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Fahndung nach den Deserteuren

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Es war dunkel geworden. Eckart sah durchs Fenster und sah ein Fahrzeug mit aufgeblendetem Licht auf den Hof zu kommen. “Was wollen die denn?”. Die Frage schwebte über dem Tisch und versetzte alle in Alarmbereitschaft. “Wir müssen uns verstecken, die werden nach uns suchen”, rief Klaus. “Lauft in den Gemüsegarten und versteckt euch hinter dem Holzstapel neben dem Plumpsklo!”, sagte Eckart. Klaus und Heinz liefen an der Waschküche vorbei nach draußen und duckten sich hinter den Holzstapel. Eckart eilte in die Scheune, wo er das Motorrad hinter Strohballen und Mehlsäcken versteckt hatte, schlug mit dem Hammer das Kennzeichen mit der Nummer ab, ließ die Luft aus den Reifen, drehte die Zündkerze raus, versetzte dem Krad heftige Hammerschläge, wobei einige Speichen rausgeschlagen wurden und warf einen halben Sack Streu vom letzten Dreschen darüber. Von der Scheune eilte er zum Schweinestall, wo er das abgeschlagene Nummernschild unter die nasse und kotschwere Strohdecke schob. Er rieb sich die beschmierte Hand in einem Lumpenstück ab, ging über den Hof, um das Scheunentor zu schließen, als das Fahrzeug vor der Hofeinfahrt anhielt, dessen aufgeblendetes Licht den Hof bis in die Winkel ausleuchtete. Aus dem Fahrzeug stiegen zwei Männer, die “Heil Hitler” in den Abend schrien, als Eckart, das Böse ahnend, auf sie zuging und fragte, ob er ihnen helfen könne.

Sie standen vor dem Fahrzeug. Im grellen Licht erkannte Eckart beim einen die SS-, beim andern die Wehrmachtsuniform. Die beiden in den unterschiedlichen Uniformen waren junge Männer, die offenbar noch an den Endsieg glaubten, denn sie sprachen resolut und hart. “Haben Sie einen Soldaten mit einem Motorrad auf ihrem Hof?”, fragte der in der SS-Uniform und fummelte dabei an seiner Pistolentasche rum. “Näh, damit kann ich ihnen nicht helfen”, antwortete Eckart. “Sind Sie der Besitzer des Hofes?” “Ich bin der Sohn. Die Besitzerin sitzt in der Küche.” “Können wir mit ihr sprechen?” “Natürlich können sie das. Folgen sie mir!” Eckart kam mit den beiden in die Küche, wo Marga Dorfbrunner und die drei Breslauer Dorfbrunners saßen, die den Eintretenden erstaunt entgegensahen.

“Heil Hitler! Wir suchen einen Deserteur, der sich mit dem Motorrad von der Truppe abgesetzt hat. Ist dieser Kerl bei ihnen auf dem Hof?” “Wie kommen sie darauf?”, fragte Bäuerin Dorfbrunner resolut zurück, worauf die beiden in Uniform nicht weniger bestimmt sagten, dass sie einer Spur folgten, die bis kurz vor den Hof ging und dort, wo sie aufhörte, weder nach rechts noch nach links weiterging. Bäuerin Dorfbrunner bewies den Mut zur Vereidigung, wie er Müttern eigen ist, die ihr Kind noch dann verteidigen, wenn es etwas angestellt hatte, wofür es die Strafe verdiente. “Sind sie sicher, dass sie der richtigen Spur folgen?”, fragte sie mit einer Stimme, die über dem Zweifel des Verdachts stand. “Wir sind uns sicher”, sagte der SS-Mann, “dass wir auf der richtigen Spur sind, zumal wir den Hinweis bekommen haben, dass am Abend des gestrigen Tages ein Motorrad gesehen wurde, dass in Richtung dieses Hofes fuhr.” Bäuerin Dorfbrunner parierte wie ein Fechter: “Gestern war es dunkel und diesig; ich konnte keine zehn Meter weit sehen. Wie können sie dann sagen, dass bei der schlechten Sicht jemand gesehen haben will, dass ein Motorrad in Richtung dieses Hofes fuhr?” Die Uniformierten sahen, dass sie so nicht weiterkamen. “Wir haben den Befehl, ihr Haus und ihren Hof zu durchsuchen”, sagten sie kurz entschlossen. “Dann geht mal an die Arbeit. Ich werde mich in der Zwischenzeit mit dem Obersturmführer Dorfbrunner in Verbindung setzen.

