Читать книгу Tagebücher der Henker von Paris - Henry Sanson - Страница 10

Manuskript Charles Sansons

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Gott in seiner unendlichen Barmherzigkeit maß unsere Schultern nach dem Kreuze, das er uns zum Tragen auflud.

Ein großer Kummer trübte mein jugendliches Alter, aber statt ihn zu bekämpfen und durch vernünftige Überlegung, Kasteiungen und Gebet zu besiegen, gefiel ich mir so darin, ihn zu unterhalten, dass man mir eher das Leben als meine törichte Liebe hätte nehmen können und dass diese Knechtschaft meinen Geist vorbereitete, allen den heftigen Entschlüssen zu folgen, die meinem Herzen gefallen würden, ihm aufzuerlegen.

Im Jahre 1662 war ich Leutnant im Regiments des Herrn Marquis von La Boissière, das, nachdem es im Jahre 1658 unter dem Herrn Vicomte Turenne die Kampagne mitgemacht hatte, in der man Bergen und Gravelingen nahm, nach der Stadt Dieppe in Garnison gelegt war.

In diesem Jahre 1662 starb mein älterer Bruder, der Rat, in der Stadt Abbeville, wo er wohnte, und dies war für mich eine große Trauer und Schmerz, um so mehr, als Colombe Brossier de Limeux, seine Witwe, einige Tage später auf sehr grausame Weise diese Welt verlassen musste.

Infolge eines Sturzes mit meinem Pferde, der mein Leben in große Gefahr gebracht hatte, wurde ich nach dem Hause eines armen Mannes getragen, der dieses Haus innehatte, das man das »verwünschte Gehöft« nennt und das außerhalb der Mauern der Stadt Dieppe in der Nähe des Kirchhofes an dem Wege nach Neufchâtel liegt, an einer Stelle, wo es keine anderen Häuser gibt.

Dieser Mann handelte an mir wie der barmherzige Samariter; er wusch und verband meine Wunden und entließ mich nicht eher, als bis ich geheilt war. Ich nahm aber aus seinem Hause ein anderes, viel schlimmeres Übel als das, welches er geheilt hatte, mit: ich verließ sein Haus, verliebt in ein Mädchen namens Margarita, das sein einziges Kind war.

Anfangs wollte ich nicht daran denken.

Der grausame Verlust, den ich in den Personen meines viel geliebten Bruders und meiner teuren Schwägerin erlitten hatte, erfüllte mein Herz mit Trauer, und ich beschloss, sie mein ganzes Leben lang zu beweinen.

Aber die Entschlüsse der Menschen sind nur Schimären, und wider meinen Willen sah ich während des Tages und während der Nacht das Bild derer, an die zu denken ich mir als ein Verbrechen vorwarf.

Um diese Zeit war ein Cousin von mir, der Paul Bertaut hieß, in Handelsgeschäften nach Dieppe gekommen, da er zu denen gehörte, die Neu-Frankreich in Indien besaßen, bevor unser König und Herr es aus ihren Händen kaufte.

Obgleich ich damals schon meinesgleichen infolge des mir widerfahrenen Missgeschicks und Elends hasste und die Einsamkeit ihrer Gesellschaft vorzog, liebte ich Paul Bertaut, den ich kennengelernt hatte, als ich auf den Schiffen des Königs vor Quebeck lag, doch sehr.

Paul kannte nicht die wahre Ursache meiner bösen Stimmung und Melancholie, dennoch gab er sich alle Mühe, mich zu zerstreuen und mir Vergnügen, sowohl durch seine eigene Gesellschaft als durch die eines Herrn Valvins von Blignac, zu verschaffen, der wie ich eine Leutnantsstelle in dem Regimente des Herrn Marquis de la Boissière innehatte und ein tapferer und sehr lustiger Kamerad war.

An einem Herbsttage, als wir alle drei am Ufer des Meeres im Hause Isaak Crocheteus speisten, erklärte mein Cousin Paul im Tone eines Aufschneiders, dass er vor Ablauf des Monats das schönste Mädchen, das in der Stadt Dieppe und ihren Vorstädten sei, zu seiner Geliebten gemacht haben wollte.

