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Der Finanzminister der Mätresse 1

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Von all diesem Geschwätz hatte der zweite gute Freund des Königs bisher nur wenig mitbekommen: Freiherr Carl Wilhelm von Heideck, obwohl er, anders als Heinrich von der Tann, der in Franken lebte und mit Ludwig korrespondierte, in München wohnte, wo er in der Briennerstraße ein stattliches Haus besaß, und sich im Gespräch mit ihm austauschen konnte. Beide waren Protestanten, was aber dem vertrauensvollen Verhältnis zu dem katholischen Monarchen, bei allem geziemenden Abstand zwischen Majestät und Untertan, keinen Abbruch tat.

Heideck, reichdekorierter und bei Hof zugelassener General a.D., hatte Ludwig bereits in dessen Zeit als Kronprinz kennengelernt und mit ihm in mancher Schlacht gekämpft. Er war aber nicht nur Militär, sondern auch Künstler, der sozusagen mit dem Säbel ins Gefecht ritt und es hinterher mit Feder und Pinsel verewigte. Später hatte er sich zudem in der Ölmalerei bewährt und sich sowohl in Kriegs- als auch in Landschaftsbildern mit griechischen, deutschen sowie spanischen Motiven Anerkennung verschafft.

Nicht nur die vielen gemeinsamen Erlebnisse ihrer langen Jahre, auch ihr fast gleiches Alter band beide Männer in enger, offenherziger Freundschaft. Der General lebte allein, seit seine Frau acht Jahre zuvor gestorben und seine beiden Kinder, ein Sohn und eine Tochter, in Instituten untergebracht waren. Er stand kurz vor der Ernennung zum Referenten im Kriegsministerium, als auch er die persönliche Bekanntschaft mit Lola Montez machte. Damals, Ende Oktober 1846, ahnte er noch nicht, wie sich ihretwegen nur schon ein halbes Jahr später Ludwigs Vertrauen zu ihm ändern würde.

Behaglich in seiner Zurückgezogenheit lebend, las der General gerade in Lossaus Charakteristik der Kriege Napoleons, als ihm unverhoffter Besuch gemeldet wurde, einige Herrschaften, die ihm gern ihre Aufwartung machen wollten, wie der Lakai erklärte, Baron von Maltzahn sei darunter und eine vornehme Dame, die er noch nie gesehen habe.

Er lasse bitten, sagte der Hausherr, entschied dann aber im Aufstehen, die Gäste selber im Salon zu begrüßen. Der Baron, der seinen Sohn mitgebracht hatte, wurde von Bolgiano begleitet, einem Kunstfreund, der auch Gemälde für den König sammelte, sowie von der angekündigten jungen Dame, die sofort die bewundernden Blicke der alternden Generals auf sich zog und Maltzahn als „Demoiselle Lola Montez“ vorstellte. Sie wolle gern das Haus des Generals kennenlernen und natürlich auch seine Bildersammlung, wenn es ihm genehm sei.

Natürlich war es Heideck genehm, ein oft geäußerter Wunsch, der viele Freunde in sein Haus zu führen pflegte. So empfing er auch diese Dame mit der gebührenden Höflichkeit, die ihm ihrerseits mit liebenswürdigster Zuvorkommenheit begegnete, als sie erfuhr, dass er mehrere Jahre in ihrem Vaterland zugebracht hatte, besonders in Sevilla, wie er betonte, sogar längere Zeit.

In ihrer Vaterstadt? Sie war entzückt, jetzt kannte ihre Freundlichkeit keine Grenzen mehr. Wenn er so lange in ihrer Heimat gelebt habe, dann könnten sie doch spanisch miteinander plaudern, schlug sie vor.

Ja, das würde er schon gern, versicherte er leicht verlegen und hob, wie um Vergebung bittend, die Schultern, aber leider... leider... Seitdem sei viel Zeit vergangen. Er bedauere zutiefst, dass die lange Entwöhnung ihm nicht mehr erlaube, die spanische Sprache geläufig zu sprechen. Lieber sollten sie deshalb weiter auf Französisch reden. Wenn sie gestatte, wolle er ihr dafür, sozusagen als Ersatz, einige seiner Bilder mit Szenen aus ihrer Heimat zeigen.

Mit großem Vergnügen, beteuerte sie und erzählte ihm im Laufe des Gesprächs, mit all ihrer spanischen Lebhaftigkeit und sichtbarer Rührung, wie glücklich Seine Majestät sie durch ein Geschenk von einigen hundert Gulden gemacht habe: nicht für sie, nein, nein, für die Familie des Herrn Thierry. Da sie dieses Geld persönlich überbracht habe, durfte sie miterleben, wie groß die Freude über diese Gabe bei den Bedürftigen gewesen sei.

