Читать книгу Tatort Rosenheim - Heinz von Wilk - Страница 24

Die Welt geht noch in Oasch, wenn des so weidageht

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Auf der A8 war um 19.15 Uhr nicht mehr viel los. Ein paar LKWs, aber der Berufsverkehr war vorbei, ab und zu machte sich der Max den Spaß und rauschte mit 240 Sachen an einen Porsche oder einen großen BMW ran. Die Fahrer machten panisch Platz und schauten ungläubig dem alten, silbernen Mercedes nach.

Danny und Arnold saßen auf dem Rücksitz. Über ihren glänzenden Polyesteranzügen trugen sie knallrote Trenchcoats und blaue Kangol-Caps. Arnold hatte eine rosafarbene Sonnenbrille auf der Nase.

»Wo habt ihr nur die Klamotten her?« Max schaute lächelnd in den Rückspiegel.

»Das macht alles der Boss. Schicke Mäntel, was? Wenn du willst, kann ich den Chili mal fragen, ober er so einen in deiner Größe hat.« Danny beugte sich zwischen den Sitzen vor, sodass sein Kopf dicht am Nacken von Max war. »Der Boss hat noch einen ganzen Container voll mit Klamotten. Die hat er von einem Chinesen, der bei uns Spielschulden hatte. Wenn ich da mal was für dich tun kann …«

»Schon okay, danke. Ich bin farbenblind. Sag mal, der Dunkelbraune, der mit seinem ganzen Management da war, der ist für den nächsten Film eingeplant, oder? Ich meine, den Titel hast du mir ja schon verraten. Und die Handlung zum Teil auch.«

Danny nickte: »Der Boss sagt, das wird ein Knüller, eine große Nummer, sogar mit Text. Und der Hauptabnehmer hat auch schon vorgegeben, wer alles mitspielen muss. Ein Zitherspieler, eine Sängerin und eben der Braune. Der hat einen Lümmel, der geht ihm bis ans Knie, sagt sein Manager. So was sehen die Asiaten gerne. Das wird unser Durchbruch.«

»Wie viele Filme macht ihr denn so?«

»Einen oder zwei im Monat. Warum fragst du?«

»Nur so. Was anderes: Ihr beide kennt den Schirmer Heinzi und seine Truppe?«

Danny nickte grinsend: »Klar, der Schirmer kauft seine Jungs direkt aus dem Zoo, glaube ich. Die schauen brandgefährlich durch die Gegend, haben aber keine Ahnung von Taktik und so. Ich meine, wenn dich so einer in die Ecke drängt, dann ist Helm ab zum Gebet. Aber so weit wird es nicht kommen. Wir reden ja ganz friedlich, oder?«

»Von mir aus schon. Mal schauen. Hast du Artillerie dabei?«

»Auf dem Ohr höre ich schwer. Nur so viel: Mach du deinen Job und wir machen unseren.«

Auch gut, denkt sich der Max und schaute aus dem leicht geöffneten Seitenfenster. Sie fuhren von der A8 ab, auf die 1 in Richtung Walserberg, als das Handy des Kleinen losdröhnte. »Ja, lebt denn der alte Holzmichel noch« war sein Klingelton. Danny swingte ein bisschen zur Musik, dann hob er das silberne Ding ans Ohr: »Ja, Boss?«

Er verdrehte die Augen: »Warum denn? Osterfeldstraße wäre perfekt gewesen. Ich hab’ mir das auf dem Laptop angesehen. Wo will er jetzt? Ach du Kacke. Und wo da? Auf dem obersten Parkdeck, verstanden. Was? Ganz hinten an der Betonbrüstung? Der Kerl ist doch krank. Was? Klar, wir machen das. Bis gleich, Boss.«

Danny steckte das Handy wieder weg, beugte sich zum Auer vor und meinte: »Regieänderung. Der Heinzi hat sich das anders überlegt. Kennst du das Designer Outlet in Salzburg? Gegenüber ist der Hangar 7 und so?«