Die beiden fuhren ihr Fahrzeug in den Hof und drehten es in Hofmitte nach rechts auf das Scheunentor zu. Die Lampen blieben aufgeblendet. Eckart erhielt vom SS-Mann den Befehl, das Scheunentor weit zurückzuschieben. Nun leuchteten die Fahrzeuglampen hell in die Scheune, dass man drei Mäuse im Lichtkegel sah, die wie gelähmt mit ihren roten Augen in die Lampen blickten und dann doch zu den Seiten weghuschten. Mit hellen Taschenlampen durchsuchten sie die Scheune, schoben die Mehlsäcke und Strohballen zur Seite und fanden das Motorrad. Während der Soldat in der Wehrmachtsuniform das Krad von vorn und hinten und von den Seite ableuchtete, fragte der SS-Mann, wie lange das Zweirad in der Scheune stände. Eckart zeigte sich von der starken Seite: “Genau kann ich ihnen das nicht sagen, aber einige Jahre sind es schon.” Der Soldat in der Uniform der Wehrmacht bestätigte diese Angabe, als er sagte, dass der Zylinder keine Zündkerze habe, die Reifen ohne Luft und etliche Speichen aus den Rädern rausgebrochen seien. “Wie ist das Krad hierher gekommen?”, fragte sichtlich enttäuscht der SS-Mann, der sich dem Erfolg schon nahe glaubte. “Das weiß ich nicht. Mein verstorbener Vater hat es irgendwo aufgelesen und in die Scheune gebracht”, sagte Eckart, ohne mit der Wimper zu zucken.

Die Stimmung der Uniformierten wurde gereizt. Sie leuchteten mit ihren Taschenlampen die Seiten und Winkel der Scheune ab und richteten dann das Licht gegen das Dach und die beiden Schober. Der Soldat stand auf den unteren Sprossen der Leiter, die an den Schober angelegt war, als Wilhelm Theisen in die Scheune kam und dem SS-Mann sagte, dass ihn der Obersturmführer sprechen wolle. “Warte!”, sagte er zum Soldaten, “bis ich zurück bin” und folgte Wilhelm zum Telefon. Wilhelm Theisen hatte einen Sperrkeil unter die Tür geschoben, damit der SS-Mann beim Telefonieren die Tür nicht schließen konnte. Bäuerin Dorfbrunner und die drei Breslauer saßen am Tisch, zu denen sich auch Wilhelm Theisen setzte, um das Telefongespräch des SS-Mannes mit seinem Standortvorgesetzten zu verfolgen. Eckart blieb in der Scheune und beaufsichtigte den Soldaten, damit dieser keine unerlaubten Nachforschungen anstellte. Das Telefonat zwischen Untersturmführer (U) und Obersturmführer (O) lief etwa so ab:

(U): Untersturmführer Hartkopf. Heil Hitler! Obersturmführer.

(O): Heil Hitler!, Hartkopf. Was suchen Sie auf dem Bauernhof Dorfbrunner in Pommritz ?

(U): Ich habe Befehl, nach dem Deserteur Schwarz zu suchen, der sich gestern von der Truppe abgesetzt hat und mit einem Motorrad abgehauen ist.

(O): Wer hat ihnen den Befehl gegeben?

(U): Gruppenführer Specht, Obersturmführer.

(O): Das ist ja allerhand. Ein Deserteur auf dem Familienhof der Dorfbrunners!

(U): Wenn Obersturmführer mir die Bemerkung erlaubt: wir haben eine Spur verfolgt, die vor dem Hof in Pommritz endet. Dazu haben wir einen Hinweis bekommen, dass am Abend des gestrigen Tages ein Krad gesehen wurde, dass in diese Richtung fuhr.

(O): Hartkopf! Sind Sie schwerhörig oder von allen guten Geistern verlassen ? Ich habe doch klipp und klar gesagt, dass sich auf dem Hof der Dorfbrunners kein Deserteur versteckt. Haben Sie das verstanden oder nicht?

(U): Obersturmführer, das habe ich verstanden.

(O): So machen Sie dalli, dass Sie von dem Hof runterkommen! Sind Sie denn noch ganz bei Troste? Wiederholen Sie meinen Befehl!

(U): Obersturmführer hat gesagt, dass ich dalli machen soll, von dem Hof runterzukommen, und hat dazu die Frage gestellt, ob ich noch ganz bei Troste sei.

(O): Untersturmführer ! Haben Sie denn nicht mehr alle Tassen im Schrank?! Ich habe es nicht gesagt, ich habe es ihnen befohlen! Wiederholen Sie!

