Читать книгу Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski - Henryk Sienkiewicz - Страница 9

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Aber die Fürstin lächelte freudig, und selbst Mikolaj von Dlugolas gab seine Zufriedenheit kund, während die übrigen laut Zbyszko rühmten. Wurde doch zu damaliger Zeit die Kraft mehr als jede andere Gabe geschätzt. Fröhlich blickte Danusia, der die Frauen fortwährend »Freue Dich, freue Dich!« zuriefen, auf den Gefeierten. Den überaus stolz darein schauenden Zbyszko suchte indessen Mikolaj von Dlugolas sofort zu einem gewissen Maßhalten zu bringen, indem er also sprach:

»Sei nicht gar zu stolz, denn es giebt weit kräftigere Gesellen, als Du einer bist. Ich selbst war zwar nicht Augenzeuge, aber mein Vater hat mir von einem Vorgange erzählt, der sich an dem Hofe des römischen Kaisers Karl ereignet hat. Als einmal der König Kasimir zu Besuche kam mit größerem Gefolge, befand sich auch der starke Staszko Ciolek darunter, der Sohn des Wojwoden Andrzej. Der Kaiser rühmte sich seinem Gaste gegenüber, daß zu seinen Mannen ein Böhme gehöre, der jeden Bären um den Leib packe, um ihn dann mit einer Hand zu erwürgen, ja, er veranstaltete eine Vorstellung, in welcher der Böhme zwei Bären auf diese Weise tötete. Das ließ nun unsern König nicht ruhen, ihn grämte der Gedanke, man könne seine Leute geringer achten als die des Kaisers, und wenige Tage vor der Abreise sprach er daher: ›Wißt, mein Ciolek läßt sich von dem Böhmen nicht beschämen.‹ Daraufhin wurde festgesetzt, daß die beiden nach Verlauf von drei Tagen mit einander ringen sollten. Zur bestimmten Zeit versammelten sich gar viele Edelfrauen und Ritter in dem zum Kampfplatze ausersehenen Schloßhofe. Der Wettstreit dauerte jedoch nicht lange, denn binnen kurzem brach Ciolek dem Böhmen das Kreuz, zermalmte ihm alle Knochen und ließ ihn zum Ruhme des Königs erst als Toten aus den Händen. Doch nicht genug damit! Ciolek, der seit dem Kampfe auch ›Knochenbrecher‹ genannt wurde, trug einmal ganz allein von einem Turme die Glocke, welche so groß war, daß sie sonst kaum von zwanzig Männern von der Stelle gebracht werden konnte.«

»Stand er denn damals schon im vorgeschrittenen Mannesalter?« fragte Zbyszko.

»Nein, er war noch ganz jung.«

Inzwischen war Powala aus Taczew beständig an der Seite der Fürstin geritten. Jetzt neigte er sich zu ihr, schilderte ihr wahrheitsgetreu den schlimmen Vorgang zwischen dem Kreuzritter und Zbyszko und bat sie inständigst, Fürsprache für letzteren einzulegen, der vielleicht schwer für sein unüberlegtes Vorgehen büßen müsse. Die Fürstin, der Zbyszko sehr wohl gefiel, nahm die Mitteilung voll Kummer entgegen und zeigte sich äußerst beunruhigt.

»Bei dem Bischof von Krakau bin ich wohlgelitten,« ergriff Powala nach kurzem Schweigen wieder das Wort, »ich kann also bei ihm bitten und bei der Königin. Je mehr Fürsprecher jedoch da sind, desto besser ist es für den Milchbart …«

»Wenn die Königin für ihn eintritt, wird ihm kein Haar auf dem Haupte gekrümmt werden,« erklärte Anna Danuta. »Der König stellt sie sehr hoch wegen ihrer Frömmigkeit und wegen ihrer großen Mitgift, jetzt aber verehrt er sie geradezu, da die Schmach der Unfruchtbarkeit von ihr genommen ist. In Krakau ist aber auch die Fürstin Ziemowit – eine Schwester des Königs, für die er große Liebe hegt, an sie wendet Euch. Selbstverständlich versuche auch ich alles, was in meiner Macht steht, allein jene ist ihm leiblich verwandt, und ich bin nur seine Base.«

»Der König ist aber doch sehr eingenommen für Euch, edle Frau.«

»Ach, nicht so sehr,« entgegnete in etwas schmerzlichem Tone die Fürstin. »Ich werde mit dem Gliede einer goldenen Kette abgefunden, während jene eine ganze Kette erhält, für mich wird ein Fuchspelz als ganz genügend erachtet, jene aber muß einen Zobelpelz haben. Für keinen Menschen in der Familie hegt der König eine solche Vorliebe, wie für Alexandra. Ich erinnere mich keines einzigen Tages, an dem er sie mit leeren Händen entlassen hätte …«

