu akzeptieren. Sie waren uralt und ihr Ruhm war fest begründet.

Die Strahlen der Sonne erreichten ihre Gesichter und Amenhotep atmete tief die frische Luft ein.

»Erinnert euch an diesen Morgen, wenn es soweit ist«, sagte Amenhotep. »Nur noch ein wenig Zeit und die Herrschaft des Aton beginnt.«

Aton?, wunderte sich Thotmes. So nennt er also die Sonne. Oh ja, ich werde mich daran erinnern, dass ich früh geweckt wurde, durch die Dunkelheit marschieren und mir hier am Nil die Knie dreckig machen musste, nur weil er die Sonne aufgehen sehen wollte, obwohl sie doch jeden Tag aufgeht.

»Lass uns zum Palast zurückeilen, ehe die Menschen dich hier erblicken und sich Fragen stellen!«, drängte Nofretete. Amenhotep sah sie an, als erwache er aus einem Traum und nickte schließlich.

»Ich werde ihnen eines Tages die Frage stellen, warum sie die Wahrheit, die man jeden Tag erkennen kann, nicht sehen und nicht das anbeten, was ist.«

Viel anfangen konnte Thotmes mit diesen Worten noch nicht. Dabei war es die Ankündigung einer Revolution.

Echnatons Bruder. Der Pharao und der Prophet

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