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2.4 Negativer emotionaler Dauerstress als eine Ursache für Essstörungen im Erwachsenenalter

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Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass negativer Dauerstress (Distress) zu Serotoninmangel mit depressiver Symptomatik führt. Davon sind vorwiegend Frauen aufgrund ihrer emotionalen Veranlagung mit größerer emotionaler Empfindlichkeit betroffen. Serotonin als Botenstoff, der im Gehirn Informationen weiterleitet, hat großen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden. Bei Serotoninmangel kommt es zu Ängsten, depressiven Verstimmungen und nervösen Magen-Darm-Beschwerden. Die zunächst sich auf der psychischen Ebene manifestierenden Probleme können somatisieren und als körperlich empfundene Schmerzen chronifizieren (Mackin et al. 2006, Nutzinger et al. 1991).

Dauerstress macht krank, wenn er negativ besetzt ist, also nicht zu der erwarteten Anerkennung, dem erhofften Erfolg oder dem angestrebten Ziel führt. Positiver Stress wird anders verarbeitet, er wirkt motivationsfördernd, belastet psychisch nicht, da er zu Erfolg und Anerkennung führt. Aber er kann bei anhaltender Überforderung zur körperlichen Erschöpfung führen.

Stress erhöht den Blutzuckerspiegel, weshalb unter Stress zunächst wenig Hunger besteht. Ein hoher Blutzuckerspiegel regt die Insulinausschüttung aus der Bauchspeicheldrüse an. Insulin senkt den Blutzuckerspiegel, indem es den im Blut vorhandenen Zucker in Form von Glykogen in der Muskulatur und der Leber für den aktuellen Bedarf zwischenlagert. Wird er in Kürze nicht gebraucht, kommt er als Fett in das entsprechende Depot.

Ein schneller Absturz des Blutzuckerspiegels löst Hungergefühl umso stärker aus, je mehr Insulin sich im Blut befindet und je weniger sofort verfügbare Glykogenreserven vorhanden sind. Es kann so zu Heißhungerattacken kommen,


Abb. 2.2: Dauerstress-Spirale

die bei gleichzeitigem Vorhandensein einer Impulssteuerungsschwäche regelrechte Fressanfälle auslösen. Die hiervon Betroffenen neigen zur Bulimie.

Solange dagegen noch viele Stresshormone und damit ein hoher Cortisolspiegel im Blut vorliegen, wird der Blutzuckerspiegel konstant hoch gehalten und kein Hunger verspürt. Für einige Menschen kann dies zu einem Dauerzustand werden. Die hiervon Betroffenen können unter Stress nichts essen, sodass das Hungern ihnen leichter fällt und sie erfolgreicher abnehmen können als andere, von denen sie dann dafür beneidet werden.

Andere Menschen dagegen müssen unter Stress vermehrt essen, um nicht an den Folgen einer Unterzuckerung zu leiden. Sie lernen schnell, sich bei Stress durch Essen zu beruhigen, um wieder ins psychische Gleichgewicht zu gelangen. Sie müssen den stressbedingt erhöhten Zuckerverbrauch sofort durch Nahrungszufuhr ausgleichen, damit es nicht zu den Folgen der Unterzuckerung wie Schwindel, Schwächegefühl, Zittrigkeit und innere Unruhe kommt. Sie neigen zur Gewichtszunahme infolge ihres stressbedingt verstärkten Hungergefühls, das sie am besten mit hochkalorischer und kohlenhydratreicher Nahrung stillen können.

Es gibt also zwei ganz verschiedene angeborene Reaktionsweisen des Körpers im Umgang mit Stress, die ganz unterschiedlich und geradezu gegensätzlich das Köpergewicht beeinflussen. Entscheidend dabei ist, wie lange und wie intensiv Stress den Körper belastet und wie empfindlich er darauf reagiert. Letzteres ist teilweise angeboren und damit schwerer zu verändern. Es gibt eine Gruppe von Menschen, die infolge einer ständigen Reizüberflutung ihres Gehirns auf Stress sehr empfindlich reagieren. Sie leiden unter ständiger innerer und zum Teil auch äußerer Unruhe, dadurch können sie nur schwer von Entspannungsübungen profitieren. Yoga und Sport helfen ihnen, besser ihren Stress abzubauen, aber auf die Dauer meist auch nur unzureichend.

Die angeborene Überempfindlichkeit des Körpers gegenüber Stress geht bei den Betroffenen mit einer Frustrationsintoleranz und einer Steuerungsschwäche auf der Gefühlsebene einher. Sie leiden dadurch besonders häufig unter psychisch bedingten körperlichen Beschwerden. Zu dieser Gruppe gehören auch viele Menschen mit Essstörungen.

Negativer Stress wird zum Bindeglied zwischen psychischer Störung und körperlichen Beschwerden, eine angeborene Überempfindlichkeit gegenüber Stress ist somit auch ein wichtiger Aspekt für die Entstehung von Essstörungen.

Dauerstress mit ständig erhöhtem Cortisolspiegel im Blut bewirkt einen erhöhten Ruhepuls, Volumenverengung der kleinen äußeren (peripheren) Blutgefäße und einen erhöhten Blutdruck. Unter Dauerstress ist der Cholesterinwert im Blut erhöht und die Produktion der Geschlechtshormone verringert. Libido und sexuelle Aktivitäten leiden, bei Frauen kann es zum Ausbleiben der Menstruation kommen.

Entwicklungsgeschichtlich bedeutet Stress, sich auf eine Gefahr einzustellen und abwehrbereit zu sein. Die Wahrnehmung wird eingeengt, alles Denken und Handeln konzentriert sich auf eine vermeintliche Gefahr und deren Abwehr. Diese Gedanken wiederholen sich ständig, sie automatisieren sich und werden schließlich zu Zwangsgedanken. Auch bei der Magersucht beginnt das Krankheitsgeschehen mit der Ausrichtung von Denken und Handeln auf Kalorienzählen, tägliche Gewichtsabnahme und Essensverweigerung. Wird das erreicht, entsteht ein Gefühl des Erfolges, wodurch das Belohnungssystem aktiviert wird und ein Glückshormon ausschüttet. Die Betroffenen sind kurzfristig zufrieden mit sich. Mit dem Ziel, durch eigene Kraft diesen Zustand immer wieder zu erreichen und sich dabei stark und zufrieden zu fühlen, entsteht ein Kreislauf der Denken und Handeln zwanghaft ausrichtet und in die Magersucht führt, wenn er nicht unterbrochen wird.

Weitere wichtige Auswirkungen von Dauerstress auf den Körper sind:

Essstörungen und Persönlichkeit

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