Читать книгу Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski - Henryk Sienkiewicz - Страница 10

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»Hänge Du Dich auf. Wozu solltest Du Dich erst aburteilen lassen? Den König machst Du dadurch wieder guten Mutes,« wiederholte Jamont.

»Hänge Du Dich auf!« rief der junge Ritter. »Im Grunde bist Du noch ein Heide, obwohl Du getauft bist, denn Du weißt nicht einmal, daß es bei den Christen Sünde ist, so etwas zu thun.«

Der Knäs zuckte die Achseln.

»Es würde ja nicht aus freiem Willen geschehen. Also lasse Dir den Kopf abschlagen, wenn Du dies vorziehst.«

Wohl fuhr es Zbyszko durch den Sinn, daß er den Bojaren für solche Worte zum Zweikampfe, zu Fuß oder zu Pferd, mit dem Schwerte oder mit dem Beile herausfordern müsse, doch unterdrückte er dies Verlangen sofort wieder. Sagte er sich doch, daß ihm schwerlich Zeit dafür bleibe. Daher senkte er traurig das Haupt und schweigend ließ er sich den Händen der Bogenschützen übergeben.

Im Saale wurde indessen die allgemeine Aufmerksamkeit von andern Ereignissen in Anspruch genommen. Als Danusia sah, was vorging, erschrak sie dermaßen, daß ihr der Atem in der Brust stockte. Ihr Antlitz war totenbleich, ihre Augen traten vor Entsetzen weit hervor, regungslos wie ein Wachsbild in der Kirche schaute sie auf den König. Und als sie schließlich hörte, ihrem Zbyszko solle der Kopf abgehauen werden, als er festgenommen und fortgeführt wurde, da ergriff sie unendliches Leid. Ihr ganzes Gesicht und ihre Lippen begannen zu zucken, nichts half, weder die Furcht vor dem König, noch daß sie sich mit den Zähnchen in die Lippen biß – zuletzt brach sie in so lautes, schmerzliches Schluchzen aus, daß aller Augen sich auf sie richteten, und selbst der König sagte: »Wer ist das?«

»Allergnädigster König!« rief die Fürstin Anna, »das ist die Tochter Jurands aus Spychow, die Herrin jenes unseligen Ritters. Er versprach ihr drei Pfauenbüsche von den Helmen der Deutschen, und da der Komtur eine derartige Helmzier trug, glaubte er, dieser werde ihm von Gott selbst gesandt. Nicht aus Böswilligkeit hat er dies gethan, o Herr, sondern nur aus Unverstand, deshalb sei ihm gnädig und strafe ihn nicht, auf den Knien bitten wir Dich darum!«

Bei diesen Worten erhob sie sich, und Danusia an der Hand nehmend, eilte sie mit ihr auf den König zu. Er wich etwas zurück, aber beide knieten vor ihm nieder und Danusia rief, während sie mit den Händchen die Füße des Herrschers umschlang: »Gnade für Zbyszko, König, Gnade!«

Und in leidenschaftlicher Erregung, in der höchsten Angst, verbarg sie ihr helles Köpfchen in dem weiten grauen Gewande des Königs, indem sie dessen Knie küßte und dabei zitterte wie Espenlaub. Die Fürstin Anna Zicmowit kniete auf der andern Seite und hielt die gefalteten Hände demütig zum König empor, in dessen Antlitz sich Sorge und Verwirrung ausdrückten. Zwar schob er seinen Lehnstuhl etwas zurück, doch stieß er Danusia nicht gewaltsam von sich, sondern bewegte nur beide Hände, als ob er eine Fliege von sich abwehren wolle.

»Laßt mich in Frieden!« rief er. »Der Jüngling hat eine große Schuld auf sich geladen, denn der Schimpf trifft das ganze Königreich. Sein Haupt muß fallen!«

Doch die kleinen Hände schlangen sich immer fester um seine Knie, und die kindliche Stimme klang immer trauriger: »Gnade für Zbyszko, König, Gnade für Zbyszko.«

Alsdann ließen sich auch die Ritter vernehmen:

»Des Mädchens Vater, Jurand aus Spychow, der berühmte Ritter, ist ein Schrecken für die Kreuzritter.«

»Und jener Jüngling hat sich schon bei Wilna sehr verdient gemacht,« fügte Powala hinzu.

Aber der König blieb unerschütterlich, obgleich er selbst durch Danusias Bitten gerührt war.

»Laßt mich in Frieden!« sagte er abermals. »Nicht mir hat er Böses angethan, und nicht ich kann ihn begnadigen. Mag ihm der Gesandte des Ordens verzeihen, dann verzeihe auch ich ihm, wenn nicht, so falle sein Haupt.«

»Verzeiht ihm, Kuno!« rief Zawisza Sulimczyki, der Schwarze. »Sogar der Meister wird Euch nicht darob tadeln!«

»Gnade für ihn, Herr,« riefen beide Fürstinnen.

Kuno drückte die Augen zu und erhob stolz sein Haupt, wie wenn er darüber frohlocke, daß sowohl die beiden Fürstinnen als auch so namhafte Ritter sich zu einer Bitte an ihn verstanden. Im nächsten Augenblick jedoch veränderte sich sein Gesichtsausdruck vollständig, er senkte den Kopf, faltete die Hände auf der Brust, sein Stolz verwandelte sich in Demut und in gedämpftem, sanftem Tone sprach er: »Christus, unser Erlöser, vergab dem Sünder am Kreuze und seinen Feinden …«

»So spricht ein wahrer Ritter!« rief Bischof Wysz.

»Ja, ein wahrer Ritter!«

»Weshalb sollte ich ihm nicht verzeihen, da ich nicht nur ein Christ, sondern mich ein Ordensbruder bin?« fuhr Kuno fort. »Ich verzeihe ihm von ganzem Herzen als Diener Christi und als Ordensbruder.«

»Ehre sei ihm!« rief Powala von Taczew.

»Ehre und Ruhm!« stimmten die andern bei.

»Aber,« begann der Kreuzritter wieder, »ich bin ja Gesandter hier bei Euch, und in mir ist die hohe Würde des ganzen Ordens verkörpert. Wer daher mich, den Gesandten, beleidigt, der beleidigt den Orden, und wer den Orden beleidigt, der beleidigt Christus selbst. Deshalb kann ich die Kränkung, Gott und den Menschen gegenüber, nicht verzeihen – wenn aber Eure Gesetze sie ungestraft hingehen lassen, soll es allen christlichen Magnaten kund gethan werden.«

Nach diesen Worten trat ein dumpfes Schweigen ein. Man vernahm nur Zähneknirschen, die schweren Atemzüge unterdrückter Wut und das Schluchzen Danusias.

Als der Abend anbrach, waren alle Herzen Zbyszko zugeneigt. Sogar diejenigen Ritter, welche des Morgens bereit gewesen waren, ihn auf einen Wink des Königs hin mit dem Schwerte zu durchbohren, suchten jetzt ein Mittel ausfindig zu machen, wodurch sie ihm helfen könnten. Die beiden Fürstinnen beschlossen, sich mit der Bitte an die Königin zu wenden, sie möge Lichtenstein veranlassen, von der Klage abzustehen, oder sie möge im Notfalle an den Großmeister des Ordens schreiben, auf daß er Kuno befehle, die Sache fallen zu lassen. Dieser Weg schien umso sicherer zu sein, als Jadwiga eine solche Verehrung gezollt ward, daß der Großmeister sich den Zorn des Papstes und den Tadel aller christlichen Fürsten zugezogen hätte, wenn er nicht auf ihre Bitte eingegangen wäre. Auch durfte man dies kaum annehmen, da Konrad von Jungingen ein friedliebender Mensch und weit milder war als seine Vorgänger. Unglücklicherweise aber verbot Wysz, der Bischof von Krakau, welcher der Leibarzt der Königin war, aufs strengste, die Sache auch nur mit einem Worte vor ihr zu erwähnen.

»Jedes Todesurteil macht ihr Kummer,« sagte er, »sogar wenn ein Straßenräuber der gerechten Strafe verfällt, nimmt sie es sich zu Herzen, wie wäre es also erst jetzt, da es einem Jüngling an das Leben geht, welcher sicherlich ihr Mitleid verdient. Jede Sorge könnte ihr schaden, ihre Gesundheit ist jedoch von größerer Bedeutung für das Königreich, als die Häupter von zehn Rittern zusammengenommen.« Schließlich erklärte der Bischof, wer es wage, seinen Worten entgegenzuhandeln und die Herrin zu beunruhigen, der ziehe sich den Zorn des Königs zu.

