Читать книгу Echnatons Bruder. Der Pharao und der Prophet - Heinz-Joachim Simon - Страница 20
Die Offenbarung des Gottes
ОглавлениеEs erfüllte sich der Befehl, dass in Theben dem Gott Aton-Re ein Tempel geweiht wurde, wie man ihn noch nie gesehen hatte. Die Priester des Amun erschraken, als sie sahen, welch gewaltige Ausmaße er hatte und protestierten.
»Dieser Gott ist uns ein geringer Gott. Theben ist die Wohnstatt des Amun.«
Unas versuchte seine Priesterschaft zu beruhigen und tat diese Liebe zu dem unbedeutenden Gott als Marotte des Amenhotep ab. Aber besorgt war er schon, da Amenhotep immer seltener den Tempel des Amun besuchte. In den Augen der Priester des Amun war es ein seltsamer Tempel. Nach dem Pylon gab es nur einen langgestreckten Hof, an dessen Ende ein Altar für Opferungen stand. Kein Dach schützte die Gläubigen vor den Sonnenstrahlen. Im Gegenteil. Sie sollten auf der Haut brennen, damit jeder die Anwesenheit des Gottes spürte. Es gab auch kein Allerheiligstes, das nur den Priestern vorbehalten war. Jeder Besucher konnte sehen, wie der Pharao Aton opferte.
»Ich habe die Aton-Krankheit«, war ein Spottspruch, wenn jemand auf seine gerötete Haut verwies.
Ärgerlich war auch, dass der Pharao jeden Morgen in dem elektronbeschlagenen Streitwagen nicht zum Tempel des Amun fuhr, sondern allein Aton mit seinem Gebet ehrte und jeder, der etwas darstellte, es ihm nachtat. Sie sahen Amenhotep die Arme der Sonne entgegenstrecken und laut beten, als wäre er ein gewöhnlicher Priester und nicht die Inkarnation des Osiris. Doch noch mehr wunderten das Volk die Statuen, die er zu seinen Ehren von sich aufstellen ließ. Scheu sah man auf das ausgemergelte, verzerrt verlängerte Gesicht eines Mann-Frau-Gottes. Gesicht und Körper waren die eines Kranken. Die hohen Wangenknochen, der üppige Mund, das trotzig wirkende Kinn war eine Abkehr von allem, was man bisher als Pharaonenbild kannte. Die schmale Brust, der ausladende Bauch, die weiblich breiten Hüften zeigten einen Körper, der von Leiden gezeichnet war. Die Statuen sahen furchterregend, gleichwohl aber majestätisch aus. Jeder der die Statuen anschaute, erkannte sofort, dass dies nicht der Pharao des Amun, der Hathor, des Ptah oder gar der Sachmet war. Dies war eine Erscheinung aus der Zukunft.
Unerhört war auch, dass neben ihm seine Hauptfrau Nofretete saß, mit der abgeflachten Krone der Tefnut, als sei sie gleichberechtigt neben dem Gott Amenhotep. All das beunruhigte das Volk und die Priester des Amun hatten ihren Anteil daran, dass sich langsam Furcht breitmachte. Wer war der neue Pharao?
Doch noch gab Amenhotep keine Antwort. Die Abgaben an die Tempel trafen pünktlich und ohne Einschränkung ein. Wenn auch die Priester der anderen Götter murrten, weil das Korn für den Atontempel jedes Maß übertraf.
Amenhotep rief nach dem Gebet im Atontempel jeden Vormittag seinen Hofstaat zusammen, weihte ihn in die Mysterien des Aton ein und erklärte ihm seine Wesenheit und was Aton von jedem forderte.
»Es gibt nur einen lebendigen Gott – und das ist Aton!«
Mit diesen Worten begann und endete seine Andacht. Jawohl, nach dem Gebet im Jahrtausendtempel predigte er wie ein gewöhnlicher Priester.
»Er ist ich und ich bin er!«
Je mehr Thotmes von Aton hörte, desto mehr überzeugte ihn der Glaube an diesen neuen Gott. Wenn er auch unsichtbar war, so zeugten die Sonnenstrahlen von seiner Existenz und Kraft. Seine Strahlen waren es, die das Korn wachsen, die die Blumen in ihrer Pracht erblühen ließen. Es war wahr, was Amenhotep predigte: Kein Gott war so wirklich wie Aton. Und je mehr er darüber grübelte, um Amenhoteps Gott zu verstehen, so überzeugter wurde er, dass sein Bruder die Wahrheit verkündete. So wunderte er sich nicht, dass der Pharao im trauten Gespräch die anderen Götter angriff.
»Die Priester haben dem Volk sein Vermögen entzogen. Heute ist der Amuntempel reicher als das Haus des Pharao und wenn ich Krieg führen müsste, bliebe mir nichts anderes übrig, als den Hohepriester aufzusuchen und um ein Almosen zu betteln. Nicht der Pharao herrscht im Reich, sondern die Priester des Amun. Sie haben die meisten Kornspeicher, das meiste Gold und herrschen über die Herzen meines Volkes. Ich, der eins ist mit Aton, bin wie ein Diener. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich ihre Herrschaft abschütteln.«
So sprach er immer wieder, an jedem Tag, an jedem Morgen zu seinem Hofstaat.
Dass dies nur die Vorbereitung für Unerhörtes war, erkannte Thotmes, als Amenhotep in der Halle der Uräusschlange sein Regierungsprogramm für die nächsten Jahre enthüllte:
»Meine Feldherren, stärkt eure Mannschaften!«, wandte er sich an Ka-aper, Thotmes und Haremhab. »Es werden Zeiten kommen, wo ich das Oberste zuunterst kehren muss. Ich werde Krieg führen müssen gegen Unwahrheit und Aberglaube, gegen die Tyrannei der toten Steine. Ich werde den Glauben erneuern, und dies wird nicht ohne Kampf abgehen. Ich weiß es sehr wohl. Rüstet euch für den Tag, der da kommen wird.«
Dies war nicht so dahingesagt. Ihnen wurde Gold und Korn in reichlichem Maß zugeteilt, so dass sie die Regimenter verstärken konnten. Das Umwerben der Krieger ließ diese zu überzeugten Atonanhängern werden. Ihre Schilde zeigten nun die Strahlen des Aton und die Helme die Sonnenscheibe. Um die Macht des Pharao zu demonstrieren, marschierten Ka-aper, Thotmes und Haremhab mit ihren Soldaten jeden Nachmittag zum Atontempel und schworen in dem offenen Hof dem Aton Treue und dem ihm wesensgleichen Pharao.
