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Die Schlafgestalten, sie sind gesteint verewigt in den Schatten, die das Sein durch deine Zeit begleiten.

Die Ecksteine sind Tore mit den Brüchen und dem Rost, an die wir uns erinnern, dass einmal was gewesen war, von dem wir gestern sprachen.

Das mit dem Blut ist doch anders, das dem mit der Zukunft gehört, wo die Adern durchgängig sind, die sich weiter bilden, um den Strom des Kommens und Gehens im Fließen zu halten, ihn in jene Kanäle zu leiten, wo Herzen zum Schlagen angestoßen und miteinander verbunden werden, wo mit dem Herzschlag die Weisheit pulsiert.

So wird das Gebäude der Menschheit nicht fertig, jede Generation baut an ihrem Stock, und ein Hochhaus ragt in die Höhe, dessen jüngstes Stockwerk über den Wolken liegt, wo es sich verliert.


Die Limousine hatte sie zum Bahnhofsplatz zurückgebracht. Der SS-Mann öffnete die Hecktüren und half den Frauen beim Aussteigen. Dann holte er die Koffer aus dem Kofferraum und stellte sie nebeneinander links vor den Bahnhofseingang. Er nahm die militärische Haltung an, grüßte den Führergruß mit vorgestrecktem rechten Arm, nahm den Arm herunter, stieg in die Limousine und fuhr davon. Die Nachmittagssonne hatte die dünne Schneedecke vom Morgen weggeschmolzen. Droschken warteten mit kauenden Rössern aus vorgehängten Futtertaschen in einer Reihe auf die Fahrgäste. Vom gummibereiften Pferdewagen kam ein großer, junger Mann über den Platz auf sie zu und fragte, ob sie die Dorfbrunners aus Breslau seien, was Eckhard Hieronymus bejahte. Eckart gab jedem die Hand und begrüßte sie mit “Willkommen in Bautzen”. Er fragte, ob noch etwas in der Stadt zu erledigen sei. Als dies verneint wurde, gingen sie auf den Pferdewagen zu, Eckart Dorfbrunner mit zwei Koffern und Eckhard Hieronymus mit dem dritten Koffer.

Zwei Bänke standen auf offener Lade hintereinander. Bauer Eckart forderte die Breslauer auf, auf den Bänken ihre Plätze einzunehmen und half ihnen beim Aufsteigen. Hinter den Bänken wurden die drei Koffer verstaut. Die Breslauer saßen auf den Bänken hinter dem Kutscherbock, Luise Agnes und Anna Friederike auf der ersten und Eckhard Hieronymus auf der zweiten Bank. Eckart verteilte drei dunkelbraune Baumwolldecken. Jeder sollte sich für die Fahrt an dem kalten Januartag die Decke überhängen. Er selbst schwang sich auf den Wagen, setzte sich auf den Kutscherbock, legte sich eine Decke über die Beine, löste die Handbremse und gab dem Hengst das “Hü”-Kommando. So verließen sie die Stadt in Richtung Osten zum Stammhof der Dorfbrunners in Pommritz. Die Breslauer blickten über die schneebedeckte Landschaft, die unter der Frostdecke erstarrt war. Es war eine enge Landstraße, die zu beiden Seiten von Bäumen gesäumt war, in denen leichte Windstöße die feinen Astzweige zum Klirren brachten. Schwarze Krähen saßen auf Dächern und Telefonmasten und sägten laut und eintönig gegen den Winterschlaf der melancholisch versunkenen Natur an. Wie die Natur, so fühlten sich die drei Breslauer auf den Bänken, während Eckart auf dem Kutscherbock die Landschaft kannte, um etwas gegen die trübsinnige Starre des Bodens einwenden zu wollen. Er blickte geradeaus, hielt die Zügel locker in der rechten Hand und nannte die Höfe mit Namen, die rechts und links, weiter ab von der Straße gelegen waren, wobei er den Kopf nach rechts drehte und zu den Frauen auf der ersten Bank blickte. Wenige Autos fuhren, die alle auf den Holzvergaser umgestellt waren. Pferdewagen kamen entgegen, die Holz geladen hatten, und Menschen, die einen Sack mit Brennholz oder einen weniger vollen Sack mit Kartoffeln auf Lenkstangen alter Fahrräder transportierten. Alte Männer zogen mit Säcken beladene Leiterwagen hinter sich her. Die Fahrt von Bautzen nach Pommritz dauerte über eine Stunde. Es war der ungewohnte Alkoholgenuss beim reichlichen Essen, dass die Breslauer die Kälte weniger unangenehm empfunden hatten, als der Wagen schließlich in den dorfbrunnerschen Hof einfuhr.