Durch diese Erklärung erschreckt, standen die beiden Fürstinnen von ihrem Vorhaben ab und beschlossen, den König so lange anzuflehen, bis er Gnade ergehen lasse. Jetzt waren auch alle Hofleute und Ritter auf Zbyszkos Seite. Powala von Taczew verkündete, er werde offen die ganze Wahrheit bekennen, doch sei er bereit, Zeugnis für den Jüngling abzulegen und dessen That als knabenhafte Unbesonnenheit darzustellen. Nichtsdestoweniger stimmten alle mit dem Kastellan Jasko aus Teczyn überein, welcher die Meinung kundgab, man müsse die Gesetze walten lassen, falls der Kreuzritter auf seinem Willen beharre. Im tiefsten Innern waren aber die Ritter um so mehr empört gegen Lichtenstein, und manche sagten ganz unverhohlen: »Gesandter ist er, und vor die Schranken kann er nicht gefordert werden, aber bei Gott, er soll keines natürlichen Todes sterben, wenn er dereinst nach Marienburg zurückkehrt.«

Und dies war keine eitle Drohung, denn nach ihrer Gürtung durften die Ritter keine leeren Versprechungen machen, und wer ein Gelöbnis gethan, mußte es vollbringen oder dabei zu Grunde gehen.

Erbitterter als alle andern zeigte sich aber der grimmige Powala. Hatte er doch ein geliebtes Töchterchen im Alter Danusias und schnitten ihm doch deren Thränen besonders ins Herz. Er besuchte den Angeklagten noch am nämlichen Tage im unterirdischen Gefängnisse, hieß ihn guten Mutes sein und erzählte ihm, wie die beiden Fürstinnen für ihn gefleht, und Danusia um ihn geweint habe. Als Zbyszko hörte, daß das junge Mädchen seinetwegen einen Fußfall vor dem König gethan hatte, ward er bis zu Thränen gerührt. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und kaum wissend, wie er seine Dankbarkeit ausdrücken sollte, sagte er: »O möge Gott sie dafür segnen und mir bald gestatten, gegen ihre Feinde zu kämpfen. Zu wenig habe ich ihr versprochen, ich hätte ihr geloben sollen, so viele Pfauenbüsche zu erobern als sie Jahre zählt. Und wenn nur unser Herr Jesus mich aus dieser Bedrängnis erlöst, will ich ihr gegenüber nicht kargen …«

Voll Dankbarkeit richtete er bei diesen Worten den Blick gen Himmel.

»Dein Oheim,« sagte der Herr von Taczew, »ist zu Lichtenstein gegangen, und ich will es auch thun. Ihn um Verzeihung zu bitten, wäre keine Schande für Dich, denn Du hast Dich schwer versündigt. Und nicht Lichtenstein, sondern den Gesandten bittest Du ja um Verzeihung. Bist Du bereit dazu?«

»Ja; ich bin bereit dazu, weil ein solcher Ritter wie Euer Gnaden mir sagt, daß sich dies gezieme. Aber falls er erwartet, daß ich ihm kniend Abbitte leiste, wie er es auf dem Wege von Tyniec verlangte, so möge man mir das Haupt abschlagen. Der Oheim bleibt am Leben, und der Oheim wird es meinen Feind entgelten lassen, sobald dieser nicht mehr Gesandter ist.«

»Wir wollen abwarten, was er Macko antwortet,« sagte Powala.

Doch als Macko den Kreuzritter verließ, befand er sich in der düstersten Stimmung. Er begab sich unverzüglich zum König, zu dem ihn der Kastellan geleitete. Jagiello, der sich inzwischen wieder beruhigt hatte, empfing ihn gütig, und da Macko niederkniete, befahl er ihm aufzustehen, indem er fragte, was sein Begehr sei.

»Allergnädigster Herr,« sagte Macko, »wo Schuld ist, da muß auch Strafe sein, denn sonst gäbe es keine Gerechtigkeit auf der Welt. Doch ist es meine Schuld, daß ich die angeborene Heftigkeit des Jünglings nicht zu unterdrücken suchte, sondern auch noch lobte. So habe ich ihn erzogen, und im Krieg ist er aufgewachsen von Kindheit an. Ich allein trage die Schuld, denn zuweilen sagte ich ihm: ›Zuerst schlage recht darein, und dann sieh’ zu, wen Du getroffen hast.‹ Für den Krieg war es am besten so, in das Hofleben dagegen kann er sich nun nicht schicken. Aber der Junge ist wie lauteres Gold, er ist der letzte seines Stammes, und ich beklage ihn unendlich …«

»Mich selbst hat er beschimpft, das Reich hat er beschimpft, soll ich ihn dafür mit Honig einschmieren?« rief der König.

Macko schwieg. Irgend etwas schnürte ihm plötzlich die Kehle zusammen, und erst nach einer Weile hub er mit bewegter Stimme und in abgerissenen Tönen wieder an: »Wie sehr ich ihn liebe, wußte ich bisher nicht einmal – erst jetzt bin ich mir klar darüber geworden – seit das Unglück über uns hereingebrochen ist. Aber ich bin alt – und er ist der Letzte unseres Stammes. Wenn er stirbt, wird auch unser Geschlecht erlöschen. Gnädigster Herr und König! Erbarme Dich unserer!«

Hier kniete Macko abermals nieder, und seine im Krieg so oft erprobten Hände emporstreckend, rief er unter Thränen: »Wir verteidigten Wilna, und Gott gab uns reichliche Beute, doch wem soll ich sie nun hinterlassen? Wenn der Kreuzritter verlangt, daß eine Strafe über den Schuldigen verhängt werde, so mag es denn so sein, aber gestattet, daß ich mein Haupt für den Bruderssohn hingebe. Was ist mir das Leben ohne ihn? Er ist noch jung, er kann sein Erbgut einlösen und für eine Nachkommenschaft sorgen, wie Gott dem Menschen geboten hat. Der Kreuzritter frägt auch nicht einmal darnach, wessen Haupt fällt, wenn mir eines fällt. Und wenn meines fällt, dann wird nicht das ganze Geschlecht von der Schande getroffen werden. Freiwillig in den Tod zu gehen wird jedem schwer, aber wenn man es recht erwägt, ist es besser, daß ein Einzelner zu Grunde geht, als daß ein ganzes Geschlecht zu Grunde geht.«

Bei diesen Worten umschlang er die Knie des Königs. Dieser aber blinzelte mit den Augen, was stets bei ihm ein Zeichen von Rührung war, und schließlich sagte er: »Es ziemt mir nicht, daß ich einen gegürteten Ritter verurteile. Dies darf nicht sein! Dies darf nicht sein!«

»Es hieße der Gerechtigkeit Hohn sprechen,« warf der Kastellan ein. »Der Schuldige ist dem Gesetze verfallen, und das Gesetz ist kein Ungeheuer, das nicht weiß, wessen Blut es leckt. Bedenkt auch, daß Euer Geschlecht sich mit Schmach bedecken würde, wenn Euer Brudersohn das Opfer annähme, denn nicht nur ihn, sondern auch seine Nachkommen würde man dann für ehrlos halten.«

Darauf entgegnete Macko: »Er würde mein Opfer nicht annehmen. Könnte ich aber meine Absicht ohne sein Wissen durchsetzen, dann würde er mich rächen, wie auch ich ihn rächen will.«

»Sucht auf den Kreuzritter einzuwirken, damit er die Klage fallen läßt,« bemerkte der Herr aus Teczyn.

»Ich bin schon bei ihm gewesen.«

»Nun,« fragte der König, sich neugierig vorbeugend, »was sagte er?«

»Er sagte mir folgendes: ›Auf der Landstraße von Tyniec hättet Ihr mich um Verzeihung bitten sollen, aber damals habt Ihr nicht gewollt, und jetzt will ich nicht‹.«

»Und weshalb thatet Ihr es nicht?«

»Weil er uns gebot, vom Pferde zu steigen und auf den Knien um Vergebung zu bitten.«

Der König strich seine Haare hinter die Ohren und wollte etwas erwidern, doch in diesem Augenblicke trat ein Hofkavalier mit der Meldung ein, daß der Ritter von Lichtenstein um Gehör bitte.