Und Amenhotep zeichnete vor allen am Hof Thotmes mit Ehrenketten aus. Nicht Eje, Teje oder Semenchkare galten als Mächtige hinter dem Thron, sondern Thotmes, den der Pharao seinen Herzbruder nannte. Dies wurde auch sichtbar, als er seine Gemächer neben denen des Königs erhielt.
Das Volk außerhalb Thebens bekam von diesen Veränderungen anfangs noch nicht viel mit. Doch bald spotteten die Priester nicht mehr über die seltsame Neigung des Pharao zu dem kleinen Gott aus Heliopolis. Als sie hörten, dass der Pharao eine Tempelstadt bauen ließ, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte, konnte sich Unas die Taten des Pharao nicht mehr schön reden. Man wusste nichts Genaues, aber gerade deswegen waren die Gerüchte so fantasievoll. Die ganze Stadt würde allein dem Aton geweiht sein und in ihrer Großartigkeit die Pyramide des Cheops übertreffen. Von dem neuen Bauprojekt hatte man früh gehört, aber dass die Stadt allein Atons Wohnstatt sein sollte, verstieß gegen die Tradition, gegen Maat und ihr Maß. Nun sah sich Unas herausgefordert zu handeln und bat mit siebzig Priestern um Audienz in der Halle der Begegnung. Obwohl Amenhotep diese Demutsgeste abgeschafft hatte, warf sich Unas vor dem Thron des Herrschers auf den Boden.
»Der Gott Amun erbittet Auskunft, ob du in seiner Huld wandelst?«
Amenhotep hieß ihn sich zu erheben. Keuchend folgte Unas und fing an alle Titel des Pharao aufzuzählen.
»Groß ist der Herr über Binse und Biene, der unter den Schwingen des Horusfalken eins ist mit Osiris, der in der Huld des Amun Pharao wurde, der die Gunst von Hathor, Ptah und Sachmet jeden Tag erfährt. Dein Volk liebt dich, denn die Nilschwemme kommt reichlich, das Getreide gedeiht auf den Feldern, keine Heuschrecken fressen das Korn und doch …« Er unterbrach sich, ging gebückt auf Amenhotep zu, nahm seinen nackten Fuß und drückte einen Kuss auf die Zehen. »… gehen seltsame Gerüchte im Land um. Ich sage immer, dass diese von Dummköpfen und schlechten Menschen gestreut werden, aber trotzdem muss ich ihnen immer wieder entgegentreten, weil es sonst zu Unruhen kommen könnte. Immer wieder erkläre ich dem Volk, dass Amun-Re, egal was sie gehört haben, der mächtigste unter den Göttern ist, und dem Pharao der liebste. Amun-Re ist die Verkörperung des Reiches. So war es immer, so wird es auch in Zukunft sein.«
»Sprich! Was willst du mir sagen?«, forderte Amenhotep ihn barsch auf und gähnte dabei, als sei ihm der Hohepriester des Amun nicht wichtig.
»Es heißt, du würdest deine Hauptstadt verlassen und in einer neuen Stadt allein dem Aton dienen und dort herrschen, obwohl doch jeder weiß, dass der Pharao nur im hunderttorigen Theben herrschen kann.«
»Ach, die Geschichte!«, erwiderte Amenhotep und winkte ab. »Da kann ich dich beruhigen. Theben ist Theben und wird es immer bleiben. Hier steht der Tempel des Reichsgottes Amun. Ich habe nicht vor, ihn zu verpflanzen. Wenn ich mir irgendwo in der Wüste eine Sommerresidenz baue, in der ich mich in Ruhe mit Aton in Gespräche vertiefen kann, so braucht sich niemand zu fürchten, dass dies Theben seine Bedeutung nimmt. Erkläre das dem Volk. Bist du nun zufrieden?«
Unas räusperte sich.
»Es bleibt die erste Stadt des Reiches?«, insistierte der Hohepriester hartnäckig.
»Keine ist größer als Theben, oder?«, fragte der Pharao spöttisch lächelnd.
»Nein, keine Stadt ist größer«, murmelte Unas.
Amenhotep hatte nicht gelogen. Theben würde Theben bleiben. Aber Unas war schlau genug zu verstehen, dass er auf seine eigentliche Frage keine Antwort bekommen hatte. Es fehlte jede Eindeutigkeit. Was hieß es schon, dass Theben Theben blieb? Ein billiger Allgemeinplatz. Was sollte Theben sonst sein? Aber verlor Amun-Re nicht seine Einzigartigkeit, wenn Amenhotep in seiner neuen Stadt nur Aton gelten ließ? Es blieb ihm einstweilen nichts anderes übrig, als sich mit der Antwort zufriedenzugeben. Der Pharao plante etwas, schwante ihm, und er befahl seinen Priestern wachsam zu sein und ihm jede Veränderung zu melden.
Einige Tage nach der Audienz, als Thotmes am Abend mit dem Pharao allein im Garten saß, sagte er ihm auf den Kopf zu, was er vermutete.
»Du baust eine neue Hauptstadt und nicht nur eine Sommerresidenz.«
»Ich baue Achet-Aton, Horizont des Aton, und sie wird einen Millionenjahretempel haben und mit nichts auf der Erde vergleichbar sein. Nur Menschen, die an Aton glauben, werden in ihr wohnen.«
»Warum die Heimlichtuerei?«
»Weil ich jede Unruhe vermeiden will, bevor ich dem Volk sage, wer ich bin. Auch auf dich werden neue Aufgaben zukommen. Du wirst mein Meißel sein, der die falschen Götter austreibt.«
Thotmes ahnte, was dies bedeutete, und ihm stockte der Atem.
»Du willst alle Menschen zu Aton zwingen?«
»Warte auf meine Befehle.«
Thotmes nickte trotz seines Erschreckens ergeben. Schließlich handelte Amenhotep nach dem Willen Atons. Er hatte keinen Zweifel, dass sich sein Bruder selbst als Gott verstand. Dies verrieten bereits die Statuen, die er jetzt überall von dem berühmten Künstler Thutmosis erschaffen ließ. Ein Gedanke kam ihm, der sein Herz schneller schlagen ließ.
»Du weißt, ich glaube an Aton. Aber willst du deinem Volk alle anderen Götter nehmen? Willst du es zwingen, an Aton zu glauben und nur an Aton, ohne ihnen die Erleichterung zu gewähren, auch bei anderen Göttern Schutz und Trost zu suchen?«
»Ich will, was Aton will. Doch damit für heute genug! Sorge du nur dafür, dass die Regimenter in gutem Zustand sind, wenn ich die Wahrheit verkünde.«
Damit musste er zufrieden sein, wenn er den Pharao nicht erzürnen wollte.