Unter solchen Gesprächen näherten sich die Reisenden allgemach ihrem Ziele. Auf der Landstraße wurde es stündlich lebhafter. Zahllose Landedelleute, teils in Rüstungen, teils in sommerlichen Gewändern und in Strohhüten, zogen an der Spitze ihrer Knechte in die Stadt. Etliche davon waren beritten, andere fuhren in Wagen, von ihren Frauen und Töchtern begleitet, welche auch die längst angekündigten Turniere sehen wollten. An verschiedenen Stellen war die Landstraße geradezu von Wagen mit Salz, Wachs, Getreide, Fischen, Tierfellen und Holz gesperrt, da es der Abgaben wegen den Kaufleuten nicht gestattet wurde, die Stadt zu umgehen. Gar viele Wagen mit allerlei Stoffen, mit Bierfässern, kurz, mit den mannigfaltigsten Waren beladen, fuhren in die Stadt. Schon wurden die königlichen, die herrschaftlichen und die städtischen Gärten sichtbar, die von allen Seiten Krakau mit seinen Mauern und Kirchtürmen umschlossen. In der nächsten Nähe der Stadt erreichte der Lärm seinen Höhepunkt, und an den Thoren stauten sich Wagen, Reiter und Fußgänger in einer solchen Weise, daß kaum durchzukommen war.

»Welch eine Stadt!« rief Macko. »Ein zweites Krakau giebt es nicht mehr auf der Welt!«

»Es ist, als ob immer Jahrmarkt darin wäre!« meinte einer der fahrenden Schüler. »Seid Ihr schon einmal früher hier gewesen, Herr?«

»Vor langer Zeit. Jetzt aber überrascht mich der Anblick Krakaus dermaßen, daß mich dünkt, ich sähe die Städte zum erstenmal nach einem Aufenthalte in wilder Gegend.«

»Krakau soll sich unter König Jagiello unendlich entwickelt haben.«

»Das ist wahr. Seit der litauische Großfürst den Thron bestiegen hat, sind unermeßliche litauische und russische Länderstrecken dem krakauischen Handel eröffnet worden. Infolgedessen nahm die Stadt tagtäglich an Wohlhabenheit, an Bevölkerung zu – es entstanden eine Reihe neuer Bauten, und jetzt wird Krakau zu den bekanntesten Städten der Welt gerechnet.«

»Nun, nun, die Städte der Kreuzritter sind auch nicht zu verachten,« ließ sich aufs neue der auffällig dicke fahrende Schüler vernehmen.

»Ja, wer dahin kommen könnte!« entgegnete Macko. »Welch eine Beute wäre da zu gewinnen.«

Powala erwog noch immer in seinem Sinn das Schicksal Zbyszkos, der doch nur durch sein thörichtes Vorgehen eine Schuld auf sich geladen hatte und sich jetzt einfach in den Rachen des Wolfes begab. Der Herr von Taczew besaß, trotz seiner grimmigen und rauhen Außenseite, ein taubenfrommes Herz; er konnte sich des Mitleids mit dem jungen Gesellen nicht erwehren, wußte er doch am besten von allen, was den Schuldigen treffen werde.

»Ich sinne und sinne,« wandte er sich aufs neue zu Anna Danuta, »ob man der Königin von dem Geschehnis Kunde geben soll oder nicht. Wenn der Kreuzritter die Klage unterläßt, dann kommt es nicht zur Verhandlung, doch, angenommen, er beklagt sich, dann wäre es angemessener, durch die vorherige Auseinandersetzung einem plötzlichen Zornesausbruch vorzubeugen.«

»Sobald der Kreuzritter jemand ins Verderben stürzen kann, thut er es auch,« warf die Fürstin hier ein. »Doch ich werde sofort Zbyszko zu überreden suchen, an meinem Hofe zu bleiben. Vielleicht wird es sich der König doch überlegen, allzu streng gegen einen meiner Hofleute vorzugehen.«

Und ohne lange zu zögern, ließ sie Zbyszko zu sich entbieten. Als dieser hörte, um was es sich handle, sprang er sogleich vom Pferde und sich Anna Danuta zu Fuße nähernd, erklärte er sich mit der größten Freude bereit, fortan bei ihrem Hofe zu bleiben, wobei ihm aber seine persönliche Sicherheit weit weniger am Herzen lag, als die Gewißheit, dadurch in der Nähe Danusias verharren zu können.

Powala war inzwischen zu Macko geritten. »Wo wollt Ihr wohnen?« fragte er diesen.