Als er dies hörte, schaute Jagiello zuerst auf Jasko aus Teczyn, dann auf Macko, befahl ihnen jedoch zu bleiben, wohl in der Hoffnung, daß es ihm bei dieser Gelegenheit gelingen werde, die Angelegenheit durch sein königliches Ansehen gütlich beizulegen.

Mittlerweile trat der Kreuzritter ein, verneigte sich vor dem König und sprach: »Allergnädigster Herr! Hier ist die Anklageschrift über die Beschimpfung, welche mir in Eurem Reiche zugefügt ward.«

»Vor dem Kastellan mögt Ihr offen Klage führen,« erwiderte der König, auf Jasko aus Teczyn zeigend.

Der Kreuzritter aber erwiderte, indem er dem König gerade ins Gesicht blickte: »Ich kenne weder Euere Gesetze noch Euere Gerichtsbarkeit, das eine weiß ich aber, daß der Abgesandte des Ordens nur vor dem König selbst Klage führen darf.«

Die kleinen Augen Jagiellos funkelten. Voll Ungeduld ergriff er die Klageschrift und übergab sie Jasko aus Teczyn. Dieser entfaltete sie und begann zu lesen, aber je länger er las, desto kummervoller und trauriger ward sein Gesicht.

»Herr,« sagte er schließlich: »Ihr setzt diesem Jüngling derart zu, wie wenn er Euerm ganzen Orden gefährlich wäre. Ihr Kreuzritter fürchtet Euch wohl gar schon vor den Kindern?«

»Wir Kreuzritter fürchten niemand,« entgegnete der Komtur hochmütig.

Da fügte der alte Kastellan leise hinzu: »Selbst Gott nicht!«

Powala aus Taczew versuchte am nächsten Tage vor dem Kastellangericht alles, was in seiner Macht stand, um die Schuld Zbyszkos zu mildern. Aber vergebens schützte er dessen Jugend und Unerfahrenheit vor, vergebens behauptete er, sogar ein reifer Mann, welcher das Gelübde gethan, seiner Herrin drei Pfauenbüsche zu Füßen zu legen und Gott um Beistand angefleht hatte, würde es als göttliche Fügung ansehen, wenn er plötzlich eine solche Helmzier erblicke. Die eine Thatsache konnte der edle Ritter jedoch nicht leugnen, daß ohne sein Dazwischentreten Zbyszkos Lanze die Brust des Kreuzritters unfehlbar getroffen hätte. Auf Kunos Geheiß war nämlich der Panzer vorgezeigt worden, den er an jenem Tage getragen, und es zeigte sich, daß er aus dünnem, schmiegsamem Eisenblech war, sonst nur bei festlichen Gelegenheiten benutzt wurde, und daß Zbyszko in Anbetracht seiner außerordentlichen Kraft ihn durchbohrt und den Gesandten ums Leben gebracht hätte, wenn er nicht daran verhindert worden wäre. Darüber befragt, ob er die Absicht gehabt, den Kreuzritter zu töten, leugnete Zbyszko dies nicht.

»Ich rief ihm von weitem zu,« sagte er, »er möge die Lanze vorhalten, denn selbstverständlich hätte er sich nicht lebend den Helm vom Kopfe reißen lassen, und hätte er mir von weitem zugerufen, daß er Gesandter ist, wäre er unbehelligt geblieben.«

Diese Worte gefielen den Rittern, welche sich aus Mitgefühl für den Jüngling zahlreich versammelt hatten.

»Das ist wahr!« sagten viele, »weshalb hat er nicht gerufen?«

Aber das Antlitz des Kastellans blieb düster und ernst. Nachdem er den Anwesenden Schweigen geboten hatte, verstummte er selbst einen Augenblick, dann heftete er die durchdringenden Augen auf Zbyszko und fragte: »Vielleicht schwörst Du beim Kruzifix, daß Du den Mantel und das Kreuz nicht sahst?«

»Durchaus nicht,« antwortete Zbyszko, »hätte ich das Kreuz nicht gesehen, so würde ich gedacht haben, es sei einer unserer Ritter, und einen der Unserigen hätte ich ja nicht angegriffen.«

»Und wie könnte sich ein anderer Kreuzritter in der Nähe Krakaus aufhalten, wenn er nicht Gesandter oder im gesandtschaftlichen Gefolge wäre?«

Darauf schwieg Zbyszko, weil er nichts zu sagen wußte. Für alle war es nur allzu klar, daß ohne das Dazwischentreten des Herrn von Taczew jetzt vor dem Richter statt des Panzers des Gesandten zur ewigen Schmach des polnischen Volkes der Gesandte selbst mit durchbohrter Brust läge. Sogar die, welche Zbyszko von ganzem Herzen zugethan waren, begriffen daher, daß der Urteilsspruch nicht günstig für ihn lauten könne. In der That sagte denn auch der Kastellan nach kurzem Schweigen: »Dieweil Du in jugendlichem Ungestüm nicht erwogen hast, wen Du angreifst und es sonder Arglist thatest, wird unser Erlöser dies erwägen und Dir verzeihen, aber empfiehl Dich der heiligen Jungfrau, Unglücklicher, denn vor dem Gesetze bist Du schuldig.«

Als Zbyszko diese Worte vernahm, erbleichte er, obgleich er Aehnliches erwartet hatte, aber gleich darauf schob er seine langen Haare zurück, bekreuzte sich und sagte: »Der Wille Gottes geschehe! Wenn ich auch Schweres zu tragen habe!«

Hierauf wendete er sich zu Macko und zeigte mit den Augen auf Lichtenstein, als ob er ihn an etwas mahnen wolle, und Macko nickte mit dem Kopfe zum Zeichen, daß er ihn verstehe. Auch Lichtenstein verstand diesen Blick und diese Bewegung, und trotzdem er ein ebenso mutiges wie rachsüchtiges Herz hatte, überlief ihn doch während eines kurzen Augenblicks ein Schauder vom Kopf bis zu den Füßen, so furchtbar und Unheil verkündend sah das Antlitz des alten Kriegers in diesem Moment aus. Der Kreuzritter sah ein, daß es sich nun zwischen ihm und diesem Ritter um Leben und Tod handle, er sah ein, daß er ihm nicht entrinnen könne, daß sie miteinander kämpfen mußten, sobald er nicht mehr Gesandter war, und wenn es auch in Marienburg sein sollte.

Mittlerweile begab sich der Kastellan in das anstoßende Zimmer, um dem in der Schrift geübten Gerichtsschreiber den Urteilsspruch über Zbyszko zu diktieren.

Manche von den Rittern näherten sich unterdessen dem Kreuzritter mit den Worten: »So mag das jüngste Gericht dem Verurteilten gnädig sein.«

Aber Lichtenstein kümmerte sich nur um Zawisza, weil dieser wegen seiner Kriegsthaten, wegen seiner Kenntnisse der Rittergesetze und wegen der Strenge, womit er diese aufrecht zu erhalten suchte, in der ganzen Welt bekannt war. In Betreff der verwickeltsten Angelegenheiten, bei denen es sich um die Ritterehre handelte, kam man aus fernen Gegenden zu ihm, und niemand wagte, sich ihm zu widersetzen, nicht allein darum, weil ein Zweikampf mit ihm ein Ding der Unmöglichkeit war, sondern auch darum, weil er als »Spiegel der Ehre« betrachtet ward. Ein Wort des Lobes oder des Tadels aus seinem Munde verbreitete sich rasch unter den polnischen, ungarischen, böhmischen und deutschen Rittern und genügte, um den guten oder schlechten Ruf eines Ritters zu begründen.

Ihm nun näherte sich Lichtenstein, und wie wenn er sich wegen seiner Rachsucht rechtfertigen wolle, sagte er: »Allein nur der Großmeister samt dem Kapitel könnte ihm Gnade erweisen – ich aber vermag dies nicht.«

»Wo unsere Gesetze Kraft haben, steht Euerem Meister keine Macht zu, einzig nur unser König kann den Schuldigen begnadigen,« erwiderte Zawisza.

