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Der Mörder ist wieder frei

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Du ahnst es eh schon, es ist doch noch ein netter und lustiger Abend geworden. Und was soll ich dir sagen? Der Manfred hat natürlich bei der Friedl geschlafen, und der Max musste sich das Kopfkissen und die Bettdecke über die Ohren ziehen, damit er einschlafen konnte.

Am nächsten Morgen ist die Friedl mit einer Tasse Kaffee zum Max ins Zimmer gekommen, hat sich an die Bettkante gesetzt und sich die Haare aus der Stirn gestrichen: »Bub, der Manni bleibt hier bei uns, und du überlegst dir, wie er sich nützlich machen kann.«

Der Auer, noch ganz verschlafen: »Wie meist du das? Nützlich?«

»Frag doch nicht so blöd. Aus dem Nachlass vom Otti ist noch viel zu tun. Denk doch bloß mal an die Außenstände wie beim Bergmeier. Ich hab mir das kleine schwarze Buch vom Otti vorhin noch mal durchgesehen. Da gibt es bestimmt so um die 20- bis 30.000, die wir hier und da noch zu kriegen haben. Von denen meldet sich freiwillig keiner, weil die ja denken, der Otti ist im Paradies, da braucht der eh kein Geld mehr. Aber ich arme alte Frau muss ja auch schauen, wie ich durchkomme, mit zwei Männern im Haus. Du und der Manni, ihr holt mir das Geld. Mit dem Bergmeier fangt ihr an. Der sperrt jetzt um neun seinen Laden auf. Der Manni ist im Bad. Wenn ihr sowieso runter geht zum Bäcker, Brezen kaufen, dann schaut vorher beim Bergmeier vorbei. Auf ein Gespräch unter Männern, verstehst mich?«

»Ja aber, ich wollte doch eigentlich …«

»Das kannst du alles später machen, Bub. Der Manni und du, ihr helft der alten Tante. Jeden Tag ein gutes Werk, wie bei den Pfadfindern. Trink den Kaffee und dann raus aus den Federn.«

Wenn du meinst, die Friedl, die ist aber ganz schön resolut, dann hast du vollkommen recht. Die hat mehr Haare auf den Zähnen als ich unter den Armen.

Also sind der Manni und der Max eine Viertelstunde später im Schweinsgalopp durch das Treppenhaus nach unten, aus der Haustür raus, und dann, ohne zu reden, die paar Meter bis zum »Hammergrill« marschiert. Kurz vor dem Grill nimmt der Max den Manni zur Seite und erklärt ihm leise was. Dann gehen sie rein.

Stell dir eine Glasfassade vor, drei oder vier Stufen bis zur Eingangstür, ebenfalls Glas, und dann steht man auch schon mitten im Imbiss. Vier Stehtische, die Theke längs an der Wand, ein schräger Spiegel hinter der Theke an der Decke, sodass man in die zwei Fritteusen sehen kann. Und auf die große, rechteckige Grillplatte daneben. Geradeaus kommst du zu zwei Türen. Auf der einen ist ein Schild »Kerle«, auf der anderen »Restliche Geschlechter«.

Und hinter der Theke hantiert der Bergmeier. Ein dicker Kerl, mit wenig Haar auf der Birne, die Hemdsärmel hochgekrempelt, sodass man die dicken Muskeln und die Tätowierungen sieht. Ach ja, und vor der Theke stehen noch vier Barhocker.

Max schwingt sich auf den einen, Manfred auf den anderen. Es riecht nach kaltem Frittierfett und Wurst.

Max schaute sich um: »Nix los in dem Laden hier. Wie läuft’s denn so?«

Bergmeier wischte mit einem fleckigen, ehemals weißen Geschirrtuch über die Holzplatte vor ihnen: »Hab eigentlich noch zu. Was soll’s denn sein?«

»6.000 in bar. Saubere Scheine, ohne Fettflecken. Wenn’s geht, jetzt gleich.«

Bergmeier lehnte sich auf den Tresen und grinste den Max an: »Was bist denn du für einer? Und der Clown neben dir, warum glotzt der so? Soll ich dir mal was sagen? Mach, dass du Land gewinnst. Nimm den Trottel mit und verpiss dich. Für euch gibt es hier nichts. Raus, aber pronto!«

»Du fragst ja gar nicht, wie ich auf 6.000 komme? Pass auf: Ich bin der Neffe vom Otti. Der ist tot. Die Frau von ihm aber nicht. Der zahlst du jetzt das Geld zurück. Noch Fragen?«