»In einer mir bekannten Herberge.«

»In den Herbergen giebt es längst keinen Platz mehr.«

»Dann gehen wir zu einem mir befreundeten Kaufmann, Amylej mit Namen. Vielleicht nimmt er uns auf.«

»Hört jetzt meinen Vorschlag: Kommt zu mir als meine Gäste. Euer Bruderssohn könnte zwar mit dem Gefolge der Fürstin im Schlosse wohnen, allein ich halte es für besser, wenn er dem Könige nicht gleich unter die Hände kommt. Gar häufig thut man im ersten Zornesausbruch manches, was man später unterlassen würde. Ihr müßtet ja auch dann alles teilen, was Euch gemeinsam gehört – die Wagen und die Knechte, und dazu ist Zeit nötig. Bei mir jedoch, das dürft Ihr glauben, seid Ihr gut und sicher aufgehoben.«

Obwohl beunruhigt darüber, daß Powala die Sicherheit Zbyszkos dermaßen gefährdet erachtete, willigte Macko doch mit großer Freude in den Vorschlag ein, und so ritten sie gemeinsam in die Stadt. Bei dem wunderbaren Anblick aber, der sich ihnen hier bot, vergaßen sowohl sie wie Zbyszko aufs neue für einige Zeit aller Sorgen. Denn was hatten sie bis jetzt in Litauen und an der Grenze gesehen? Einzelne Burgen, und von bedeutenderen Städten nur Wilna, das wohl teilweise schlecht aufgebaut worden war, größtenteils aber noch in Trümmern lag. Hier hingegen reihte sich ein steinernes Handelshaus an das andere, und alle konnten an Pracht mit den litauischen großfürstlichen Burgen wetteifern. Wohl gab es auch zahlreiche Häuser aus Holz in Krakau, allein selbst diese Gebäude erregten Bewunderung durch ihre Höhe und durch ihre aus kleinen, in Blei gefaßten Glasstückchen bestehenden Fenster, auf denen sich die untergehende Sonne in solch roter Glut spiegelte, daß man glauben konnte, es sei Feuer in den Häusern ausgebrochen. In den in der Nähe des Marktes liegenden Straßen standen gleichfalls ganze Reihen von hohen, teils schmalen, teils breiten Bauten, entweder aus Ziegeln oder aus Stein aufgeführt, alle mit gewölbtem Hausflur, Erkern und mit kreuzartigen Verzierungen, sowie häufig mit den Merkmalen der Leiden Christi oder mit dem Bilde der Jungfrau Maria über dem Thorbogen geschmückt. Auf beiden Seiten dieser mit Stein gepflasterten Straßen befanden sich in tiefen Gewölben die prächtigsten, wunderbarsten Warenlager, auf die Macko, gewöhnt an reiche Kriegsbeute, manch gierigen Blick warf. Unendliches Staunen riefen aber bei ihm und Zbyszko die öffentlichen Gebäude hervor, so die Kirche der Jungfrau Maria auf dem Ringe, das Rathaus mit seinem Riesenkeller, wo das Swidnicer Bier verzapft wurde, die anderen Kirchen, das geräumige mercatorium, das für ausländische Kaufleute bestimmt war, der Bau, in dem die städtische Wage stand, die Badehäuser, die Haarschneidekabinette, die Kupfer-, Gold-und Silberschmelze, die Bierbrauereien mit ihren zahllosen Fässern neben dem sogenannten Schrotamte, kurz, all diese Sehenswürdigkeiten, von denen ein der Stadt ungewohnter Mensch, selbst wenn er der wohlhabende Besitzer einer kleinen Burg sein mochte, keine Ahnung haben konnte.

Powala führte Macko und Zbyszko in sein, in der Straße Sankt Maria gelegenes Heim, befahl, ihnen eine große Stube herzurichten, übergab sie der Obhut seiner Pagen und eilte sofort in das Schloß, von wo er erst in später Nacht zurückkehrte. Trotzdem brachte er aber noch einige Freunde zum Mahle mit, die sich Trank und Speise wohl schmecken ließen. Der Wirt selbst aber zeigte eine sehr bekümmerte Miene, und als er endlich mit den beiden Edelleuten aus Bogdaniec allein war, sagte er zu Macko: »Ich habe Rücksprache mit einem Kanonikus genommen, der des Schreibens und des Rechtes kundig ist. Und wißt Ihr, was er behauptet: die Beleidigung eines Gesandten fordere ein Halsgericht. Betet daher zu Gott, damit sich der Kreuzritter nicht beschwere.«

Wenn nun auch Macko und Zbyszko dem Mahle frohgemut beigewohnt und sogar im Trinken das Maß etwas überschritten hatten, legten sie sich doch jetzt mit kummervollen Herzen zur Ruhe. Macko vermochte nicht einzuschlafen und rief schließlich: »Zbyszko!«

»Was wollt Ihr.«

»Siehst Du, wenn ich mir so alles überlege, fürchte ich immer mehr, daß es Dir Deinen Kopf kosten wird.«

»Glaubt Ihr?« fragte Zbyszko mit der Schlaftrunkenheit der Jugend und schlummerte, vom Ritte ermüdet, sich der Wand zukehrend, ruhig ein.