Eckart sprang vom Wagen und half Luise Agnes und Eckhard Hieronymus beim Absteigen. Dann spannte er den braunen Hengst aus dem Geschirr und brachte ihn in den Stall. Die Bäuerin Marga Dorfbrunner kam mit vorgebundener grauer Schürze über der hellen Wollbluse und dem dunklen Rock aus dem Haus und begrüßte die Breslauer Dorfbrunners, während Anna Friederike auf dem Wagen die Wolldecken zusammenlegte. Marga Dorfbrunner hatte ihren Bruder Wilhelm Theisen, der einige Jahre älter war, mit aus dem Haus gebracht. Sie sagte bei der Begrüßung zu Eckhard Hieronymus: “Du bist also der Superintendent, wohl der einzige, den die Dorfbrunners hervorgebracht haben.” Eckhard Hieronymus erwiderte mit einem Lächeln, dass die Dorfbrunners praktisch ausgerichtete Menschen und Lehrer waren und er mit seinem Beruf da aus der Rolle gefallen sei. Nun lachten Marga Dorfbrunner und ihr Bruder.

Eckart machte die Stalltür zu, schob den Eisenriegel ins Schloss, kam auf den Wagen zu und half Anna Friederike herunter. “Hast du schon einen Beruf?”, fragte Witwe Dorfbrunner sie bei der Begrüßung. “Den habe ich noch nicht. Um ihn zu erlernen, reichte die Zeit nicht aus”, sagte Anna Friederike. “Kommt rein! Hier draußen frieren uns die Füße fest.” Bäuerin Dorfbrunner ging voraus durch den schmalen Eingang, der in eine dicke Mauer eingelassen war. Die Breslauer und Wilhelm Theisen folgten ihr in die Küche, während Eckart Dorfbrunner den Pferdewagen auf dem Hof drehte und rückwärts in die Scheune schob. Sie standen in der kleinen Küche mit den gekachelten Wänden unter der tiefen Decke mit dem dicken Querbalken. Im großen Herd knackte und knisterte das brennende Holz, dem ein angenehmer Geruch entstieg. Die Küche hatte zwei kleine Fenster, dass die Wärme gehalten wurde, die nach der über einstündigen Kutschenfahrt durch die Kälte der gefrorenen Landschaft ein wohliges Gefühl vermittelte.

“Setzt euch!”, sagte Bäuerin Dorfbrunner, als sie sah, dass ihr Sohn und Eckhard Hieronymus gebeugt standen. Sie setzten sich um einen alten Tisch auf die rechteckig gewinkelte Eckbank und rutschten zusammen. Eckart holte für sich noch einen Stuhl aus der ‘guten Stube’. “Es schneit!”, sagte Anna Friederike beim Blick durch das kleine Fenster und erhöhte mit ihrer Feststellung das Wohlgefühl der Menschen, in der warmen Küche. Marga Dorfbrunner setzte Tassen auf den Tisch und goss den frisch gebrühten Kaffee der Marke ‘Katreiner’ ein. Dazu stellte sie die Blechdose mit Zucker und ein Kännchen mit Milch. “Wann seid ihr gekommen?”, fragte sie die Breslauer, und Luise Agnes berichtete den Verlauf der Fahrt. “Ihr Armen!”, sagte Witwe Dorfbrunner dazwischen, wenn Luise Agnes mal der besseren Erinnerung wegen, mal um einen Schluck Kaffee zu trinken, eine kurze Pause machte. Als sie davon erzählte, wie Breslau verschandelt, die Straßen aufgerissen und Panzersperren errichtet, die Schaufenster verbrettert wurden, sprach die Bäuerin der einst stolzen Stadt und Perle an der Oder und den in ihr verbliebenen Menschen ihr tiefes Mitgefühl aus. Als sie dann von den Granateneinschlägen hörte, ließ sie dem Zornesausbruch freien Lauf: “Soweit ist es mit uns gekommen, dass wir unseres Lebens nicht mehr sicher sind. Wir haben einen großen Fehler gemacht, dass wir geschwiegen haben, als es Zeit zum Reden war. Man könnte heulen, wenn man sieht, was aus unserem Land geworden ist.” Ihr Bruder Wilhelm Theisen sagte, dass aus dem Dorf drei Männer gefallen und zwei Männer vermisst seien. Wilhelm Theisen meinte zur Lage: “Nun erwacht das Volk aus der Hypnose. Es wird die Wirklichkeit schmerzhaft empfinden. Ich fürchte, dass die Menschen schweigen und nicht zu den Fehlern stehen werden, wenn alles in Schutt und Asche liegt. Sie werden den Mut nicht haben, den Kindern zu erklären, wie das alles gekommen ist.”

