Читать книгу Das finstere Herz des Jungbrunnens - Henri Joachim Becker - Страница 12
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Das Bild knallte mir ins Gesicht. Daneben die Schlagzeile: „27-Jähriger neben einer Waldstraβe in seinem Auto ermordet aufgefunden!" Das Photo zeigte den Schalterbeamten, dem ich noch vor einer Woche gefolgt war!!! ‒ ‒
Waldarbeiter, so der Zeitungsbericht, waren, als sie wieder einmal in dieser Forstzone tätig waren, auf den Wagen aufmerksam geworden.
„Beim ersten Vorbeifahren haben wir nichts Verdächtiges bemerkt", erklärte einer von ihnen. „Es sah aus, als ob jemand eine Karte studieren oder sich etwas ausruhen würde. Als wir Stunden später wieder an dieselbe Stelle kamen, hatte sich aber noch nichts bewegt. Wir sind dann näher herangegangen. Als wir das Blut sahen, öffneten wir die Wagentür. Sie war nicht versperrt. Der Körper schien schon länger leblos zu sein. Die Einschusslöcher, die wir dann entdeckten, lieβen auf ein gewaltsames Ende schlieβen. Einer von uns ist dann sofort losgefahren und hat die Gendarmerie und einen Arzt und Krankenwagen geholt."
Der Zeitungsartikel schloss mit dem Aufruf: „Die Behörden bitten die Bevölkerung um Mithilfe bei der Aufklärung dieses Verbrechens. Zweckdienliche Hinweise nimmt jede Gendarmerie- oder Polizeidienststelle entgegen."
Darunter ein Photo „des Fundortes". Es verschlang geradezu meine Augen, als ich näher hinsah. Das Auto hätte meines sein können. Und der „Fundort" war genau jener Anfahrtspunkt für Holztransporte, wo ich von Gendarmen kontrolliert worden war: Die im Bericht angegebene Ortschaft, der Waldweg, die aufeinander gelagerten Baumstämme im Hintergrund … Es gab keinen Zweifel!
Als sich der allererste Aufruhr in mir etwas gelegt hatte, zuckten plötzlich sehr beunruhigende andere Gedanken in mir hoch. Das Auto, in dem die Leiche aufgefunden worden war, war ein Fahrzeug, wie ich es fuhr, dieselbe Automarke, dasselbe Modell, die gleiche Farbe, einen blauen Mercedes älterer Bauart. Ein Zufall? Auβerdem stand der Wagen mit dem Toten an genau derselben Stelle, wo die beiden Gendarmen aufgetaucht und mich kontrolliert hatten. Wieder ein Zufall?? Noch mehr Einzelheiten erschienen mir merkwürdig: Machte es bei den auβerordentlich wenigen Fahrzeugen, mit derem Vorbeifahren an besagter Stelle und insbesondere noch bei dem an diesem Tag herrschenden Schmuddelwetter zu rechnen war, überhaupt Sinn, eine Gendarmeriepatrouillie an einer Waldwegseinfahrt zu binden und das eventuell über Stunden hinweg? Und einen Streifenwagen hatte ich ebenfalls nicht zu Gesicht bekommen. Aber natürlich konnten sie den eventuell im Wald versteckt haben. Auch konnte ich mich keiner über die Medien an die Bevölkerung ergangenen Warnung vor einem ausgebrochenen Häftling entsinnen. All das nährte immer mehr Zweifel in mir daran, dass bei meiner Kontrolle im Wald alles mit rechten Dingen zugegangen war. Hatten vielleicht falsche Gendarmen Horst Klein, wie der Getötete hieβ, aufgelauert? Aber hätten doch die beiden Gendarmen nicht am Nummernschild meines Autos erkennen können, dass ich nicht derjenige war, den sie dann erwartet hätten? Gegen diese Möglichkeit sprach einerseits, dass Regen und Nebel die Sicht beeinträchtigten. Andererseits, so relativ kurz hinter der Kurve hatten sie nur einen kleinen Moment, um mir ihr Zeichen zum Anhalten zu geben: meine Reaktionszeit und der Bremsweg mussten berücksichtigt werden, wenn ich meinen Wagen an der von ihnen vorgesehenen Stelle zum Stehen bringen sollte. Und überhaupt, kannten sie das Autokennzeichen von Horst Klein? ‒ War er also gezielt ermordet worden? Hätte ich selber Opfer einer Verwechslung werden können? Und wäre jetzt tot?
Ich beschloss, dem nächstgelegenen Polizeikommissariat mitzuteilen, was ich erlebt hatte. Hier musste man wissen oder in Erfahrung bringen können, ob es am Tag meines Vorbeikommens am späteren Tatort überhaupt eine Kontrolle gegeben hatte und ob man überhaupt nach einem geflüchteten Gefangenen suchte.
Anderntags hatte ich am Nachmittag keinen Unterricht und nutzte die Gelegenheit, um bei der Polizei vorzusprechen. Ein freundlicher Herr in mittleren Jahren empfing mich. Ich schilderte ihm das von mir während meiner „touristischen Zufallsentdeckungsfahrt" Erlebte und teilte ihm meinen Verdacht mit. Ich erfuhr auch, das die gerichtsmedizinische Untersuchung ergeben hatte, dass Horst Klein, am Tag bevor ihn die Arbeiter fanden, getötet worden sein musste. Das war, wie wir gemeinsam feststellten, wiederum am Tag nach meiner Begegnung mit den Gendarmen. Mein Gegenüber lieβ mich die beiden möglicherweise falschen Gendarmen beschreiben. Ich wusste nicht viel hierzu zu sagen. Sie waren von durchschnittlicher Statur gewesen und unter ihrem Käppi war in der Schnelle von ihren Gesichtern für mich wenig zu erkennen gewesen. Etwas besonders Auffälliges, auβer der Raucherfahne des einen, hatte ich nicht bemerkt.
Auf meine Nachfrage hin, ob sich aus dem von mir Berichteten irgendwelche Schlüsse ergeben würden, verlautete der Beamte:
„Das weiβ ich noch nicht. Dazu muss ich mich erst noch mit der für den Bezirk, wo sie kontrolliert worden sind, zuständigen Dienststelle austauschen. Es kann sein, dass wir Sie für weitere Auskünfte noch einmal brauchen und herbitten müssen. Wo, wie können wir Sie erreichen?"
‒ „Wenn Sie wollen, schreibe ich Ihnen meine Anschrift und Telefonnummer auf."
‒ „Das wäre sehr gut!", meinte er und schob mir einen Notizblock und einen Kugelschreiber zu.
Als ich meine Angaben zu Papier gebracht hatte, erhob sich der Beamte und reichte mir die Hand.
„Ich danke Ihnen für Ihre Hinweise. Sie können sich auch jederzeit noch einmal bei uns melden. Vielleicht können wir Ihnen dann etwas mehr dazu sagen.
Ich brauchte mich gar nicht zu melden. Schon am Tag darauf klingelte mein Telefon. Am Apparat, die Gendarmerie:
„Es hat in dieser Gegend keinerlei Gendarmerie- oder Polizeikontrolle an diesem Tag gegeben. Und eine Suche nach einem entlaufenen Straftäter hat es ebenfalls nicht gegeben! Sie sind bis dato auch der Einzige, der den Behörden von einer Kontrolle berichtet hat."
Die Frage, die für mich blieb: Warum hatte man Horst Klein unbedingt beseitigen wollen? Wer oder welche Organisation steckte dahinter?