Auer nickte und fuhr das Fenster hoch: »Warum das denn?«

»Ich sag’s doch immer, der Kerl ist ein diplomierter Psycho. Also: auf das Parkdeck, ganz oben, Freiluft. Und dort ganz nach hinten an die Betonbrüstung. Das Auto mit dem Heck ganz an die Brüstung ran.«

»Hat der Angst, dass einer mit ’ner MP im Kofferraum sitzt? Dann geht der Deckel auf und … rrrrrt?«

»Der Heinzi ist dermaßen bematscht, der hat vor nichts Angst. Die Angst hat Angst vor ihm. Wir schaukeln das schon. Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.«

Arnold knurrte und würgte ein paar Laute heraus und fuchtelte mit den Händen.

Auer schaute ihm im Rückspiegel zu: »Was meint er?«

Danny lachte: »Er sagt, sogar der Tod verliert seinen Schrecken, wenn man ihn erst mal kennengelernt hat. Damit meint er wahrscheinlich das Bärenweibchen.«

Ein Schwarm großer Krähen flog so tief über die Straße, dass Max abrupt auf das Bremspedal stampfte. Alle drei im Auto wurden trotz der Sicherheitsgurte nach vorne gedrückt, und Danny schaute durch das Heckfenster den schwarzen Vögeln nach. Dann beugte er sich wieder zu Max und sagte: »Als Kind habe ich mal so eine Krähe gehabt.«

»Du warst mal ein Kind? Ist ja ein Hammer.«

Danny klopfte ihm auf die Schulter: »Ehrlich jetzt. Die saß auf einem Baum vor unserem Haus. Es war saukalt, Schnee überall und an den Dachrinnen hingen ganze Batterien von Eiszapfen. Ich geh also wieder rein, hole ein altes Brötchen und renn wieder raus. Unter dem Baum habe ich die Semmel zerbröselt, dann bin ich zur Terrasse gegangen und hab mich hingesetzt. Die Krähe hat blöd geguckt, so wie die halt immer gucken, wenn die nicht wissen, was Sache ist. Dann hat sie sich mit drei oder vier Schwüngen vom Baum gemacht, ist auf den Boden runter und hat die Semmel gefressen, also, die Krümel. Das größte Stück hat sie mitgenommen und ist damit weggeflogen.«

»Echt spannend. Bist du hinterhergeflogen?«

»Blödmann. Pass auf: Am nächsten Tag war sie wieder da. Ich hab Apfelkuchen gehabt, den hab ich ihr gegeben. So ging das zwei Wochen oder so.«

»Immer Apfelkuchen? Das hält doch keine Krähe lang aus.«

»Mann, kannst du nicht zuhören? Irgendwann nach diesen zwei Wochen steh ich unter dem Baum und schau zur Krähe hoch. Die schielt zurück, macht ein paar Flattermoves und sitzt auf meiner Schulter.«

»Echt jetzt?«

»Wenn ich es dir sage. Von nun an hat sie jeden Morgen auf dem Baum auf mich gewartet. Ist auf meine Schulter gehüpft, und wir sind spazieren gegangen. In den Park, durch die Straßen, natürlich nur da, wo fast kein Verkehr war. Eines Nachts im Sommer, ich hab das Fenster in meinem Zimmer offen wegen der Hitze, da sitzt die Krähe doch glatt auf der Lehne des Stuhls vor meinem Bett. Ich werde wach, seh den Vogel und piss mich fast an. Oh Mann!«

»Und dann?«

»Der blöde Vogel ist so zahm geworden, dass er fast jede Nacht in mein Zimmer gekommen ist. Eines Tages kam der Kater vom Nachbarn auch ins Zimmer und hat dem Vogel in den Kopf gebissen. Das war’s.«

»Und der Kater?«

»Das willst du nicht wissen, mein Alter.« Danny lehnte sich im Sitz zurück, und Max dachte sich, ich würde jetzt wetten, dass der kleine Kerl Tränen in den Augen hat.

Arnold neben ihm summte eine fürchterliche Melodie durch die Nase und klopfte den Takt dazu auf seinem Holzbein. Es klang schaurig und schlimm.