Die Straße nach Weißwasser war vom Küchenfenster aus zu sehen. Wagenkolonnen der Wehrmacht fuhren in westlicher Richtung, begleitet von Krädern mit und ohne Beiwagen. “Der Rückzug ist in vollem Gange”, sagte Eckart, der Bauer: “Nun können wir uns selbst ausrechnen, wann die Russen hier sein werden, wenn sie vor zwei Tagen schon vor Breslau standen. Ich muss die Kartoffeln und Rüben von den Halden holen, bevor sie von den Panzern zerwalzt werden.” Witwe Dorfbrunner fragte den Breslauer Dorfbrunner, wie er auf Pommritz gekommen sei. Eckhard Hieronymus berichtete, dass sein Vater und Großvater ihm Geschichten aus dem Leben der Vorfahren erzählt und dabei den Hof Pommritz als die Wiege der Dorfbrunners genannt hätten. Sie sprachen von einem Gestüt, das es gegeben haben soll. “Ja die Pferde”, erwiderte Bäuerin Dorfbrunner: “Es gab hier ein Gestüt, in dem Vollblüter gezogen wurden, die ihren Weg bis zum Hof des Kurfürsten machten. Dann gab es vor etwa hundert Jahren die Pferdepest, an der das Gestüt zugrunde gegangen war.”

Vor Einbruch der Dunkelheit führten Bäuerin Dorfbrunner und ihr Sohn die Breslauer zur Scheune, um ihnen die Schlafplätze zu zeigen. Eckart schob das Scheunentor auf. Sie gingen am Pferdewagen, an einigen Getreide- und zwei vollen Mehlsäcken, am Kartoffelberg und an Kisten mit Äpfeln und grünen Birnen vorbei. Witwe Dorfbrunner stieg die Leiter zum Heuschober hoch, als würde sie es täglich tun, und zeigte den Breslauern die drei Schlafplätze, die mit je einer Matratze ausgelegt waren. Jede Matratze war mit einer Lake überzogen, auf der je zwei zusammengelegte Baumwolldecken lagen. “Geht das so?”, fragte sie die Breslauer. Eckhard Hieronymus und Luise Agnes sprachen mit einer Zunge und bedankten sich. “Dann zeig ich euch noch das andere.” Die Bäuerin stieg die Leiter herab und zeigte den Breslauern das Bretterhäuschen mit dem Plumpsklo hinter der Scheune zum Gemüsegarten hin und die Waschküche neben dem Kuhstall. In der Waschküche war ein großer Bottich, der mit kaltem Wasser aus dem Kran zu füllen war. Eine Blechkanne zum Füllen stand unter dem tropfenden Kran. “Für die Nacht gebe ich euch eine Petroleumlampe. Zündet sie draußen vor der Scheune an, damit das Heu kein Feuer fängt.” Nun holte Eckart die drei Koffer vom Wagen und brachte einen nach dem andern auf den Schober. “Wenn ihr wollt, könnt ihr euch jetzt frisch machen, bevor es dunkel wird. Es ist jetzt sechs. Um sieben gibt es Abendessen. Dann kommt in die Küche.”