Wenige Tage später geschah etwas, was er Isis zuschrieb. Denn trotz aller Bekenntnisse zu Aton waren ihm einige ägyptische Götter immer noch lieb. Thotmes war wie jeden Morgen nach dem Gottesdienst im Tempel des Aton zu den Kasernen vor der Stadt aufgebrochen, um mit seinen Soldaten das Zusammenspiel zwischen Streitwagen und Fußsoldaten zu trainieren. Ka-aper überließ ihm und Haremhab mehr und mehr die Ausbildung der Truppen.
In einer Seitenstraße, nahe dem Nil, sah er, wie eine Sänfte von einer übel aussehenden Gruppe stiernackiger Männer bedrängt wurde. Den Sänftenträgern wurden Latten über die Köpfe geschlagen und sie nahmen Reißaus.
»Hinaus mit den Griechen!«, schrien die Lattenträger. »Ägypten den Ägyptern!«
»Das sehen wir uns einmal an!«, befahl er Raneb, der den Streitwagen sofort in die Straße lenkte. Thotmes sprang ab. Eine Frau war aus der Sänfte gefallen. Als die Männer Thotmes erblickten, wichen sie zurück. Sein mit Silberfäden durchwirktes Gewand, seine Halsketten, der Helm mit dem Horusfalken waren für diese Männer ehrfurchtheischend genug.
»Das ist Prinz Thotmes, der Sieger von Kadesch!«, schrie einer.
Dies reichte, um die Männer in die Flucht zu schlagen. Thotmes ging zu der Frau und hob sie hoch. Sie schlug den Schleier zurück und er sah in ein Gesicht von fremdartiger Schönheit. Ihr Haar war gelb wie schnittreifer Weizen, ihre Augen so blaugrün wie die Quellen der Oase Siwa, ihre Haut so zart und hell wie das Gefieder der Tauben. Er hatte gehört, dass die Frauen in den fernen Westländern diese Helligkeit besaßen, die sie wie Göttinnen aussehen ließen.
»Wer bist du?«, fragte er beklommen.
»Merit, die Tochter des Griechen Menelaos.«
»Komm, ich bringe dich zu deinem Haus. Was war denn hier los?«
»Wir Griechen sind in Theben nicht mehr wohlgelitten. Wir sind den Ägyptern fremd. Man neidet uns unsere Tüchtigkeit.«
»Komm! Auf dem Streitwagen ist noch Platz, wenn wir zusammenrücken.«
Raneb zuckte zusammen, als sie auf den Streitwagen stieg.
»Eine Göttin?«, fragte er erschrocken. Für den Nubier war ihr Anblick fremd und furchteinflößend.
»Nein. Sie heißt Merit. Die Frauen der westlichen Fremdländer sehen nun mal aus wie weißer Marmor und zart wie die Schleier der Isis«, erläuterte Thotmes.
»So sollten Frauen nicht aussehen.«
Das Haus des Menelaos lag dicht am Nil. Es war mit seinen Säulen und mit bemalten Wänden prächtig anzusehen. Man könnte meinen, dass es die Wohnstatt eines Provinzfürsten war. Thotmes ließ vor dem Portal halten. Ein großer, breitschultriger, bartloser Mann kam herausgelaufen. Ein vorspringendes Kinn, eine Raubvogelnase, Augenbrauen wie Falkenflügel. Ein befehlsgewohnter Blick ließ erkennen, dass dieser Mann Gehorsam verlangte.
»Was ist passiert?«, fragte er mit barscher Stimme. Misstrauisch betrachtete er den Streitwagen.
Merit sprang ab und stürzte in seine Arme. »Vater, der edle Krieger hat mir geholfen, als der Pöbel mich angriff und die Träger türmten.«
»Na, die können etwas erleben!« Ausgiebig musterte er Thotmes. Der silberne Helm mit der Sonnenscheibe über dem Horusfalken und die Halsketten beeindruckten ihn.
»Ich bin Menelaos, der Vorsteher der griechischen Handelsleute.« Nach einer Verbeugung fragte er, mit wem er die Ehre habe und großen Dank schulde.
»Prinz Thotmes, der Bruder des großen Pharao, der Kommandant von zehn Regimentern«, rief ihm Raneb mit Stentorstimme zu.
»Du bist der sagenhafte Prinz Thotmes? Welche Ehre! Ich schätze mich glücklich und beschenkt, wenn du mein Haus betrittst, damit ich dir bei einer Erfrischung danken kann.«
Das Innere des Gebäudes wies mehr Möbel auf, als es in ägyptischen Häusern üblich war. Sie betraten eine ungewöhnlich große Wohnhalle. Neben kleinen Hockern standen jeweils zwei Stühle vor einem runden Tisch mit einer Tischplatte aus Marmor. In der Ecke standen einige schön bemalte Truhen und eine Götterstele auf einem kleinen Altar. Es war eine schön gestaltete weibliche Figur. Aber Thotmes kannte die Göttin nicht.
»Es ist heute nicht ganz so heiß. Gehen wir hinaus in den Garten. Von dort hat man einen schönen Blick auf den großen Fluss.«
Es war ein sehr gepflegter Garten, der auch Isaak gefallen hätte, mit seitlichen Kolonnaden zum Schutz vor der Sonne. Wie im Palast des Pharao lief die Grünfläche bis ans Ufer des Nils.
»Du lebst gut«, sagte Thotmes, nachdem sein Gastgeber und er sich gesetzt hatten und eine Dienerin ihnen zwei Becher mit Wein gebracht hatte. Merit war im Haus verschwunden.
»Ich bin Händler und lebe seit zwanzig Jahren in Theben. Ich kaufe Korn und verkaufe es nach Kreta und Mykene. Ich habe vier Schiffe aus Byblos, wo bekanntlich die besten gebaut werden.«
»Aton scheint mit dir zu sein.«
»Aton? Nun ja. Aber ich achte die Götter der Ägypter.«
Eine ältere Frau mit zwei Dienerinnen kam dazu.
»Gegrüßt seist du, Fremder, der meine Tochter gerettet hat.«
Die Dienerinnen stellten einen kleinen Klapptisch auf und die Frau, offensichtlich Merits Mutter, bot ihnen in kleinen Schalen Nüsse, Datteln und getrocknete Trauben an. Trotz ihres Alters konnte man erkennen, dass Merit die Schönheit von ihr geerbt hatte.