Danny beugte sich wieder vor, räusperte sich und sagte: »Wenn ich den so singen höre, da fällt mir ein: Hast du gewusst, dass es einen brasilianischen Froschlurch gibt, der heißt, warte mal, ja, genau, der heißt Brachylephalus …«

»Mit einem L oder mit zweien?«

»Warum hab ich bei dir immer das Gefühl, dass du mich verarschst? Nein, so heißt der. Mit einem L übrigens. Dieser Lurch, also, der quakt unheimlich melodiös. Erreicht aber damit keinen seiner Artgenossen, weil die alle taub sind. Genauso wie er, der Singelurch. Voll taub. Wie findest du das?«

»Soll das eine Anspielung auf Arnold sein?«

Danny schüttelte den Kopf: »Nein. Der Große freut sich und baut Wut auf. Der ist nur so richtig gut drauf, wenn er grantig ist. Da vorne, das riesige Eckhaus, das ist das Outlet. Die Einfahrt zu den Parkdecks ist um die Ecke. Bieg an der Ampel links ab.«

Schweigend fuhren sie die schmale Auffahrt zum obersten Deck hoch. Das war fast leer, und die wenigen Autos standen ziemlich nahe an der Auffahrt und den Ausgängen zu den Shops.

»Heute haben die bis neun Uhr abends geöffnet, normalerweise nur bis sieben. Wir haben noch eine halbe Stunde Zeit.« Max parkte den Benz vorsichtig rückwärts ganz nahe an der Brüstung. Arnold schaute sich um, drehte sich zu Danny, grunzte und fuchtelte mit den Händen. Danny nickte, fuchtelte zurück und sagte zu Max: »Er meint, er schaut sich mal um. Wir können hierbleiben. In zehn Minuten ist er wieder da.«

»Wo will er sich umschauen?«

»Auf den unteren Decks. Man weiß ja nie.«

Arnold hievte seinen massigen Körper schnaufend aus dem Wagen und ging leicht humpelnd davon. Danny drehte sich nach allen Seiten und nestelte umständlich an seinen Ärmeln rum. Nach ungefähr fünf Minuten kam Arnold zurück. Er beugte sich vor das hintere Fenster und klopfte. Danny ließ die Scheibe runter und Arnold brummelte etwas und bewegte schnell seine Hände.

Danny nickte. »Er sagt, sie sind schon da. Stehen auf dem Deck unter uns. Sie haben ihn nicht gesehen, sondern beobachten die Auffahrt. Im Auto sind drei Kerle. Der Heinzi und zwei von seinen Schränken. Heinzi hat seinen Tigermantel an und raucht. Die anderen zwei glotzen nur blöd. Arnold meint, die hätten sich wohl mal im Zoo beworben, aber die wollten dort lieber was Wildes, mit vier Beinen.«

Danny und Arnold lachten, wobei das Lachen bei Arnold eher nach dem Röcheln eines Kerles klang, der gerade erwürgt wird.

Auer öffnete das Handschuhfach und nahm einen chromglänzenden Revolver heraus. Den steckte er in seine Jackentasche.

»Die werden dich filzen und finden den da sofort«, maulte Danny. Jetzt grinste der Auer und sagte: »Sollen sie ja. Genau deswegen ist er da, wo er ist.«

Es wird schnell dunkel, hier, vor den Alpen. Ein paar Regentropfen fielen lustlos aus den tiefen Wolken, und die weite Betonfläche sah im Licht der Neonröhren wie eine Eislaufbahn aus.

Von vorne an der Auffahrt, hörte man ein dumpfes Grummeln, und ein schwarzer Cadillac, vielleicht 15 oder 20 Jahre alt, kam im Schritttempo auf die Parkebene gerollt. Dunkel getönte Scheiben. Weißwandreifen, Felgen mit goldenen Speichen und zwei riesige Antennen am Heck, an denen hellbraune Fuchsschwänze baumelten, rundeten das Bild ab.

