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Zu einer weiteren Teestunde in Heidecks Haus, die er auf Ludwigs Anweisung hin ausgerichtet hatte, waren auch der Obersthofmeister Graf Carl von Rechberg und der Finanzminister Graf Carl August von Seinsheim eingeladen worden. Da der König selbst und Lola noch nicht erschienen waren, nutzte Heideck die Wartezeit, den beiden Besuchern seine Ansichten über das ungewöhnliche und vielfach Anstoß erregende Verhältnis des Monarchen zu erläutern: Es sei wirklich höchst unklug, Seiner Majestät Vorhaltungen zu machen, sich ihm gar schroff und trotzig in den Weg zu stellen, eine Meinung, die er schon anderweitig wiederholt geäußert hatte. Denn was wären die unausbleiblichen Folgen? Bei seinem bekannten Charakter würde er nur desto hartnäckiger in seiner Leidenschaft, und die Konsequenzen wären höchst traurig. Reize man dagegen den König nicht, dann dürfte sich bei seinem hellen Verstand diese, taktvoll ausgedrückt, Phantasie, keine tiefen Wurzeln schlagen, sondern sich nach und nach im Sand verlaufen, wie schon so manche andere zuvor.

Genau das war auch die Ansicht der beiden anderen Herren. Seine Majestät werde es bald satt bekommen, mit einer so leidenschaftlichen Person zu verkehren, die ihm durch ihre Tollheiten den Umgang mit ihr selbst verleiden werde. Sie habe ihm ja jetzt schon genug Verdrießlichkeit bereitet, Unannehmlichkeiten, die ihm gar nicht passten. Wenn man ihm Vorwürfe mache, verletze man seinen Eigenwillen. Mit anderen Worten: Er setze aus Trotz einen Umgang fort, den er ungereizt durch Widerspruch bald von selbst aufgeben werde.

Seine Befürchtungen seien keineswegs aus der Luft gegriffen, fuhr Heideck fort, denn angesichts des breiten Widerstands habe er schon die ersten Anzeichen einer gewissen Starrköpfigkeit bei Seiner Majestät erkennen müssen. In einem ernsten Gespräch von Mann zu Mann habe er sich bei ihm beklagt, er könne nicht verstehen, warum die Leute ihn und Lolitta, wie er sie nannte, nicht in Ruhe ließen. „Widme ich als Herrscher nicht den größten Teil meiner Zeit und Gedanken, all meine Energie allein meinem Land, das auch das Land dieser Leute ist, um es gut zu regieren?“, so ungefähr habe er gesprochen. „Ist denn niemand bereit, mir Frieden zu gönnen in einer privaten Beziehung und, wie ich betonen möchte, noch dazu in einer unschuldigen Beziehung, die mich zu einem besseren Regenten macht? Sagen Sie selbst, Heideck, wenn ich nicht Ludwig von Wittelsbach wäre, sondern ein einfacher Bürger und Müller oder Moser hieße, würde dann überhaupt jemand auch nur einen einzigen Gedanken über die ganze Sache verschwenden?“

Darin habe er allerdings Recht, meinte Graf Seinsheim, höchstens ein paar Nachbarn zerrissen sich die Mäuler, wenn einer von ihnen fremdgehe.

Aber er gehe nicht fremd, wenigstens nicht mit dieser Spanierin, fiel der General ein, übrigens ein derbes Wort für eine Herzensangelegenheit.

Sofern es sich wirklich um eine Herzensangelegenheit handle und nicht nur um die Befriedigung sinnlicher Triebe, wandte Graf Rechberg ein.

Sooft er bei Seiner Majestät auch vorfahre, erklärte Heideck, so oft bleibe Lola Montez das Thema, und erst neulich habe der König, ganz aus freien Stücken, von einem rein platonischen Verhältnis gesprochen. Was ihn selbst betreffe, er glaube ihm, denn wenn man ihn genau betrachte, so ließen sich keinerlei Spuren von den Folgen eines sinnlichen Genusses im Bett der heißblütigen Spanierin entdecken.

Die beiden Herren konnten sich ein vielsagendes Lächeln nicht verkneifen. Wer hängt schon freiwillig seine sinnlichen Genüsse außerhalb der Ehe an die große Glocke, dachten sie aus eigener Erfahrung, erzählen kann der König seinem alten Freund vieles. Ein Kavalier genießt und schweigt, eine alte Lebensweisheit, die Seine Majestät wohl sicherlich nicht zuletzt mit Rücksicht auf seine Gemahlin befolgte, obwohl die Königin, wie allgemein bekannt, bei ihrem leicht entflammbaren Gemahl schon einiges gewohnt war. Wie dem auch sei, keiner von ihnen hatte Seine Majestät bei solchen sinnlichen Genüssen mit seiner Lolitta ertappt, und was nicht bewiesen, war auch nicht existent.

