Читать книгу Der singende Physiklehrer - Helmut Wolters - Страница 6
Uerdingen, den 24.2.1954
ОглавлениеZehn Jahre später. Mein Vater hatte den Krieg wie auch seine mehrere Monate währende Flucht aus dem Berliner Raum nach Deggendorf, körperlich unbeschadet und mit viel Glück überlebt. Er hatte sich seine alte Stelle als Leiter der Kassenärtztlichen Vereinigung Duisburg wieder erkämpft, so dass die Zeiten des Mangels an Essbarem und auch an Geld langsam zu Ende gingen. Die Lok des Wirtschaftswunders nahm Fahrt auf, ich kam in die Volksschule und nach vier Jahren ging es für mich darum, wie meine schulische Laufbahn weitergeht. Wenn ich gefragt worden wäre, hätte ich gesagt:” Ich bleibe auf der Volksschule und werde danach Schreiner.” Denn ich mochte den Geruch von Holz, hatte es mit Vergnügen in meinen Händen und bastelte oft damit.
Doch mein Vater hatte andere Pläne mit mir. Er war ganz klar der Chef der Familie, ein Patriarch alter Schule, der seine Familie mit strenger Hand führte, der - preußisch erzogen - zehn Jahre lang als Soldat diente und beide Weltkriege mit Glück überlebt hatte. Er wollte für mich seinen jüngsten Sohn eine akademische Ausbildung organisieren. Deshalb sollte ich auf das Gymnasium gehen und als Erster und Einziger der Familie Abitur machen. Diesem Ziel meines Vaters ordnete ich mich unter, wie es sich für einen gehorsamen Sohn, der ich ohne Zweifel war, gehörte.
Als Zehnjähriger stehe ich vor dem roten Backsteinbau, Lyzeum Uerdingen. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch gehe ich die Treppe hinauf und durch die quietschende Glastüre in eine große Eingangshalle. Es riecht nach Bohnerwachs. Anspannung ist in mir. Meine Gedanken kreisen um ein Thema: Hoffentlich packe ich die Prüfung. Werde ich es schaffen? Mein Volksschullehrer Dr. Abel glaubte an mich. Er riet meinen Eltern: „Melden sie den Jungen am Gymnasium an, der schafft das.“ Was wird mein Vater sagen, wenn ich es nicht schaffe?
Ich frage mich, wo er wohl sein mag, der Raum, in dem die Aufnahmeprüfung stattfinden soll. Keine Hinweisschilder, nichts. Doch da hinten sehe ich eine geöffnete Türe, da wird es sein. Ich gehe in den Raum hinein. Viele Schüler meines Alters ca. 60 an der Zahl sitzen dort an Einzeltischen und warten auf das Aufnahmeritual, das jedes Jahr hier abläuft. Nur die Besten eines Jahrganges sind eingeladen. Die anderen landen auf der Volksschule, wie diese Schulform damals hieß.
Ein Lehrer raunzt mich unfreundlich an:“ Steh nicht so rum, setz dich da an den Tisch.“ Ich folge seiner Anweisung und bald geht sie los die Prüfung. Ich kann mich heute nicht mehr an die Aufgaben erinnern, wohl noch an die Erleichterung, als ich es geschafft hatte. Die Gefühle klangen allmählich ab und der Alltag kehrte ein. Nach dieser glücklich bestandenen Prüfung begann die mühsame Reise durch meine Gymnasialzeit. Was machte die Schule aus mir? Auf welchen Weg führte mich dieser Ritt durch die Gymnasialzeit?