Der Herr von Blignac, der seiner Natur nach auch ein großer Schmeichler und voller Lobeserhebungen für den war, der sich gern von ihm betrügen ließ und seine Schmausereien bezahlte, bestätigte diese Versicherung, als ob er die Dirne kenne.

Ich fühlte mich sehr erregt, und mein Herz begann lauter zu schlagen, denn ich hatte schon bemerkt, dass mein Cousin seit einigen Tagen die wilde Feldblume, die sich so nennt,2 wie diejenige heißt, an die ich immer dachte, im Knopfloche trug, und ich hatte mir bereits eingebildet, es geschehe ihr zu Ehren.

Als ob ich einem allmächtigeren Willen, als es der meinige war, hätte nachgeben müssen, erhob ich mich von der Tafel und verließ unter dem Vorwande, dass ich nach dem Schlosse gehen müsse, meine Gefährten. Ich machte einen Umweg, ging durch die Vorstadt Pollet und kam auf dem Fußsteige von Braacquemont nach dem verwünschten Gehöfte an der Straße von Neufchâtel, die ich bisher nicht mehr betreten, weil sie mir schon so viel Unglück gebracht hatte.

Als ich zwischen die Apfelbäume des Gartens hindurch das Häuschen Margaritas erblickte, kam mir den Gedanke, wieder nach Hause zu gehen; aber ich konnte mir noch so viel vorpredigen, ich ging doch in der Richtung auf das Häuschen zu.

Ich hatte ihren alten Vater nur zweimal gesehen. Bei dem zweiten Male, nachdem er mich wieder hergestellt, hatte er mir mit allen Arten von wilden Drohungen verboten, sein Haus wieder zu betreten, was ich seinem Ärger darüber, dass ich seine Tochter freundlich angeblickt hatte, zuschrieb.

Ich ging deshalb nicht auf die Tür zu, denn ich fürchtete, dass er bei seiner mir bekannten Gemütsart die Unschuldige strafen könne; ich ging um den Garten herum, den nur eine Hecke von wilden Rosen einfasste, und da ich bemerkte, dass Margarita dort spazierenging, nahm ich diesen Vorteil wahr, den mir ein so entlegener Ort wie dieser Garten darbot, sprang schnell über die Hecke und eilte zu ihr.

Die Lügen sind kein großer Fehler für den, der mehr oder weniger liebt, und man kann sogar von ihnen sagen, dass sie zur Liebe gehören. Ich erzählte dem jungen Mädchen, dass ich, weil ich ihrem Vater nicht hätte danken dürfen, ihr diesen Dank für ihre Sorgfalt und milde Pflege hatte aussprechen wollen. Dann gestand ich ihr ohne jede weitere Einleitung und als wenn ich mich nicht genug damit hätte beeilen können – so sehr trieb mich die Furcht, dass mir irgendein anderer zuvorkommen könne – meine Liebe.

Das junge Mädchen errötete, aber sie war nicht erzürnt; indessen sah ich wohl, dass ihre Augen sich mit Tränen füllten, und als ich sie fragte, warum sie weine, antwortete sie mir, dass ich sie nicht lieben dürfe, dass eine solche Bekanntschaft großes Unglück über mein Haupt bringen werde; dann gebot sie mir und bat mich, so schnell als möglich zu gehen, da jeden Augenblick ihr Vater in den Garten kommen könne.

Ich blieb nur eine kurze Zeit bei ihr, wiederholte ihr, was ich ihr schon gesagt hatte, und kehrte dann ganz aufgeregt nach der Stadt zurück.

Aber am nächsten Tage kehrte ich wieder nach dem »verwünschten Gehöfte« zurück, und ich kam auch die folgenden Tage dahin.

Hin und wieder sah ich sie nicht, zu anderen Malen sah ich ihren Vater, wie er mit ihr im Garten spazierenging; wieder ein anderes Mal war es der Knecht, der arbeitete, oder die Magd pflückte Gemüse; ich war dadurch gezwungen, mich versteckt zu halten und mich damit zu begnügen, dass ich die von fern beobachten konnte, die zu sehen ich nie müde wurde. Von Zeit zu Zeit war sie aber auch allein, und so kurz auch unsere Unterhaltung dann war, sie reichte hin, mich in meinem Fieber noch mehr zu bestärken.