»Als Gesandter mußte ich die Strafe beantragen.«

»Wurdest Du nicht zuerst Ritter und dann erst Gesandter, Lichtenstein?«

»Willst Du damit sagen, daß ich nicht ehrenhaft gehandelt habe?«

»Du kennst unsere Rittergesetze und weißt, daß sie dem Ritter gebieten zwei Tieren nachzuahmen: dem Löwen und dem Lamm. Welchem von diesen Tieren hast aber Du in diesem Handel nachgeahmt?«

»Nicht Du bist mein Richter.«

»Du fragst, ob Du nicht ehrenhaft gehandelt hast, deshalb sage ich Dir, was ich denke.«

»Schlimmes sagst Du mir, und das kann ich nicht hinunterwürgen.«

»An Deiner eigenen Bosheit wirst Du dann ersticken, nicht an der meinen.«

»Aber Christus wird es mir anrechnen, daß die Würde des Ordens mir mehr am Herzen liegt, als Dein Lob.«

»Er wird richten über uns alle.«

Hier ward das Gespräch durch den Eintritt des Kastellans und des Gerichtsschreibers unterbrochen. Obwohl alle schon im voraus gewußt hatten, daß das Urteil ungünstig lauten werde, trat dennoch plötzlich eine angstvolle Stille ein. Der Kastellan ließ sich an dem Tische nieder, und nachdem er das Kruzifix in die Hand genommen hatte, befahl er Zbyszko niederzuknieen. Der Gerichtsschreiber begann das in lateinischer Sprache abgefaßte Urteil vorzulesen. Weder Zbyszko noch die anwesenden Ritter verstanden es, aber alle errieten, daß es ein Todesurteil war. Als der Gerichtsschreiber geendigt hatte, schlug sich Zbyszko an die Brust: »Gott sei mir armen Sünder gnädig!« rief er aus.

Dann erhob er sich und fiel Macko um den Hals. Schweigend küßte dieser die Stirne des Jünglings.

Am Abend desselben Tages verkündete der Herold unter lautem Trompetenschall an den vier Ecken des Marktplatzes den Rittern, Gästen und Bürgern, daß der edelgeborene Zbyszko aus Bogdaniec von dem Kastellangericht zur Enthauptung verurteilt worden war.

Doch Macko bat um Aufschub der Exekution, und dies ward ihm um so leichter, als den Verurteilten jener Epoche stets eine gewisse Zeit bewilligt ward, ihre Angelegenheiten zu ordnen, sich mit ihren Familien ins Einvernehmen zu setzen und mit Gott zu versöhnen. Selbst Lichtenstein drang nicht auf rasche Urteilsvollstreckung, weil er sich sagte, nun dem beleidigten Orden Genüge geschehen sei, dürfe er den mächtigen Monarchen nicht reizen, zudem man ihn auch als Vertreter des Bezirkes von Dobrzyn, nicht nur als Teilnehmer an den Tauffeierlichkeiten gesandt hatte. Die Rücksicht auf die Gesundheit der Königin gab indessen vor allem den Ausschlag. Von einer Exekution vor der Entbindung wollte der Bischof Wysz nichts hören, weil er die Unmöglichkeit einsah, etwas Derartiges vor der Herrin zu verheimlichen, und wußte, daß diese dadurch allzu sehr erregt, ja schwer geschädigt werden könne. Auf diese Weise ward des Zbyszko Leben um einige Wochen, vielleicht auch um etwas mehr, verlängert, so daß er seine letzten Anordnungen zu treffen und Abschied von den ihm Befreundeten zu nehmen vermochte.

Macko besuchte ihn täglich und tröstete ihn, so gut er es verstand. Gar häufig sprachen die beiden voll Betrübnis von dem unvermeidlichen Tode Zbyszkos, und ihre Betrübnis ward noch größer, wenn die Rede darauf kam, daß ihr Geschlecht wohl aussterben werde.

»Es geht nicht anders, Ihr müßt Euch ein Weib nehmen,« sagte Zbyszko eines Tages.

»Viel lieber möchte ich unsere Blutsverwandten aus der Ferne herbeirufen,« entgegnete Macko niedergeschlagen. »Wie kann ich jetzt, da man Dir den Hals abschneiden will, an eine Vermählung denken? Und wenn ich mich auch schließlich dazu verstünde, würde ich es doch nicht thun, bevor ich Lichtenstein meine Forderung geschickt und meiner Rache Genüge gethan habe, dessen kannst Du sicher sein.«

»Gott lohne Euch dafür! So habe ich wenigstens diese Genugthuung! Aber ich wußte, daß Ihr mich nicht verlassen werdet. Wie wollt Ihr gegen ihn vorgehen?«

»Sobald er nicht mehr Gesandter ist, wird es Krieg oder Frieden bei uns geben – verstehst Du? Falls es zum Kriege kommt, fordere ich ihn noch vor der Schlacht zum Zweikampfe heraus.«

»Auf festgetretener Erde?«

»Auf festgetretener Erde, zu Pferde oder zu Fuß. Um Leben oder Tod, nicht um Gefangenschaft wird es sich da handeln. Kommt es aber nicht zum Kriege, dann reite ich nach Marienburg, schlage die Burgthore mit der Lanze ein, und lasse den Trompeter durch Trompetenschall verkünden, daß ich Lichtenstein zum Kampfe auf Leben und Tod fordere. Da kann er sich nicht verstecken.«

»Das ist sicher, daß er sich dann nicht verstecken kann. Und Ihr werdet ihm etwas zu raten aufgeben. Wie gerne möchte ich dabei sein!«

»Ihm etwas zu raten aufgeben? Ja! Zawisza gegenüber würde ich es nicht wagen, Paszko und Powala gegenüber ebenso wenig, aber ohne mich selbst zu loben, mit zweien wie der, nehme ich es vollständig auf. Mag des Kreuzritters Mutter sich vorsehen! Ist jener Friesenritter vielleicht nicht stärker gewesen? Und habe ich ihm nicht den Helm von oben bis unten durchhauen, bis das Beil stecken blieb? In seinem Kiefer blieb es stecken – oder ist es nicht so gewesen?«

Zbyszko atmete erleichtert auf und sagte: »So wird der Tod mir leichter werden.«

Und beide seufzten tief. Mit zitternder Stimme hub dann der alte Edelmann wieder an: »Härme Dich nicht zu sehr. Fürs jüngste Gericht wird man Deine Knochen nicht zusammenlesen müssen. Einen Sarg aus Eichenholz habe ich Dir machen lassen. Nein, wie ein Bauer oder wie ein Neugeadelter wirst Du nicht zu Grunde gehen. Und in einem Rocke wie ihn die Bürger tragen, sollst Du nicht enthauptet werden. Das gebe ich nicht zu. Mit Amylej habe ich schon verabredet, daß Du einen ganz neuen und so kostbaren Rock haben sollst, daß er sogar dem König als Pelzfutter genügen würde. Und auf eine Messe für Dich soll es mir auch nicht ankommen. Nein, fürchte nichts.«

Darob freute sich Zbyszko und sich auf die Hand seines Oheims herabneigend, sagte er abermals: »Möge Euch Gott dafür lohnen.«

Trotz dieses tröstlichen Zuspruches überkam ihn aber zuweilen eine schmerzliche Sehnsucht, und als Macko ihn wieder besuchte, fragte er sogleich, ohne sich und ihm Zeit zur Begrüßung zu lassen, während er durch das Gitterfenster in der Mauer blickte: »Und wie ist es draußen im Freien?«

»Golden leuchtet die Sonne und erwärmt so, daß die ganze Welt darüber erfreut ist.« Daraufhin hob Zbyszko beide Arme empor, und den Kopf zurückwerfend rief er: »Ach, allmächtiger Gott! Nun ein Pferd unter mir zu haben und über die weiten Felder reiten zu können! Weh thut es doch, wenn man so jung zu Grunde gehen muß. Furchtbar weh!«

»Wie oft gehen die Leute samt ihren Pferden zu Grunde,« entgegnete Macko.

»Ja, wenn sie selbst schon viele umgebracht haben.«

Nun fragte er nach den Rittern, welche er am Hofe des Königs gesehen hatte, nach Zawisza, nach Farnrej, nach Powala aus Taczew, nach Lis aus Targowisko und nach allen andern. Er wollte wissen, wie sie sich die Zeit vertrieben, mit welchen Waffenspielen sie sich beschäftigten. Dann hörte er aufmerksam den Bericht Mackos an, welcher erzählte, wie sie sich schon in der Frühe in voller Rüstung zu Pferde setzten, wie sie Stricke zerrissen, wie sie sich mit dem Messer, mit dem Beile und mit Bleigeschossen übten und schließlich auch, welche Schmausereien sie veranstalteten, welche Gesänge sie sangen.

