Читать книгу Sauschlägers Paradies - Helmut Exner - Страница 6

Kapitel 2

Оглавление

Hannes Sauschläger, vierzig Jahre alt, verheiratet, sechs Kinder zwischen fünf und achtzehn Jahren, war ein glücklicher Mann. Das war nicht immer so gewesen. In relativer Armut aufgewachsen, Vater arbeitslos und dem Alkohol zugeneigt, mit Müh und Not die achte Klasse der Sonderschule absolviert und ohne Berufsausbildung, meist arbeitslos, musste er schauen, wie er über die Runden kam. Seinen ganzen Reichtum sah er in der Kinderschar. Da kein Einkommen vorhanden, hatte die Kommune ihm und seiner Familie ein Haus zur Verfügung gestellt. In den Augen anderer Leute handelte es sich dabei mehr um eine Bruchbude. Kein Badezimmer, Plumpsklo auf dem Hof. Ein altes, verrottetes Gemäuer mit Bretterbeschlag. Eines Tages kam die Kommune zu der Erkenntnis, dass es menschenunwürdig sei, so zu wohnen. Schließlich baute man für diese und andere Familien entsprechende Häuser mit Bad, WC, Balkon, Zentralheizung und anderen Annehmlichkeiten. Hannes jedoch wollte das Haus, in dem er mit seiner Familie wohnte, um nichts in der Welt verlassen. Er fühlte sich wohl, wo er war. Sein Haus befand sich, zusammen mit einigen anderen Bruchbuden dieser Art, ein Stück außerhalb von Clausthal-Zellerfeld, umgeben von herrlicher Natur, Wald und Wiesen. In den Teichen rundherum konnte man baden und angeln. Man war frei, niemand beobachtete einen. Es gab keine Nachbarn, die mit dem Finger auf einen zeigten. Erst unter erheblichem behördlichen Druck zog Hannes mit Frau und Kinderschar in das neu erbaute Mehrfamiliennhaus und war unglücklich. Allein der Zank mit den Nachbarn, die sich an der freien Lebensart der Sauschlägers störten, war nervtötend.

Aber diese Zeiten waren längst vorbei. Die Erbschaft eines entfernten Verwandten, der kinderlos war und es versäumt hatte, ein Testament zu Gunsten seiner Lebensgefährtin zu machen, veränderte das Leben des Hannes Sauschläger. Er hatte den komischen Onkel zwar im Leben nicht gesehen, weil jener mit einem bestimmten Zweig der Familie nichts zu tun haben wollte, doch im Tode war er ihm umso herzlicher verbunden, hatte er ihm doch zwei gutgehende Restaurants vermacht und darüber hinaus eine stattliche Summe Bares. Daraufhin erwarb Hannes von der Kommune das große Grundstück mit den aus Geldmangel noch nicht abgerissenen Bruchbuden. Die Kommune war glücklich, schlug sie doch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie musste sich nicht mehr um dieses hässliche, Geld fressende Anwesen kümmern, und sie konnte die Familie Sauschläger von der Liste der Sozialhilfeempfänger streichen. Mit großem Elan renovierte die Familie nun ihr altes, neues Heim. Man ließ Badezimmer und WCs einbauen, bestellte eine Luxusküche, klebte Tapeten an die Wände, kaufte neue Möbel. Selbstverständlich durfte jedes Familienmiglied mitreden. Hannes entschied sich für ein altdeutsches Sofa, Frau Sauschläger für einen sündhaft teuren Fernsehsessel mit elektronischer Positionseinstellung aus Schweinsleder, der älteste Sohn für einen Designersessel, die jüngste Tochter für Biene-Maja-Möbel, jeder nach seinem Geschmack. Am Ende waren allein im Wohnzimmer, das man durch das Herausreißen einer Wand vergrößert hatte, alle möglichen Wohnstile von Nachgemacht-Antik bis Futuristik zu bewundern. Als alles eingerichtet war, fiel ihnen ein, dass man vergessen hatte, eine Zentralheizung zu installieren. Aber, was soll´s, dachte Hannes. Früher haben wir hier mit Holzöfen geheizt. Also kaufte man halt für jedes Zimmer einen Radiator. Irgendwann würde Hannes sich dann auch um die anderen Gebäude auf dem weitläufigen Grundstück kümmern. Aber das konnte warten, denn nachdem man diverse luxuriöse Fernseher, Musikanlagen, eine Hammondorgel und ein Schlagzeug, neue Garderobe für alle, einen Minibus für die ganze Familie, einen Grönlandhund im Wert von zweitausend Euro, einen Chihuahua im Wert von eintausendachthundert und einen Perserkater im Wert von neunhundert Euro, alle mit Stammbaum, angeschafft hatte, wurde das Geld allmählich knapp. Aber die beiden Kneipen, wie Hannes seine Restaurants nannte, brachten ihnen jeden Monat fünftausend Euro ein. Es gab einen Geschäftsführer, der dafür zu sorgen hatte. Unverständlich war Hannes allerdings, was das Finanzamt von ihm wollte. Nachdem er der Aufforderung, von seinem teuer ererbten Geld etwas abzugeben, nicht nachgekommen war, versuchte es das Amt mit Zwangsmaßnahmen, die bisher allerdings noch immer erfolgreich abgewehrt werden konnten. Schweinebande! Immer von den Armen!