»Meine Tochter zieht sich nur um und wird sich gleich noch bei dir bedanken.«
»Es ist mir eine große Ehre, den Sieger über die Hyksos kennenzulernen«, nahm Menelaos das Gespräch wieder auf. »Unsere Familie steht tief in deiner Schuld. Du sollst ihr nicht umsonst zu Hilfe gekommen sein.«
»Das ist nicht nötig. Aton wollte es so.«
»Gewiss, gewiss. Doch bei dieser Gelegenheit bist du der richtige, um mir ein paar Fragen zu beantworten, die mich schon lange beschäftigen. Was hat der Pharao vor? Was steckt dahinter, dass er so offensichtlich den Gott Aton bevorzugt?«
Thotmes staunte, wie unbefangen der Grieche sich ihm gegenüber benahm. Kein Ägypter, nicht einmal jemand vom Hofstaat hätte es gewagt, so unverblümt Fragen an ihn zu richten. Schließlich war er der Bruder des Pharao und Truppenführer seiner besten Regimenter. Dieser Grieche benahm sich so, als wäre er seinesgleichen.
»Amenhotep ist eins mit Aton. Das Land bis zum Horizont des Osiris wird noch rechtzeitig erfahren, was dies zu bedeuten hat«, erwiderte er vage.
Doch der Grieche blieb hartnäckig.
»Als Außenstehender sehe ich vielleicht vieles klarer als ein Ägypter. Ist dem Pharao bewusst, dass er mit diesem geheimnisvollen Gott, den niemand kennt, Ärger heraufbeschwört? Ein unsichtbarer Gott! Da sind ja eure Krokodile, Löwen und Schakale besser zu verstehen.«
Wenn Thotmes sich auch den alten Göttern nicht sehr verbunden fühlte, sie eigentlich nur als Tradition achtete, so war er über die Respektlosigkeit doch entsetzt.
»Du spricht von den Göttern deines Gastlandes etwas anmaßend, Grieche!«, stieß er unwillig hervor.
»Verzeih mir, wenn ich dich verletzt habe. Aber man sagt dir nach, einer der klügsten Köpfe am Hof zu sein. Nicht umsonst nennt man dich den einflussreichsten Berater des Pharao. Glaubst du denn an diesen ganzen Tierunsinn und die Geschichten von Osiris und Isis?«
»Ich stehe fest zu Aton«, wich Thotmes aus.
»Ja, das mit der Sonne ist schon einleuchtender. Ein einziger Gott, so nennt ihn der Pharao, wie zu hören ist. Aber er bleibt mir trotzdem unverständlich. Wir Griechen haben Götter, die so sind wie wir Menschen. Sie sehen aus wie wir, denken und handeln wie wir und sind zugegebenermaßen rechte Schlitzohren, wie es sich für Griechen gehört.« Er lachte dröhnend dabei und hielt sich die Seiten.
Was für ein gottloser Mensch, dachte Thotmes. Amenhotep würde auch den Griechen seine Verachtung zeigen, huldigten sie doch auch steinernen Göttern. Raneb, der sich von den Dienern des Griechen nicht davon hatte abhalten lassen, an der Tür zum Garten Aufstellung zu nehmen, sah dem Gesicht seines Herrn an, dass dieser verstimmt war und hatte seine Hand auf das Krummschwert gelegt. Thotmes schüttelte den Kopf. Menelaos hatte dies sehr wohl bemerkt und hob beschwichtigend die Hand.
»Ich entschuldige mich. Ich bin ein unwissender, ungehobelter Grieche. Verzeih mir, wenn es respektlos klang. Es war nicht meine Absicht!«
Merit stürmte in den Garten. Sie hatte ein leichtes Gewand angezogen und trug ihr Haar offen, das golden ihr Gesicht umrahmte und ihr bis auf die Schultern fiel. Ihre Augen funkelten wie kostbare Edelsteine. Sie merkte sofort, dass etwas vorgefallen war.
»Mein Vater ist ein einfacher Mann, der dir hoffentlich nicht zu nahe getreten ist.«
Thotmes überging ihre Bemerkung.
»Kommt es oft vor, dass ihr Fremden im Reich der Binse und Biene belästigt werdet? Mein Herr, der große Pharao, legt Wert darauf, dass der Handel mit der Außenwelt des Kosmos nicht gestört wird.«
Das war nicht wahr. Amenhotep kümmerte sich überhaupt nicht um Probleme außerhalb des Reiches. Handel nahm er nicht einmal wahr. Thotmes wollte einfach nur etwas Freundliches sagen.
»Natürlich neidet man uns Griechen unsere Geschäftstüchtigkeit. Wir beten auch nicht vor den Tiergöttern, trotzdem lassen wir dem Amuntempel großzügige Spenden zukommen.«
»Mein Vater wird es hoffentlich schon gesagt haben. Wir sind dir zu großem Dank verpflichtet!«, warf Merit ein.
Thotmes staunte, mit welcher Selbstverständlichkeit sie sich in das Gespräch von Männern einmischte. Solches Benehmen kannte er nur von Teje und Nofretete. Die ägyptische Frau war zwar nicht rechtlos und im Haushalt durchaus bestimmend, doch mischte sie sich nicht in Männergespräche ein.
»Wie kann ich einen Prinzen belohnen, der alles besitzt, was die Erde zu bieten hat?«, fuhr Menelaos nach einem Seufzer fort. »Eine Unmöglichkeit. Aber du wirst in meinem Haus immer willkommen sein. Ich werde zu Zeus beten, dass er dich auf allen Wegen beschützt.«
Nachdem was er bisher über die Götter geäußert hatte, war dies ein recht zweifelhaftes Angebot. Merit starrte Thotmes unverwandt an. Ihr Blick aus den grünblauen Augen machte ihn unruhig und verlegen.
»Ich habe lange genug bei dir verweilt. Die Pflicht ruft«, entschuldigte er sich und sprang auf.
»Wir hoffen doch, dass du von nun an öfter unser bescheidenes Haus beehrst«, sagte Menelaos zum Abschied.
Thotmes stürzte, nach einem scheuen Blick auf Merit, aus dem Palast.
Später beim Exerzieren mit den Streitwagen merkte selbst Haremhab, dass Thotmes nicht bei der Sache war.
»Was ist los, Thotmes? Ist dir die Isis oder Sobek begegnet?«
»Das könnte man meinen«, antwortete dieser kryptisch, aber erging sich nicht in Erklärungen.
Abends, im Haus des Pharao, rief er Eumenes zu sich.