Mit ganzer Seele und ganzem Herzen wünschte nun Zbyszko, an all dem teilnehmen zu können, und als er erfahren hatte, daß Zawisza sich gleich nach der Taufe hinunter ins Ungarland und zu den Türken aufmachen wolle, rief er unwillkürlich aus: »Daß ich doch mit ihm mein Glück versuchen dürfte! Ginge ich dann zu Grunde, so wäre es wenigstens im Kampfe gegen die Heiden.«

Doch des Gefangenen Wünsche konnten nicht erfüllt werden und mittlerweile traten neue Ereignisse ein. Von Zbyszkos Jugend und Schönheit gerührt, hatten die beiden masovischen Fürstinnen dessen traurige Lage nicht vergessen. Endlich beschloß die Fürstin Alexandra Giemowitow einen Brief mit einer Fürbitte an den Großmeister zu schicken. Zwar konnte dieser das vom Kastellan gesprochene Urteil nicht umstoßen, aber er konnte sich wenigstens selbst beim König für den Jüngling verwenden. Und selbst wenn Jagiello nicht Gnade für Recht ergehen ließ, weil es sich um einen Angriff auf den Gesandten handelte, war es gleichwohl nicht zu bezweifeln, daß die Vermittlung des Meisters ihm lieb sein werde. So zog denn neue Hoffnung in das Herz der beiden Frauen ein. Die Fürstin Alexandra, welche eine Vorliebe für die verfeinerten Ordensritter hatte, ward von diesen ungewöhnlich geschätzt. Aus Marienburg kamen häufig reiche Gaben und Briefe an sie, worin sie der Meister eine verehrungswürdige, gottselige Wohlthäterin und vortreffliche Fürsprecherin des Ordens nannte. Ihr Wort galt viel, und es war große Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie keine abschlägige Antwort erhalten werde. Es handelte sich nur darum, den geeigneten Boten zu finden. Mußte dieser doch alles aufbieten, um den Brief so rasch wie möglich abzuliefern und die Antwort zu überbringen. Der alte Macko übernahm den Auftrag ohne langes Bedenken, und der Kastellan erklärte sich bereit, die Urteilsvollstreckung bis zu einem bestimmten Termin hinauszuschieben.

Von neuem Mut erfüllt, war Macko noch den nämlichen Tag geschäftig, sich zur Abreise zu rüsten, dann begab er sich zu Zbyszko und teilte ihm die frohe Nachricht mit.

Im ersten Augenblick bezeigte dieser tatsächlich eine solche Freude, wie wenn die Thüre seines Gefängnisses schon offen stünde. Plötzlich aber ward er nachdenklich, sein Gesicht verfinsterte sich und er sagte: »Wie kann man von jenen Deutschen etwas Gutes erwarten! Auch Lichtenstein hätte den König um Gnade bitten können, – denn er hätte dabei nur gewonnen und sich vor unserer Rache geschützt, – aber gerade deshalb that er es nicht.«

»Er ist ergrimmt darüber, daß wir ihn auf der Landstraße von Tyniec nicht um Verzeihung baten. Doch von dem Ordensmeister Kondrad sprechen die Leute nur Gutes. Und gesetzt auch, wir erreichen nichts, was verlierst Du dann dabei?«

»Ihr habt recht!« entgegnete Zbyszko, »aber beugt Euch nur nicht zu tief vor ihm.«

»Weshalb sollte ich mich vor ihm beugen? Den Brief der Fürstin Alexandra trage ich hin – das ist alles.«

»Da Ihr so gut seid, möge Euch Gott dort beistehen!«

Plötzlich schaute er den Oheim scharf an und sagte: »Und wenn mir der König verzeiht, dann ist Lichtenstein mein, nicht Euer. Nicht Ihr dürft ihn dann fordern. Vergeßt das nicht!«

»So lange Dir der Kopf nicht fest auf dem Nacken sitzt, ist eine Herausforderung unnütz. Und thörichte Gelübde hast Du schon genug abgelegt,« versetzte der Alte erregt.

Dann umarmten sie sich, und Zbyszko blieb allein. Sein Herz war bald von Furcht, bald von Hoffnung erfüllt, als aber die Nacht kam, und ein furchtbarer Sturm losbrach, als das vergitterte Fenster von den grellen Strahlen des Blitzes erleuchtet ward, und die Mauern unter den heftigen Donnerschlägen erzitterten, als schließlich ein starker Windstoß die schwach leuchtende Kerze an seinem Lager auslöschte und tiefe Dunkelheit ihn umgab, da verlor Zbyszko wieder allen Mut, und die ganze Nacht konnte er kein Auge schließen.

»Ich werde dem Tode nicht entgehen, und alles ist vergeblich,« dachte er.

Am folgenden Tage besuchte ihn die edle Fürstin Anna, Janusz’s Gattin; Danusia, die ihre Laute am Gürtel trug, kam mit ihr. Zbyszko kniete zu ihren Füßen nieder und trotz seiner Erschöpfung nach der schlaflosen in Angst und Unruhe verbrachten Nacht hätte er nicht um alles seiner Ritterpflicht vergessen, hätte er nicht um alles verschwiegen, welche Bewunderung er für Danusias Schönheit empfand.

Aber die Fürstin schaute ihn traurig an und sagte: »Spare Deine Bewunderung, denn wenn Macko keine günstige Antwort bringt oder gar nicht zurückkehrt, wirst Du, Armer, binnen kurzem weit Schöneres im Himmel bewundern.«

Heiße Thränen flossen über ihre Wangen, während sie an das unsichere Los des Ritters dachte, und auch Danusia weinte bitterlich. Zbyszko beugte abermals das Knie vor ihnen, denn auch sein Herz ward weich beim Anblick dieser Thränen. Zwar war sein Gefühl für Danusia nicht das eines Ehemannes für sein Weib, doch empfand er, daß er sie von ganzer Seele liebte, und daß sich in seinem Herzen etwas rege, das ihn zu einem andern, weniger heftigen, weniger gewalttätigen und kampflustigen Menschen mache, zu einem Menschen, den eine tiefe Sehnsucht zu der anmutigen Geliebten hinzog. Auch ihn überkam jetzt unendliches Leid darüber, daß er sie verlassen mußte, und unwillkürlich drückte er aus, was er ihr insgeheim gelobt hatte.

»Die Pfauenbüsche lege ich nicht zu Deinen Füßen nieder, Du Arme! – Aber wenn ich vor dem Angesicht Gottes stehe, dann will ich folgendermaßen sprechen: ›Erlaß mir, Herr, meine Sünden und gieb alles Gute, das auf der ganzen Welt vorhanden ist, keinem andern menschlichen Wesen, als der Jungfrau Danusia aus Spychow‹!«

»Nur wenig Zeit ist vergangen, seit Ihr Euch kennen lerntet und jetzt – gebe Gott, daß wir nicht vergeblich hoffen,« sagte die Fürstin.

Nun gedachte Zbyszko all dessen, was sich in der Gaststube zu Tyniec zugetragen hatte, und seine Erschütterung ward immer größer. Schließlich bat er Danusia, ihm das nämliche Lied zu singen, daß sie damals gesungen hatte. Dann hob er sie samt der Bank, auf die sie sich gestellt hatte, empor und trug sie zur Fürstin.