Der Schlitten rollte bis auf zwei oder drei Meter an den Benz heran. Der Achtzylinder blubberte im Leerlauf.

Auer und Danny stiegen aus und lehnten sich an den Kühlergrill des Mercedes’. Arnold lümmelte hinten neben dem Heck an der Betonbrüstung und kaute an einem Daumennagel. Er riss mit den Zähnen ein Stück ab und spie es aus.

Im hinteren Teil des Cadillacs rührte sich was. Ein massiger schwarzhaariger Kerl mit Undercut stieg aus. Vom Typ her ein Libanese oder Ägypter. Schwer zu sagen. Eine blaue Madonna mit einem Strahlenkranz war auf seine Stirn tätowiert. Auf der rechten Wange hatte er zwei lange Narben, die wie aufgeklebte Strohhalme aussahen. All dies nahm Auer im Bruchteil einer Sekunde wahr.

Der Große schaute sich um, starrte die drei beim Mercedes an und zog mit einer schnellen Bewegung den Reißverschluss seiner ballonseidenen schwarzen Bomberjacke auf.

Auer atmete scharf durch die Nase ein. Die Luft war feucht, nach Grillspeisen und Asphalt duftend, und von der Straße hoch kam ein Zischen, verbunden mit einem brenzligen Ozongeruch, wenn die Oberleitung der Straßenbahn knisternde Funken versprühte.

So viele Eindrücke in einer Sekunde oder so, wirst du dir jetzt bestimmt denken. Aber es ist so, glaub mir das. Dein Hirn rast, und um dich rum geht alles wie in Zeitlupe. Das Adrenalin schießt dir durch den Körper, und du weißt, dass du vielleicht gleich loslegen musst.

Der Regen wurde dichter und zog mit dem aufkommenden Wind in Schwaden heran.

Der Große ging zur Fahrertür, das Fenster glitt etwas runter, und der Kerl sagte was in einer unbekannten Sprache. Der Motor des Caddy verstummte und der Fahrer stieg aus. Fast genauso groß wie der Undercutkerl, vielleicht etwas schlanker. Er hatte eine Stupsnase und einen viel zu kleinen Mund, der etwas offen stand: »Ah, Dick und Doof. Euch habe ich ja schon eine Zeit lang nicht gesehen. Und du bist der Auer?« Damit nickte er zu Max hin, der zurücknickte. »Lasst euch mal ein bisschen kitzeln«, sagte er und kam auf die beiden zu. »Der Chef kommt gleich raus. Er ist ein bissel nervös, das habt ihr vielleicht schon gehört, oder?«

Der Massige holte mit einer schnellen Bewegung einen schwarzen Revolver aus seiner Bomberjacke und hielt ihn dicht am Oberschenkel, Mündung nach unten.

»Wenn ich was finde, dann legen wir es in euren Kofferraum. Nach der Besprechung fahren wir zuerst vom Deck, und ihr lasst den Kofferraum zu, bis wir weg sind. Der Ali hier«, damit zeigte er mit dem Kinn auf den Schrank in Schwarz, »hat euch im Blick. Dick und Doof wissen ja, wie schnell er sein kann. Und du, Auer, willst es gar nicht erst wissen. So, wer hat was einstecken?«

Max hob die Hand.

»Hol es mit zwei Fingern raus. Langsam. Leg es auf die Motorhaube.«

Auer fischte mit Daumen und Zeigefinger seinen Revolver aus der Jackentasche und tat, wie ihm geheißen. Danny zeigte auf seinen linken Fußknöchel. Dann ging er langsam auf ein Knie nieder und holte vorsichtig eine kleine braune Automatic aus dem Knöchelholster und legte sie neben Auers Waffe.

Der Stupsnasige schaute Arnold an. Der zuckte mit den Schultern, fasste unter seine linke Achsel und seine Hand kam mit einem finnischen Wurfmesser wieder zum Vorschein.