Ihr Gedankenaustausch fand ein rasches Ende, als der König mit seiner Muse eintraf. Andere Themen standen nun im Mittelpunkt der Unterhaltung, es sollte ja eine vergnügliche Geselligkeit an diesem Abend sein. Doch zu vorgerückter Stunde, keiner wusste nachher so recht, wie es begonnen, eiferte die Spanierin gewaltig gegen den Regierungspräsidenten Hörmann, der einige ihrer Günstlinge verletzt haben sollte, was sie geschickt als Opposition dieses Beamten gegen die Wünsche des Königs auslegte. Wie Heideck, der als Gastgeber mit den Honneurs in Anspruch genommen war und mal hierhin, mal dorthin ging, nur mit halbem Ohr mitbekam, lenkte Lola unvermittelt das Gespräch auf die Loge des sardinischen Botschafters im Hoftheater, in der es immer so unruhig zugehe, dass sie sich in ihrer eigenen benachbarten Loge auf unerträgliche Weise gestört fühle, wodurch ihr der Kunstgenuss auf der Bühne verleidet werde: eine Impertinenz, die sie sich auf keinen Fall noch länger bieten lasse. Sie werde demnächst gegen das unverschämte Treiben mit einem solchen Paukenschlag vorgehen, dass die ganze ungehobelte sardinische Sippschaft wie ein begossener Pudel dastehe.

Sobald der König am späten Abend das Haus seines Freundes verlassen hatte und gleich danach auch die Spanierin, steckten die drei noch zurückgebliebenen Herren die Köpfe zusammen: Nicht auszudenken der Skandal! Sie mussten diese Szene mit der Pallavicinischen Loge unbedingt zu verhindern suchen, um Seiner Majestät die größten Unannehmlichkeiten zu ersparen. Aber wie bei dem heftigen Wesen der Spanierin, die so unberechenbar war, um nicht zu sagen: unbezähmbar? Was hatte sie nur vor? Sie werde doch hoffentlich nicht den sardinischen Gesandten in aller Öffentlichkeit ohrfeigen wie neulich den Leutnant, weil er sie angeblich mit dem Opernglas so unverschämt gemustert habe, äußerte Graf Seinsheim besorgt.

Nein, nein, geohrfeigt habe sie ihn nicht, wandte Heideck ein, wenn sie auch sonst mit Ohrfeigen nicht gerade sparsam umgehe, wie man höre. Sie habe nur dafür gesorgt, dass er prompt ein Verfahren an den Hals bekam.

Statt sich über eine fremde Loge zu erregen, solle sie erst mal den Dreck vor der eigenen Tür kehren, warf Graf Rechberg ein, womit er ihre eigene Loge meinte, die sozusagen zum trüben Quell ständigen Ärgernisses geworden sei. So gern die Señorita auch auffalle, mit ihrer rauschenden Robe, mit ihren funkelnden Juwelen - die Art und Weise, wie man sie im Theater fixiere, mit bloßem Auge oder durchs Opernglas wie durch einen Feldstecher, behage ihr durchaus nicht immer, was sie oft genug durch ausfällige Blicke und Bemerkungen spüren lasse. Wer sich so herausfordernd in den Mittelpunkt dränge, dürfe sich nicht wundern, wenn andere die Nase rümpften.

„Kehren wir wieder zur Loge des sardinischen Botschafters zurück, denn nur um sie geht es hier“, sagte Heideck und bot sich an, gleich morgen zu ihr zu gehen und ihr ins Gewissen zu reden.

Die Montez zu beeinflussen und von der Schädlichkeit ihres Plans zu überzeugen war gar nicht so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte, denn sie war sich ihrer Macht über den König bewusst und hatte es in kürzester Zeit verstanden, ihre Position zu festigen. Im Hoftheater war ihr für jede Vorstellung ein Platz in den unteren Logen zugestanden worden, ein Vorrecht, von dem sie ausgiebig Gebrauch machte, um sich vor den neugierigen Blicken von Münchens Elite zur Schau zu stellen. Was ihr jedoch missfiel, war die Tatsache, dass der Hof und der Adel im Theater höher saßen und so buchstäblich auf sie herabsahen, was sie als Erniedrigung empfand. Sie wollte hoch hinauf und überredete daher ihren lieben Ludwig schon bald, ihr in der ersten Loge ganz auf der rechten Seite des privilegierten zweiten Rangs einen ständigen Sitz zu gewähren, den sie sogleich mit rotem Samt neu polstern ließ - und da war ihr jetzt das Treiben in der benachbarten Loge des sardinischen Botschafters übel aufgestoßen. Dieser unverschämte Marques Fabio de Pallavicini musste einen Denkzettel verpasst bekommen, das hatte er verdient, und wenn nicht durch sie, durch wen denn sonst! Der König habe ihr völlig Recht gegeben, beharrte sie, und deshalb bleibe sie bei ihrem Entschluss.