Als ich eines Abends mit dem Herrn Balvins von Blignac, der vom Trinken sehr erhitzt und ganz freundlich war, bei Tische saß, antwortete er mir, als ich mich über ihn lustig machte und scherzend von der schönen Freundin Pauls und dem schändlichen Handwerke sprach, das er, wenn dies wahr wäre, bei dieser Gelegenheit getrieben hätte, mit Augenblinzeln, dass nichts wahrhafter sei und dass, dank seinen guten Diensten, mein Cousin zur Stunde, die wir gerade hatten, das Wohlwollen des schönsten Mädchens, dem man je begegnen könne, genieße.

Da mir in der Welt niemand reizender erschien als Margarita, wurde ich von neuem unruhig. Ich quälte ihn mit meinen Fragen; er hielt mich ein wenig hin; da man aber zu den schlechten Eigenschaften des genannten Herrn von Blignac auch die zufügen konnte, dass er der größte Schwätzer von der Welt war, so löste sich bald seine Zunge. Er erzählte mir, dass, da das junge Mädchen sich unzugänglich gezeigt und weder für Gold noch Liebe etwas bewilligt habe, Paul Bertaut seinem Rate zufolge bei dem Apotheker der Stadt eine Arznei, die einschläfere, gekauft und sie dem Knecht, den er bestochen, zu gesteckt habe. Der Knecht sollte sie denselben Abend zwischen seine Herrin und die Magd teilen. Er fügte noch hinzu, dass der Vater und der Knecht in dieser Nacht abwesend sein sollten, und da das Haus ganz einsam liege, so würde das Mädchen gewiss meinem Cousin überlassen sein.

Ich war sprachlos und sah nichts mehr; ich erhob mich zugleich so ungestüm, dass ich mit meinem Schemel den Tisch und die Gläser umwarf. Mein Degen und meine Kopfbedeckung lagen auf einer Bank; ich ergriff nur den Degen, und ihn aus der Scheide ziehend, lief ich wie ein Unsinniger durch die Stadt.

In dem Augenblicke, als ich mich dem Hause näherte, bemerkte ich den Schatten eines Mannes, der sich längs der Mauer hinschlich. Ich rief: »Hollah!« Der Mann ergriff die Flucht, aber nicht so schnell, dass ich ihn nicht bald eingeholt und erkannt hätte, dass Herr von Blignac mich keineswegs belogen habe und dass der, welcher den Plan gehabt, so feige das schlafende Mädchen zu überfallen, mein Cousin sei.

Ich zog ihn weiter mit mir fort, und ganz erregt von Zorn und Schmerz, warf ich ihm bitter seine unehrenhafte und ungerechte Aufführung vor, indem ich ihm vorstellte, welch großes Verbrechen es sei, ein Mädchen zu verderben, das um so achtungswerter, als sie arm und von niedrigem Stande sei, und dass er ihr alles nähme, wenn er ihr die Tugend raubte.

Mein Cousin senkte den Kopf und erwiderte, ganz beschämt, kein Wort. Wäre ich mit ihm allein geblieben, so hätte ich ihn ohne Zweifel zur Reue zurückgeführt, denn seine Laster waren nur Laster der Jugend und schlechter Bekanntschaften; die Ankunft des Herrn Balvins von Blignac verdarb aber alles.

Ich änderte den Ton, wandte mich an ihn und drückte ihm sehr unwillig aus, was ich von der Rolle dachte, die er in dieser Sache gespielt hatte. Ich sagte ihm noch, dass er seit den sechs Monaten, während deren Herr Bertaut in der Stadt sei, sich alle Mühe gegeben habe, ihn in Ungelegenheiten zu bringen, indem er ihn zum Spiel, Trinken, Ausschweifungen und allen Arten von Schändlichkeiten verleitete.