»Sehr gut. Großer, mach den Kofferraum auf. Fass nicht hinein, nur aufmachen.«

Arnold drückte auf den verchromten Knopf und zog den Deckel hoch. Der Schlanke kam um sie rumgetänzelt, nahm die zwei Schusswaffen und das Messer, legte es in den Kofferraum und schloss ihn mit einem dumpfen Knall.

»Gut. Ich werde euch noch schnell abklopfen. Kann ja sein, dass einer von euch in der Eile was vergessen hat.«

Er tastete Arnold ab, der knurrte, dann Max. Mit gekonnten, schnellen Bewegungen strich er über den Körper. Dann stellte er sich vor Danny: »Nimm die Arme hoch, Zwerg.«

Danny hob beide Arme über den Kopf und sagte: »Bitte nicht die Achselhöhlen, ich bin kitzlig wie der Teufel.«

Der Schlanke verzog das Gesicht, durchsuchte Danny von den Schultern bis zu den Füßen und griff ihm abschließend prüfend zwischen die Beine.

Danny grinste. »Fühlt sich an wie fünf Kilo Kartoffeln, findest du nicht?«

»Sauber?« Das kam von dem Schrank mit der Waffe in der Hand.

»Ja. Der Chef kann rauskommen.«

Undercut ging mit zwei schnellen Schritten zur Beifahrertür, ohne die Szene aus den Augen zu lassen. Er zog die Tür auf: »Alles klar, Chef.«

Max sah einen Krokodillederstiefel, darüber ein schwarzes Hosenbein, dann kam der zweite Stiefel in Sicht, das zweite Bein, dann schwang sich der Schirmer Heinzi singend aus dem Auto: »Va’, pensiero, sull’ale dorate; va’, ti posa sui clivi, sui colli, jaja. Na, wen haben wir denn da?« Heinzi strich seinen Leopardenpelzmantel glatt, fuhr sich mit der Hand über das lichte Haupthaar und fummelte mit zwei Fingern in seinem Gesicht herum.

»Gefangenenchor aus Nabucco. Ein wunderschönes Stück. Soll ich weitersingen?« Er hob den rechten Arm über den Kopf, und zwischen Daumen und Zeigfinger hielt er nun ein blassblaues Glasauge, das er mit der Hand hin und her drehte wie das Periskop eines U-Bootes: »So, ich schau mich nur ein bissel um, dann können wir zur Sache kommen.«

Mit einer flüssigen Bewegung steckte er das Auge wieder in die leere Höhle in seinem Gesicht, klatschte in die Hände und kam schräg tänzelnd auf Auer zu: »Du bist der neue Neffe. Von der Friedl. Jaja. Gut schaust aus. Der Chili hat mir schon von dir erzählt. Ein gschasster Kieberer. Des san mir die Liabsten. Desillusioniert. Dankbar. Zuverlässig. Weil sie wissen, a zwoats Mal kannst es ned verkacken. Oiso, Oida, was is mit meine Flocken?«

»35.000, richtig.«

Der Heinzi klatschte wieder begeistert in die Hände, lachte und drehte sich zu seinen beiden Kerlen: »Habts es g’hört? Ich sag ja, gut, der Mann.« Und zu Auer: »Und jetzad?«

»Der Brunner kann nicht zahlen. Der Chili hat zwar für den Brunner gebürgt, aber nicht so. Trotzdem will er dir was vorschlagen.«

Heinzi lachte wieder, wischte sich eine Träne aus dem gesunden Auge, während das blasse Glasauge wie eine Murmel in der Augenhöhle lag und zum Himmel schaute. Dann breitete der Schirmer theatralisch die Arme aus, sodass sich der Leopardenpelz vorne öffnete und den Blick auf fünf oder sechs dicke goldene Ketten freigab, die auf seinem schwarzen Hemd glänzten: »Er will mir was vorschlagen. Eine Überraschung, wie? Ich liebe Überraschungen! Wir können das aber auch so machen: Du zahlst. Du hast doch als ehemaliger Staatsdiener eine dicke Pension, oder?«

Auer schüttelte den Kopf: »Die ham s’ mir ganz bös gekürzt. Ich mach aber nächste Woche eine eigene Firma auf. Ein Startup. Sobald ich damit Geld verdiene, können wir über alles reden.«

»Was für eine Firma denn?«

»Einen Brennholzverleih. So was gibt’s noch nicht. Läuft aber nur im Winter, glaub ich.«

Heinzi wieherte los wie ein Pferd. Das Lachen brach plötzlich ab, er zischte etwas Unverständliches, und der Schlanke hatte plötzlich ein Messer in der Hand. Keiner von den Rosenheimern hatte die Bewegung gesehen.