»Ich habe eine Frau kennengelernt, schön wie deine griechischen Göttinnen. Nein, schöner als diese Aphrodite, von der du immer sprichst. Erkundige dich mal, was ihr Vater Menelaos für ein Mensch ist. Er scheint sehr reich zu sein. Ich will alles über ihn und seine Tochter Merit wissen.«
»Die griechischen Frauen sind die schönsten«, trat Eumenes sofort für seine Landsleute ein. »Kein Wunder, dass dich gerade eine Griechin beeindruckt.«
Zum abendlichen Mahl lud Amenhotep oft auch die Mitglieder der Regierung und die gesamte Familie ein. Stets legte er Wert darauf, dass Thotmes anwesend war. Aber diesmal fiel ihm auf, dass Thotmes den Gesprächen nicht folgte.
»Was ist los, Bruder? Was bereitet dir Kummer?«
»Er schaut drein, als hätte er sein unsterbliches Ka an Seth verloren«, spottete Semenchkare.
»Ich will an diesem Tisch nichts mehr von den Göttern der Unwahrheit hören!«, herrschte Amenhotep ihn an.
»Nichts! Nein, nichts dergleichen«, widersprach Thotmes. »Ich habe heute nur eine Griechin gerettet, die von einer Bande Halunken bedroht wurde, und frage mich, ob sich in der Nähe des Hafens eine große Rechtlosigkeit breitmacht und ob man das Viertel mal mit unseren Kriegern durchkämmen sollte.«
Aper El nickte Mahu zu. »Das ist deine Aufgabe.«
»Ist gut. Ich werde mal die Garde durch die Straßen schicken«, stimmte der Hauptmann der Leibgarde gleichmütig zu.
»Was hast du dazu zu sagen?«, wandte sich Amenhotep an Tutu. »Es ist deine Aufgabe, das Ohr überall zu haben.«
»Ja. Natürlich weiß ich, was dort los ist. Aber ich würde abraten, sich dort einzumischen. Sollen sich doch die Phönizier und Griechen die Köpfe einschlagen. Es nützt nur unseren Leuten, wenn sich die Fremden gegenseitig massakrieren. Es gibt dort dauernd Streitigkeiten. Lassen wir ihnen die Freiheit, sich zu dezimieren!«
»Na gut, lassen wir es dabei«, stimmte Amenhotep zu. »Mir sind die Fremden ohnehin lästig. Jeder dieser Ausländer ist ein Anhänger der Unwahrheit.«
»Der Handel mehrt deinen Reichtum«, wies Aper El auf die weitreichenden Handelsbeziehungen hin, die bis Babylon und in das ferne Punt reichten. »Natürlich brauchen wir die Fremden nicht zu lieben, aber sie sind nützlich. Deswegen verurteile ich jedes Anzeichen von Fremdenhass.«
»Ach, deine Rede ist mir wie Fliegengesumm«, wies Amenhotep ihn zurecht. »Mich plagen ganz andere Sorgen. Die Bauten in Achet-Aton kommen mir nicht schnell genug voran. Kümmere dich darum, Aper El.«
»Das Volk hasst die Fremden. Ich würde seinem Zorn freien Lauf lassen«, schlug Haremhab vor.
Aper Els Gesicht verriet, was er dachte.
»Nein, Haremhab. Es hasst nicht die Fremden. Sie haben nur Angst vor dem Unbekannten.«
»War diese Griechin schön?«, fragte Nofretete.
»Schön? Na ja, vielleicht würden sie manche schön nennen«, wich Thotmes aus.
»Die Schönheit der Frauen ist ein besserer Gesprächsbeitrag«, nahm Amenhotep begeistert das Thema auf. »Ich habe auch schon daran gedacht, dass wir Thotmes verheiraten müssen. Er ist dafür längst überfällig.«
»An wen hast du gedacht?«, fragte Nofretete.
»Meritaton, unsere Tochter, ist noch zu jung. Vielleicht die Tochter unseres Kammerherrn Tutu. Sie ist von großer Schönheit, soll außerdem klug sein und trotzdem umgänglich. Ja, sie wäre die richtige Partie. Ich möchte alle, die mir nahe sind, so verheiraten, dass wir eine einzige große Familie sind und damit die Bindung zu mir stärken.«
»Eine kluge Politik«, lobte Aper El.
»Eine große Ehre für mich«, stimmte Tutu begeistert zu.
»Es wird ja auch Zeit. Ich dachte schon, er mag keine Frauen«, lästerte Semenchkare. »Wir haben doch sonst alle schon eine Hauptfrau, von den Nebenfrauen ganz zu schweigen.«
»Thotmes ist eben ein Mann des Krieges. Er hat andere Vorlieben als leichtfertige Tändelei«, warf Nofretete ein.
Auf den Vorschlag, ihn mit Tutus Tochter zu verheiraten, ging Thotmes nur mit einer Verbeugung gegenüber seinem zukünftigen Schwiegervater ein. Er hoffte, dass dies nur einer von vielen Einfällen des Pharao war, den er bald wieder vergaß.
Am nächsten Tag ging Thotmes zum Wesir, dem das Geschick des Reiches anvertraut war, denn Amenhotep hatte wenig Neigung sich um Handel, Finanzen und Kornverteilung zu kümmern. Nur die Justiz, das Urteil über Gut und Böse, hatte er sich vorbehalten und versäumte keinen Tag im Haus der Waage. Erstaunt stand Aper El von seinem Stuhl auf, als Thotmes seine Amtsräume betrat.
»Der Prinz in meinen bescheidenen Räumen«, stotterte er.
»Ich möchte von dir mehr über den Handel erfahren«, sagte Thotmes und legte dem Wesir beruhigend den Arm um die Schultern. Der Wesir deutete auf die gepolsterte Matte und sie setzten sich mit gekreuzten Beinen einander gegenüber.
»Es freut mich, dass du dich damit beschäftigst. Der Herr der Binse und Biene, Inkarnation des Osiris, ist daran leider nicht interessiert. Nun ja, er hat andere Sorgen. In der Tat ist der Handel in letzter Zeit rückläufig. Darf ich offen reden?«
»Alles andere wäre verkehrt.«
»Die Händler sind seit dem Thronwechsel verunsichert. Sie haben ein Gespür, wenn sich etwas verändert. Und die Händler hassen jede Unsicherheit. Dabei können wir auf einen florierenden Handel nicht verzichten, wenn wir unserem Volk das gewohnte Leben sichern wollen. Wir bekommen Gewürze und Gold aus Punt, Holz aus Byblos und verkaufen Getreide in fast alle Länder rund um das Meer. Da wir keine nennenswerte Überseeflotte haben, sind wir auf die Phönizier angewiesen. Einen weiteren Rückgang des Handels würde bald auch das Volk bemerken und es würde zu Unruhen führen. Es ist ohnehin durch das Gerücht verunsichert, dass der Pharao nach Achet-Aton ziehen will. Der Konkurrenzkampf hat sich in letzter Zeit verschärft, deswegen verwundert mich der Zwischenfall, den du erlebt hast, nicht.«
Aper El war ein Cousin des alten Pharao. Ein verschrumpelt aussehendes Männchen. Haremhab hatte ihn als einen alten Affen bezeichnet. Aber Amenhotep schätzte ihn wegen seines Ordnungssinns, seiner Pedanterie, seines mäßigenden Urteils. Irgendeiner musste schließlich auf das Gleichgewicht von Ordnung, Wahrheit und Recht achten.