Herr von Blignac antwortete dadurch, dass er meinen Cousin verspottete, solche Ermahnungen zu dulden, indem er nach seiner Gewohnheit scherzte und schwur, dass, wenn ich mich erzürnt habe, dies der Fall sei, weil ich selbst Absichten auf die Schöne habe, dass ich ihm Rechenschaft für die Worte, die auf seine Rechnung kämen, geben müsse, oder dass er sie mir wieder in die Kehle zurücktreiben werde, und hierauf zog er seinen Degen und griff mich an, wobei er meinem Cousin zurief, er solle mich seinerseits auch angreifen, und das junge Mädchen werde dann dem Sieger als Beute verbleiben.

Mochte die Liebe ihm den Kopf verdreht haben, oder fühlte er sich durch die Spöttereien und Possen des Herrn von Blignac aufgereizt, Paul Bertaut schämte sich nicht, den Degen gegen seinen Verwandten und Freund zu ziehen und mich zu derselben Zeit anzufallen, in der Blignac auf mich eindrang.

Ich verteidigte mich nach besten Kräften, indem ich mich zurückzog, um an den Bäumen Deckung zu finden; als aber Herr von Blignac einen Stoß nach mir geführt hatte, verwundete ich ihn durch einen guten Degenstich so schwer an der Handwurzel, dass seine Waffe auf die Erde fiel, wo ich mit dem Fuß darauf trat, mich ihrer bemächtigte und sie weit fortwarf.

Herr Paul Bertaut trug seinerseits eine Schmarre im Gesicht davon und ich einen ganz unbedeutenden Stich in die Schulter.

Nun ließen die beiden Kameraden von mir ab und flohen fluchend und mir zurufend, dass morgen Tag sein würde und dass wir dann miteinander weiterfechten könnten, ohne Gefahr zu laufen, uns gegenseitig die Augen auszustechen.

Als ich sah, dass sie fort waren, entschloss ich mich nichtsdestoweniger, die ganze Nacht dazubleiben – so sehr fürchtete ich diesen Herrn von Blignac, einen genug verräterischen und schlimmen Menschen, um Paul Vertaut überreden zu können, dass er meine Entfernung benutze, um sich zu rächen.

Als ich um Mitternacht noch immer nichts sich im Hause regen hörte, und zwar trotz des Lärmes, den wir gemacht hatten, begann ich zu fürchten, dass jener verdammte Schlaftrunk sowohl das junge Mädchen als die Magd getötet haben könne, und das war es, was mich verderben sollte. Der Spitzbube von Knecht hatte, seiner Verabredung mit Paul Vertaut gemäß, die Tür halb offen gelassen; ich trat in das Haus und stieg die Treppe hinan, die zu der Kammer des armen Kindes führte.

Hier – ich gestehe es mit großer Beschämung und Reue – verlor ich allen Nutzen von den weisen Ratschlagen und Lehren, die ich Paul Bertaut vorgepredigt hatte. Als ich das junge Mädchen, in das ich verliebt war, so schön und fest schlafend auf ihrem Lager sah, ging meine Tugend dahin wie Rauch, den der geringste Wind fortweht, und ich zeigte mich nicht zurückhaltender und klüger, als Paul es gewesen wäre; ich fürchtete mich nicht, ein Verbrechen zu begehen, das ich ihm gegenüber so scharf getadelt hatte.

Als ich am anderen Morgen in meiner Wohnung war, kam der Bediente Paul Bertauts zu mir und brachte mir die Nachricht, dass sein Herr mich auf dem Platze Puits-Sale erwarte.

In dem Glauben, dass er mich fordern wolle, nahm ich meinen Degen und folgte dem Bedienten.

Auf dem genannten Platze fand ein großer Zusammenlauf von Menschen statt, und ich war sehr erstaunt, dass Paul Bertaut gerade diesen Ort gewählt hatte, um uns zu unterhalten oder einander zu töten, wie ich es auch schon über die Art gewesen war, in der er mir seine Forderung zugeschickt hatte.