»Ich hab ihm bloß gesagt, er soll dir, mein lieber Neffe, die Ohren abschneiden und in den Kofferraum zu euren Ballermännern legen. De Oarwaschel, wie wir hier sagen. Dann sieht der Chili, dass sich der Schirmer Heinzi ned veroarschen lasst, host mi?«

Er trat ganz dicht an den Max heran und sprach langsam und leise: »Pass auf, Kieberer, ich … will … mein … Geld. So weit ois leiwand? Guad. Des Abschneiden tut ned besonders weh. Du kannst halt dann keine Sonnenbrillen mehr tragen, weil die dir immer runterrutschen.«

Dann trat er zurück und lachte wieder wie irre. Der Schlanke trat an Max heran: »Ist nichts Persönliches, Alter. Mach keinen Blödsinn, dann geht es ganz schnell.«

Danny trat langsam einen Schritt zur Seite: »Wegen dem Blut. Die Flecken kriegt man nie mehr aus dem Anzug raus.« Im Zeitlupentempo hob er die Hände über den Kopf.

Heinzi lachte immer noch und prustete los: »Du brauchst de Patscherl ned hochnehmen, Zwerg, dir tut keiner was. Im Moment jedenfalls ned.«

Arnold rutschte langsam mit dem Rücken an der Brüstung nach unten und saß mit gespreizten Beinen, an die Betonmauer gelehnt.

»Was hat der?«, fragte der Messermann und Danny sagte: »Er kann kein Blut sehen, wahrscheinlich wird er gleich ohnmächtig.«

Die drei Salzburger sahen sich an, der Heinzi prustete wieder los und schrie: »I scheiß mi an. Die Haberer san sensibel. Los, auf geht’s, i mecht zum Fußball wieder daheim sein.«

Danny sagte zu dem Messermann: »Übrigens, hast du den Film gesehen, den mit dem Robert De Niro, ›Taxi Driver‹? Wo er zu dem Zuhälter sagt: ›You are talking to me? Tom me?‹«

Der Messermann sah Undercut und seinen Chef verständnislos an, alle drei starrten auf Danny.

Der sagte: »Nicht? Wie schade. Sonst würdet ihr das hier kennen!«

Ruckartig nahm er beide Arme runter und streckte sie von sich. In der rechten Hand hielt er einen flachen zweiläufigen Derringer: »Das war Roberts Trick, als er später in dem Haus mit den Kerlen aufgeräumt hat. Am Unterarm, in Schienen, da war die Kanone. Genau wie die hier. Gut, was? Du, schmeiß deinen Kracher weg, sonst hat dein Chef gleich noch ein weiteres Loch für ein Glasauge in der Rübe.«

»Des is ein Spielzeug, i sag euch, des is ein Spielzeug!«, schrie der Heinzi und ging auf Danny los. Der senkte einen Arm und schoss dem Heinzi in den Fuß. Peng.

Der Schirmer wirbelte durch die Wucht des Einschlages einmal um die eigene Achse und ging schreiend und mit den Armen rudernd zu Boden.

»Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Ich hab zwar nur noch einen Schuss. Aber er hier …«, damit nickte er zu dem sitzenden Arnold hin, »er bläst euch alle mit seinem 12er-Schrot vom Parkdeck.«

Jetzt schaute auch der Max zu Arnold. Der hatte sein Holzbein abgestreift und hielt plötzlich eine abgesägte zweiläufige Schrotflinte in den Händen.