„Seine Majestät hat entweder Sie nicht verstanden oder Sie nicht ihn“, hielt der General ihr entgegen, „denn irgendeine Unart, um es mal so zu nennen, gegen Signor Pallavicini würde unweigerlich eine entsprechende, wenn nicht gar noch stärkere Erwiderung auslösen und mancherlei Ärger und Verdruss nach sich ziehen.“ Die Familie Pallavicini sei nämlich nicht allein vom König völlig unabhängig, sondern obendrein auch die Familie eines fremden Gesandten. Er dürfe doch wohl annehmen, dass sie dem König, der ihr mit so außerordentlicher Güte begegne, weder in diesem Fall noch sonst wie irgendwelche Verdrießlichkeit bereiten wolle. „Geben Sie mir daher Ihr Wort, die Pallavicinische Loge in Ruhe zu lassen.“

Wenn er es ihr so erkläre und sie so sehr darum bitte, sagte sie und gab ihm die Hand, „Sie haben mein Wort.“ Sie wolle ihrem geliebten Ludwig keine Schwierigkeiten machen. Und in der Tat, die Pallavicinische Loge blieb vom Attentat der Rachegöttin verschont - bis auf den heutigen Tag.

Die Gunst der Stunde beim Schopfe fassend, begann General Heideck der Dame die Leviten zu lesen über ihre Heftigkeit, mit der sie sich wiederholt bei vielen Münchenern so unbeliebt gemacht hatte. Die ganze Stadt spreche von Ihrer Wildheit, ja Wildheit, wiederholte er eindringlich, mit der sie gegen die sehr geachtete Modehändlerin Madame Schulze aufgetreten sei. Sie sei fremd hier, gewiss, aber Sie lebe jetzt in Deutschland, und in Deutschland gewinne man nur in dem Maße an Achtung, in dem man besonnen und höflich den anderen begegne und leidenschaftliche Temperamentsausbrüche zu vermeiden wisse Diese Manieren müsse sie sich umso mehr zu eigen machen, wenn sie angenehm und unangefochten in München leben wolle. Sie sei nun mal eine Ausländerin hier und durch die Aufmerksamkeit, die Seine Majestät ihr widme, dem Neid und öffentlichen Urteil ausgesetzt.

Sie schien schon ein ganzes Bündel von Einwänden auf der Zunge zu haben, kam aber nicht mehr dazu, ebenso wenig wie Heideck, der ihr gern noch weitere Lektionen erteilt hätte; denn in dieser Phase ihres Gesprächs trat Graf Taufkirchen in Lolas Suite ein. Dem General blieb nichts anderes übrig, als sich zurückzuziehen, ohne die Gardinenpredigt beendet zu haben.

Es drängte ihn jedoch, bei nächster Gelegenheit dem König von den Versuchen zu berichten, auf Lola mäßigend einzuwirken. Um nicht missverstanden zu werden, er wolle wirklich nur das Beste, und deshalb müsse sich die Dame mehr beherrschen, wenn sie sich in München halten wolle.

Er wisse von dem Widerstand gegen sie, aber das habe alles mit Eifersucht, Neid und Fremdenhass zu tun, und wohl auch mit ihrer etwas abrupten Art, versuchte der König sie zu entschuldigen. Wenn er sich mit Graf Rechberg in dieser Richtung weiterhin bemühen wolle, wäre er ihm dankbar.

Heideck merkte sehr wohl, dass den König, seinen mit sechzig Jahren sogar noch etwas älteren Freund, noch einmal das Fieber der Liebe gepackt hatte, und er glaubte, seine Liebe werde erwidert, obwohl seine Lolitta im gleichen Jahr geboren war wie sein siebtes Kind, jedenfalls hatte sie ihm das erzählt. Er ist zu sehr in ihren Bann gezogen, um zu sehen, was tatsächlich ringsum geschieht, dachte der General und hielt weiter an seiner Taktik fest: Man muss den König unangefochten gewähren lassen, dann wird die Geschichte bald ihr Ende finden - und wenn nicht, dann eben nicht.

Die Dame mit der Peitsche

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