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Kalbsvögel? Echt jetzt?

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Es war schon später Nachmittag, eher früher Abend, möchte ich mal sagen. Der Max lümmelt in seinem Benz, lenkt ihn mit einer Hand, reibt sich mit der anderen am Kinn. Aus den vielen Lautsprechern dröhnen die Stones. Der Onkel Otti, der Herr hab ihn selig, der würde sich wohl im Grab umdrehen, wenn er das hören müsste, ja, was glaubst du.

Max blinzelte nach oben durch das offene Rechteck des Schiebedachs. Die Sonne stand zwischen den Wolken und sah aus wie das gerötete Auge eines versoffenen Penners.

Das Klingeln des Telefons riss den Auer Max aus seinen Tagträumen. Er drückte auf den Knopf mit dem Telefonhörersymbol: »Ja?«

»Ja, Bub, wo bist du denn? Hast du den Kuchen?«

»Nein, Friedl, aber ich hab ihn reserviert und hole ihn jetzt ab.« Die Lüge kam ihm leicht über die Lippen. »Glaubst du denn, ich hätte dich vergessen? Meine Lieblingstante?«

»Deine einzige Tante, du Gauner. Schau, dass du in einer Stunde oder so hier bist. Wir bekommen Besuch, und ich mache uns ein tolles Essen. Magst du Kalbsvögel?«

»Die würde ich für dich sogar selber fangen. Wer kommt denn?«

»Ich hab doch vor einem Jahr oder so eine Kreuzfahrt gemacht. Witwen machen so was gerne. Da hab ich ein paar Tage nach dem Auslaufen aus Genua einen sehr, sehr netten Mann kennengelernt. Der ist auch Witwer.«

»Ah ja, wie praktisch. Hatte er seine Frau auch dabei? Als Urne, meine ich?«

Die Friedl schnaufte ärgerlich, was sich durch die Freisprechanlage anhörte, wie wenn ein Blauwal auf offener See eine Luftfontäne ausstößt: »Bub! Hast du denn gar keinen Sinn für Pietät? Wir haben zusammen ein bissel getrauert, aber dann haben wir eine gute Zeit gehabt während der nächsten paar Wochen. Und der Manfred, so heißt der, hat mich richtig zum Lachen gebracht.«

»Na toll. Über was lachen denn Witwen und Witwer, wenn sie unter sich sind?«

»Werde nicht sarkastisch. Der Manfred hat mir viel von seiner Lise erzählt. Von ihren Marotten und Vorlieben. Sie hat zum Beispiel einen Gartenfimmel gehabt. Alles musste bei ihr immer genau nach Linien ausgerichtet sein. Jede Blume, jeder Strauch. Der Manfred hat gesagt, wenn’s nach ihr gegangen wäre, dann hätte sie sich bei ihrer eigenen Beerdigung wohl am liebsten nur stehend und bis zum Bauch eingraben lassen, damit sie die Grabpflege selber machen kann. Ist das nicht lustig?«

Max verzog den Mund: »Ja, doch, sehr sogar. In einer Stunde bin ich da. Irgendwelche Benimmregeln am Tisch, muss ich was wissen?«

»Der Manfred ist ein sehr eleganter und gebildeter Mann, also bitte keine blöden Sprüche. Er kann sich in diversen Sprachen ausdrücken. Abends hat er mich immer bis zur Kabinentür gebracht, mir die Hand geküsst und ›Au reservoir, ma jolie Blonde‹ geflüstert.«

»Das heißt aber ›Au revoir‹, und blond bist du auch nicht, Friedl.«

»Friedhofsblond bin ich, aber der Manfred ist ein Gentleman, der drückt sich da anders aus, du Lümmel.«

Die Ampel schaltete auf Rot, und vor ihm huschte noch ein kleiner Fiat über die Brückenberg-Kreuzung und hätte beinahe einen Radler auf die Hörner genommen, dem seinerseits die Ampelanlage ebenfalls vollkommen egal war.

»Stört dich deine alte Tante, Bub? Brauchst nur zu sagen, dann lege ich auf. Seit der Otti weg ist, hört mir eh keiner mehr zu. Außer dem Manfred.«

»Nein, Friedl, ich freu mich ja bloß für dich. So sehr, dass mir die Worte fehlen.«

»Ehrlich? Das hast du aber schön gesagt. Du wirst den Manfred mögen. Er ist auch ein Dichter. Er hat mir zum Abschied ein Lied geschrieben, das trag ich immer in mir. Pass auf, ich singe das jetzt mal für dich.« Sie räusperte sich so laut, dass der Max dachte, der alte Mercedes hätte einen Kolbenfresser, dann trällerte sie los: »Au revoir, meine Liebe, au revoir. Vergiss nie, wer ich war, vergiss nie meinen Namen. Ich geh und es wird nie mehr sein, wie es war. Au revoir. Au-au-au revoir. Na, was sagst du jetzt? Ist das romantisch zum Verrücktwerden, oder ja?«

»Für mich klingt das nach einer Schnulze von Helene Fischer oder Hansi Hinterseer. Weißt du, ich hab erst vor ein paar Tagen ein Lied von dem gehört, der … Hallo? … Hallo, Friedl, bist du noch da?«

Aber die Friedl hat natürlich längst den Hörer aufgeknallt, das kannst du dir ja denken. Der Max hat vor sich hin gegrinst, die Stones wieder schön laut gemacht und dann ist er bei Gelb losgefahren. Nach links, den Brückenberg runter, dann rechts und nach einem Kilometer rein in die Prinzregentenstraße. Vor dem Gummibärchenladen, ein paar Meter hinter der Ampel, hat er den Benz ins Halteverbot gestellt, seine alte »Polizei-im-Einsatz-Marke« aufs Armaturenbrett gelegt und ist gemächlich zum Bergmeister geschlendert.

Tatort Rosenheim

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