Und obwohl Danusia nicht zum Gesang aufgelegt war, richtete sie sofort das Köpfchen in die Höhe, drückte die Aeuglein zu, gleich einem Vögelchen, und begann:

»Wie wär’ ich gerne

Ein Gänslein klein,

Ich flög’ in die Ferne

Zu Jasio mein.«

»In Schlesien flög’ ich nieder

Auf grünen Rain,

Die Waise sieh’ wieder …«

Doch plötzlich flossen große Thränen unter ihren Lidern hervor – und sie konnte nicht weitersingen. Da nahm Zbyszko sie in seine Arme wie ehemals im Gasthaus zu Tyniec und mit ihr in der Zelle umhergehend, sagte er unablässig voll Entzücken: »Nicht nur die Herrin seh’ ich in Dir – wenn Gott mich rettet, wenn Du herangewachsen bist, und wenn Dein Vater es gestattet, dann nehme ich Dich, Mädchen, zur Frau! Heisa …«

Die Arme um seinen Hals schlingend, verbarg Danusia das verweinte Gesicht an seiner Schulter. Sein wilder Schmerz aber ward größer und größer. Aus dem tiefsten Innern des jungen Slaven brach dies Gefühl unaufhaltsam hervor und äußerte sich in dem ungefügen Gesang:

»Ja, Dich nehme ich, Mädchen,

Dich nur wähl’ ich allein.«

Zu derselben Zeit trat ein Ereignis ein, dem gegenüber alles andere ohne Bedeutung war. Am Abend des 21. Juni verbreitete sich in der Burg die Nachricht von der plötzlichen Erkrankung der Königin. Die herbeigerufenen Aerzte blieben mit dem Bischof Wysz während der ganzen Nacht in ihrer Kemenate, und mittlerweile ward von den dienenden Frauen verkündet, daß der Herrin Zustand eine vorzeitige Niederkunft befürchten lasse. Der Krakauer Kastellan Jasko Topor aus Teczyn sandte noch in derselben Nacht Eilboten an den abwesenden König. Am frühen Morgen schon drang die Kunde in die Stadt und Umgegend. Es war ein Sonntag, ein Schwarm von Andächtigen füllte die Kirchen, in denen die Priester Gebete für die Königin anordneten. Nach dem Gottesdienst begaben sich die fremden Ritter, welche zu den bevorstehenden Festlichkeiten gekommen waren, und die Edelleute zugleich mit einer Deputation von Kaufleuten nach der Burg. Auch die Zünfte und Bruderschaften zogen mit ihren Fahnen herbei. Vom Mittag an umringten unzählige Volksscharen den Wawel-Berg, unter denen die königlichen Bogenschützen die Ordnung aufrecht erhielten, indem sie allen Ruhe und Stille anempfahlen. Die Stadt war fast gänzlich verödet, durch die leeren Straßen zogen nur von Zeit zu Zeit einige Bauern aus der Umgegend, die gleichfalls von der Krankheit der verehrten Herrin gehört hatten und sich nun der Burg zuwendeten. Am Hauptthore erschienen schließlich der Bischof und der Kastellan, neben ihnen die Domherren der Kathedrale, die königlichen Räte und Ritter. Letztere eilten hin und her, mischten sich unter das Volk und mit geheimnisvollen Mienen wiederholten sie noch einmal den strengen Befehl, daß man sich jeden Ausrufes enthalte, weil dies der Leidenden schaden könne. Darauf verkündeten sie allen und jedem, daß die Königin von einer Tochter genesen sei. Diese Nachricht erfüllte die Herzen mit Freude, vornehmlich da man zugleich auch erfuhr, daß trotz der vorzeitigen Entbindung weder für die Mutter noch für das Kind irgend eine Gefahr vorhanden sei. Die Menge zerstreute sich allmählich, weil vor der Burg jede laute Aeußerung untersagt war, sich aber jeder sehnte, seinem Herzen Luft zu machen. Froher Gesang und Freudengeschrei erscholl denn auch bald auf den zum Markte führenden Straßen. Daß ein Mädchen zur Welt gekommen war, darob grämte man sich nicht. »Ist es etwa ein Unglück gewesen,« sagten manche, »daß der König Louis keinen Sohn hatte und daß Jadwiga auf den Thron gelangte? Durch ihre Heirat mit Jagiello ist die herrschaftliche Gewalt verstärkt worden. So wird es auch jetzt sein. Eine solche Erbin, wie unsere Königstochter, kann man weit suchen, da weder der römische Cäsar, noch einer der anderen Herrscher sich eines solchen Reiches rühmen dürfen, und da sie weder über so viel Grund und Boden noch über eine solche Ritterschaft gebieten. Um die Hand der Prinzessin werden sich die mächtigsten Monarchen der Erde bewerben, vor ihr werden sich Könige und Königinnen beugen, sie werden nach Krakau kommen, der Kaufmannschaft wird Nutzen daraus erwachsen, und dabei wollen wir nicht einmal davon reden, daß irgend ein neues Reich, das böhmische oder ungarische mit unserem Königreich vereinigt werden kann.« Besonders die Kaufleute äußerten sich so, und mit jedem Augenblick ward der Jubel allgemeiner. In den Privatwohnungen und Gasthäusern wurden Schmausereien veranstaltet. Auf dem Markte wimmelte es von Laternen-und Fackelträgern. Die Landleute aus der Umgegend, von denen immer mehr nach der Stadt zogen, schlugen ihr Lager bei ihren Wagen auf. Die Juden standen lebhaft gestikulierend vor der Synagoge von Kasimierz. Bis spät in die Nacht, fast bis zum Morgengrauen war es so laut auf dem Markte, besonders beim Rathause und bei den Lagerfeuern, wie zur Zeit der großen Jahrmärkte. Man teilte sich gegenseitig die Nachrichten mit, sandte deshalb in die Burg und drängte sich dann dicht um die mit frischer Kunde Zurückkehrenden.

Daß der Bischof Peter das Kind noch in derselben Nacht getauft habe, war eine schlimme Nachricht, denn daraus ging hervor, daß es sehr schwach sein mußte. Erfahrene Frauen jedoch berichteten von Fällen, in denen Kinder, die bei der Geburt halbtot gewesen, erst nach der Taufe zum Leben erwacht seien. So erfüllte wieder neue Hoffnung die Herzen, zumal der Name, den man der Neugeborenen gegeben, ein glückverheißender war. Man sagte sich, weder ein Bonifacius noch eine Bonifacia könne sofort nach der Geburt sterben, da sie dazu bestimmt seien, Gutes zu stiften. Welches Kind sei aber im stande, in der ersten Zeit Gutes oder Schlimmes zu thun?

Am folgenden Tage kamen indessen ungünstige Nachrichten über das Befinden von Mutter und Kind aus der Burg und die ganze Stadt geriet in Bestürzung. Die Kirchen waren so gedrängt voll wie im Ablaßjahre. Allerlei feierliche Gelübde wurden abgelegt. Man sah Landleute, welche ein Viertel Getreide, ein Lamm oder einen Hahn, getrocknete Schwämme oder Nüsse zum Opfer herbeibrachten. Auch die Ritter, Kaufleute und Handwerker spendeten Opfergaben. Zu den wunderthätigen Heiligen wurden Boten geschickt. Die Astrologen forschten eifrig in den Sternen. In Krakau wurde eine feierliche Prozession angeordnet, woran sich alle Zünfte und Brüderschaften beteiligten. Die ganze Stadt war mit Fahnen geschmückt. Auch eine Prozession von Kindern ward feierlich abgehalten, denn man glaubte, daß Gott die Fürbitte dieser unschuldigen Wesen zuerst erhören werde. Und immer neue Scharen aus der Umgegend strömten durch die Thore herein.

So verging ein Tag nach dem andern, während die Glocken beständig läuteten, die Kirchen gedrängt voll waren, Prozessionen und Andachten rasch aufeinander folgten. Als nun eine Woche vorüber war und die hohe Kranke sowie das Kind noch lebten, zog neuer Mut in aller Herzen ein. Es erschien den Leuten wie ein Ding der Unmöglichkeit, daß Gott so frühzeitig die Herrin zu sich nehmen sollte, welche schon so viel zu seiner Ehre gethan hatte, und deren großes Werk dann unvollendet geblieben wäre, daß er jetzt schon die Glaubensbotin zu sich nehmen sollte, welche ihr eigenes Glück zum Opfer gebracht hatte, um das letzte Heidenvolk in Europa zum Christentum zu bekehren. Die Gelehrten erinnerten sich, daß sie unendlich viel für die Akademien gethan, die Geistlichen gedachten ihrer Frömmigkeit, die Staatsmänner sagten sich, wie sehr sie für den Frieden zwischen den christlichen Monarchen, die Rechtsgelehrten wie sehr sie für die Gerechtigkeit gewirkt hatte. Die Armen erinnerten sich, wie barmherzig sie gewesen, und allen wollte es nicht in den Sinn, daß ein Leben, das dem Königreiche, ja der ganzen Welt so nötig war, vor der Zeit dahingerafft werden könne.

Am 13. Juli verkündete die Totenglocke, daß das Kind gestorben war. Wieder war die Stadt gedrängt voll. Angst und Unruhe ergriff die Leute, und abermals umringten sie die Burg, um nach dem Befinden der Königin zu fragen. Doch diesmal kehrte niemand mit guten Nachrichten zurück. Im Gegenteil, der Gesichtsausdruck der im Schlosse ein und ausgehenden Herren ward mit jedem Tage düsterer. Man erzählte sich auch, daß der Priester Stanislaus aus Skarbimierz, Magister der freien Künste in Krakau, die Königin nicht mehr verlasse, und daß diese täglich kommuniziere. Weiter erzählte man sich, bei jeder Kommunion sei ihre Kemenate von einem himmlischen Scheine erfüllt. Manche sahen den Schein sogar durch das Fenster, doch der Anblick erfüllte die der Herrin treuergebenen Herzen mit Schrecken. Betrachteten sie es doch als ein Zeichen, daß die Kranke dem irdischen Leben schon entrückt war.