Aber Paul Bertaut zeigte, als ich ihm begegnete, weder Zorn noch Groll über das, was sich in der Nacht zugetragen hatte. Weit davon entfernt, reichte er mir die Hand, die ich nicht annahm, da ich mich noch recht gut erinnerte, dass er sich mit dem Herrn von Blignac gegen mich verbunden hatte.

Er zeigte mir ein Schafott, das in der Mitte des Platzes vollständig hergerichtet war, und lud mich ein, es von dieser Seite zu betrachten. Ich tat es und erkannte in einem Manne, der gerade einige Knaben an den Schandpfahl befestigte, meinen Wirt aus dem Hause in dem »verwünschten Gehöft« und den Vater meiner Geliebten. Dabei sagte mir Paul Bertaut, dass, nachdem er erfahren habe, dass seine Schöne die Tochter Meister Pierre Jouannes, des Scharfrichters der Stadt Rouen und der Grafschaft Dieppe, sei, er mir dafür danke, dass ich sie für mich genommen habe, denn er wolle in keine Beziehung mit dem Geschlechte des Henkers treten.

Jetzt war die Reihe an mir, auf ihn loszugehen, aber es war eine solche Menschenmenge um uns, dass wir fast sofort getrennt wurden, und ich kehrte sehr betrübt und auf grausame Weise gebeugt in meine Wohnung zurück.

Als die Stunde kam, in der ich nach dem Schlosse gehen musste, verließ ich meine Wohnung, ohne irgendeinen Entschluss gefasst zu haben, weder für noch wider.

Unterwegs hielt ich mich schon für überzeugt, dass meine Bekannten sich von mir abwenden würden, und im Schlosse sah ich sehr bald, dass diese Herren vom Regimente des Herrn de la Boissière mich an diesem Tage viel kälter empfingen, als sie es sonst zu tun pflegten.

Da ich niemals eine besondere Freundschaft mit jemandem unterhalten hatte, machte ich mir darüber keine große Sorge, und als die Exerzitien vorüber waren, ging ich, in meine Gedanken versunken, fort.

Ich wählte meinen Weg nicht, indessen hatte mich die Allmacht der Gewohnheit den gefühlt, den ich alle Tage einschlug, und ehe ich mich dessen versah, befand ich mich wieder dem »verwünschten Gehöfte« gegenüber.

Margarita stand in der Tür; sie hatte mich gesehen, und selbst wenn ich hätte umkehren wollen, wie ich es nicht tat, so würde ich es aus Höflichkeitsrücksicht nicht gekonnt haben. Ich ging also zu ihr und fand sie so bleich und entstellt, dass die Gewissensbisse, die mich schon quälten, sich in grausame Angst verwandelten. Da Meister Pierre Jouanne, ihr Vater, noch nicht mit seinem Geschäfte in der Stadt fertig war, ging ich mit ihr im Garten umher; ich wagte kaum, mit ihr zu sprechen, war aber so glücklich, bei ihr zu sein, dass ich, als ich Abschied genommen hatte, mir gestehen musste, es würde einfältig von mir sein, wenn ich, der eine so reizende Freundin besaß, sie aus eiteln Skrupeln verließe, und dass, wenn auch Meister Jouanne, der Vater, räderte und würgte, doch nicht ein Tropfen Blut an den Händen klebte, die sie mir zu küssen erlaubte.

Und in der Tat kehrte ich am nächsten und an den folgenden Tagen wieder, und an allen diesen Tagen – und zwar noch mehr als früher– erlaubte sie mir keine Vertraulichkeiten, und ich wagte nicht, mich darauf zu berufen, was ich ihr wie ein Dieb gestohlen hatte. Meine Freundschaft für sie, wenngleich sie auch die Tochter des Henkers war, wurde immer größer, ich liebte sie nicht weniger, als wäre sie die Tochter eines Königs gewesen, und mochte nicht an den Beruf und das Handwerk ihres Vaters denken.

Inzwischen war Herr Valvins von Blignac wieder hergestellt und von seinem Degenstiche geheilt, und nun begann er gegen mich durch alle Arten von Schändlichkeiten und Lügen so gut zu intrigieren, dass, als ich eines Tages zu den Exerzitien gegangen war, die Herren taten, als ob sie mich gar nicht sähen, und nicht einmal den Hut vor mir zogen.

