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Der Ball im Koffer oder: Bloß nicht vergessen werden

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Das Blödeste an einer großen Reise ist immer die Gefahr im Vorfeld, dass der Mensch beim Packen, spätestens aber bei der Abfahrt seinen Hund vergessen könnte. Einfach so. Und dann wäre es geschehen. Findet Hoover. Fürchtet Hoover! Deshalb hat er sich für den entscheidenden Moment eine Zwei-Stufen-Taktik zurechtgelegt.

Es beginnt damit, dass er sein wichtigstes Spielzeug zusammensucht, dafür das Wohnzimmer durchkämmt, unters Bett im Schlafzimmer schaut und schließlich auch seinen Korb mit dem überhängenden Polsterwulst filzt, als wollte er sich erst einen aktuellen Überblick über sein Hab und Gut verschaffen und dann entscheiden, was davon auf alle Fälle mit muss.

Als Erstes schleppt er diesmal ein verdrehtes Zerr-Tau mit zwei Knoten an, drückt es mir erst ins Gesicht und rempelt es mir schließlich gegen die Schulter, während ich bereits auf dem Fußboden knie und Hemden in den aufgeklappten Koffer stapele: so weit eine übliche Spiel-Aufforderung. Als ich aber nach dem bunten Tau greifen will, dreht er sich weg, macht anderthalb Schritte nach vorne – um es auf die Hemden in den Koffer fallen zu lassen und sofort wieder aus dem Zimmer zu laufen. Was er damit sagen will? Wahrscheinlich dies: »Wenn Du hier heimlich vor Dich hin packst und Deine Sachen irgendwohin mitkommen, müssen meine auch mit. Weil ich auch mitfahren werde! Wohin auch immer!« Das ist Teil eins seiner Strategie.

Ich bin verdutzt und muss grinsen. Und während ich noch da sitze, ist Hoover wieder zurück, um nun auch seinen neongelben Tennisball in den Koffer plumpsen zu lassen. Damit ganz klar ist, was er meint: Ohne Hund zu verreisen, geht nicht. Und auch sonst läuft es vom Volumen her offenbar wieder auf das inzwischen übliche Bild hinaus – zwei Koffer für seine Sachen, einer für meine …

Ganz sicher werde ich ihn nicht vergessen! Er soll mit. Von vornherein war das geplant. Nur ahnt er noch nicht, dass er dafür diesmal ganz schön lange still sitzen muss. Und ich auch: Schließlich wollen wir in Spanien überwintern, mit ein oder zwei Zwischenübernachtungen von Norddeutschland aus gut 2300 Kilometer bis an die Costa Blanca fahren und fast drei Monate bleiben. Hoovers Zuhause während der Fahrt gen Süden wird die Rückbank des Autos sein. Eine U-förmige Abdeckung ist bereits an den Kopfstützen sowohl der Vordersitze wie auch der Rückbank befestigt und wird dafür sorgen, dass er unterwegs nicht in den Fußraum rutschen, sich gleichwohl aber auf der Bank einigermaßen bewegen kann. Und ein Hundesicherheitsgurt mit Brustgeschirr liegt auch bereit. Sogar wie er da am besten hineinsteigt, hat er schon gelernt und hebt, wenn er das Geschütz mit den vielen dicken Schnüren sieht, bereits erst die linke und kurz darauf die rechte Pfote.

Nachdem nun aber erst mal das Spielzeug im Koffer ist, greift Stufe zwei seines Ich-muss-auf-jeden-Fall-mit-Plans: Er liegt im Weg, wo er nur kann. In der Türfüllung. Erst der des Schlafzimmers, dann des Wohnzimmers, später der Küche. Wo auch immer ich gerade bin – er sieht seine Rolle darin, eine lebende Stolperfalle zu sein. Denn, so dürfte die Hunde-Logik sein, wer angemessen häufig über seinen zweieinhalbjährigen schwarzen Flat Coated Retriever stürzt, wird zwar irgendwann womöglich ärgerlich, aber der Vierbeiner kann ihm im entscheidenden Moment unmöglich aus dem Sinn geraten.

Neben Hoover lagert derweil immer sein Lieblingsspielzeug aus der Welpenzeit, das von Stolperposition zu Stolperposition mitgeschleppt und stets aufs Neue zwischen den Pfoten drapiert wird. Mit Sicherheit soll es morgen ins Hundshandgepäck: der violette Plüsch-Tintenfisch mit vier Tentakel-Armen. Genau genommen ist es bereits das Nachfolgemodell des ursprünglichen Plüschkraken. Der war um zwei Drittel kleiner, auf dem Etikett als Welpenspielzeug ausgewiesen und bekam nach und nach alle vier Tentakeln sehr freundschaftlich abgekaut oder ausgerissen. Heimlich verschwand der verbliebene Kautschuk-Leib irgendwann in der Kiste der Reliquien aus der Hundekindheit, die vor lauter anhaftender Erinnerungen zu schade für den Mülleimer sind, und wurde durch das zwei Nummern größere Modell ersetzt. Das sieht genauso aus, roch nur ungewohnt neu, sodass es anfangs gewisse Akzeptanzprobleme gab. Es hat sogar heute noch alle vom Hersteller vorgesehenen Tentakeln. Für immer? Dafür kann keiner seine Pfote ins Feuer legen.

Warum Hoover überhaupt mitbekommt, dass es ums Verreisen geht? Beim ersten Mal, da war er drei Monate alt, ließ es ihn kalt, dass ich Koffer packte. Er wusste nicht, warum man das tut – und was das für kleine Hunde bedeuten kann. Ich ging auf Dienstreise, er für vier Tage ins Ausweichquartier zu einer älteren Dame, die Hunde liebt. Die beiden sind seitdem ein Herz und eine Seele und trotzdem begrüßte er mich zum Glück bei der Rückkehr stürmisch. Beim nächsten Mal Kofferpacken registrierte er bereits genau, dass da etwas geschah, was nicht zum normalen Tagesablauf gehörte. Anschließend ging es für ein paar Tage auf Dänemark-Urlaub – mit Hund. Das wurde ihm spätestens klar, nachdem neben all meinen Sachen auch sein Korb mit im Kofferraum verschwunden war. Er schaute höchst irritiert und war begeistert, als ich das erste Mal fragte: »Kommst Du auch mit?« Fortan hat er jede Pack-Aktion aufmerksam begleitet. Aber noch nie sind seine Ich-gehöre-dazu-Signale so deutlich gewesen wie dieses Mal.

Vier Pfoten und drei Koffer

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