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4.3 Genus und Geschlecht
ОглавлениеGenus ist ein jedem Substantiv inhärenter Klassifikator, dem selbst keine Semantik (Bedeutung) zukommt. Die Tafel hat nichts Weibliches an sich ebensowenig wie der Stuhl etwas Männliches, und das Fenster ist nicht ‚sächlicher‘ als die beiden anderen Objekte. Genus trägt (in aller Regel) nichts zur Bedeutung des Substantivs bei (außer beim sog. DifferentialgenusDifferentialgenus, s.u. in 4.2.2). Deshalb kommen Sprachen gut ohne Nominalgenus aus (man betrachte nur das Englische, Türkische, Finnische). Umgekehrt kann aber Genus mit einiger Wahrscheinlichkeit aus der Bedeutung des Substantivs abgeleitet werden (die sog. GenuszuweisungGenuszuweisung erfolgt dann semantisch): Substantive, die Frauen bezeichnen, haben eine extrem hohe Wahrscheinlichkeit, feminin zu sein – und solche, die Männer bezeichnen, maskulin. Dabei drücken Frau, Tante, Nachbarin, Nonne bereits als Lexeme ‚weibliches Geschlecht‘ aus, ihr feminines Genus macht sie nicht weiblicher (umgekehrt ebenso bei Männerbezeichnungen). Genus dockt also an die Bedeutung (Semantik) des Substantivs an und wird dadurch beherrschbarer. Es gibt ein paar weitere semantische Zuweisungsprinzipien, z.B. sind Früchte fast ausnahmslos feminin (die Pflaume, Mango, Ananas), Alkoholika sind oft maskulin (der Wein, Whiskey, Amarula), Stoffe und Flüssigkeiten oft neutral (das Eisen, Erz, Wasser, Blut). Dieses Kapitel befasst sich eingehend mit solchen Bezügen zwischen (grammatischem) Genus und (sozialem und biologischem) Geschlecht. Da auch viele Tierbezeichnungen dem sog. Genus-Sexus-PrinzipGenus-Sexus-Prinzip unterliegen, werden wir die biologische Kategorie Geschlecht (Sexus) nicht verwerfen. Auch die meisten Menschen identifizieren sich mit ihrem biologischen Geschlecht und sind insofern Weibchen und Männchen. Was sie durch mehr oder weniger hingebungsvolles doing gender daraus machen bzw. darauf aufsatteln, hat mit Sexus logisch nichts zu tun und macht sie zu (eher mehr als weniger eindeutigen) Frauen und Männern (Hirschauer 1989).