Mit der Leitung der Restaurants oder gar der Arbeit in ihnen hatte Hannes nichts zu tun. Davon verstand er nichts. Außerdem waren ihm diese Läden viel zu vornehm. Noch dazu befanden sich beide Häuser in Salzgitter. Da hätte man ja ständig hinfahren müssen. Und umziehen kam nicht in Frage. Schließlich hatte man endlich wieder eine richtige Heimstätte. Außerdem verstand Hannes sowieso nicht, wie Leute für solch einen Saufraß so viel Geld ausgeben konnten. Ihm sollte es Recht sein. Der Geschäftsführer der Restaurants, Jochen Prokopka, hatte alle Freiheiten, solange er für die monatlich abzuzwackenden fünftausend Euro sorgte. Das hatte man so vereinbart. Doch nun hatte Herr Prokopka ein Problem. Es war zwar nicht neu. Aber bisher hatte sich immer der alte Eigentümer persönlich darum gekümmert. Es ging um die Sicherheit. Eines Tages tauchten zwei freundliche Herren auf, die auf eine Vereinbarung pochten, dass man pro Monat eine Rechnung für allerlei wertlosen Schnickschnack zu zahlen hatte, der absolut nicht gebraucht wurde. Dazu gab es ein Servicepaket an Sicherheit, was allerdings nicht auf der Rechnung verzeichnet war. Herr Prokopka, der das Geld ja schließlich erwirtschaften musste, wollte sich daher beim neuen Eigentümer rückversichern, dass dies auch so in seinem Sinne war. Also rief er Hannes Sauschläger an.

»Was wolln die? Geld? Für Sicherheit? Die solln mal bei mir vorbeikomme, denn sach ich se, was Sicherhheit is. Diese verfluchte Bagaasch, diese verfluchte!«

»Ich gebe zu bedenken, dass mit diesen Leuten nicht zu spaßen ist«, antwortete Herr Prokopka. »Der Vorbesitzer wusste schon, was er tat.«

»Der was?«, brüllte Hannes in den Hörer.

