Читать книгу Die Dame mit der Peitsche - Helmut Höfling - Страница 10
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Оглавление„Eine erfreuliche Nachricht, Eure Majestät“, verkündete Heideck gleich nach der Begrüßung, als er bei einem folgenden Empfang dem König Bericht in Sachen Lola erstattete. Die Verhandlungen wegen des Hauskaufs in der Barerstraße seien fast abgeschlossen, auch die notarielle Seite. Die Papiere könnten am ersten Dezember unterzeichnet werden. Was die künftige Eigentümerin des Palais‘ früher bereits als vollendete Tatsache dargestellt hatte, stand also erst vor der abschließenden Beurkundung. Wie vom König gewünscht, war Lola als Käuferin eingetragen.
Ludwig zeigte sich zufrieden, denn mit dem Kauf auf Lolas Namen hoffte er vertuschen zu können, wie viel er für sie ausgab. Diesen Hintergedanken aber behielt er für sich und stellte lediglich fest, Heideck wisse ja, wie wichtig es sei, dass ihr Status legalisiert werde.
Leider, dachte der General, leider, denn als Hausbesitzerin kam die Ausländerin für die bayerische Staatsangehörigkeit in Frage, die Voraussetzung dafür, dass der König sie als frisch gebackene Bayerin in den Adelsstand erheben konnte, wie sie von ihm verlangt hatte, da sie in eine adlige spanische Familie hineingeboren worden sei. Er muss nicht klar bei Verstand gewesen sein, als er ihr das Versprechen gegeben hat, eine hergelaufene spanische Tänzerin zur bayerischen Gräfin zu machen, er, der sich doch sonst dreimal überlegt, welche Auswirkungen diese oder jene Maßnahme nach sich ziehen könnte.
Der General irrte. Sogar mehr als dreimal hatte Ludwig sich die Folgen überlegt und war mehr als dreimal zu der Überzeugung gelangt, dass seine Lolitta ihn wegen dieses einen Versprechens nie vergessen werde, der stärkste Grund, sein Wort als heilige Verpflichtung zu betrachten.
Entgegen seinem Vorsatz, den König nicht durch Vorhaltungen aufzubringen und dadurch seinen Starrsinn noch anzustacheln, wagte Heideck dennoch einzuwerfen: Viele Leute, und zwar nicht etwa nur Moralapostel, sondern Leute, die keine besonders strengen moralischen Maßstäbe anlegen, seien der Ansicht, dass es für Seine Majestät skandalös sei, mit einer Dame Umgang zu pflegen, die während des Prozesses im Fall Dujarier als unzüchtig angeprangert worden sei, und das, wohlgemerkt, in einer Stadt wie Paris, wo man in solchen Dingen etwas freizügiger urteile.
„Sie brauchen sich erst gar nicht weiter zu bemühen, Heideck, ich weiß alles, denn sie hat mir alles gesagt, alles, sie gibt sich nämlich keineswegs als Engel aus. Dass sie, sehr jung, schön und hilflos sozusagen in die Welt geschleudert, verführt wurde, ist kein so großes Wunder wie die Tatsache, dass sie nicht tiefer gesunken ist. Welcher jetzt so stolzen Frau wäre es wohl unter ähnlichen Verhältnissen besser ergangen als der armen Lola? Glauben Sie mir, mein lieber Heideck, ich kenne sie alle, die Frauen in ähnlichen Fällen, und eine Tugend, die nie in Versuchung geraten ist, kann man ja wohl nicht gerade preisen.“
Weiß er wirklich alles, wagte der General zu bezweifeln, alles? Über Lolas Rolle, die im Dujarier-Prozess zutage getreten ist, sicherlich, das ist ja auch alles gut dokumentiert und ausführlich kommentiert durch die Presse gegangen. Wie aber stand es bei all den anderen Vorfällen, Skandalen, Gerüchten? Was hatte sie da gebeichtet und was verschwiegen oder zu ihren Gunsten geschönt und zurechtgebogen?
Der König schien Heidecks Gedanken zu erraten, denn er wiederholte, was er früher bereits ausgesprochen hatte: Lola habe ihm geschworen, immer die Wahrheit zu sagen, wie schmerzlich sie auch sein möge.
Was aber heißt bei ihr „immer“ und welche „Wahrheit“ meint sie: die objektive oder ihre eigene subjektive Wahrheit? dachte Heideck. Sie braucht dem vernarrten Ludwig nur dauernd mit ihren ständigen Beteuerungen in den Ohren zu liegen, wie sehr sie ihn liebe, und schon glaubt er ihr in seiner blinden Leidenschaft jedes Wort, auch wenn andere ihrer Version mit größter Skepsis begegnen. Wo ist nur sein angeborenes Misstrauen geblieben? Er ist tatsächlich wie die Felsen am Königssee, gegen die jeder vergeblich anrennt und sich einen blutigen Kopf holt, wenn es um seine Lolitta geht, und sei es auch mit noch so handfesten Beweisen.