Wieder andere hingegen glaubten nicht an einen so furchtbaren Ausgang, und trösteten sich mit der Hoffnung, daß der gerechte Gott es mit einem Opfer bewenden lasse.

Am Freitag den 17. Juli, in der Frühe, verbreitete sich das Gerücht, daß die Königin ihrem Ende entgegen gehe. Wer nur konnte, begab sich so rasch wie möglich zur Burg. Wieder war die Stadt vollständig verödet, nur die Gebrechlichen und Krüppel blieben zurück, denn sogar die Mütter mit den kleinen Kindern eilten den Thoren zu. Die Kaufgewölbe wurden nach einander geschlossen, niemand dachte an eine Mahlzeit, alle Geschäfte hatten aufgehört. Den Wawel umringte eine dichte Menschenmenge, voll Bestürzung und Angst, aber in düsterem Schweigen.

Um 1 Uhr des Nachmittags ertönte die Glocke auf dem Turme der Kathedrale. Was dies zu bedeuten hatte, wußten die harrenden nicht, und das Haar sträubte sich auf ihrem Haupte. Aller Augen richteten sich gegen den Turm, auf die immer stärker anschlagende Glocke, deren wehmütige Klänge bald durch das Geläute der Franziskanerkirche, der heiligen Dreifaltigkeitskirche und der Marienkirche nachgeahmt wurden. Schließlich begriff man, was diese klagenden Töne bedeuteten, und Schrecken und Bestürzung erfüllten nun die Seelen dieser Menschen. Schien doch die eherne Stimme tief in ihr Innerstes zu dringen.

Plötzlich zeigte sich auf dem Turm eine schwarze Fahne mit einem Totenkopfe in der Mitte, unter dem zwei kreuzweise übereinandergelegte Knochen zu sehen waren. Jeder Zweifel schwand nun dahin. Die Königin hatte ihre Seele Gott empfohlen. Vor der Burg erscholl lautes Weinen, und die Klagen von hunderttausend Menschen vermischten sich mit den wehmütigen Klängen der Glocken. Einige der Trauernden warfen sich zur Erde, wieder andere zerrissen ihre Kleider oder zerfleischten ihre Gesichter, manche schauten wie erstarrt auf die Burgmauern, viele ließen nur ein dumpfes Stöhnen hören, unzählige aber streckten die Arme gegen die Kirche und die Kemenate der Königin aus, indem sie Gott um Barmherzigkeit und um ein Wunder anflehten. Doch ließen sich auch Stimmen von Leuten vernehmen, welche durch die Verzweiflung sogar zur Gotteslästerung hingerissen wurden. »Weshalb ist uns die geliebte Herrin entrissen worden? Wozu dienten dann unsere Prozessionen, unsere inbrünstigen Gebete? Unsere Gelübde, unsere Opfergaben aus Silber und Gold waren willkommen, und all dies soll für nichts gewesen sein? Wieviel hast Du uns genommen und nichts dafür gegeben!«

Und Jesu! Jesu! Jesu! stöhnten gar manche, deren Augen fortwährend von Thränen überflossen. All’ diese Menschen wollten in die Burg eindringen, um noch einmal in das geliebte Antlitz der Herrin zu blicken. Man gestattete es nicht, versprach ihnen aber, daß der Leichnam binnen kurzem in der Kirche aufgebahrt werde, und daß dann jeder ihn sehen und am Sarge beten könne. Voll Trauer kehrten sie nun in die Stadt zurück, indem sie untereinander von den letzten Augenblicken der Königin, von dem bevorstehenden Leichenbegängnisse und den Wundern sprachen, welche an ihrer Leiche, sowie an ihrer Grabstätte geschehen würden, und die von allen mit Sicherheit erwartet wurden. Auch war vielfach die Rede davon, daß die Königin wohl heilig gesprochen werde, denen aber, welche daran zweifelten, drohte man voll Zorn mit dem Papste.

Die Stadt und das ganze Land waren in tiefe Trauer versenkt, und jedermann, nicht nur das gemeine Volk, sagte sich, mit dem Tode der Königin sei der günstige Stern für das Reich erloschen. Sogar unter den vornehmen Herren zu Krakau gab es solche, welche düster in die Zukunft blickten. Sich selbst und andern begann man die Frage vorzulegen, was nun geschehen werde. Ob Jagiello jetzt noch ein Anrecht auf die Herrschaft über das Königreich habe oder zurückkehre in sein Litauen und sich mit dem großfürstlichen Throne begnüge? Manche behaupteten im voraus – und wie es sich später zeigte, nicht ohne Grund, – daß er zurücktreten werde, daß die Krone in diesem Falle große Ländereien einbüßen müsse, daß dann die Litauer neue Einfälle machen und die ergrimmten Einwohner des Königreiches blutige Vergeltung üben würden. Der Orden, der römische Cäsar, der ungarische König würden dann an Macht gewinnen und dem Reiche, das jetzt noch eines der mächtigsten auf der ganzen Welt war, würde Untergang, Schmach und Schande drohen.

Die Kaufleute, denen das weite litauische und russische Land offen stand, legten aus Angst vor dem drohenden Verluste fromme Gelübde ab, damit Jagiello im Reiche bleibe, aber in dem Falle wurde ein baldiger Krieg mit dem Orden prophezeit. War es doch eine bekannte Thatsache, daß nur die Königin bis jetzt einen solchen Krieg verhindert hatte. Und die Leute erinnerten sich, daß sogar Jadwiga einst voll Entrüstung über die Geldgier und Habsucht der Kreuzritter, gleich einer Seherin verkündet hatte: »So lange ich lebe, so lange halte ich die Hand und den gerechten Zorn meines Gatten von Euch ab, aber bedenkt, daß Euch nach meinem Tode die Strafe für Euere Sünden treffen wird!«

In ihrem Hochmut, ihrer Verblendung, fürchteten die Ordensritter den Krieg zwar nicht, weil sie darauf rechneten, daß nach dem Tode der Königin der Ruf von deren Heiligkeit den Zuzug von Kriegern aus den westlichen Gebieten nicht verhindern werde, und ihnen dann Tausende aus Deutschland, Burgund, aus dem Frankenlande und aus anderen fernen Ländern zu Hilfe kommen würden. Immerhin war aber der Tod Jadwigas ein so weittragendes Ereignis, daß der Gesandte des Ordens, ohne die Rückkunft des abwesenden Königs abzuwarten, sich eilig nach Marienburg begab, um dem Großmeister und dem Kapitel zuerst die wichtige, ja, in gewisser Hinsicht unheilverkündende Nachricht mitzuteilen. Von den übrigen Gesandten brachen einige gleich nach Ritter Lichtenstein auf, während andere Boten zu ihren Monarchen schickten.

In dumpfer Verzweiflung langte Jagiello in Krakau au. Im ersten Schmerze erklärte er den Herren vom Hofe, ohne die Königin wolle er das Herrscheramt nicht länger ausüben, sondern sich nach seinem Erbgut in Litauen zurückziehen. Dann verfiel er in eine Art Erstarrung, er wollte keinerlei Entscheidung treffen, er beantwortete keine Frage, zuweilen aber wütete er gegen sich selbst, weil er abgereist und bei dem Tode der Königin fern gewesen war, weil er sich nicht von ihr verabschieden, ihre letzten Worte und Wünsche nicht hatte hören können. Vergebens stellten ihm Stanislaw von Skarbimierz und Bischof Wysz vor, daß die Erkrankung der Königin ganz unerwartet gekommen sei, und daß er aller menschlichen Berechnung nach Zeit genug gehabt hätte, zurückzukehren, wenn die Entbindung nicht verfrüht gewesen wäre. Dies gewährte ihm keine Beruhigung und linderte seinen Schmerz auch nicht. »Ohne sie bin ich nicht mehr der König, der Herrscher,« erwiderte er, »sondern nur ein reuiger Sünder, der keinen Trost kennt.« Dann warf er sich mit dem Gesicht zu Boden und niemand vermochte mehr ein Wort aus ihm herauszubringen.

