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Ein Herz und eine Krone Amors Pfeil 1

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„Ich liebe Spanien, seine Sprache und ganz besonders die Spanierinnen!“, rief Ludwig I. mit erhobener Stimme bei einem Abendessen mit der Kaiserin Eugénie aus, einer geborenen Gräfin de Montijo und seit Jahren Gattin Napoleons III. „Ah, die Spanierinnen, von denen verstehe ich etwas,“ fügte er, ein Greis, mit dem schwärmerischen Überschwang eines Jünglings verklärt hinzu. „Eine hat mich meine Krone gekostet!“

Die Kaiserin und die übrigen Gäste vergruben ihr Gesicht, dem Lachkrampf nahe, in ihre Servietten, und ein ergrauter Herr konnte gerade noch mit hochrotem Kopf den unverzeihlichen Fauxpas verhindern, den Schluck Wein, den er soeben zu sich genommen, seiner Nachbarin aufs Dekolleté zu prusten. Ist er denn immer noch nicht zu Verstand gekommen, dachte der Kavalier alter Schule, oder hat er ihn schon wieder verloren? Will er sich noch immer nicht eingestehen, dass er sich selbst eine Illusion vorgegaukelt hat? Ganz Europa, ja die ganze Welt weiß doch längst, dass die bewusste spanische Dame, auf die der sich selbst preisende Frauenkenner anspielt, zwar ihre ins Auge, besonders der Männer, fallenden Vorzüge besessen hat, jedoch mit ihrem fehlerhaften Spanisch nie und nimmer eine echte Spanierin war - so wenig wie ein Ochs ein Esel ist.

Für Ludwig hingegen, den abgedankten bayerischen Potentaten, aber immer noch sich in Gedichten ergießenden Poeten, galt nach wie vor:

„Sehen will ich und schwärmen und träumen,

Phantasie nur befriedigt, entzückt.“


Die Leidenschaft für die verflossene Geliebte, seine spanische Muse, war nicht erloschen, sondern flammte immer wieder von neuem auf, wenn er sich ihrer erinnerte, und das geschah nicht selten, jetzt, in den kalten Wintertagen seines Lebens. Sechs Jahre war es nun schon her, seit sie in New York gestorben, und gar einundzwanzig seit ihrer ersten Begegnung in der Münchener Residenz des Königs: eine lange Zeit, in der sich viel ereignet hatte, besonders in dem abenteuerlichen Leben der angebeteten Lola, am aufregendsten aber wohl in den stürmischen anderthalb Jahren ihres Gastspiels in der bayerischen Hauptstadt.


Es war in den ersten Oktobertagen 1846 gewesen, ein Donnerstagmorgen, als sich Lola Montez ein schwarzes Samtkleid anzog, das den Glanz ihres Haares wie auch die verlockenden Kurven ihres Körpers noch stärker betonte und ihre zarte Haut, der Mode entsprechend, noch blasser erscheinen ließ. Von ihrem Hotel aus, dem Bayerischen Hof am Promenadeplatz, dem besten Gasthof in München, wo sie seit drei Tagen wohnte, hätte sie bequem die wenigen Häuserreihen entlang zu Fuß zur Residenz gehen können, doch wenn man schon die Ehre hatte, vom König empfangen zu werden, fuhr man natürlich im Wagen vor - und sei es auch nur in einer Mietdroschke. Vor den massiven Toren am Max-Joseph-Platz stieg die Dame in Schwarz aus und, von einem Lakaien begleitet, die große Treppe hinauf zu den königlichen Gemächern und dem Audienzsaal, wo Ludwig Graf von Lerchenfeld, der diensthabende Militäradjutant, ihr vom Freiherrn von Maltzahn ausgestelltes Empfehlungsschreiben entgegennahm und dem König vorlegte. In dem Fall wäre es eigentlich nicht nötig gewesen, denn Ludwigs Faible für schöne Frauen und noch dazu alles Spanische hätte ihr auch so leicht die Türen geöffnet wie ein Passepartout. Von seinem Theaterdirektor hatte er bereits erfahren, dass eine gewisse spanische Tänzerin bei ihm vorgesprochen und ihn ersucht hatte, ihre Kunst auch vor Seiner Majestät und dem erlesenen Münchener Publikum darbieten zu dürfen.

So rauschte sie dann ohne viel Federlesens vom Vorraum durch die hohe Tür hinein in den Audienzsaal, schwebend wie ein Blatt im Wind, während der Graf draußen vor bleiben musste. Was drinnen geschah, konnte er so natürlich nicht beobachten, wohl aber hören, dass gesprochen wurde, denn Ludwig I., von Geburt an schwerhörig, ein Leiden das sich im Alter noch verstärkt hatte, sprach so laut, dass es durch alle Wände schallte. Der König begrüßte seine betörende Besucherin nicht nur auf Spanisch, er führte auch die ganze Unterhaltung in der Sprache, die er bei seiner Vorliebe für dieses Land und seine Kunst erlernt hatte. Lerchenfeld hätte es also gar nicht nötig gehabt, sein Ohr an die Tür zu drücken, es wäre auch für die Katz gewesen, denn kein vertrauter deutscher Laut drang über ihrer beider Lippen, nein, was er aufschnappte, kam ihm alles spanisch vor und blieb ihm daher ein Buch mit sieben Siegeln. Nicht spanisch kam ihm indes vor, dass die Unterhaltung eine ganze Weile andauerte, ein nur hin und wieder durch königliches Stottern unterbrochenes, endloses Wortgeplätscher, viel länger als sonst bei einer Privataudienz, geradezu privatissimo-delikatissimo, was aber bei einem so leicht entflammbaren Frauenverkoster wie Ludwig und einem so hinreißenden Frauenzimmer wie diese Lola Montez eigentlich nicht verwunderlich war.