Sehr erzürnt kehrte ich nach meiner Wohnung zurück, wo mein Diener mich von dem Anteil in Kenntnis setzte, den Herr Valvins von Blignac an meinen Widerwärtigkeiten hatte, denn es war von nichts anderem im Regiments die Rede, nur ich allein wusste es nicht, da ich ein so einsames und zurückgezogenes Leben führte. Da ich Herrn Valvins von Blignac sofort fordern wollte, ging ich aus, um mir einen Sekundanten zu suchen.

Aber alle, an die ich mich wandte, antworteten mir rund heraus mit »Nein«, ohne mir gute oder schlechte Gründe für ihre Weigerung angeben zu wollen, selbst bis zu den einfachen Kornetts herab, die sich nicht einmal die Mühe gaben, das Mißbehagen, das ihnen ein solcher Vorschlag verursachte, zu verheimlichen.

Ich dachte, es würde das beste sein, zu dem selbst zu gehen, der der Urheber dieser Bewegung war, und von ihm Genugtuung für die von ihm verbreiteten Lügen zu fordern; ich machte mich also auf den Weg, um irgendeinen Edelmann aus der Stadt um seine Unterstützung zu bitten, als gerade mein Diener kam, um mich im Auftrage des Herrn Marquis de la Boissière, der mich sofort zu sprechen verlangte, zu suchen.

Ich begab mich in seine Wohnung, wo ich den genannten Herrn Marquis in heftiger Aufregung und großem Zorne fand. Mit gewaltigen Flüchen schrie er mich an, dass ich, nicht damit zufrieden, die Befehle und Warnungen unseres Herrn und Königs in bezug auf das Duell bereits überschritten zu haben und abermals überschreiten zu wollen, durch meine schmutzige Liebschaft mit der Tochter des Henkers das Regiment entehre, und dann belegte er, ohne mir Zeit zu lassen, nur ein einziges Wort erwidern zu können, den Namen des armen Mädchens mit den gehässigsten Beiwörtern, indem er Worte gebrauchte, die ich aus Achtung für ihr Andenken nicht zu wiederholen wage.

Als ich dies hörte, erhitzte sich mein leicht erregbares Temperament, und ich brauste so heftig gegen den auf, dem ich große Ehrfurcht für sein Alter und seine Stellung schuldig war, dass der Herr Marquis de la Boissière mich aufforderte, sein Zimmer zu verlassen und im Schlosse in Arrest zu gehen, bis er über mein Benehmen an den König berichtet habe.

Ich war nicht mehr Herr meiner selbst, zog meinen Degen und zerbrach ihn über meinem Knie, indem ich dem Marquis sagte, er könne sich das Schreiben an den König, um mir meine Leutnantsstelle zu nehmen, ersparen, denn sobald ich zu Hause wäre, würde ich das Patent mit meinen eigenen Händen zerreißen, wie ich mit meinen Händen diesen Degen zerbrochen hätte.

Ich ging nun, hielt mich aber nicht in meinem Quartiere auf, da ich fürchtete, daselbst durch die Leute des Herrn Marquis de la Boissière verhaftet zu werden. Ich steckte einiges Geld, das ich noch besaß, zu mir, sattelte mein Pferd und verließ, sobald ich im Sattel saß, die Stadt in großer Eile.

Ich hatte bereits beschlossen, zu Lande die Nordküste zu gewinnen und mich in irgendeinem Hafen nach Westindien einzuschiffen, woselbst ich wieder in meinen alten Stand als Seemann treten wollte. Indessen wollte ich nicht eine so große Reise antreten, ohne meiner Freundin Lebewohl gesagt zu haben. Ich hegte die Hoffnung, sie bestimmen zu können, dass sie mein Schicksal in einem Lande teile, wo niemand das Handwerk ihres Vaters kennen werde. Um sie zu diesem Entschlusse, mich zu begleiten, zu bringen, wollte ich ihr gestehen, wie ich ohne ihr Wissen durch eine verbrecherische Handlung mich bereits zu ihrem Herrn gemacht habe.