Am nächsten Tage begaben sich die beiden Edelleute aus Bogdaniec gemeinschaftlich mit Powala zur Frühmesse in den Dom, einesteils der Andacht wegen, andernteils aber auch, um den königlichen Hof und die Gäste zu sehen, die sich im Schlosse zusammengefunden hatten. Auf dem Wege traf Powala gar viele Menschen, die ihm bekannt waren, und unter ihnen eine große Anzahl von Rittern, weithin berühmt im In-und im Auslande. Zbyszko schaute voll Bewunderung auf alle, insgeheim das Gelübde ablegend, daß wenn seine Angelegenheit mit Lichtenstein glücklich ablaufen werde, er sich Mühe geben wolle, diesen an Tapferkeit und an allen andern Tugenden gleichzukommen. Einer von diesen Rittern, ein Verwandter des Kastellans von Krakau, kündigte ihnen die Neuigkeit an, daß ein Domherr, der zum Papste Bonifacius IX. mit einem königlichen Schreiben abgesandt worden war, um denselben zur Taufe nach Krakau einzuladen, von Rom mit der Kunde zurückgekehrt sei, der Papst wisse zwar noch nicht, ob er persönlich der Feier beiwohnen könne, doch werde er jedenfalls einen Gesandten bevollmächtigen, in seinem Namen das Kind, welches das Licht der Welt erblicken sollte, über die Taufe zu halten. Der Ritter habe auch dem Wunsche des Papstes Ausdruck verliehen, daß als Beweis von dessen besonderen Liebe für die königlichen Eltern dem Kinde der Name »Bonifacius« gegeben werde. Die baldige Ankunft des Königs Sigismund wurde auch besprochen. Man erwartete ihn mit Bestimmtheit, denn Sigismund kam stets geladen oder ungeladen an, sobald sich ihm die Gelegenheit zu einem Besuche, zu einem Gastmahle oder zu einem Turniere bot, da er in der Welt nicht nur als Herrscher, sondern auch als Sänger und Ritter bekannt sein wollte.

Powala, Zawisza aus Garbow, Dobko aus Olesnica, Naszam und noch viele andere erinnerten sich gegenseitig mit Lächeln daran, wie bei den früheren Besuchen des Sigismund der König Wladislaw sie im Geheimen gebeten hatte, im Turniere nicht gar zu heftig anzugreifen, sondern Rücksicht zu nehmen auf den Gast aus Ungarn, dessen in der ganzen Welt bekannte Eitelkeit so groß war, daß ihm jede Niederlage Thränen in die Augen trieb. Voll Interesse unterhielten sich auch die Ritter über Witold. Man erzählte sich Wunder von der Pracht der aus reinem Silber getriebenen Wiege, die von Witold und seiner Frau Anna durch die litauischen Fürsten und Bojaren zum Geschenk überbracht worden war. Es bildeten sich nach und nach, wie gewöhnlich vor der Messe, einzelne Gruppen, die sich allerlei Neuigkeiten mitteilten, und auch Macko schilderte den ihn Umstehenden die Kostbarkeit des Geschenkes und erzählte ausführlich von dem geplanten Kriegszuge Witolds gegen die Tataren, da er von allen Seiten mit Fragen bestürmt wurde. Wie er berichtete, hatten sich die Heere schon gegen den Osten von Rußland gewendet, und wenn der Plan Witolds gelingen sollte, so trug er dazu bei, die Herrschaft des Königs Jagiello fast über die halbe Welt bis zu den Grenzen Persiens und bis zu den Ufern des Arals auszudehnen. Macko, der ja bei Witold gewesen war und daher dessen Absichten genau kannte, wußte alles so beredt auseinanderzusetzen, daß sich der Kreis der Neugierigen um ihn vor der Treppe des Doms immer mehr vergrößerte. Es handelt sich hier, erklärte Macko, einfach um einen Kreuzzug. Witold selbst regiert, obwohl er sich Großfürst nennt, doch Litauen nur im Namen Jagiellos und ist nur Statthalter. Das Verdienst um den Kreuzzug wird also dem König zufallen. Welch ein Lob wird es aber dem kurz getauften Litauer eintragen, und wie förderlich wird es für die Macht Polens sein, wenn die vereinten Heere das Kreuz in solche Gegenden tragen werden, wo der Name des Erlösers nur zum Spotte genannt wird, und wo bis jetzt der Fuß des Polen und des Litauers noch nicht hingekommen ist. Der verjagte Tochtamysz, den die vereinten polnischen und litauischen Heere von neuem auf den verlorenen Thron zu setzen gedenken, wird sich als »Sohn« des Königs Wladislaw bekennen und seinem Versprechen gemäß mit der ganzen Goldenen Horde dem Kreuze huldigen.

Voll Spannung lauschten die Hörer diesen Worten, viele aber, die nicht genau wußten, um was es sich handelte, wem Witold helfen, gegen wen der Krieg geführt werden solle, fingen zu fragen an: »Sagt uns erst, gegen wen der Krieg geführt werden soll.«

»Gegen Timur den Lahmen!« antwortete Macko.