Der Dicke schüttelte den Kopf: »Der Neffe ohne Namen, was? Hör zu, Neffe, da könnte ein jeder kommen. Verpiss dich. Beam dich raus. Und nimm den Gollum da neben dir auch mit. Los jetzt.«

Max verzog keine Miene, Manfred starrte nach wie vor die Grillplatte an. Dann zeigte Max auf das Telefon: »Ruf die Friedl an. Die schickt uns. Mein Onkel hat dir 5.000 gegeben. Die will ich. Plus Zinsen. Macht 6.000. Du hast jetzt drei Möglichkeiten: Eins, du gibst mir das Geld. Zwei, du rufst die Friedl an und sagst ihr verbindlich, wann sie die 6.000 zeitnah kriegt. Oder drei, du gibst mir das Telefon, dann ruf ich schon mal einen Krankenwagen. Bis der hier ist, verwandeln wir dich in einen Patienten für Liegendtransport.«

Max deutete auf die Eingangstür. Der Manni rutschte vom Hocker, ging zur Tür und drehte das Schild um, sodass »Sorry, wir sind zu« von außen zu lesen war. Dann drehte er den Schlüssel im Schloss um und steckte ihn ein. Gleich darauf saß er wieder auf dem Hocker und starrte die schwarze Grillplatte an.

Bergmeiers Hand wanderte unter den Tresen, und Mannis Rechte glitt unter seine Jacke.

»Denk nicht mal dran.« Max fischte ein paar Scheine aus seiner Hemdtasche, suchte einen 100er raus und glättete ihn auf der Theke. Dann nahm er den Schein, hielt ihn sich vor das Gesicht, spuckte drauf und klatschte ihn dem Manni schräg auf die Stirn. Der saß mit regungslosem Gesicht, nahm den Blick langsam von der Grillplatte und glotzte dem Bergmeier starr in die Augen.

»Das ist mein Freund Manni. Der ist ein hauptberuflicher und gelernter Mörder. Deswegen war er grade wieder 15 Jahre im Bau. Seit vorgestern ist er wieder raus. Er wohnt jetzt bei uns. Aber eigentlich will er lieber wieder zurück in den Knast. Er sagt, da drinnen brauchst du dich um nichts zu kümmern. Drei Mahlzeiten am Tag, die Wäsche wird dir gewaschen und irgendeinen Kerl, der für eine Zigarette die Frau spielt, findest du auch immer.«

»Was?«

»Genau. Wenn ich dem Manni jetzt sage, geh, sei doch so nett und mach den Bergmeier für mich weg, dann tut der das. Weil es ihm wurscht ist. In seiner Jacke hat er was zum Schießen. Deswegen hängt die so schief an ihm. Aber besonders modebewusst ist er eh nicht. Also, gib mir ganz langsam das, was da unter deiner Theke liegt.«

Bergmeiers Hand kam mit einer Dose Pfefferspray hoch. Den Spray legte er vorsichtig auf die Serviette, die vor Max lag. »Ich bin ein harmloser Taxiunternehmer mit einem Imbiss, das ist alles. Und die Geschäfte laufen nicht gut. Taxifahrer sind am Aussterben. Gestern war die Polizei hier, weil mich wieder einmal einer angezeigt hat.«

»Wegen deinem Fahrstil oder wegen der überalterten Bückware, die du am Bahnhof anschaffen lässt? Tz, tz, tz.« Max schüttelte den Kopf. »Und was aussterbende Taxifahrer angeht, da kann ich dir erzählen, was ich mit meiner Tante Friedl erlebt habe, als ich noch ein Kind war. Hast du eine Minute Zeit?«

Bergmeier starrte den Max an, dann den Manni, der seinerseits, mit dem 100er quer auf der Stirn, zurückglotzte.

»Das war so: Die Tante Friedl war damals noch eine ganz fesche junge Frau um die 30. Wir sind mit einem Taxi zum Friedhof gefahren, es war schon früher Abend an einem lauen Sommertag. Hörst du mir auch zu, Bergmeier?«

Der nickte und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.