Wenn Heideck den zaghaften Versuch gewagt hatte, wegen des Unmuts in allen Gesellschaftsschichten einen Keil zwischen seinem königlichen Weggefährten und der spanischen Tänzerin zu treiben, so bemühten sich Lolas neue Freunde, sie dazu zu bewegen, dem brodelnden Hass gegen sie durch gute Werke zu begegnen. Nutze deinen Einfluss auf den König zum Wohle hilfsbedürftiger Menschen, rieten sie ihr, nicht im Verborgenen, sondern im Rampenlicht, damit alle die gute Tat mitbekämen, die auf ihre Initiative zurückgehe.
Doch wo sollte sie ansetzen, wo ließe sich wohl die größte Wirkung in der Öffentlichkeit erzielen? In jahrelanger Arbeit war es dem König gelungen, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen, und jetzt war aus dem rigorosen Sparkurs Geiz geworden. Er hatte im Dickicht von Posten und Pensionen tüchtig gejätet und sogar den Heeresetat so rigoros beschnitten, dass sein Berater Heideck ihn mahnte: „Majestät, mager darf die Armee wohl sein im Frieden, aber Blut, Nerven und Knochen müssen ihr noch bleiben.“ Da er auch bei sich selber die Sparsamkeit bis zur Knauserei trieb, spöttelte sein Hofbaumeister Klenze, der das klassizistische Stadtbild München seit Jahren wesentlich bestimmte, die Küche bei Hof genieße durch ihre Schlechtigkeit europäischen Ruf. Magere Kost verordnete er ebenso seinen unteren und mittleren Beamten, deren knurrende Mägen er lieber mit Titeln stopfte als mit Gulden. Am meisten litten darunter die Schullehrer, bei denen oft genug Schmalhans Küchenmeister war, wenn sie auf ihre Gehälter warten mussten.
Die gesamte hiesige Lehrerschaft, so entschieden sich Lolas Freunde denn auch, eigne sich bestens für ein Werk christlicher Nächstenliebe, denn die bayerischen Lehrer seien arme Schlucker, die am Hungertuch nagten. Eine Gehaltserhöhung, die sie so dringend benötigten, hatte der König wiederholt abgelehnt. Eine ganze Reihe von ihnen war daher gezwungen, zur Aufbesserung ihrer Finanzen am Rhein-Main-Donau-Kanal zu arbeiten. Ihre wirtschaftliche Not hatte sich bereits zu einem Missstand von öffentlichem Interesse ausgewachsen, und auf noch größeres öffentliches Interesse durfte die Beseitigung dieses Übels stoßen. Wenn Lola also ihren Ludwig dazu überreden könne, den Lehrern mehr Geld zu bewilligen, dann werde man sie im ganzen Land als Wohltäterin preisen.
Das leuchtete Lola ein, und deshalb zögerte sie nicht, sich bei ihrem Galan und Gönner für die armen Lehrer zu verwenden, denen er dann auch unverzüglich hundertzwanzigtausend Gulden zur Erhöhung ihrer Gehälter bereitstellte. Doch die erhoffte öffentliche Lobpreisung, mit der sie und ihre Freunde und Einflüsterer fest gerechnet hatten, blieb aus, vielmehr erhielt die seit langem schwelende Befürchtung neue Nahrung, sie habe den König so fest in der Hand, dass sie jetzt auch schon ihre Finger in der Politik habe. Nach Anerkennung gierend, beging sie die Torheit, auch noch ihre Rolle bei der sozialen Guttat hinauszuposaunen: Sie habe den König dazu überredet, die Gehälter zu erhöhen, und zwar bereits eine ganze Woche bevor Seine Majestät die Anordnung erlassen habe.
Wie sehr sie damit seine Autorität untergrub, kam ihr nicht in den Sinn und ebenso wenig, dass sie damit die Überzeugung schürte bei all jenen, die durch die selbsternannte spanische Mätresse die Ordnung im Staat gefährdet sahen. Wenn sie, eine Fremde, in unserem Bayern schalten und walten kann, wie sie will, dann ernennt sie demnächst auch noch Minister und setzt sie ab, ganz nach Lust und Laune, befürchteten viele, die etwas zu verlieren hatten und machten von nun an gemeinsame Front mit der Mehrheit, die Sturm liefen gegen Lolas herausfordernde Anmaßung und Angriffslust. Die Montez war zum Risiko geworden, das Staatswesen bedroht.
Als der Polizeidirektor Ende November wieder zur wöchentlichen Berichterstattung in der Residenz erschien, erkundigte sich der König, was es eigentlich mit der Beleidigung seiner Person bei dem Zwischenfall in der Frühlingsstraße auf sich habe.