Dicht außerhalb der Mauern wandte ich mich rechts nach dem »verwünschten Gehöft«. Ich war ganz überrascht, die Fenster des Saales verschlossen zu sehen, denn es war noch nicht spät. Erst als ich ganz nahe war, bemerkte ich Lichtstrahlen, die durch die Risse einer Tür drangen, welche zu einem an das Haus stoßenden Schuppen führte, und gleichzeitig glaubte ich ein Stöhnen zu vernehmen, das aus diesem Schuppen kam.

Obgleich ich nicht leicht zu erschrecken pflege, erinnere ich mich doch noch, dass ich zitterte und schauderte wie ein Laub im Winde. Ich hatte mein Pferd an einen Baumstamm gebunden; ich selbst stellte mich an die bezeichnete Tür, legte mein Auge an die breiteste Spalte, und bei dem, was ich erblickte, sträubten sich mir die Haare auf dem Kopfe.

Margarita, meine geliebte Margarita lag auf dem Lederbette ausgestreckt, das dazu dient, die peinliche Frage zu stellen; ihr Henker von Vater, der eher einem Tiger als einem Menschen glich, hatte ihr den spanischen Stiefel angelegt.3 Mit seiner eigenen Vaterhand trieb er vermittelst eines hölzernen Schlägels den Keil ein, der ganz vom Blute seines Kindes gerötet war, und bei jedem Schlage sagte er in wütendem Zorne zu ihr: »Gestehe, gestehe!« – und die Arme rief, sich in Tränen und mit Angstgeschrei zurückwerfend, alle Heiligen des Paradieses und Gott zum Zeugen ihrer Unschuld an.

Ich sah dieser Grausamkeit kaum eine halbe Minute zu, denn ich hatte schon einen Balken aufgerafft, der am Boden lag, und mit einem einzigen Stoße, denn Gott hatte mir eine Kraft verliehen, die ich nie an mir gekannt hatte, zertrümmerte ich die Tür, wie es eine Artilleriepetarde getan haben würde.

Als Meister Jouanne mich erkannte, warf er den hölzernen Hammer von sich, und nachdem er das große Schwert gezogen hatte, das ihm dazu diente, die Edelleute zu enthaupten, bedrohte er mich nicht etwa, sondern schwang es um den Kopf seiner Tochter und tat einen schrecklichen Schwur, dass, wenn ich nur Miene mache, ihr zu helfen, er sofort dieses Haupt von dem Halse, der es trug, abschlagen werde.

Ich fiel schreiend und stöhnend auf die Knie, wie gleichzeitig die arme Margarita schrie und stöhnte. Meister Jouanne fragte mich nun, weshalb ich zu ihm käme und ob ich ihm den Namen des Verführers brächte, den er vergeblich von seiner Tochter durch die Tortur zu erzwingen versucht habe. Da gestand ich ihm meinen Fehler und bewies ihm, dass ich allein der Schuldige sei, nicht sein heiliges, tugendhaftes Kind.

Als der wilde und so grausame Meister Jouanne dies gehört hatte, warf er sich vor dem Torturbette, in Tränen ausbrechend, nieder; er nahm den spanischen Stiefel vom Beine seiner Tochter ab und, dieses ganz blaue und zerquetschte Bein zärtlich in seine Hände nehmend, küsste er die Wunden und verband die zerrissenen Stellen, wobei er sie mit so schmerzlicher Bewegung um Verzeihung anflehte, dass seine Verzweiflung einem Felsen Tränen hätte entlocken können. Dann klagte er laut über das schändliche Benehmen elender Menschen auf dieser Welt und sagte, Gott hätte alle armen Mädchen hässlich und abschreckend erschaffen sollen, weil Tugend und Keuschheit sie nicht vor den Begierden der Edlen und Mächtigen schützten.

Ich trat näher und teilte ihm meinen Plan mit, mein Vaterland zu verlassen; ich erklärte ihm, dass ich Margarita gern als meine Gattin mit mir nehmen wolle.