(U): Obersturmführer hat die Frage gestellt, ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe. [Das löste nun doch ein Schmunzeln bei den am Tisch Sitzenden aus, wieweit der gedrillte Gehorsam den Menschen auf den Hund gebracht hat.] Er hat gesagt, dass er das Dalli-machen vom Hof runter nicht gesagt, sondern befohlen hat.

(O): Manchmal zweifle ich an ihrem Verstand. Verdammt nochmal, wo sind wir denn! [Diese Ist-Frage war auch für die Mithörenden von größter Bedeutung. Machte sich zu dieser Frage doch jeder seine Meinung, ohne sie auszusprechen.] Ich werde die Disziplin bei ihnen noch reinbringen, und wenn ich sie reinprügeln lassen muss. Melden Sie sich morgen auf der Kommandantur. Heil Hitler!

(U): Heil Hitler! Obersturmführer.


Der SS-Mann knallte beim letzten “Heil Hitler” die Hacken zusammen, legte den Hörer vorsichtig auf, sagte deutlich mitgenommen und mit blassem Gesicht der Bäuerin Dorfbrunner, dass sich die Sache erledigt hätte. Er zog wie ein nasser Pudel von dannen, in Richtung Scheune, rief den Soldaten aus der Scheune und sagte ihm, dass sich die Sache erledigt und er von höchster Stelle den Befehl erhalten habe, schleunigst den Hof zu verlassen. So hatte es Eckart gehört, der sich eins in Fäustchen lachte, als er dem wegfahrenden Fahrzeug nachschaute und hinter ihm die Einfahrt schloss und verriegelte. Dann ging er zum Plumpsklo und pfiff den beiden hinter dem Holzstapel die Entwarnung zu, die aus ihrem Versteck hervorkamen, der eine rechts, der andere links vom Stapel. Die drei kehrten erleichtert in die Küche zurück. Sie setzten sich zu den andern an den Tisch, wo Bäuerin Dorfbrunner allen eine heiße Tasse Getreidekaffee eingoss.

“Da sind wir aber gut weggekommen”, sagte sie beim Eingießen. Eckhard Hieronymus kommentierte nicht zu Unrecht, dass der Name Dorfbrunner Wunder vollbringe, wenn er bis in die Standortkommandantur in Bautzen reiche. Klaus machte sich zu diesem Kommentar seine kritischen Gedanken. Er fragte den Breslauer Pfarrer, wie das mit dem Wunder, dem Namen Dorfbrunner und der Standortkommandantur zu verstehen sei. Er befürchtete offenbar einen Hinterhalt. Eckhard Hieronymus sagte, dass er und Heinz nichts zu befürchten hätten, und erklärte ihnen, wie die drei Dinge zusammenhingen, die zum Vorteil und der Sicherheit der beiden waren. Klaus kombinierte die Dinge, die zum plötzlichen Abbruch der Suchaktion führten, auf seine Weise zusammen und drückte das Ergebnis so aus, dass man vor der SS sicher sein kann, wenn man einen Obersturmführer zum Verwandten hat.

Eckhard Hieronymus fand den Satz bemerkenswert. Er schaute zu Luise Agnes und Anna Friederike. Bei den dreien führte der Blickkontakt nach dem Resümee von Klaus zum gleichen Parallelgedanken, dass man erst tot und mit einem Totenschein versehen sein muss, um im Deutschland der Nazis leben zu können und nicht in einem Vernichtungslager ermordet zu werden. Es war Luisens Mutter, die Oma Hartmann als geborene Sara Elisa Kornblum. Sie wäre als Jüdin mit Sicherheit längst vergast worden, wenn sie nicht per Totenschein gestorben wäre, wozu dem Breslauer Superintendenten ein verständiger und mutiger Standesbeamte gegen die Absichten und Verordnungen der hakenkreuzigen Bürokratie mit dem mundvoll hysterischen Obertrommler und seinen nicht zählbaren Nachtrommlern über Germanentum und Judenhass verholfen hatte. Dieser Beamte, auch wenn er das Abzeichen mit den gekreuzten Haken auf der Brust seiner Dienstjacke sichtbar zu tragen hatte, war unter dem Abzeichen ein Mensch und Helfer in der Not geblieben, ein Ausnahmemensch in dem allgemein unmenschlichen System der gemeinen Verblendung und dümmsten Rachelust, der geisteskranken Freude an der Vernichtung besten deutschen Geistes und deutschen Künstlertums.


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