Noch weniger verwunderlich war es, dass bald schon ein Gerücht die Runde machte, wie übrigens immer, wenn Pikantes die Neugier weckt und kein Zeuge sie befriedigen kann: Ludwig, in dem Fall wohl mehr Mann als König, habe über die Maßen und alle gesellschaftliche Etikette hinweg mit Stielaugen Lolas wohlgeformten Busen abgetastet und sie schließlich, da er zu keinem Ergebnis gekommen sei, was sich da wirklich unter ihrem Korsett verberge, statt durch die Blume einfach rundheraus gefragt: „Natur oder Kunst?“

Lolas Antwort sei eindeutig gewesen, wiewohl die Gerüchteküche gleich drei im Detail verschiedene Versionen lieferte. Entrüstet habe sie - Variante eins - zum Brieföffner auf dem mit Akten überhäuften Sekretär Seiner Majestät gegriffen - Variante zwei - zu einer Schere auf dem gleichen Möbelstück - und Variante drei - zu ihrem Dolch, den sie stets im Strumpfband bei sich trage, und - ritsch, ratsch! - das Mieder ihres Samtkleids vom Hals bis zum Gürtel aufgeschlitzt und so dem entgeisterten Monarchen unmissverständlich vor Augen geführt, dass sie, obwohl Künstlerin, in dieser Beziehung keiner Kunst huldige. Wie diese prächtig gediehenen Gaben der Natur beschaffen waren, darüber gab es, wen wundert’s, weitaus mehr als nur drei Versionen, die Phantasie des Erzählers wurde durch keine Grenzen beschränkt. So schwelgte einer gar, ein Romancier, in der Vorstellung, die schwellenden Brüste seien hurtig aus der Kleiderhülle gesprungen und Ludwig habe nichts anderes mehr gesehen als zwei unberührte Äpfel, die in einem Milchmeer zitternd schwammen.

Wie die spanische Tänzerin mit aufgeschlitztem Mieder den Audienzsaal verlassen habe, vorbei an Graf von Lerchenfeld und den Lakaien, und schließlich barbusig ins Hotel zurückgekehrt sei, darüber wusste kein Gerücht etwas zu berichten.

In Wirklichkeit hätte der König solcher nackten Tatsachen gar nicht bedurft, sein Kennerblick hatte schon gleich zu Beginn bei Lolas Hofknicks die schwarze Samthülle ihres Mieders fachmännisch durchbohrt und den wahren Schatz dahinter in vollem Umfang genossen.

Die Reize der wie vom Himmel hereingeschneiten Tänzerin, noch dazu einer feurigen Spanierin, hatten Ludwig überwältigt. Lola Montez musste - kein Zweifel! - in München tanzen - für ihn und alle, die wie er eine Ader für Tanzkunst besaßen. Mit dieser königlichen Zusage hatte sie den Zweck ihrer Privataudienz erreicht - vorerst wenigstens. Vielleicht würde sich daraus ja noch mehr ergeben, ihr waren schon viele andere Männer ins Garn gegangen.

Aber auch der Bayernkönig durfte mit dem Ergebnis des Besuchs an diesem späten Vormittag hochzufrieden sein, hatte ihn doch Amors Pfeil getroffen - mitten hinein in sein sechzigjähriges Herz.

„Ich kann mich mit dem Vesuv vergleichen, der für immer erloschen galt, bis er plötzlich wieder ausbrach“, wie er wenig später, als er noch stärker vom Bann seiner „Südländerin“ gefesselt war, seinem guten alten Freund, Freiherrn von der Tann, seine Gemütslage beschrieb. „Ich glaubte, ich könnte nicht mehr der Liebe Leidenschaften fühlen, hielt mein Herz für ausgebrannt. Aber nicht ein Mann mit vierzig Jahren, wie ein Jüngling von zwanzig, ja, comme un amoureux des quinze ans erfasste mich Leidenschaft wie nie zuvor. Esslust und Schlaf verlor ich zum Teil, fiebrig heiß wallte mein Blut. In des Himmels Höhen hob es mich, meine Gedanken wurden reiner, ich wurde besser. Ich war glücklich, ich bin glücklich. Einen neuen Schwung hat mein Leben bekommen, jung bin ich wieder geworden, freudig sieht mich die Welt an.“

Sah ihn die Welt wirklich so freudig an - oder bildete er es sich nur ein, weil er es gern so sehen wollte?

Die Dame mit der Peitsche

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