Unterdessen beschäftigte man sich eifrig mit den Vorbereitungen zum Leichenbegängnisse der Königin. Neue Menschenscharen strömten aus allen Teilen des Königreiches herbei, Edle und Leute aus dem Volke, vornehmlich aber Arme, welche auf reiche Spenden während der, einen ganzen Monat andauernden Feierlichkeiten hofften. Der in der Kathedrale ausgestellte Leichnam der Königin war derart aufgebahrt, daß der obere Teil des Sarges erhöht stand. Man hatte dies absichtlich so eingerichtet, damit das Volk in das Antlitz der Königin schauen konnte. In der Kathedrale wurde beständig Gottesdienst abgehalten. Tausende von Wachskerzen brannten am Katafalke, und mitten in diesem Schimmer, zwischen Blumen, lag » Sie«, friedlich lächelnd, einer weißen Rose gleich, die Hände fromm über dem lorbeergeschmückten Gewande gefaltet. Das Volk sah eine Heilige in ihr, Besessene, Krüppel, kranke Kinder wurden zu ihr geführt, und plötzlich ließ sich im Mittelpunkte der Kirche der Aufschrei einer Mutter vernehmen, welche in dem Gesichte ihres Kindes eine schwache Röte, das Zeichen wiederkehrender Gesundheit gewahrte, dann der eines Paralytikers, der seine gelähmten Glieder wieder gebrauchen konnte. Ein ehrfurchtsvoller Schauer erfüllte alle Herzen, die Kunde von diesen Wunderthaten verbreitete sich durch die Kathedrale, die Burg, die Stadt, und zog immer größere Scharen siecher Menschen herbei, welche sich hier Hilfe und Rettung versprachen.

Zbyszko war jetzt vollständig vergessen, denn wer hätte bei einem so furchtbaren Unglück an einen einfachen Jüngling und an dessen Gefangenschaft in der Schloßbastei denken können. Er war durch den Gefangenwärter von der Krankheit der Königin in Kenntnis gesetzt worden, er hatte auch das Getümmel des Volkes vor der Burg vernommen, und als er dann die lauten Klagen, das Geläute hörte, warf er sich auf die Knie nieder, und seines eigenen Schicksals eingedenk, beweinte er von ganzer Seele den Tod der vergötterten Herrin. Ihn dünkte, mit ihrem Dahinscheiden sei auch für ihn alles zu Ende, ihn dünkte, die ganze Welt müsse nun zu Grunde gehen.

Der Lärm, den die Vorbereitungen zur Leichenfeier hervorbrachten, das Geläute der Glocken, der Gesang der Prozessionen und das Getümmel der Menge drang bis in seine Zelle. Acht Tage währte dies. Während dieser Zeit ward er immer trauriger, verlor er die Lust zu essen, zu schlafen und ging in seinem Gefängnisse umher wie ein wildes Tier in seinem Käfig. Auch die Einsamkeit lastete schwer auf ihm, da oftmals ein Tag verging, ohne daß der Gefangenwärter ihm Speise und frisches Wasser brachte, so sehr waren alle mit der Leichenfeier der Königin beschäftigt. Seit dem Tode Jadwigas hatte ihn niemand besucht, weder die Fürstin, noch Danusia, noch Powala aus Taczew, welcher ihm ehemals so viel Mitgefühl bezeigt hatte, noch der Kaufmann Amylej, der Bekannte Mackos. Voll Bitterkeit sagte sich Zbyszko, nun, da Macko abwesend sei, denke niemand mehr an ihn. Zuweilen ging ihm der Gedanke durch den Kopf, daß man ihn und Recht und Gerechtigkeit vergessen habe, und daß er elend in diesem Gefängnisse verschmachten müsse. Dann betete er inbrünstig um den Tod.

Schließlich, als seit der Leichenfeier ein Monat und mehr vergangen war, begann er an der Rückkehr Mackos zu zweifeln. Hatte dieser doch versprochen, sich zu sputen und sein Pferd nicht zu schonen. Marienburg lag ja auch nicht am Ende der Welt. In drei Monaten konnte man hingelangen und wieder zurücksein – vornehmlich wenn man sich beeilte. »Aber vielleicht beeilte er sich nicht!« sagte sich Zbyszko voll Kummer, »vielleicht hat er sich unterwegs ein Weib gesucht und geleitet sie voll Freude nach Bogdaniec, ich aber muß in meinen jungen Jahren alles der Barmherzigkeit Gottes anheimstellen.

Zuletzt verlor er jedes Maß für Zeitberechnung, er sprach auch nicht mehr mit seinem Wärter, und mir die Sommerfäden an dem Eisengitter seines Fensters ließen ihn erkennen, daß der Herbst herangekommen war. Stundenlang saß er nun auf seinem Lager, die Ellenbogen auf den Knien, die Finger in den ihm jetzt weit über die Schultern herabhängenden Haaren vergraben, und im Halbschlafe in einer gewissen Erstarrung, hob er sogar auch dann das Haupt nicht mehr, wenn der Wärter, der ihm Speise brachte, eine Frage an ihn richtete.

Doch eines Tages drehte sich knirschend die Thüre in ihren Angeln, und von der Schwelle her ertönte eine wohlbekannte Stimme.

»Zbyszko!«

»Oheim!« schrie Zbyszko von seiner Pritsche aufspringend.

Macko umarmte ihn, dann nahm er das blonde Haupt des Jünglings in seine Hände und küßte ihn. Zbyszkos Herz aber war so voll von Leid, Bitterkeit und Sehnsucht, daß er an der Brust des Oheims weinte wie ein kleines Kind. »Ich glaubte schon, Ihr würdet nicht zurückkehren,« sagte er schluchzend.

»Dazu hätte auch nicht viel gefehlt!« versetzte Macko.

Erst jetzt erhob Zbyszko das Haupt und nachdem er den Oheim aufmerksam betrachtet hatte, rief er aus: »Was ist mit Euch vorgegangen?« Und voll Verwunderung schaute er auf das abgemagerte, eingesunkene, totenbleiche Antlitz des alten Kriegers, auf dessen gebeugte Gestalt, aus die ergrauten Haare. »Was ist mit Euch vorgegangen?« wiederholte er.

Macko ließ sich auf die Pritsche nieder und seufzte schwer. »Was mit mir vorgegangen ist?« fragte er schließlich. Kaum war ich über die Grenze gelangt, als die Deutschen im Walde mit Pfeilen auf mich schossen. Es waren Raubritter, verstehst Du? Noch jetzt kann ich kaum zu Atem kommen, wenn ich daran denke. Aber Gott sandte mir Hülfe, sonst würdest Du mich jetzt nicht vor Dir sehen.«

»Wer ist Euch zu Hülfe gekommen?«

»Jurand aus Spychow,« entgegnete Macko.

Ein kurzes Schweigen folgte.

»Zuerst überfielen sie mich« – berichtete dann Macko – »dann überfiel er sie. Nur die Hälfte von ihnen entkam. Er nahm mich dann in seine Burg, und dort, in Spychow, rang ich drei ganze Wochen mit dem Tode. Aber Gott ließ mich nicht sterben, und wenn es mir auch noch schwer ward, bin ich doch zurückgekehrt.«

»So seid Ihr gar nicht in Marienburg gewesen?«

»Wie hätte ich dort hingelangen können? Sie rissen mir alles weg und nahmen nur den Brief samt den anderen Sachen. Ich kehrte zurück und wollte die Fürstin Alexandra um einen zweiten bitten, aber ich verfehlte sie – und ob ich sie jetzt noch treffe, weiß ich nicht – denn bald mache ich mich nach jener Welt auf.« Bei diesen Worten spie er in die Hand und sie gegen Zbyszko ausstreckend zeigte er ihm dunkle Blutspuren. »Siehst Du?« sagte er und nach einer Weile fügte er hinzu: »Der Finger Gottes ist hierin zu sehen!«

Tief bedrückt schwiegen beide einige Zeit, dann fragte Zbyszko: »Also speist Du häufig Blut?«

»Wie sollte dies anders sein, wenn mir eine Pfeilspitze eine halbe Spanne weit zwischen den Rippen stecken geblieben ist. Da würdest Du auch Blut speien, dessen kannst Du sicher sein! Bei Jurand befand ich mich schon besser, aber jetzt bin ich wieder furchtbar ermattet, denn der Weg war lang, und ich ritt schnell.«

Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski

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