Meister Jouanne zeigte sich bewegter, als ich ihn je gesehen hatte, aber er blieb fest, und sich zu seiner Tochter wendend, sagte er, dass sie die Antwort zu erteilen habe. Sofort ergriff das junge Mädchen seine Hände, die sie so hart angegriffen und mit Blut bedeckt hatten, küsste sie und erwiderte, dass sie ihren Vater, der nur sie allein als Trost und Stütze in seinem einsamen Leben habe, nicht verlassen wolle, wenn ich ihr auch den Thron Indiens, wohin ich sie führen wolle, anbieten könnte.

Meister Jouanne umarmte seine Tochter sehr innig und zeigte mir die Tür, wobei er rief, er sei Henker, aber nicht Mörder, er wolle mich an diesem Tage nicht töten, aber ich möge mich hüten, in der Stadt oder Umgegend wieder zu erscheinen, wenn mir mein Leben lieb sei.

So ging ich denn gesenkten Kopfes und mit zerrissenem Herzen; als mein Fuß die Schwelle der Tür berührte, hörte ich hinter mir lautes Schluchzen, und als ich mich umdrehte, sah ich Margarita ohnmächtig in den Armen ihres Vaters.

Ich eilte zu ihr. Meister Jouanne stieß mich sehr roh zurück. Als ich nun an der Verzweiflung des Mädchens sah, dass ihre Seele ebenso bekümmert über diese Trennung war wie die meinige, und als ich erkannte, dass sie mich ebenso liebte wie ich sie, konnte mich nichts mehr bestimmen, fortzugehen. Ich bat daher den Vater, mir Margarita zur Frau zu geben, und sagte, dass wir alle drei in irgendeine ferne Gegend, wo wir unbekannt leben könnten, ziehen wollten.

Aber dieser Vorschlag sagte ihm ebenso wenig zu wie die früheren. Er antwortete mir, dass dieser späte Wechsel seines Handwerks seinen Schwiegersohn nicht abhalten werde, ihn zu verachten und diese Verachtung auch auf sein Kind zu übertragen, dass dieses, da es zu seinen Gunsten auf den eigenen freien Willen verzichtet habe, nur dann mein werden könne, wenn meine Liebe stark genug wäre, dem Hasse und dem Schimpfe zu trotzen, die ihrer beider Erbteil sei. Wenn ich ohne Scham die Tochter des Henkers verführt habe, könne ich meinen Fehler nur dadurch wieder gutmachen, dass ich selbst Henker werde wie er. –

Hier endigt das Manuskript meines Ahnen.

Er gibt ebenso wenig den Schluss seiner Geschichte, als er uns über die Vorfälle seines Lebens, die vorausgegangen waren, Bericht erstattet.

Colombe und Margarita hatten wahrscheinlich seinem Herzen zwei Wunden geschlagen, die ohne Aufhören bluteten und an die er nur mit Schmerz und Widerstreben rührte.

Die Folgen dieser beiden bis zum Wahnsinn getriebenen Leidenschaften waren ungleich, aber beide traurig.

Er heiratete Margarita Jouanne.

Ich finde in dem Protokoll einer zu Rouen vollzogenen Hinrichtung den Beweis, dass der wilde Meister Jouanne von seinem Schwiegersohne verlangte, dass er die Bedingungen ihres Handels rücksichtslos erfülle.

Dieses Protokoll sagt:

»Da Meister Pierre Jouanne, der Scharfrichter, dem genannten Martin Eslau die Glieder zu zerbrechen hatte, zwang er seinen neuerdings verheirateten Schwiegersohn, einen Schlag mit der Eisenbarre auf den Delinquenten zu führen, wobei genannter Schwiegersohn in Ohnmacht fiel und von der Volksmenge mit Spottgelächter begrüßt wurde.«

Dieses Glück, das Charles Sanson so teuer erkauft hatte, sollte wie ein Traum vorübergehen. Margarita verließ ihn bald, um in eine bessere Welt zu gehen, nachdem sie ihm einen Sohn geschenkt hatte. Sie starb an der Krankheit, die man die Auszehrung nennt und deren Sitz mehr in der Seele als im Körper liegt.

Tagebücher der Henker von Paris

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