Nach dieser Einführung verließ die Bäuerin die Scheune und ging ins Haus zurück. Die Breslauer öffneten ihre Koffer vor den Schlafstellen und holten die Waschutensilien, Zahnbürsten, Zahnpaste, Handtücher und die Trainingsanzüge heraus. Damit stiegen sie die Leiter runter und legten die Dinge auf der Ablage in der Waschküche ab. Nacheinander besuchten sie das Bretterhäuschen mit dem Plumpsklo. “Wie in alten Zeiten”, meinte Eckhard Hieronymus, als er vom Häuschen zurück in die Waschküche kam, die Hände unter dem Kran wusch, die Zähne putzte und mit der Kanne das kalte Wasser in den Bottich goss, sich auszog und in den Bottich stieg. Luise Agnes stand daneben, um zu sehen, wie das Waschen im Bottich geht. “Ist das Wasser nicht zu kalt?”, fragte sie im Hinblick auf ihr Waschen. “Ungewohnt ist es schon”, antwortete Eckhard Hieronymus mit klappernden Zähnen, “aber das werden wir auch noch lernen, uns mit kaltem Wasser zu waschen.” Luise Agnes wusch ihrem Mann den Rücken und rubbelte mit dem Lappen die Haut rot. Er stieg aus dem Bottich, trocknete sich ab, zog frische Unterwäsche und den Trainingsanzug an, leerte und säuberte den Bottich, spülte ihn mit zwei Kannen Wasser nach, steckte den Stöpsel auf und füllte den Bottich mit frischem Wasser. Luise Agnes kämpfte mit sich, doch dann setzte sie sich ins kalte Wasser. Sie seifte und wusch sich in größter Eile. Eckhard Hieronymus wusch ihr den Rücken. Sie sprang auf, stieg aus dem Bottich, rieb sich mit dem Handtuch kräftig die Haut und zog sich die frische Wäsche und den grauen Trainingsanzug an. Die Müdigkeit war bei beiden wie verflogen. Luise Agnes eilte zur Scheune und rief Anna Friederike, während Eckhard Hieronymus das Wasser ablaufen ließ, den Bottich säuberte und für Anna Friederike mit frischem Wasser füllte.

Eckhard Hieronymus hatte sich auf die Matratze gelegt und versuchte, sich dem neuen Milieu anzupassen. Er hatte sich mit einer Baumwolldecke zugedeckt und schaute gegen Bretterdach und Bretterwände der Scheune mit den vielen Löchern und Ritzen, durch die die frostige Januarluft nach drinnen zog. Die Scheunenluft hatte die tausend Gerüche vom Heu über den stumpfen Kartoffelgeruch, den öligen Gerüchen von altem Teer, abgestellten Benzinkanistern und anderen aliphatischen Gerüchen herumstehender Farb-, Schmier- und anderer Töpfe bis zum erfrischenden Geruch übereinander liegender Kiefern- und Tannenzweige, klein gehackter und aufgestapelter Holzscheite an der Wand neben dem Hackklotz hinter dem Scheunentor.

Luise Agnes und Anna Friederike kamen von der Waschküche in ihren Trainingsanzügen, kletterten die Leitersprossen zum Schober hoch und waren mit den Gedanken in einer anderen Welt, in der, das stand in ihren Augen so geschrieben, Breslau näher war als die Liegematratzen neben ihren Füßen auf dem Heuschober des dorfbrunnerschen Hofes im Dorf Pommritz in der Oberlausitz. Anna Friederike ließ sich auf ihre Matratze fallen. Im ausgestreckten Liegen sagte sie: “Tut das gut. Wenn es auch nicht das gewohnte Bett ist, es tut schon gut, sich der Länge nach zu entspannen.” Luise Agnes meinte, dass sie das Liegen auf der harten Matratze schneller lernen würde als das Waschen im Bottich mit dem kalten Wasser. “Da klappern einem ja die Zähne”, ergänzte Anna Friederike. Die drei lagen auf den Matratzen, als Bauer Eckart das Scheunentor öffnete, die Petroleumlampe auf den Hackklotz stellte und die Breslauer zum Abendessen rief. Die Breslauer fuhren mit dem Kamm durch ihre Haare, zogen sich die Pantoffeln über die Socken und kletterten die Leiter herab. Licht drang aus dem kleinen Küchenfenster, als die drei den Hof in ihren Trainingsanzügen überquerten. Eckart war noch im Pferdestall beschäftigt, wo er im trüben Licht der von Spinnweben umhängten Birne über dem Eingang das Stroh im Stall wendete. Er sprach mit dem braunen Hengst, der mit Schnauben, Scharren und Stampfen ungeduldig reagierte, als wollte er sagen, dass nur im besten Fall der Hof vor den Russen verschont bliebe. “Aber wenn die dich mitnehmen, dann bist du weg!”, sagte Eckart, wobei die Gabelenden über den Betonboden kratzten. Der Hengst drehte sich, und Eckart rief: “Was machst du, bleib doch stehn!”