Der Heinzi wimmerte, und Max sagte zu dem Messermann: »Gib mir die Klinge. Ist übrigens eine ganz blöde Idee, mit einem Messer zu einer Schießerei zu kommen. Ach so, ja … heb deinen Chef auf. Ich muss ihm was sagen. Und ich bück mich so schlecht, irgendwas mit der Bandscheibe.«

Der Große glotzte, zeigte auf den sitzenden Arnold, wie er mit der Schrotflinte eine leicht kreisende Bewegung machte. Sein hellbraunes Holzbein lag neben dem Stumpf des linken Knies.

»Die Sau hat ein hohles Holzbein, das ist unfair«, sagte er anklagend.

Danny kramte mit der Linken in seiner Hosentasche: »Der Klügere lädt nach.«

Undercut zog den wimmernden Heinzi an seinem Leopardenfellmantel hoch und lehnte ihn an den Kühlergrill des Cadillacs. Murmelgroße Regentropfen glitten träge wie Schnecken über den schwarzen Lack. Heinzi wollte sich abstützen, rutschte aber an dem nassen Blech ab, und seine Finger hinterließen vier Bahnen auf der Kühlerhaube.

Max trat an ihn heran, hob ihm mit einer Hand das Kinn an und nahm den Unterkiefer des Mannes in einen festen Griff: »Warum lässt du mich nicht ausreden? Wie du siehst, zahlt sich unhöfliches Benehmen nicht aus. Was jetzt kommt, das sage ich nur einmal, also pass auf. Der Chili gibt dir die nächste Produktion, die er macht. Komplett. Mit Druckvorlagen für das Cover, die Mutter-DVD, die Rechte an der vollständigen Verwertung, alles, ohne Zeitlimit. Es wird eine gute Sache, wir denken, dass dir die DVDs um die 100.000 bringen können.«

Weiter unten an der Straße röhrten zwei Motorräder los. Harleys. Für einen Moment war der Lärm, der in der Straßenschlucht stand, allbeherrschend. Max und Heinzi schauten sich an. Danny hielt seinen nachgeladenen Derringer auf Undercut gerichtet, und Arnold saß immer noch da wie ein Straßenbettler und fixierte den Großen, der am Auto lehnte.

Der Schirmer Heinzi stöhnte laut auf und brach das Schweigen: »Du dumme Sau, warum hast denn des net glei g’sagt? Jessas, tut mir der Fuß weh.«

Max schaute über die Schulter zu Danny: »Wir haben einen Deal mit dem Mann hier. Geh und hol unsere Kanonen aus dem Kofferraum.«

Danny ging am Benz entlang, ohne den Arm mit der Waffe zu senken. Er drückte mit der Linken auf den Kofferraumverschluss, der Deckel glitt auf, und Danny fasste hinein. Er warf seinen Revolver zu Arnold, der ihn mit einer Hand auffing und neben sich auf den Boden legte. Dann schob er die Schrotflinte in die Höhlung des Holzbeines und schnallte sich die Prothese mit schnellen Bewegungen an den Kniestumpf. Mit einem Ächzen stand er auf, hob den Revolver vom Betonboden und ging zu Undercut. Er setzte ihm die Waffe in den Nacken und knurrte zu Danny, während seine freie Hand schnelle Bewegungen vollführte.

Danny grinste und sagte zu Max: »Arnold meint, er hätte gerne die Ohren von dem Mann mit dem komischen Haarschnitt. Ob wir noch so viel Zeit haben?«

Auer lachte, ließ den Heinzi los und rief dem Großen am Auto zu: »Pack deinen Chef in die Kiste und dann macht euch vom Acker.« Und zu Undercut: »Möchtest du noch ein bisschen hierbleiben? Ich glaube, du hast was, was unser Arnold gerne möchte.«

Undercut funkelte die drei an, ging auf die Fahrerseite des Caddys und stieg ein.

