Читать книгу Vier Pfoten und drei Koffer - Helge Sobik - Страница 19

Wo sind Deine Sachen?

Оглавление

Zuhause fängt manches Spiel mit dieser Frage an: »Wo sind eigentlich Deine Sachen?« Hoover läuft dann zur Tür der Abstellkammer und stupst mit der Nase dagegen; wenn ich nicht schnell genug reagiere, dann gleich mehrfach hintereinander. Und wenn ich mich arg ahnungslos noch mal erkundige und »Aber wo sind denn nun Deine Sachen?« frage, dann springt er an der Tür hoch und haut mit den Vorderpfoten dagegen. Sein Vorgänger hat bei derselben Aufgabenstellung sogar herausbekommen, wie man sie öffnet, nach außen immerhin: Er legte eine Vorderpfote auf den Türdrücker, bis der ein wenig nachgab und machte dann – immer noch auf den Hinterbeinen stehend – eine ganz leichte Bewegung nach hinten, ließ die Vorderpfoten wieder dem Fliesenboden entgegengleiten, schob mit der Nase die nun bereits einen Spalt breit geöffnete Tür weiter auf und marschierte in die Vorratskammer ein. Hoover wird an diesen Punkt auch noch gelangen. Er schaute bereits sehr interessiert, als er das erste Mal bemerkte, dass der Türdrücker nachgibt, wenn man ihn – in seinem Fall bislang noch eher zufällig – erwischt.

Hinter der Tür verbergen sich nicht nur Getränkekisten, Marmeladengläser und Nudel-Großpackungen, sondern auch originalverpackte Kauknochen und sämtliche Leckerli-Vorräte. Das alles hat weder Hoover noch seinen Vorgänger in solchen Momenten interessiert. Viel wichtiger ist: Dort lagern sämtliche Spielzeuge, die es nicht im dauerhaften Sofortzugriff gibt, sondern die als Besonderheiten unter Aufsicht von Zeit zu Zeit ins Rennen gehen. Die Kollektion an Plüsch-Enten gehört dazu, die Frisbee-Scheiben und Wurfbälle, dazu hölzerne Hunde-Intelligenzspielzeuge, bei denen man irgendwelche Riegel umlegen und Deckel mit viel Geschick öffnen muss, um an die dahinter verborgenen Leckerlis zu gelangen. Die Wo-sind-Deine-Sachen-Frage ist deshalb immer der Beschäftigung mit den Lieblingsspielsachen vorangestellt.

Etliche dieser Accessoires sind jetzt in den Urlaub mitgefahren, ganz hinten im Kofferraum, zusammengequetscht in einem Pappkarton. Ihren Platz im Ferienhaus haben sie im Einbauschrank des Gästezimmers gefunden. Hoover hat genau gesehen, wie ich alles aus dem Karton genommen und gemeinsam mit dem nicht ganz so beliebten Kamm, seiner Bürste und den Futtervorräten hinter der rechten Schranktür versenkt habe.

Ein paar Stunden danach frage ich ihn ganz unvermittelt und ohne mir groß etwas dabei gedacht zu haben: »Hast Du eigentlich auch Sachen mit? Wo sind denn hier Deine Sachen?« Er schaut mich mit großen Augen an, signalisiert volle Aufmerksamkeit, höchstes Interesse. Die Begriffe hat er sofort decodiert.

Und nun könnte man glauben, er würde die heimische Abstellkammer suchen und resignieren. Er würde den Begriff »Sachen« mit der Tür zu jenem Räumchen zuhause assoziieren und hier nicht weiter wissen. Mitnichten! Sofort springt er auf, rennt zur geschlossenen Tür des Gästezimmers, schaut mich an, als wollte er sagen: »Nun mach schon, komm endlich«. Ich tue ihm den Gefallen und bin gespannt, was als Nächstes geschieht.

Mit der Nase stupst er gegen die Tür, ich öffne. Und auch jetzt bin ich nicht sicher, ob er im leeren Gästezimmer nicht gleich ganz enttäuscht aus den zwei Sehschlitzen in seinem Pelz schauen wird. Und wieder: mitnichten! Er steuert zielsicher die rechte Schranktür an und stupst wiederum mit der Nase dagegen. Ich stelle mich begriffsstutzig, zucke mit den Schultern und sage mit ratlosem Tonfall: »Und Deine Sachen?« Da patscht er im Sitzen mit der Pfote gegen jenes Portal des Einbauschrankes, als wollte er antworten: »Da drin natürlich, mach schon!« Ich öffne und er sucht sich seine Ente aus, die er nun mit lauter kleinen, glücklichen Bocksprüngen erst durchs Haus schleppt, dann über die Terrasse schleudert, um – kaum dass sie fliegt – hinterherzuspringen und sie sich wieder zu greifen.

Was das Experiment beweist: dass er genau weiß, was »seine Sachen« sind. Nämlich nicht die austauschbaren Aufbewahrungsräume, sondern die konkrete Summe der Gegenstände, die ihm wichtig sind. Erstaunlich.

Wieder fällt mir Hoovers Vorgänger ein. Dessen »Sachen« lagerten zuhause vorm Umzug in die Vorratskammer in einer langen, tiefen Schublade ganz unten in der Einbauküche. Sie hat einen recht großen, länglichen Metallgriff und ist ähnlich wie in Apothekerschränken leichtläufig auf Rollen gelagert. Der Hund hat es fertiggebracht, mit einer der Vorderpfoten auf diesen Griff zu hauen, zu drücken und die Schublade im selben Moment mit erstaunlicher Wucht aufzuziehen.

Irgendwann sah ich bei seiner Tierärztin im Behandlungszimmer, dass die dortigen Schrankschubladen dieselben Metallgriffe wie zuhause in unserer Küche haben, und mir rutschte ein »Guck mal, die Leute haben ja auch Sachen!« heraus, während ich zugleich auf das Fach zeigte. Er wusste sofort, worum es gehen musste, haute mit der Pfote auf den Griff und riss die nicht mal mehr halb volle Schublade mit den Verbandsmaterialien auf. Es war ein Riesenbrüller. Und fortan musste er es dort regelmäßig tun – zu seiner größten Freude.

Vier Pfoten und drei Koffer

Подняться наверх