Die Frau, die da in der Nacht randaliert hatte, druckste Freiherr von Pechmann herum, man wisse ja nicht genau, wer sie war, nun, diese gewisse Frau hatte gegenüber der Hauswirtin behauptet, die Mätresse Seiner Majestät zu sein. Darin, mit Verlaub, liege die Beleidigung.
„Das hat die Lola nicht gesagt“, rief Ludwig im Brustton der Überzeugung aus, „nie und nimmer. Dazu ist sie zu gescheit, die hat Verstand und eine hohe Bildung. Ich bin ihr gewogen, wie Sie wissen, sehr gewogen, aber in Ehren! Ja, ich liebe sie, ich leugne es auch gar nicht, aber eine Mätresse zu haben, das ist doch ein Unterschied. Das eine hebt einen, das andere zieht herab. Aber das Ganze ist eine abscheuliche Intrige - und warum? Sie ist schön, sie ist jung und nicht von hier, kein Wunder, dass da Unmut und Eifersucht ihr böses Spiel mit ihr treiben.“
Gewiss, gewiss, pflichtete ihm Pechmann wider besseres Wissens verlegen bei, man wisse ja, wie die Leute seien.
„Übrigens habe ich persönlich den Glasermeister befragt, und dieser Mann hat mir die Aussage der Lola bestätigt, das heißt, dass sie es nicht war, sondern eine andere.“ Ein kämpferischer Ausdruck machte sich plötzlich in seinen Zügen breit, als er die Stimme hob: „Die Vornehmen verfolgen sie am meisten. Ich weiß gar nicht, was sie mit ihr haben. Mich, ihren König, wollen sie davon abbringen, aber da kommen sie mir gerade recht, mich nur tüchtig verleumden, denken sie, dann erreichen sie ihr Ziel. Doch im Gegenteil, damit fordert man nur meinen Widerstand heraus. Ich habe einen eisernen Willen, den man nicht so leicht bricht, das habe ich ja oft genug gezeigt.“
Der Polizeidirektor hörte sich das alles an, ohne ein Wort zu sagen, und nickte nur leicht, als wolle er lediglich bestätigen, dass Seine Majestät einen Schädel hart wie Eisen habe; und dieser Eisenschädel wies Pechmann, nun wieder in ruhigerem Ton, an, in Sachen Frühlingsstraße nichts weiter zu unternehmen, also alle Untersuchungen einzustellen. Lola habe ihn darum gebeten, weil sie nicht wolle, dass die Frau, die sich für sie ausgegeben hatte, öffentlich bloßgestellt werde.
Befehl ist Befehl, dachte Pechmann, als er die Residenz verließ, zutiefst beunruhigt über die offensichtliche Ahnungslosigkeit des Königs. Gibt es denn niemanden, der ihm die Wahrheit über Lola Montez sagt? Erwarten etwa alle von mir, dass ich ihm die Augen öffne?
Für diesen Fall hatte er bereits Vorkehrungen getroffen. Die Fremde, die seit ihrem Umzug in den Goldenen Hirschen in der Theatinergasse noch näher an der königlichen Residenz war und dort bleiben wollte, bis ihr Palais in der Barerstraße eingerichtet sein werde, hatte als Hausdame eine Frau Ganser angestellt, die mit ihren Sprachkenntnissen auch dolmetschen konnte. Einem Polizeiagenten gelang es alsbald, die Ganser als Spitzel zu gewinnen und zu verpflichten, alle bemerkenswerten Vorgänge aufzuschreiben, etwaige lose Reden über Seine Majestät, die sie an den Türen erlauschte, und genauestens Buch zu führen über den munteren Männerbetrieb, der sich hinter dem Rücken des Königs in Lolas Gemächern abspielte.
Das nasskalte Novemberwetter, ebenso wie der raue Wind, der Lola Montez aus allen Kreisen der Münchener ins Gesicht blies, verleideten ihr den Aufenthalt in der bayerischen Residenzstadt mehr und mehr. Nach Wärme sehnte sie sich, nach der Sonne südlicher Gefilde, nach der Zweisamkeit mit ihrem geliebten Ludwig, den sie dann auch bei einem der täglichen Besuche bestürmte, sofort abzudanken und mit ihr fortan unter dem strahlendblauen Himmel Spaniens zu leben - nur er und sie allein. Wenngleich der König diesen Herzenswunsch nicht ernsthaft in Erwägung zog, so viel Verstand besaß er noch, fühlte er sich dennoch bei der Vorstellung, eine so schöne junge Frau wolle mit ihm auf und davon laufen, so sehr geschmeichelt, dass er seine Gefühle gleich in glühende Verse goss und zu weiteren Hymnen auf die Liebe zusammenschmiedete.