»Du gibst doch alle paar Wochen einen Empfang für die Handelsherren. Lade doch auch Menelaos, den Vorsteher der griechischen Handelsleute, dazu ein, damit ich mit ihm über die Situation sprechen kann. Ich möchte einen Außenstehenden hören.«
»Das ist ein kluger Gedanke«, lobte Aper El. »Aber wäre es nicht noch besser, ich lade diesen Menelaos mit seiner Familie zu einem intimen Abendessen ein? Dabei ließe sich besser diskutieren. Wir müssen uns ja an diesem Abend nicht Gräser, Körner und Fisch auftischen lassen«, ergänzte er mit Augenzwinkern. Ein Vorschlag, den Thotmes nicht ungern hörte.
»Aber wird er sich über die Einladung nicht wundern?«
»Nein. Ich habe auch schon Phönizier, Philister und Babylonier zum Gedankenaustausch eingeladen. Diesmal sind eben die Griechen dran. Aber warum interessiert sich ein Mann des Krieges plötzlich für den Zustand unseres Handels?«
»Ich bin Krieger, stimmt. Ich dachte immer, dass die Macht des Pharao zum einen auf der Maat beruht, zum anderen auf seinen Kriegern, und nun frage ich mich, ob die dritte Säule nicht der Handel ist. Dieser Menelaos trat mir mit einem Selbstbewusstsein gegenüber, das mich erstaunte.«
»Und ich staune über dich, Prinz Thotmes. Du hast etwas sehr Wichtiges erkannt. Der Handel ist ein wichtiger Pfeiler unseres Wohlstandes und damit der Macht des Pharao. Erstaunlich, ich hielt dich …«
»… für einen tumben Totschläger?« Thotmes lächelte.
»Nein, um Atons Willen! Nein, aber du musst zugeben, dass sich ein Krieger für den Handel interessiert, ist doch mehr als unüblich. Ich werde Menelaos und seine Familie schon für morgen Abend einladen, wenn es dir recht ist.« Er zwinkerte mit dem linken Auge.
»Wird er nicht erstaunt sein, dass du seine Familie mit einlädst?«
»Aber ja. Er wird denken, dass ich ein Barbar bin.« Aper El lachte.
Es ging Thotmes natürlich nicht um Handelsgeschäfte, sondern vor allem um die blaugrünen Augen Merits. Er war mit dem Verlauf dieses Gespräches sehr zufrieden. Eumenes dagegen brachte keine so erfreulichen Nachrichten.
Als er am Abend in Thotmes’ Zimmer stürmte, der dabei war, die Geschichte eines gewissen Sinuhe zu studieren, eines Arztes, der in der Welt herumgekommen war und die seltsamsten Völker und ihre Gebräuche kennengelernt hatte, machte sein Jugendfreund ein aufgeregtes Gesicht.
»Ach, mein lieber Thotmes, du hast mich ja zu Erkundigungen über einen sehr seltsamen Landsmann ausgeschickt. Wisse denn, nicht alle Griechen sind so nette Menschen wie ich, sind gütig, haben ein Herz, sind ehrlich und gottesfürchtig! Nein, beim Schwanz des großen Pan, Menelaos ist nichts von dem!«
»Ich weiß, Eumenes, du bist einzigartig unter dem Himmel der Griechen!«, erwiderte Thotmes trocken.
»Ja, das bin ich wirklich«, stimmte Eumenes unbeeindruckt von dem Spott zu. »Aber dieser Menelaos ist gierig, gemein und schamlos. Er betrügt die Ägypter, wo er nur kann. Sein Ruf ist mörderisch. Er verachtet die Ägypter und beschimpft sie als dumme, primitive Affen und verlacht ihre Tiergötter. Zu seinen Sklaven ist er grausam. Er schlägt sie aus dem geringsten Anlass und wer sich zu viele Fehler erlaubt, verschwindet. Er hat eine Bande von üblen Totschlägern an der Hand, die ihm die Herrschaft über das Griechenviertel sichern. Mach dir selbst einen Reim darauf. Ich bin stolz, ein Grieche zu sein, aber ich weiß, dass ich auch nicht viel besser bin als ein Ägypter. Ich weiß, dass ihre Vielgötterei der Ausdruck großer Gottesfurcht ist und ihre Göttertiere ein Zeichen großer Achtung vor der Natur. Aber dieser Menelaos pisst darauf! Seine Tochter hütet er wie einen Augapfel und sein Ziel ist wohl, so berichtete es mir einer seiner Sklaven, reich nach Mykene zurückzukehren und sie dort mit einem Angehörigen des Königshauses zu verheiraten. Also, solltest du es auf diese Merit abgesehen haben, schlag sie dir aus dem Kopf! Auch ein ägyptischer Prinz ist für sein Schmuckstück nicht gut genug. Natürlich bleibt es dir überlassen, die Torheit zu begehen, sie mit Gewalt zu nehmen.«
Raneb, der an der Tür stand, klopfte mit anzüglichem Grinsen auf den langen Dolch an seiner Seite.
»Nein. Das wäre Unrecht. Damit würde ich kaum Merits Liebe gewinnen.«
»Oho, ist nach einem einmaligen Zusammentreffen schon von Liebe die Rede? Thotmes, du erstaunst mich. Woher nimmst du die Zuversicht, dass sie einem Ägypter ihr Herz schenkt?«
»Das überlassen wir mal Aton.«
»Da würde ich lieber zur Aphrodite beten.«
»Wann hast du jemals nicht das letzte Wort gehabt?«
Meneloas erschien wie gewünscht mit Frau und Tochter. Merit trug ein blaugrünes Gewand passend zu ihrer Augenfarbe. Obwohl es als intimes kleines Gastmahl in der kleinen Halle der Freundschaft stattfand, die nur wenig Bildschmuck aufwies, sah der Grieche mit sichtlichem Widerwillen auf die bunt bemalten Säulen, die die kuhohrige Hathor und Schu, den Lichtgott, zeigten. Es war doch eine unerhörte Ehre, ins Haus des Pharao, zu seinem Wesir eingeladen zu werden. Aber er tat so, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Merit hatte Thotmes bei der Begrüßung, unbemerkt von den anderen, ein kleines Päckchen zugesteckt.