“Kommt rein und setzt euch!”, rief Marga Dorfbrunner den Eintretenden zu. Die Breslauer verteilten sich auf der gewinkelten Sitzbank um den alten Tisch, der mit Suppen- und flachen Tellern gedeckt war. Den Tellern lagen alte Silberbestecke und gefaltete Tuchservietten seitlich an. “Ich mache uns eine Hühnerbrühe, die wird euch gut tun”, sagte sie. Nach dem kalten Bad im Bottich empfanden die Breslauer die Wärme in der Küche besonders angenehm. Das gute Gefühl, endlich im Warmen zu sitzen, wurde durch den Bouillongeruch gestärkt, der aus dem schwarzen Kochtopf dampfte. “Wovon habt ihr denn auf der Fahrt von Breslau nach Bautzen gelebt?”, fragte Marga Dorfbrunner, als sie den Topf vom Herd nahm und auf das dicke Holzbrett der seitlichen Anrichte stellte. “Wir haben Marmeladenschnitten und ein paar Äpfel mitgenommen. Die Äpfel hat uns der freundliche Nachbar aus seinem Garten mitgegeben”, sagte Luise Agnes. Marga Dorfbrunner schaute vom Herd kurz zum Tisch herüber: “Ihr seid doch zwei Tage unterwegs gewesen. Haben denn die Marmeladenbrote da gereicht?” Darauf meinte Luise Agnes, dass ihnen der Appetit soweit vergangen war, dass von den Marmeladenbroten noch einige übrig geblieben sind. “Na, das ist ja eine schöne Bescherung”, sagte Marga Dorfbrunner mit rotem Kopf, und der Schweiß rann ihr von der Stirn. Sie holte einige Eisenringe vom Herd und setzte eine große Pfanne über das Feuer. In die Pfanne warf sie Speckstücke und ließ sie zergehen. Es dampfte ein anregender Geruch aus der Pfanne, in die aus einer vollen Schüssel die Kartoffelscheiben hineingeschüttet wurden. Es knackte und knisterte in und unter der Pfanne. Mit dem großen Holzlöffel wurden die Kartoffelscheiben von unterst nach oberst gewendet. Langsam nahmen sie die Bratfarbe an und gaben einen herzhaften Duft. Die bratenden Kartoffeln wurden mit geschlagenen Eiern überzogen und das Ganze mit dem großen Rührlöffel vermengt. Während die Kartoffelscheiben in der Pfanne brieten, schüttete Marga Dorfbrunner die Bouillon in eine Terrine und stellte sie mit der Schöpfkelle auf den Tisch. “Nehmt euch von der Bouillon und fangt an, denn die Kartoffeln sind auch gleich fertig.”

“Wird hier vor dem Essen gebetet?”, fragte Eckhard Hieronymus. “Das könnt ihr halten, wie ihr wollt”, antwortete Eckart. Darauf sprach Eckhard Hieronymus das Tischgebet, in dem er dem barmherzigen Vater dankte, dass er ihnen den Weg nach Pommritz gewiesen hat, wo es gute Menschen gibt, die ihnen Unterkunft und zu essen geben. Möge der Vater diesen Menschen die guten Taten vergelten, möge er nahe bei den frierenden Menschen, den Müttern mit ihren Kindern sein, die bei der Kälte auf der Straße sind und weder eine Unterkunft noch eine warme Mahlzeit haben. “Wir Menschen können es nicht begreifen, was mit uns geschieht. Führe Du uns, die wir verführt worden sind, weil wir zu schwach waren und uns verführen ließen. Du, der Vater im Himmel, segne dieses Haus, seine Menschen und den Hof, segne die Speise und beschütze uns. Amen!”

Bäuerin Dorfbrunner hatte sich zum Tisch gedreht und im Stehen mit gebetet. Sie, ihr Sohn Eckart und ihr Bruder Wilhelm Theisen schlugen nach dem Gebet das Kreuz auf der Brust. Die Pommritzer waren katholisch und die Breslauer evangelisch nach dem Reformator Luther. Marga Dorfbrunner nahm die große Pfanne mit den herzhaft duftenden Bratkartoffeln vom Herd und setzte sie auf die dicke Holzplatte der Anrichte. Sie legte einige Eisenringe auf den Herd zurück und stellte den gefüllten Wasserkessel darauf. Dann schnitt sie einige Scheiben vom gebackenen Brot und stellte den Brotkorb auf den Tisch. Es war behaglich in der warmen Küche, und das Essen schmeckte vorzüglich. Eckhard Hieronymus nahm eine Brotscheibe und brach sie. Beim Schmecken des Bauernbrotes dachte er, dass schon dieses Brot eine Köstlichkeit sei.


Im Fluch der Zeit

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