Читать книгу Echnatons Bruder. Der Pharao und der Prophet - Heinz-Joachim Simon - Страница 5
Prolog Von Wort und Tat
ОглавлениеEr war ein Fürst im Ägyptenland und ein Gott. Seine Herrschaft war segensreich für sein Volk. Gewaltig waren seine Taten. Man nannte seinen Namen ehrfurchtsvoll am Ufer des Euphrat und unter den Zedern des Libanon. Er schlug die Fremdvölker der Wüste und zog für einen geheimnisvollen Gott aus dem Land der Fleischtöpfe in die Wüste, und der Gott wanderte in einer Staubsäule vor ihm her. Sein Gesicht brannte vor Eifer, das Wort zu erfüllen. Er war ein Heiliger, doch er war so göttlich wie die Pharaonen und auch so sterblich, unsterblich nur durch seine Taten. Die Spuren seines Fußes mögen verweht sein, aber seine Worte gelten ewiglich. Noch in hunderttausenden von Jahren wird man seinen Namen rühmen. Denn seit er auf Erden wandelte, unterscheidet man Gut und Böse.
Er nannte sich Thotmes und hatte auch andere Namen, über die noch zu berichten sein wird. Der dies niederschreibt, ist ein Grieche, der unter den Habiru aufwuchs, die manche auch Hebräer nennen. Er ließ mich gelten. Ich war sein Freund, Bruder, Berater und Schildträger. Seine rechte Hand nannte er mich manchmal. Mein Name ist Eumenes. Damals wohnte ich in Gosen, im Delta des Ägyptenlandes, unter den Fronknechten für die Tempel des großen Pharao Amenophis III. Geheiligt ist sein Name den Ägyptern. Sie mussten Ziegel brennen und sie aufeinandertürmen und wurden dafür ernährt. Mein Vater stammte aus Mykonos, manchmal auch aus Theben, dies wechselte, je nachdem wie viel Bier er getrunken hatte. Er betrieb das ehrenwerte Handwerk eines Wasserschöpfers. Meine Mutter war eine Ausgestoßene der Habiru, die darin gefehlt hatte, sich mit einem Fremden einzulassen. Mein Vater glaubte an Zeus, Apoll und Poseidon, meine Mutter an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Ganz klug wurde ich lange Zeit nicht daraus. Auf jeden Fall betete sie zu einem geheimnisvollen Gott, dessen Namen man nicht nennen durfte, und wenn sie niederkniete, stand auch keine Statue in unserer kargen Hütte und zu einem Tempel habe ich sie auch niemals gehen sehen. Vater spottete, wenn sie nicht anwesend war, dass sie Niemand anbetete, aber er ließ ihr ihren Glauben. Ihr Volk glaubte, dass nur das Kind einer Habiru-Frau auch ein Habiru ist. Das hätte mir noch gefehlt. Es war der große Kummer meiner Mutter, dass ich wie ein Grieche dachte und mich auch als solcher verstand. Wer wollte schon einem Volk angehören, das so verachtet war wie die Habiru, die die niedrigsten Fronarbeiten verrichten mussten.
Wir waren aber in dem Dorf meiner Kindheit die einzigen Griechen. Ich lebte unter lauter Habiru und das brachte mich in die Lage, sie besser zu verstehen als die Ägypter. Thotmes’ Eltern waren unsere Nachbarn. Es war also unvermeidlich, dass wir uns kennenlernten, und so spielte ich mit ihm die kindlichen Spiele, lernte mit ihm in den Wasserläufen des Deltas schwimmen, und das Dorf sah in uns eine Plage, weil wir in den Dinkelfeldern herumtobten, die Jungen des Dorfes zu einer Bande sammelten, die gegen das Nachbardorf kämpfte, wenn auch unsere Waffen nur Stöcke waren. Auch größere Frevel wurden uns nachgesagt, wie der Einbruch in die bewachten Kornsilos, was unseren Familien öfter ein Festmahl außer der Reihe ermöglichte. Nein, damals ahnte niemand von uns, mich eingeschlossen, mit wem wir die wilden Spiele betrieben. Doch schon damals hätte man erkennen können, dass er anders war. Sein Geist schied uns von ihm.
Plötzlich war der Bach, der durch unser Dorf floss, der Euphrat und der Erdhaufen gegenüber unserem Schöpfrad Megiddo und jenseits, auf der anderen Seite des Flusslaufes, war das Land der Hyksos und wir durften nicht einfach hinüberschwimmen, sondern mussten Balken zu einem Floß zusammenfügen, das die Schiffsstreitmacht des Pharao darstellte und uns in das Land der Hyksos bringen sollte. Trotz seiner verrückten Ideen folgten ihm alle, denn er hatte einen jähzornigen Charakter, wenn man ihm nicht gleich folgte. Mich behandelte er jedoch stets sanftmütig und so wurde ich zu seinem Schatten. Mich beeindruckten seine Fantasie und vor allem seine Fähigkeit, selbst die absonderlichsten Fantasien zu verwirklichen. Kurz: Er war der geborene Anführer und es gab niemanden, der ihm ein zweites Mal widersprach.