»Lass es die anderen nicht sehen«, wisperte sie.
Es war eine kleine Runde. Der Wesir, sein Stellvertreter Gnumb und ihre Hauptfrauen. Hinter Thotmes stand Eumenes, den der Prinz mitgenommen hatte, da er seinen Landsmann sicher am besten einzuschätzen wusste.
Aper El wies auf die reich gedeckte Tafel, die mit allen Köstlichkeiten Ägyptens gedeckt war. Es gab Karpfen und auch Gazellenfleisch und Schweinebacken. Diener reichten immer wieder kleine Schalen mit parfümiertem Wasser zum Waschen der Finger, andere trockneten ihnen die Hände. Als sie beim Nachtisch angelangt waren, der aus Trauben, Granatäpfeln und Datteln bestand, sagte Menelaos mit anzüglichem Grinsen: »Und was verschafft mir die Ehre, dass sich der Wesir des Pharao um einen griechischen Händler kümmert? Will man sich entschuldigen, weil man in Theben meine Tochter belästigen konnte? Daher wohl auch die Einladung meiner Familie.«
Aper El schluckte eine scharfe Erwiderung hinunter. Doch Menelaos schien dessen Verstimmung nicht zu bemerken und blieb unhöflich.
»Wie ich hörte, wird an der Tafel des Pharao nicht so vorzüglich gespeist. Nun ja, der ganze Hofstaat sieht auch recht verhungert aus. Was eurer Tafel noch abgeht, ist eine gute Hammelkeule. Ein Gutes hatte die Belästigung meiner Tochter! Ich kann mich rühmen, im Haus des Pharao gegessen zu haben. Der Zwischenfall ist insofern ärgerlich, dass ich in der Schuld des Prinzen stehe. Ich habe aber angewiesen, dass man ihm einen Ballen des Stoffes schickt, den ich aus einem fernen Land erhalten habe, weiter noch als das Land der Hethiter. Er ist so leicht wie Luft, schmeichelt der Haut und ist so viel wert wie ein Palast.«
»Ach, mein lieber Menelaos, an dieser Tafel haben schon Phönizier, Kanaaniter und Babylonier gesessen, damit ich erfahre, wie sich der Zustand des Handels befindet«, erwiderte Aper El herablassend. »Aber für dich ist es zweifellos eine große Ehre.«
Menelaos verstand die Zurechtweisung und zog ein beleidigtes Gesicht.
Thotmes bedankte sich für das Geschenk, obwohl die Nennung des Wertes von keinem guten Benehmen zeugte. Die Frauen des Wesirs und seines Stellvertreters steckten die Köpfe zusammen. Menelaos war nicht dumm. Er bemerkte, dass seine Worte großes Befremden ausgelöst hatten.
»Wir Griechen pflegen nun einmal ein offenes Wort«, polterte er lachend weiter.
Eumenes, der hinter Thotmes stand und ihn bediente, stieß Thotmes in den Rücken.
»Die Mykener sind alle Holzköpfe!«, zischte er.
»Lassen wir uns darüber reden, warum der Handel zurückgegangen ist, was nicht im Sinne des Pharao ist«, schlug Aper El vor.
»Gut, gut! Reden wir darüber, was uns Sorgen bereitet. Wir Händler sind ein scheues Wild«, stimmte Menelaos zu. »Wir brauchen Sicherheit.«
»Es herrscht doch Frieden«, warf Thotmes ein.
»Oh ja, zur Zeit. Aber wird dies so bleiben? Der Handel bedenkt auch die Zukunft. Er hasst Kriege, Aufstände, Turbulenzen und … Ungewissheit. Ehe man eine teure Fracht auf eine gefährliche Reise schickt, will man wissen, ob man dort auf geordnete Verhältnisse trifft.«
»Und das ist bei uns nicht gegeben?«, fragte Aper El erstaunt. »Wir haben weder Kriege noch Turbulenzen.«
»Nicht mehr. Seit Einführung dieses neuen Gottes ist alles anders geworden. Noch herrscht die Ruhe vor dem Sturm. Doch das Volk fragt sich, was die Zukunft bringt und ist verunsichert. Dies kann sich jederzeit entladen. Das Volk sucht einen Schuldigen – und das sind die Fremden, die Ausländer. Man sagt sogar, dass dieser neue Gott aus dem Ausland kommt.«
»Das ist Unsinn!«, warf Thotmes energisch ein.
»Einige Händler sind bereits überfallen worden«, fuhr Menelaos unbeirrt fort. »Das spricht sich natürlich herum. Und die Händler in Sidon, Tyros, Knossos oder Mykene überlegen sich zweimal, ob man seine teure Fracht noch nach Ägypten schicken kann. Schafft Ruhe und Klarheit im Land und die Schiffe werden wieder so zahlreich sein wie zu Zeiten des alten Pharao. Bestätigt Amun in seiner Eigenschaft als Reichsgott und die Menschen werden sich beruhigen, weil das Vertraute zurück ist. Amun ist doch das Gleiche wie unser Gott Zeus. Wenn uns den jemand nehmen würde, gäbe es auch unter uns Griechen große Unruhe.«
Thotmes spürte wieder einen leichten Stoß in seinem Rücken.
»Hundeschiss!«, raunte Eumenes.
»Woher kommt die Angst vor der Zukunft?«, fragte Thotmes nachdenklich, der Menelaos’ Ausführungen durchaus schlüssig fand. Er wollte, das Menelaos konkreter wurde.
»Ist dies so schwer zu erraten?«, fragte der Grieche höhnisch.
Thotmes zuckte ratlos mit den Achseln. Aper El schob unruhig den Hintern auf seiner Matte hin und her.
»Man merkt, dass die Beamten des neuen Pharao ohne Erfahrung sind. Sonst hätten sie längst registriert, was im Reich geflüstert wird. Überall geht das Gerücht um, dass Aton zum Hauptgott erklärt wird. Die Abweichung von der Tradition löst Ängste aus. Man spricht bereits von schlechten Vorzeichen, von kommenden Hungersnöten, obwohl alle satt zu essen haben. Nie ging es den Ägyptern besser, aber die Furcht siegt über die Wahrheit. Da niemand den Pharao direkt anzugreifen wagt, gibt man den Fremden die Schuld, die angeblich keine Achtung vor den ägyptischen Göttern haben.« Er brach seine in selbstgefälligem Ton vorgetragene Rede ab.