Jetzt trat einen Augenblick Schweigen ein. Wohl hatten die Ritter aus dem Westen schon die Namen der Goldenen, der Blauen und der Assowischen Horden vernommen, aber was wußten sie von den tatarischen Angelegenheiten, von den Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Horden? Dagegen gab es kaum einen Menschen in Europa, der nichts von dem schrecklichen Timur dem Lahmen oder Tamerlan gehört hatte, dessen Namen mit nicht geringerem Schrecken genannt wurde wie seiner Zeit der Name Attilas. War doch Tamerlan der »Herr der Welt« und der »Herr der Zeiten« – ein Herrscher über siebenundzwanzig unterjochte Reiche, der Herrscher über das Moskauische Rußland, der Herrscher von Sibirien, der Herrscher von China und Indien, der über Ispahan, über Haleb und über Damaskus regierte, dessen mächtige Hand über die Arabische Wüste bis nach Aegypten reichte und über den Bosporus bis an das Griechische Kaiserreich – war doch Tamerlan – der Zerstörer des Menschengeschlechtes – der Erbauer ungeheurer Pyramiden aus Menschenschädeln – ein Sieger in allen Schlachten, der niemals besiegte »Herr über Seele und Körper«.

Als sich Tochtamysz, der von ihm auf den Thron der Goldenen und der Blauen Horde erhoben und als »Sohn« anerkannt worden war, seiner Macht bewußt, sich unabhängig zu machen gesucht hatte, wurde er durch eine einzige Handbewegung des schrecklichen »Vaters« vom Throne gestürzt, und hatte sich, um Hilfe flehend, zu dem litauischen Statthalter geflüchtet. Witold beabsichtigte auch, ihm wieder zu dem Throne zu verhelfen; um dies zu ermöglichen, war es indessen vor allem nötig, sich mit dem weltbeherrschenden Lahmen zu messen.

Das war auch der Grund, weshalb sich alle so sehr für den geplanten Kriegszug interessierten, und nach kurzem Schweigen sagte einer der ältesten Ritter, Kazko aus Jaglow: »Ei, wir werden nicht mit dem ersten besten zu thun bekommen.«

»Und doch kommt bei uns nicht viel heraus,« bemerkte in weisem Tone Mikolaj aus Dlugolas, »denn ist es für uns nicht gleichgiltig, ob am Ende der Welt ein Tochtamisz oder irgend ein Kutluk über die Söhne des Belial herrschen wird?«

»Tochtamisz würde sicherlich Christ werden,« antwortete Macko.

»Das ist noch fraglich. Kann man denn den Hundsseelen trauen, die nicht an Christus glauben?«

»Um des Namens Christi willen lohnt es sich indessen schon zu sterben,« sagte Powala.

»Und der Ritterehre wegen,« fügte ein anderer Ritter hinzu; »ich kenne gar manche unter uns, die mitziehen werden. Herr Zbytko aus Mielsztyn hat eine junge und vielgeliebte Frau, und ist doch schon zu Witold gegangen.«

»Daran ist gar nichts Wunderbares,« bemerkte nun Jasko Naszam. »Denn wenn einer auch die größte Sünde auf dem Gewissen hat, so ist doch der Ablaß sicher vor einem solchen Kriege und somit die Rettung jedes Sünders.«

»Geschweige des Ruhmes in der Ewigkeit,« ergriff Powala aus Taczew wieder das Wort. »Mir soll es recht sein, wenn der Kriegszug ausgeführt wird, denn, in der That, es ist nicht der erste beste, gegen den wir ziehen werden. Timur besiegte die ganze Welt und herrscht über siebenundzwanzig Königreiche. Welch ein Lob wäre es für unser Volk, wenn wir seine Macht vernichten würden.«

»Das will ich meinen!« rief einer der Ritter. »Wenn er auch hundert Königreiche besäße, wir fürchteten ihn nicht. Mögen dies andere thun! Ihr könnt mir glauben, wenn wir nur zehntausend Bogenschützen zusammenbringen, können wir es mit der ganzen Welt aufnehmen.«

»Welches Volk soll denn den Lahmen besiegen, wenn nicht das unsrige!«

So sprachen die Ritter untereinander, und Zbyszko war jetzt ganz verwundert darüber, daß ihn niemals zuvor die Lust angewandelt hatte, mit Witold in die wilden Steppen zu ziehen. Als er in Wilna gewesen war, da hatte er sich darnach gesehnt, Krakau mit seinem königlichen Hofe zu sehen und an den ritterlichen Spielen teilzunehmen, jetzt aber dünkte es ihn, er könne dabei wenig Ruhm gewinnen. Ihm drohte außerdem ein strenger Urteilsspruch, bei Witold hätte er dagegen vielleicht einen ruhmreichen Tod gefunden.