Es gab schon damals Gerüchte über Thotmes. Geheimnisvolle Andeutungen, ein Raunen umwaberte ihn. Die Leute im Dorf beschwerten sich nicht bei seinem Vater, sondern natürlich beim ungeliebten Nachbarn, dem Griechen. Doch dem kamen sie damit gerade recht. Mein Vater lachte nur und sagte: »Für die Taten der Jungen bin ich nicht verantwortlich. Beschwert euch bei den Göttern, die durch die Büsche toben, heißen sie Pan oder gar Dionysos. Jungen müssen sich austoben, sonst werden sie solche Duckmäuser, wie ihr es seid.«
Aber selbst als die Kriegsknechte des Pharao durch die Orte streiften, um die Frevler zu suchen, die sich am Eigentum des Pharao, eben jener Kornspeicher, vergangen hatten, verriet uns niemand, obwohl alle wussten, dass es Thotmes mit seiner Bande war. Oh ja, damals schon hielt ihn jeder für einen wilden Jungen, der durch den Lanzenstoß eines Kriegsknechtes früh im ›Haus des Lebens‹ enden würde.
Ich bin mit ihm hoch gestiegen und tief gefallen und habe ihn auf den Spuren seines unsichtbaren Gottes begleitet, und als sein Schicksal uns trennte, bin ich zurückgegangen an das Ufer des großen Meeres, unweit des letzten Atontempels, wo ich mich als Schreiber verdingte. Und da ich nicht nur die heiligen Buchstaben der Ägypter, sondern auch die Schriften der Babylonier beherrsche, habe ich mein Auskommen. Mein Herz zittert noch nicht, aber ich spüre, dass mein Atem kürzer wird und die Gicht an meinen Knochen zerrt. An das fern Vergangene erinnere ich mich besser als an das, was ich vor Kurzem verrichtet habe.
Ich lebe ohne Gefährtin. Die Götter geben mir keinen Trost. Ich lebe ohne sie. Weder glaube ich an die griechischen Götter, noch an Osiris, Isis oder Amun. Selbst der Gott, dessen Namen man nicht nennen darf, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, ist mir fremd geblieben. Ich habe gesehen, welche Ansprüche er stellt und das hat mir die Lust genommen, mich auf ihn einzulassen. Oh ja, ich weiß: Es ist ein Mangel, wenn man keinen Gott hat, den man um Beistand bitten kann. Es fehlen die Pflichten, die einen mit Beistand belohnen. Doch andererseits bin ich frei und in meinem Tun niemandem verantwortlich. Ich weiß, dass dies nicht ohne Gefahren ist und werde davon berichten.
Thotmes sagte einmal, wer ohne Gott ist, lebt wie ein Tier. Darüber denke ich noch heute nach und du, Fremder, der du diese Zeilen liest, solltest auch darüber nachdenken. Ein anderes Mal sagte er, dass jemand, der ein Leben ohne Gott führt, wie ein Klumpen Lehm ist, den der Töpfer als ungeeignet beiseite warf. Er konnte einem mit solchen Aussagen den Kopf schwermachen. Ja, das war später, als er sich selbst erkannt hatte.
Ich bin allein, aber nicht einsam, denn ich habe die Erinnerungen und damit genug zu tun, um die dunklen Gedanken abzuwehren. Ich stehe also auf, bevor der Morgenstern verlischt, mache am Strand ein paar Übungen, die meine Gelenke krachen lassen, trinke einen Schluck Wasser, gehe an die Arbeit und lege Zeugnis ab über jenen Thotmes, der die Welt veränderte. Die Gedanken an unsere gemeinsame Zeit wärmen mich und das Blut fließt wieder schneller durch die Adern. Ich höre mein Herz schlagen. Ich tauche tief hinab, noch vor die Zeit, als Thotmes geboren wurde.
Du wirst dich vielleicht fragen, wie ich, Eumenes, von den Tagen und den Ereignissen weiß, die vor mir geschehen sind. Im Haus des Pharao wird viel erzählt und die vielen Diener, seien es nun Sklaven oder Amtspersonen, die Frauen nicht zu vergessen, haben nichts anderes zu tun, als die kleine Welt im Haus des Pharao im Gleichgewicht zu halten. Nichts bleibt hier verborgen, jede Veränderung, jede Neuigkeit wird eifernd aufgegriffen und weitererzählt und aus dem Tod einer Mücke wird der Tod eines Elefanten.
Am Abend sitze ich im Licht der Öllampen auf dem Dach meines Hauses und rufe aus der Vergangenheit zurück, was Thotmes und mir widerfahren ist. Manchmal gehe ich hinaus ans Ufer des großen Wassers, nehme den weißen Sand und lasse ihn durch meine Finger rieseln und es kommt mir vor, als würde mein Leben durch die Finger gleiten. Oh ja, ich bin am Ende meines Lebens angekommen und so warte ich jeden Morgen auf der Düne auf den Sonnenball und sehe zu, wie er sich rotballig aus dem Meer erhebt … und sehe vor ihm Thotmes die Arme heben.
So höre, mein Freund, was geschah. Höre, wie es im Haus des Pharao anfing. Amenophis hatte seiner eigenen Tochter beigewohnt. Erschrick nicht über die Sitten, die sich ägyptische Könige anmaßen, sie sehen darin die Reinerhaltung des göttlichen Blutes und wähnen sich ohne Schuld.
Kein Mensch ist ohne Fehl, kein Mensch ist je aus dem Reich des Westens zurückgekehrt, so dass wir nicht wissen, ob der Frevel auf der Waage des Anubis zu schwer wiegt. So beginne ich nun die Geschichte. Die Sonne steigt rot aus dem Meer empor.