»Ihr Erbonkel hat sich mit den Leuten arrangiert.«

»Das intressiert mich´n Scheißdreck. Von mir gibt es nüscht, höchstens `n Tritt im Arsch. Wenn die nochemal komme, schmeiß se raus und schick se hierher. Und denn halt dir de Ohrn zu. Den Knall, wenn ich se im Arsch sapp, den hörste bis nach Salzgitter!«

So kam es, dass eines schönen Nachmittags eine elegante schwarze Limousine auf das Anwesen der Sauschlägers fuhr. Die beiden Herren trauten ihren Augen nicht, dass hier der zweifache Restaurantbesitzer seine Residenz haben sollte. Was sie sahen, mutete eher wie ein Flüchtlingslager aus der Nachkriegszeit an, und zwar eines von der ganz schlimmen Sorte. Diverse Baracken, die seit Jahrzehnten keinen Tropfen Farbe mehr gesehen haben mochten, auf einem total ungepflegten Grundstück. Vorgärten, die praktisch nur aus Brennesseln bestanden, ein Schuppen mit eingefallenem Dach, mitten zwischen den Gebäuden ein drei Meter hoher Turm aus alten Möbeln, Müll und Schrott. Hier und da standen alte Polstermöbel in der Botanik. Vor einer der Bruchbuden schlug ein etwa zwölfjähriger Junge auf ein nagelneues Schlagzeug ein. Als das Auto zum Stehen kam, wurde es von mehreren Kinden, einem großen und einem winzigen Hund umringt.

»Hier können wir unmöglich richtig sein«, sagte der Fahrer des Wagens zu seinem Begleiter. »Wir sind hier in einem Slum gelandet. Lass uns abhauen, bevor noch was passiert.«

Doch zum Abhauen war es bereits zu spät. Die Kinder rissen Fahrer- und Beifahrertür auf. Der große Hund legte dem Fahrer die Pfoten auf den Schoß und leckte ihm das Gesicht ab. Und ein kleines Mädchen hielt dem Beifahrer eine Handvoll Schlamm vors Gesicht und sagte: »Kuchen, Onkel. Schmeckt gut.«

Schließlich stiegen sie aus und merkten, dass sie von einem Mann mit Sonnenbrille von der Terrasse eines Hauses beobachtet wurden, auf das sie sich nun ganz langsam zubewegten.

»Sind Sie Herr Hannes Sauschläger?«

»Was seidn ihr für komische Vöchel?«

Nach einer kurzen Konversation, aus der die beiden gut gekleideten Besucher nicht recht schlau wurden, bat Herr Sauschläger die Herren schließlich ein sein luxuriös eingerichtetes Wohnzimmer, in dem ein gigantischer Fernseher einen Zeichentrickfilm ausstrahlte. Der Hausherr befahl dem davorsitzenden Kind, gefälligst in sein eigenes Zimmer zu gehen, um fernzusehen und bot seinen Gästen Platz auf einem unbequemen Jugendstilsofa an. Während des etwa zehnminütigen Gespräches war von draußen das Fluchen und Brüllen des Hausherren zu vernehmen. In dieser Zeit nahmen sich einige der Kinder des Wagens der Besucher an. Als die beiden gut gekleideten Herren schließlich fluchtartig das Haus verließen, trauten sie ihren Augen nicht. Der Wagen war in die Holzwand des alten Scheißhauses gefahren worden. Auf der Fahrerseite prangte in roter Farbe Grimmenalboliseiaudo und auf der anderen Seite Aaschloch.

Fluchend stiegen sie ein und sahen zu, dass sie Land gewannen. Im Abfahren rief der Beifahrer noch aus dem Fenster: »Wir haben es im Guten versucht, aber...«

Weiter kam er nicht. Herr Sauschläger warf einen Stein nach ihm. Und lernbegierig, wie seine Kinder nun mal waren, taten sie es ihm nach. Unter einem Steinhagel verließ das edle schwarze Gefährt, das nun als Grimmenalboliseiaudo gekennzeichnet war, das idyllisch gelegene Anwesen der Sauschlägers.

Als die Herren nach anderhalbstündiger Fahrt ausstiegen, sollte eine weitere Überraschung auf sie warten. Eines der Kinder hatte nämlich eine Tube Sekundenkleber auf die Sitze verteilt. Daher kostete das Aussteigen etwas Mühe und die Rückfronten der Garderobe blieben auf den Sitzen haften.

Sauschlägers Paradies

Подняться наверх