Aper El hatte Mühe, die Worte zu verdauen. Dieser Grieche hatte ihn wie einen dummen Schüler behandelt. Doch ehe er eine scharfe Erwiderung geben konnte, ging die Tür auf und Nofretete rauschte herein. Die Ägypter sprangen auf und neigten den Kopf. Menelaos, im Hofzeremoniell nicht geübt, erhob sich zu spät.
»Nein, nein. Lasst die Ehrenbezeugungen. Ich hörte von Tutu, dass eine interessante Runde hier über den Handel redet. Ein wichtiges Thema, ist der Handel doch der Garant dafür, dass kostbare Salben, Tuche und Gewürze aus den fernen Ländern zu uns kommen und das Leben angenehm machen. Setzt euch und kümmert euch nicht darum, dass eure Königin anwesend ist.«
Mit dem Hinweis auf ihr Königtum erreichte sie das Gegenteil dessen, was sie gesagt hatte.
»Hältst du es für möglich, dass all die Unruhe von den Priestern des Amun ausgeht?«, fragte Aper El.
»Wenn dies so wäre, hätte es Tutu längst gemeldet«, warf Nofretete ein, die sich doch nicht einmischen wollte.
»Ich weiß, wie Menschen reagieren, wenn sie befürchten müssen, von den Fleischtöpfen vertrieben zu werden«, fuhr Menelaos überlegen lächelnd fort. »Wer soll zukünftig der höchste Gott sein? Wie bisher Amun-Re oder dieser neue Gott, den der Pharao preist? Doch hört den Rat eines alten Handelsmannes. Selbst wenn der Pharao – gelobt sei sein Name – euren Krokodilgott als höchsten Gott ernennen würde, wäre das immer noch besser, als dem Volk einen unsichtbaren Gott aufzuzwingen. Zumal Aton einen gewaltigen Nachteil hat, da er nur von gelehrten Männern wie euch zu erfassen ist. Für das Volk, dem die Sonne ständig die Haut verbrennt, ist Aton so alltäglich wie das Wachsen der Pflanzen. Sie sehen in ihm nichts Außergewöhnliches. Da ist ihnen der Sobek oder ein anderer Gott mit einem Tierkopf wesentlich näher. Der von dem großen Pharao ausgedachte Gott wird nie das Herz der Menschen erreichen.«
Die Herablassung in seiner Stimme ließ Nofretete heftig schlucken.
»Ein ausgedachter Gott? Mein Gemahl, der große Pharao, hatte Offenbarungen, die ihm das Wesen des Aton erschlossen. Nur weil du ein Ausländer bist und Gast des Aper El lasse ich nicht die Garde rufen, damit sie dir eine tüchtige Tracht Prügel verabreicht!«
»Ehrwürdige Königin«, schritt Thotmes ein. »Wir haben den ehrenwerten Menelaos zu einem offenen Gespräch gebeten. Ich finde es sehr erfrischend und nützlich, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Und dass ein Grieche – wir wissen doch, was für ein leichtfertiges Volk sie sind – unsere Religion nicht erfassen kann, ist nur natürlich und verzeihlich.«
Wieder bekam Thotmes einen heftigen Stoß in den Rücken.
»Man muss bei Menelaos’ Meinung berücksichtigen, dass die Griechen noch schlimmere Steinanbeter sind als die Priester des Amun.« Indem er Amenhoteps Kritik an solchen Kulten aufnahm, hoffte er, Nofretete milde zu stimmen. Nun war es Menelaos, der rot anlief. Wütend polterte er: »So wie wir eure Götter nicht verstehen, verstehen Barbaren nicht unsere Götter! Ihr seid völlig ahnungslos, wie einzigartig sie sind.«
»Oh nein!«, widersprach Thotmes. »Mein Diener und Freund hinter mir ist Grieche und hat mir viel über eure Bräuche berichtet. Sie sind keineswegs so einzigartig. Zeus erinnert mich sehr an Amun-Re, Aphrodite an die Isis, obwohl sie mir gegen deren Großartigkeit und Machtfülle wie ein unwissendes Kind vorkommt.«
»Thotmes, es wäre meinem Gemahl sehr genehm, wenn du ihn aufsuchst. Ihn wird die Erkenntnis aus diesem Gespräch sicher sehr interessieren.« Nofretete erhob sich und rauschte hinaus.
Menelaos wäre aufgesprungen, wenn seine Frau ihn nicht festgehalten hätte.
»Behandelt man so einen Gast?«, fragte er angriffslustig mit vorgeschobenem Kinn.
»Du hast ihr nicht die Ehrerbietung erwiesen, die du der Herrin zu zeigen hast«, erwiderte Aper El gepresst, der über das selbstherrliche Verhalten des Griechen geschockt war.
»Was habe ich denn so Schockierendes gesagt?«
»Du hast die Göttlichkeit Atons angezweifelt«, erklärte ihm Thotmes die Situation. »Man sagt euch Griechen doch nach so klug zu sein. Deine Auslassungen über Aton waren sicher nicht klug.«
»Ach was, ihr Ägypter lebt nicht in dieser Welt. Die Wahrheit könnt ihr nicht ertragen. Das ist euer Problem. Ich danke für das Essen.«
Er stand auf und warf seiner Frau und Tochter auffordernde Blicke zu. Als sie zum Ausgang drängten, konnte Thotmes der schönen Merit noch zuflüstern, dass sie von ihm hören würde. Der Blick aus den grünblauen Augen sagte ihm, dass ihr dies nicht unangenehm war.
»Was sagt ihr dazu?«, fragte Aper El in die Runde, nachdem die Gäste gegangen waren. »Wenn er nicht so ein wichtiger Handelsherr wäre, würde ich ihm Mahu schicken.«
»Es war das unverschämteste Gespräch, das ich je erlebt habe«, pflichtete ihm Gnumb bei. »Ein grober Kerl ohne Benehmen. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn die Königin die Garde gerufen hätte.«
»Es war ein gutes Gespräch«, widersprach Thotmes. »Gewiss, er ist ein grober Mensch, aber wir haben viel erfahren. Wir wissen nun, worauf die Stimmung im Land zurückzuführen ist.«
Ehe er zu den Gemächern des Pharao eilte, wickelte er schnell das kleine Geschenk von Merit aus dem Tuch, das nach ihrem Duft roch. Es war ein Amulett an einer goldenen Kette. Das Ankhzeichen. Auf jedem Relief hielt es der Pharao in den Händen. Es versprach ewiges Leben. Er legte sich die Kette um den Hals. Nun würde etwas von ihr immer bei ihm sein.