Da mit einemmale ließ der vor Alter mit dem Kopfe zitternde, hundertjährige Kazko aus Jaklow, der jedoch nicht mehr immer Herr seiner Sinne war, sich also vernehmen: »Was überlegt Ihr lange? Ihr seid wirklich thöricht. Hat denn keiner von Euch gehört, daß die Königin ein Wunder erlebte, daß das Bild Christi zu ihr gesprochen hat? Und wenn selbst der Erlöser sich zu solchen Vertraulichkeiten herbeiläßt, weshalb sollte ihr der heilige Geist, die dritte Person der Dreieinigkeit, nicht gewogen sein? Der heilige Geist aber hat ihr die Gabe verliehen, in die Zukunft zu sehen und alles gerade so im voraus zu bestimmen, als ob es vor ihr stattfände. Und die Königin hat sich also vernehmen lassen …«

Hier hielt der Hochbetagte plötzlich inne, griff sich an die Stirn und fuhr dann fort: »Ja, ja, ich vergaß, was sie sagte, aber ich werde mich dessen bald wieder erinnern …«

Mit sichtlicher Anstrengung begann er zu überlegen, die andern aber warteten andächtig, denn es war allgemein die Ansicht verbreitet, daß die Königin die Zukunft voraussehen könne.

»Ja, ja,« bemerkte er endlich, »jetzt habe ich es! Die Königin erklärte, daß wenn alle Ritter samt und sonders mit dem Fürsten Witold gegen den Lahmen auszögen, die heidnische Macht zerstört würde. Man könne aber nicht alle Ritter entbehren wegen der Verderbtheit der christlichen Fürsten. Es sei nötig, die Grenzen zu schützen vor den Böhmen, vor den Ungarn und vor den Kreuzrittern, denn man dürfe niemand trauen. So aber nur ein Teil der Polen mit Witold auszieht, wird ihn Tamerlan oder einer von dessen Heerführern besiegen, da der Lahme über eine ungeheure Heeresmacht verfügt.«

»Jetzt herrscht aber doch Frieden an den Grenzen,« bemerkte einer der Ritter, »und der Orden selbst will dem Witold Heeresfolge leisten. Die Kreuzritter müssen dies ja thun, denn erstens wäre es eine Schmach für sie, wenn sie anders handelten, und zweitens liegt ihnen auch daran, dem heiligen Vater zu beweisen, daß sie zum Kampfe gegen die Heiden bereit sind. Wie allgemein behauptet wird, soll ja Kuno von Lichtenstein nicht nur der Taufe wegen, sondern auch um dieser Beratungen willen, hier weilen.«

»Da ist er!« rief plötzlich Macko aus.

»Fürwahr er ist’s!« stimmte Powala, sich umschauend, bei, »fürwahr er ist’s. Er weilte nur kurz bei dem Abte in Tyniec.«

»Es hat ihm wohl keine Ruhe dort gelassen,« bemerkte Macko finster.

Mittlerweile kam Kuno von Lichtenstein an den Sprechenden vorüber. Er erkannte jedoch weder Macko noch Zbyszko, da er sie zuvor bloß im Helme gesehen hatte, der selbst beim offenen Visiere nur einen kleinen Teil des Gesichtes freiließ. Im Vorbeigehen nickte der Kreuzritter dem Powala aus Taczew zu, um dann, von seinen Pagen gefolgt, die Treppen des Domes mit langsamen, majestätischen Schritten zu ersteigen.

Den Beginn der Messe verkündigend, ertönten nun laut die Glocken, deren Klang eine Schar von Dohlen und Tauben emporscheuchte, die in den Türmen nisteten. Macko und Zbyszko traten gemeinsam mit den andern in die Kirche, beide nicht wenig beunruhigt durch die rasche Wiederkehr Lichtensteins.