Heinzi saß jammernd auf dem Beifahrersitz und ließ das Fenster runter. Sein Glasauge rollte in der Höhle hin und her, und aus seinem gesunden Auge flossen Tränen: »Mir san no ned fertig, Burschi. Sag dem Chili, außer dem Deal zahlts ihr alles, was mit meinem Bein zu tun hat.«

Max beugte sich zu ihm runter: »Du bist doch bestimmt gut versichert, oder?«

Heinzi lachte trotz der Schmerzen los: »Hearst, du Trottel, wer versichert denn unser Berufsrisiko?« Und zu Undercut: »Grins ned und fahr los, du Inzuchtler, sonst rauch i dir no eine auf.«

Der Motor des Caddys drehte hoch, und der Wagen machte einen Satz rückwärts, drehte nach ein paar Metern und verschwand mit quietschenden Reifen in der Abfahrt.

Über den Alpen blitzte es, Gewitterwolken jagten heran und der Regen wurde stärker. Unten, auf der Straße, schrie eine Frau auf, und gleich darauf weinte ein Kind. Arnold lehnte mit einem Arm auf dem Dach des Mercedes’, legte seinen schweren Kopf darauf, und sein ganzer Körper wurde von einem wilden, lautlosen Lachen geschüttelt.

Die Stille, verstehst du, die macht etwas mit einem. Wie wenn man in seinem eigenen Körper gefangen ist. Kennst du das? Für den Auer, während sie schweigend dahinfuhren, wurde die Welt immer kleiner. Auch das Innere des Autos ist plötzlich nicht mehr existent. Du kannst dich nicht an die Straße erinnern, du fährst wie in Trance. Deine Welt wird immer kleiner, bis sie nur noch aus deinen Gedanken besteht.

Der Max fuhr mit einer Hand am Lenkrad, mit der anderen kratzte er sich am Kinn. So unterbewusst zärtlich, wie ein Mann seine Frau im Schlaf berührt, wenn sie sich neben ihm bewegt.

Seine Gedanken überschlugen sich, und er fragte sich, ob es so ist, dass er die Gewalt anzieht oder umgekehrt. Wer lässt in meinem Leben die Würfel rollen, denkt er sich. Früher, ach was, so lange ist das ja noch gar nicht her, bei der Polizei, da schließt man unter seinesgleichen einen Bund, der nichts mit Freundschaft zu tun hat. Etwas ganz Besonderes, das es in anderen Berufen nicht gibt.

Versteh mich jetzt nicht falsch, Polizisten oder auch die Feuerwehrprofis, die sind nichts Elitäres oder Besonderes. Die wollen oder können halt nur ihre Erlebnisse und Erfahrungen nicht mit Außenstehenden durchsprechen. Wenn sie es täten, würde man ihnen vieles einfach nicht glauben.

Der Auer kannte da mal einen, der hat im Dienst drei Leute erschossen. Einer hat auf Knien um sein Leben gefleht, ein Kinderschänder, der zwei kleine Mädels umgebracht hat. Aber was soll’s, das ist eine andere Geschichte.

Auf jeden Fall, ein paar Jahre später starb der Sohn dieses Polizisten an einer Überdosis. Mit grade mal 15. Der Kollege vom Auer Max glaubte, dass das jetzt die Strafe war für die drei Leben, die er genommen hat. Auch wenn’s Verbrecher waren, und auch, wenn er zwei in Notwehr umgelegt hat.

Seit dem Tod seines Sohnes waren die drei Seelen der Verbrecher in ihm und erinnerten ihn an jedem neuen Tag daran, was er gemacht hat. Und nachts saßen sie an seinem Bett oder spielten in seinen Träumen.

Warum ich das erzähle?

Weil es diese Gedanken sind, die dem Max jetzt durch den Kopf jagen. Weil er sich fragt, ob ihn auch mal eine Bürde heimsucht, die er ab dann tragen muss.

»Hey, Mann, wohin fährst du denn?«

Danny klopfte ihm auf die Schulter und riss ihn so aus seinen Grübeleien.

»Du hättest die Ausfahrt Rohrdorf nehmen sollen!«

»Was? Wie? Nein, ich fahr die nächste. Da sind wir schneller bei euch.«

Tatort Rosenheim

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