»Sehr schön. Wir fahren also an der Loretowiese vorbei, und am Straßenrand, links, auf dem Bürgersteig, lehnten zwei Frauen an der Laterne und rauchten. Sie hatten kurze Röcke an, weit ausgeschnittene Blusen und viel Schmuck an den Armen. Ich fragte die Tante: ›Warum lehnen die da?‹ Sie sagte: ›Die halten die Laterne fest, damit sie nicht umfällt, Bub.‹ Sie hat damals schon immer Bub zu mir gesagt, das tut sie jetzt auch noch. Also, wo war ich? Ah ja, der Taxifahrer, der grinst in den Rückspiegel und sagt: ›Erzählen Sie dem Kind doch nicht so einen Scheiß. Das sind Nutten, die machen es mit Männern. Für Geld.‹ Meine Tante wird stinksauer, sagt aber nichts. Ich wusste, wenn die gleich explodiert, dann ist hier drinnen im Auto was los. Also wollte ich die Situation entschärfen und fragte: ›Kriegen diese Frauen auch Kinder?‹ Da grinst die Friedl und sagt laut: ›Aber ja, mein Max. Natürlich kriegen diese Frauen auch Kinder. Und diese Kinder werden später alle Taxifahrer.‹ Verstehst du den Gag, Bergmeier?«

Manfred verzog keine Miene und rührte sich auch nicht. Der Bergmeier nickte wie einer von diesen Wackeldackeln, die man heute noch ab und zu auf den hinteren Ablagen von alten Autos sieht. »Jaja, der ist gut. Echt. Pass auf, Max, ich hab zufällig ein bisschen was da, das kann ich dir geben. Ich wollte die Friedl schon so lange mal anrufen und mit ihr über das Geld reden, aber du weißt ja, wie das ist, wenn immer was ist. Dann kommt dies, dann kommt das, aber ich schaue mal …«

Er griff wieder unter den Tresen, Manfreds Hand verschwand blitzschnell in seiner Jacke und Bergmeier hob noch schneller beide Hände: »Ruhig! Ganz ruhig, Mann. Reg dich nicht auf. Ich hole nur die Geldtasche, nur die Tasche. Ich mach das jetzt ganz langsam, schau!«

Vorsichtig und in Zeitlupe griff der Bergmeier unter die holzfarbene Resopalplatte und seine Hand kam mit einer dicken schwarzen Bedienungsgeldtasche wieder hoch.

»Nimm alle Scheine raus und leg sie da auf die Platte!« Max zeigte mit dem Kinn auf eine Stelle neben ihm. Bergmeier drehte die Geldtasche, öffnete sie und zog sie auf wie eine Ziehharmonika, wobei er das Kleingeldfach mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand zuhielt.

Scheine rutschten auf die Theke. Max nahm sie, zählte laut ab: »Ein 500er. Da schau her. So einen hab ich lange nicht gesehen. Sieben 100er. Elf 50er. Und, warte mal, 20, 24, 25 20er. Das macht … 2.250 Euro. Zehner und Fünfer kannst du behalten. Willst du eine Quittung?«

Bergmeier schüttelte den Kopf. Max steckte dem Manfred die Scheine in die Seitentasche der Jacke: »Du bist uns jetzt noch 4.000 schuldig, die zahlst du in zwei Wochenraten an den jungen Mann hier neben mir, den mit dem 100er auf der Stirn, kapische? Nächste Woche Freitag, übernächste Woche Freitag, und dann sind wir wieder Freunde. Nicke, wenn du mich verstanden hast.«

Bergmeier schluckte und sagte leise: »Du hast dich ein bisschen verrechnet, Max.«

»Hab ich nicht. Du hast den Ärgernis-Zuschlag vergessen und die Inflation und so. Wenn Freitag nächster Woche keine zwei Mille über diese Platte hier wachsen, dann baut dir der Manfred mit seinen Freunden den Laden um. Bis dann: Halt deine Hühner am Laufen und sei glücklich. Komm, Manfred. Hier riecht es nach Angst.«

Manfred glitt vom Hocker, ohne den Bergmeier aus den Augen zu lassen, schloss die Eingangstür wieder auf und drehte das Schild um, sodass von draußen »Komm rein, wir haben offen« zu lesen war. Dann hielt er die Tür auf und ließ den Max rausgehen, immer noch starr auf den Bergmeier blickend. Bevor auch er aus dem Laden ging, hob er zwei Finger der linken Hand vor seine Augen und deutete dann damit auf den Bergmeier.

Der schluckte trocken, und sein Adamsapfel hüpfte auf und ab.

Kaum waren sie um die Ecke gebogen, nahm Max den 100er von Mannis Stirn und fragte: »Was hast du da eigentlich in der Brusttasche von deiner Jacke? Die Beule da unter der Brust, was ist das? Eine Kanone?«

Manfred zog ein Mars und ein Bounty hervor: »Welches willst du? Ist gut für die Nerven.«

Tatort Rosenheim

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