Doch während der ältere Edelmann seine Erregung nur schwer bemeistern konnte, wurde die Aufmerksamkeit des jüngeren bald vollständig durch den königlichen Hof in Anspruch genommen. Nie im Leben hatte er etwas Glänzenderes als diese Kirche und diese Versammlung gesehen, die bedeutendsten Männer des Königreiches, berühmt im Rate und im Kriege, waren hier versammelt. Ein Teil derer freilich, durch deren Weisheit die Ehe des Großfürsten von Litauen mit der wunderbar schönen und jugendlichen, polnischen Königin zu stande gekommen war, hatte schon das Zeitliche gesegnet, aber gar mancher von ihnen lebte noch und wurde mit ganz besonderer Ehrfurcht betrachtet. Der junge Ritter konnte sich nicht satt sehen an der imponierenden Erscheinung des Jasko aus Teczyn, des Krakauer Kastellans, der kraftvolle Strenge mit Milde und Gerechtigkeit zu vereinigen wußte; er bewunderte den klugen und ernsten Blick anderer Räte oder die charakteristischen Gesichtszüge der Rittersleute mit den über der Stirn gerade geschnittenen Haaren, welche dann in langen Locken auf Schultern und Rücken herabfielen. Etliche von ihnen trugen Netze, etliche nur Bänder, welche die Haare zusammenhielten. Die ausländischen Gäste – die Gesandten des römischen Königs, die böhmischen, ungarischen und rakuser Gesandten und ihr Gefolge erregten das größte Aufsehen durch die Pracht ihrer Gewänder. Die litauischen Knäse und Bojaren hatten trotz der sommerlichen Hitze ihre pelzverbrämten Röcke angethan. Die russischen Knäse in weiten, aber steifen, goldgestickten Gewändern, nahmen sich mit den Kirchenmauern als Hintergrund wie byzantinische Bilder aus. Aber mit der größten Spannung erwartete Zbyszko den Eintritt des Königs und der Königin, und er drängte sich so weit wie möglich zu der Stalla vor, hinter welcher, in der Nähe des Altars, zwei Kissen aus rotem Samt zu sehen waren, weil das Königspaar gewöhnlich die Messe auf den Knien zu hören pflegte. Die Versammlung mußte nicht lange warten. Durch die Thüre der Sakristei erschien zuerst der König, allen genau sichtbar. Seine schwarzen Haare, von denen einige etwas verwirrt über die Stirn hingen, fielen zu beiden Seiten lang herab, waren aber hinter die Ohren geschoben. Die dunkle Farbe seines glatt rasierten Gesichtes mußte auffallen, ebenso seine gebogene, spitze Nase. Um die Mundwinkel zogen sich tiefe Falten; mit seinen kleinen, schwarzen und glänzenden Augen blickte er lebhaft umher, als ob er sich, bevor er den Altar erreichte, über die Zahl der in der Kirche Anwesenden vergewissern wolle. Seine Züge hatten einen gutmütigen Ausdruck, aber gleichzeitig auch etwas Gespanntes, und seine hastigen, unsicheren Bewegungen bezeugten, daß er sich vor boshaften Bemerkungen fürchte. Er war daher sichtlich bemüht, stets auf seiner Hut zu sein und der Würde Rechnung zu tragen, die ihm ein unverhofftes Glück hatte zu teil werden lassen. Daß ihn indessen die geringfügigste Ursache zum Aufbrausen bringen könnte, das war nicht schwer zu erraten, und niemand mochte daran zweifeln, daß dieser Fürst, seinerzeit durch die Hinterlist der Kreuzritter aufs höchste erbost, ihrem Gesandten hatte zurufen können: »Du kommst zu mir mit dem Pergamente, und ich zu Dir mit dem Speere.«

Durch seine tiefe und wahre Frömmigkeit ward indessen jetzt seine angeborene Heftigkeit in Schranken gehalten. Nicht nur die neu getauften litauischen Fürsten, sondern auch die seit Generationen christlichen, polnischen Edelleute wurden immer erbaut durch den Anblick des Königs in der Kirche. Stets schob er von Zeit zu Zeit das Kissen hinweg, um, der größeren Buße wegen, auf den nackten Steinen zu knien; gar häufig hob er die Hände flehend empor und hielt sie so lange nach oben, bis sie von selbst vor Ermüdung zurückfielen. Er hörte wenigstens drei Messen täglich und hörte sie alle voll Inbrunst. Das Ertönen des Glöckchens bei der Wandlung erfüllte seine Seele mit Wonne. Nach Beendigung der Messe verließ er gewöhnlich die Kirche, wie vom Schlafe erquickt, beruhigt und besänftigt, und nur zu bald hatten es die Hofleute herausgefunden, daß diese Zeit die geeignetste war, wenn man seine Verzeihung erlangen oder ein Geschenk erhalten wollte.

Auch Jadwiga trat durch die Thüre der Sakristei ein. Als die in der Nähe der Stalla stehenden Ritter ihrer ansichtig wurden, knieten sie unwillkürlich nieder, ihr die Ehren wie einer Heiligen zollend. Zbyszko folgte dem Beispiele, denn niemand in der ganzen Versammlung zweifelte daran, daß Jadwiga, die seit Jahren das strengste Bußleben führte, eine Heilige sei, daß mit deren Bildern zukünftig die Kirchenaltäre geschmückt werden würden. Von Mund zu Mund ging unter den Edlen und unter dem Volke der Ruf von ihren Wunderthaten. Allgemein wurde behauptet, die Berührung ihrer Hand heile die Kranken. Menschen, welche des Gebrauches ihrer Glieder beraubt gewesen waren, hatten ihre Gesundheit wieder gewonnen, nachdem die Königin ihre Hand auf sie gelegt. Glaubwürdige Zeugen berichteten, daß sie mit eigenen Ohren gehört hatten, wie einmal Christus am Altare zu ihr gesprochen habe. Die auswärtigen Monarchen verehrten sie auf den Knien, selbst die trotzigen Kreuzritter beugten sich vor ihr und fürchteten sich, sie zu kränken, ja, Papst Bonifacius IX. nannte sie eine Heilige und eine auserwählte Tochter der Kirche. In der ganzen Welt bewunderte man ihre Thaten und dachte mit Staunen daran, wie dies wunderbar schöne Kind des angiovinischen Hauses und der polnischen Piasten, wie die Tochter des mächtigen Ludwig, welche an dem glänzendsten Hofe erzogen worden war, auf ihr persönliches Glück verzichtet hatte, verzichtet hatte auf ihre erste, jungfräuliche Liebe, um als Königin sich mit einem »wilden« litauischen Fürsten zu vermählen, damit sie in Gemeinschaft mit ihm das letzte heidnische Volk Europas dem Kreuze zugänglich mache. Was die vereinigten Kräfte der Deutschen, was die Macht der Orden, was die Kreuzzüge, was all das vergossene Blut lange nicht zu stande hatten bringen können, dazu genügte ein einziges Wort von ihr. Niemals hatte der apostolische Titel ein jüngeres, schöneres Haupt umstrahlt, niemals war bis jetzt in einer Person solche Frömmigkeit und solche Aufopferung vereinigt, niemals noch war Frauenschönheit mit solcher Engelsgüte und ruhigen Ergebenheit gepaart gewesen.

