Читать книгу Das finstere Herz des Jungbrunnens - Henri Joachim Becker - Страница 6
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Nach dem Abitur studierte ich Philosophie, Literatur- und Sprachwissenschaft, zunächst ein Jahr in Luxemburg, danach 3 Semester in Trier. Und dann wollte ich mal etwas anderes sehen, eine für mich ganz neue Region kennenlernen und wechselte nach Heidelberg. Nicht zufällig. Ich bevorzugte Städte, wo der Weg ins Grüne nicht weit war und die zugleich historisch-romantisches Flair hatten. Zudem zogen ein sehr umfangreiches Angebot an Studienfächern und der gute Ruf der Universität viele Tausende junge Menschen an. Ich freute mich auf einen Neubeginn, darauf, mir einen neuen Bekanntenund Freundeskreis zu schaffen, mochte man sich am Anfang in der noch fremden Stadt auch manchmal etwas einsam fühlen. Ich hatte durch Zufall im Schlosswolfsbrunnenweg ein Zimmer in einer stattlichen, aus rotem Sandstein erbauten Villa oberhalb des Schlossparks mieten können. Der steile Aufstieg zu Fuß zu meiner Straße, manchmal mehrmals am Tag und oft auch nachts, wäre wohl manchem zu beschwerlich gewesen. Mir aber gefiel meine Wohnlage. Oft unternahm ich längere Spaziergänge in den Wäldern oberhalb des Schlosses. Eines Tages, auf einem dieser Streifzüge, es dunkelte bereits, erblickte ich in der Rheinebene eine viele Kilometer lange Lichterkette sich schlängeln. Es war in meinem Leben das erste Mal, dass eine Kolonne, eine Schlange von Fahrzeugen, die ununterbrochen von einer Ortschaft zu einer anderen reichte, mir vor die Augen kam. – Ich war kein Student, der sich ausschließlich mit seinen von ihm gewählten Fächern beschäftigte. Wenn mich eine Frage, ein Thema ganz besonders interessierte, kam es durchaus vor, dass ich nach Maßgabe meiner Vorkenntnisse versuchte, in einer Vorlesung oder Bibliothek mehr darüber zu erfahren.
An den Universitäten wurde in den Siebzigern insbesondere im Rahmen der Kapitalismus-Sozialismus-Systemkonfrontation viel über Politik diskutiert, es wurde demonstriert, es wurde protestiert. Ich nahm es zur Kenntnis. Sicher war es wirtschaftlich gerechter, alle Produktionsmittel, also Betriebe, Mietshäuser und so weiter, zu verstaatlichen und damit auch die Möglichkeit abzuschaffen, sie zu vererben. Aber es schien mir auch aus der Sache heraus und ohne irgendeine ideologische Voreingenommenheit klar, dass eine Beseitigung des freien Unternehmertums zu einer weniger produktiven Wirtschaft führen würde: Wenn eine Behörde, eine Kommission, eine kleine Gruppe einfach festlegte, was produziert wurde, dann musste sich ein Produkt auch nicht mehr am Markt in freier Konkurrenz zu anderen durchsetzen und von daher gab es auch weniger Anreiz, weniger Veranlassung, eine Ware oder Dienstleistung laufend zu verbessern. Man musste sich schon entscheiden, was man hier wollte, aber man sollte sich frei entscheiden können. War man für eine Marktwirtschaft, musste der Staat natürlich den Auswüchsen des Marktes, wie zum Beispiel Hungerlöhnen bei einem Überangebot an Arbeitskräften, einen Riegel vorschieben.
Die vielen Menschen, die ich während meiner Studienjahre näher kennengelernt habe, sind noch immer in mir lebendig, das mit ihnen Erlebte und Erfahrene entfaltet weiter seine Wirkung in mir, obschon ich bis heute nur sehr wenigen von ihnen später noch einmal begegnet bin.