Thierry war der Vater zweier Töchter, die bei ihm lebten: Mathilde, eine Schauspielerin am Hoftheater, und Berta, ein Mitglied des Ballettkorps, die seit kurzem zu Lolas neuem Bekanntenkreis in München und häufigen Begleiterinnen zählten. Beide Schwestern brauchten dringend Geld und gehörten mit zu den Ersten, die erkannten, in welche Richtung der Strom der königlichen Freigebigkeit floss. Auf Lolas Fürsprache hin bewilligte Ludwig den Thierrys zweihundert Gulden, die sie dann als gute Fee wie aus einem Füllhorn über sie ausschütten durfte.

Dem General a.D. war, zurückgezogen in seinem Schneckenhaus, bisher nur wenig über die spanische Tänzerin zu Ohren gekommen und noch weniger von ihrem wahrhaftigen Verhältnis zum König. Doch jetzt, schon nach den ersten Minuten ihres Besuchs, dachte er: Ja, Seine Majestät hat wirklich Recht, dass ihm die Spanierin gefällt. Sie ist nicht nur hübsch und geistreich, sondern scheint zudem auch ein gutmütiges Ding zu sein.

Man plauderte noch über dies und über das, wie ihr München gefalle und wen sie schon alles in der kurzen Zeit ihres Aufenthalts kennengelernt habe, bis sie ihn schließlich beim Abschied einlud, sie zu besuchen, worauf er jedoch geschickt ausweichend mit einem stummen Kompliment dankte. Denn nach allem, was er aus dem Gespräch herausgehört hatte, schien ihm die Gesellschaft, mit der sie Umgang pflegte, für sein Alter zu jung sein.

Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte er sich auch ferngehalten, doch sah er sich bereits wenige Stunden später gezwungen, seinen Entschluss zu ändern. Er war nämlich noch am gleichen Abend bei Hof zum Tee eingeladen, wo ihm zur eigenen Überraschung sogleich eine besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde, wie er sie nicht gewöhnt war. Als er in den Salon trat, kam ihm Graf Dürkheim Montmartin, der Obersthofmeister der Königin, entgegen und gratulierte ihm zum guten Verkauf seines Hauses.

„Wer soll mir denn mein Haus abgekauft haben?“, fragte Heideck verwundert.

„Der König, wer sonst!“

„Wenn Seine Majestät so wenig von diesem Geschäft weiß wie ich, so bedeutet das, dass ich nach wie vor der Eigentümer meines Hauses bin und bleibe“, erklärte der General schmunzelnd. „Warum sollte denn auch der König mein Haus kaufen?“

„Welche Frage! Natürlich für die Spanierin.“

„Nun, Herr Graf, da will ich Ihnen auf die Sprünge helfen. Heute Morgen war nämlich die Donna bei mir, begleitet von Maltzahn und Bolgiano, um sich die Zimmer und Bilder anzusehen. Von einem Hausverkauf war dabei mit keinem Wort die Rede. Das Gerücht darüber haben wohl sicher die Nachbarn in die Welt gesetzt, die beobachtet haben, wie die Besucher bei mir ein- und ausgegangen sind. Sie wissen doch, dass die Leute sich immer über alles Mögliche die Mäuler zerreißen müssen.“

Der Obersthofmeister der Königin schien enttäuscht zu sein, zweifelte aber immer noch, ob nicht doch ein Körnchen Wahrheit in dem vermeintlichen Gerede steckte, wie meistens, wenn ein Gerücht die Runde machte, für diesmal jedoch ließ er es dabei bewenden.

Nach dem Tee rief der König den General ins anstoßende Nebenzimmer. „Ich muss Ihnen eine interessante Bekanntschaft machen, mein lieber Heideck. Sie waren doch in Spanien?“

„Ich weiß schon, worauf Eure Majestät hinauswollen“, unterbrach ihn der General. „die spanische Tänzerin. Die kenne ich schon. Sie war heute Morgen in meinem Haus.“

„Soso, und wie gefällt sie Ihnen?“

„Recht gut, ja wirklich, sie ist hübsch und geistreich, und sie scheint mir auch ein gutes Herz zu haben“, entgegnete Heideck und wiederholte ihm die Geschichte, die ihm Lola über die Freude der Thierrys über die königliche Spende erzählt hatte.

„Ja, ja!“, pflichtete ihm der Monarch aufgeräumt bei. „Sie ist äußerst liebenswürdig und gutherzig. Sie müssen hinkommen, zu ihr, ins Hotel, sie besuchen.“

„Das Fräulein selbst hat mich bereits eingeladen. Ich habe jedoch keine Lust dazu. Sie umgibt sich nur mit jungen Leuten, zu denen ich keinen Zugang mehr habe.“

„Aber wenn ich dort bin, dann müssen Sie kommen, Heideck, unbedingt! Da wollen wir dann mal wieder spanisch reden, wir drei. Was halten Sie davon?“

Das wollte der General lieber für sich behalten. Zum Gehorsam gegenüber dem König verpflichtet, antwortete er nur kurz angebunden: „Wenn Eure Majestät befehlen, werde ich erscheinen“ - und kehrte dann nach einem Bückling mit dem Monarchen wieder ins Gesellschaftszimmer zurück.

Eine Woche später erhielt Heideck von „Señorita Lola“ eine Einladung, „auf Befehl Seiner Majestät“ abends um sechs Uhr zu ihr zum Tee in den Gasthof Zum Goldenen Hirschen zu kommen, wohin sie inzwischen nach einem Streit mit dem Direktor des Bayerischen Hofs in eine Suite im Anbau umgezogen war. Der König, so hieß es darin weiter, habe sein Erscheinen zugesagt. Es war der Anfang von Heidecks Teestunden mit Lola, ein rasch zur Gewohnheit gewordener Brauch, die ihm schon bald, was er nicht ahnte, von gewissen Kreisen verübelt werden sollte.

Wie versprochen folgte also der General dem „Befehl Seiner Majestät“; wie angekündigt kam auch der König, und Lola machte, wie es sich gehörte, die Honneurs. Zu Heidecks Wohlbehagen blieb man unter sich, ein gepflegtes Trio, und zu seiner Erleichterung brauchte er sich auch nicht die Zunge an spanischen Sprachbrocken zu brechen, denn man war übereinkommen, seinetwegen Französisch zu parlieren. Im Laufe der Unterhaltung seufzte Lola darüber, welche Schwierigkeiten sie mit den verschiedenen Währungen habe. Wenn sie versuche, eine Rechnung in deutschen Gulden und Kreuzern umzurechnen in französische Francs, dann kämen immer so hohe Summen heraus.

„Ja“, sagte der König besorgt, „die gute Lola weiß mit Geld nicht umzugehen, und ich fürchte, dass sie bei der bevorstehenden Einrichtung ihres Hauses tüchtig betrogen wird. Deshalb möchte ich Sie“, fuhr er zu Heideck gewandt fort, „um die Gefälligkeit bitten, die Rechnungen für ihre Möbel und den sonstigen Hausrat durchzusehen, damit sie nicht allzu arg übers Ohr gehauen wird.“

„Gern“, antwortete der General bereitwillig, sah er doch darin die Möglichkeit, auch weiterhin in der Gunst seines Königs zu bleiben. Welche Ausmaße diese Gefälligkeit nehmen würde, ahnte er damals noch nicht und noch weniger, dass er sich damit auch all die Unannehmlichkeiten aufhalste, wie sie nun einmal das Amt eines Finanzministers mit sich bringt, erst recht des Finanzministers von Señorita Maria Dolores de Porris y Montez. Wenn man ein Haus einrichten will, muss man erst mal ein Haus haben, dachte ein so strategischer Kopf wie Heideck, und da es sich hierbei keineswegs um mein Haus handeln kann, kommt nur ein anderes in Betracht. Doch welches? Wie groß ist es? Und was wird wohl seine Einrichtung verschlingen? Kaum gedacht, fragte er auch gleich drauflos und erfuhr, dass es sich um ein Haus in der Barerstraße handelte, aus dem ehemaligen Besitz der Gräfin Wahl, gleich in der Nachbarschaft vom Hofmaler Stieler.

Ein guter Kauf, dachte Heideck. Oft schon war er an dem einstöckigen palastartigen Gebäude in der Barerstraße 7 nahe dem Karolinenplatz vorbeigekommen, ein kleines, aber elegantes Stadtpalais mit einer fast quadratischen Fassade. Zwei Reihen mit fünf hohen Fenstern, erinnerte er sich, und ein kleiner Gitterbalkon an der Vorderfront, er sah es genau vor sich. Das dazugehörige große Stück Land zu beiden Seiten dehnte sich noch weit hinter dem Haus aus. An welchen Betrag, in etwa natürlich, Mademoiselle für die Einrichtung gedacht habe? erkundigte er sich.

“Vierzig- bis fünfundvierzigtausend Francs“, kam es wie aus der Pistole geschossen.

„Nun“, meinte er, ohne mit der Wimper zu zucken, „dafür kann man das Häuschen schon glänzend einrichten. Ich will Ihnen hierzu gern eine Überschlagsrechnung machen.“

„Ja, tun Sie das, lieber Heideck“, sagte der König und fügte, zu Lola gewandt, hinzu: „Der kann Sie bestens beraten, denn wie Sie ja selbst gesehen haben, hat er sein eigenes Haus recht geschmackvoll eingerichtet.“

Sie lächelte liebenswürdig und nickte zur Bestätigung, dachte aber, sein Geschmack ist nicht mein Geschmack, und in mein Haus kommt nur das rein, was ich reinhaben will.

Wie im Flug war die Zeit vergangen, es gab aber auch so viel zu erzählen, mehr als man unter Wahrung des strengsten Anstands in den zweieinhalb Stunden bis halb neun Uhr bewältigen konnte, als sich Seine Majestät erhob und mit dem neuernannten „Finanzminister“ der königlichen Mätresse in spe oder schon realiter, er war sich noch nicht sicher, die Suite im Goldenen Hirschen verließ.

Die Dame mit der Peitsche

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