Von Sängern an allen Höfen Europas wurde Jadwiga gepriesen. Aus den fernliegendsten Ländern pilgerten die Ritter nach Krakau, um die polnische Königin zu sehen. Ihr eigenes Volk, dem sie durch ihre Vermählung mit Jagiello so viel Macht und Ruhm verliehen hatte, liebte sie wie seinen Augapfel. Nur eine große Sorge hatte sie und ihr Volk bis jetzt darnieder gedrückt. Dieser von ihm Auserwählten war von Gott Jahre hindurch die Nachkommenschaft versagt geblieben. Als aber auch endlich dieser Fluch von ihr genommen war, verbreitete sich die Nachricht wie ein Blitz vom Baltischen bis an das Schwarze Meer und bis an die Karpathen und erfüllte alle Völker des großen Reiches mit Dankbarkeit. Selbst an den auswärtigen Höfen, den Hof der Kreuzritter ausgenommen, wurde die Kunde mit Freude begrüßt. In Rom ward ein Tedeum gesungen. In den polnischen Ländern aber wurzelte die Ansicht immer fester, daß alles unverzüglich geschehe, um was die heilige Frau Gott bitte.

So wallfahrte man immer häufiger zu ihr. Kranke flehten sie an, für ihr Gesunden zu beten, Abordnungen aus den verschiedensten Ländern und Kreisen stellten sich bei ihr ein, um sie zu veranlassen, ihnen beizustehen, und je nach Bedarf für sie Regen bei Trockenheit, schönes Wetter zur Ernte, glückliche Heueinfuhr, reichliches Ergebnis beim Honigsammeln, gute Beute beim Fischen, erfolgreiche Jagd zu erbitten. Die gefürchtetsten Ritter auf den Grenzschlössern und Burgen, die, nach damaliger Sitte, dem Raube und dem Kriege oblagen, schoben auf eine Mahnung von ihr die gezückten Schwerter wieder in die Scheiden, ließen ihre Kriegsgefangenen ohne Lösegeld frei, gaben die erbeuteten Herden zurück und reichten sich die Hände zur Versöhnung. Alle Unglücklichen, alle Armen drängten sich an den Pforten des königlichen Schlosses. Mit ihrer reinen, unschuldsvollen Seele übte sie einen ungeheuren Einfluß auf die Herzen der Menschen aus; stets war sie darauf bedacht, das Los ihrer Unterthanen zu erleichtern, den Stolz und Hochmut der Ritter und Herren zu vermindern, die Strenge der Richter zu mildern. Gleich der Verkündigerin des Glückes, gleich einem Engel der Gerechtigkeit und des Friedens waltete sie über das ganze Land. Und deshalb erwarteten auch alle, klopfenden Herzens, den Tag des Segens.

Nach der Aussage des Fürstbischofs Wysz von Krakau, welcher als der erfahrenste Arzt im ganzen Reiche und als der berühmteste im Ausland galt, stand die Niederkunft noch nicht so bald bevor, und wenn schon Vorbereitungen getroffen wurden, so geschah dies nur, weil es eine althergebrachte Sitte war, mit den Feierlichkeiten so zeitig wie möglich zu beginnen. Noch hatte die Königin ihre frühere Schlankheit bewahrt, doch stand sie etwas vorgebeugt da. Ihre Kleidung war fast allzu einfach. An einem glänzenden Hof erzogen und die schönste von allen Fürstinnen jener Epoche, hatte sie sich ehemals gerne mit kostbaren Stoffen, Perlen, goldenen Spangen und Ringen geschmückt, aber seit einigen Jahren schon kleidete sie sich in Nonnengewänder, und während einiger Zeit verschleierte sie sogar ihr Gesicht, aus Furcht, die eigene Schönheit könne weltliche Gedanken in ihr erwecken. Als Jagiello, voll Freude über ihren Zustand, das Schlafgemach mit Goldstoff, Byssus und Kleinodien zieren lassen wollte, erklärte sie, sie habe ja längst allem Glanz entsagt, denke nur daran, daß sie bei der Entbindung vielleicht dem Tode nahe sei und daß sie in stiller Demut, fern von allem Prunk, die Gnade hinnehmen müsse, welche ihr Gott zu teil werden lasse. Die Ersparnisse an Gold und Kleinodien wurden nun für die Akademie verwendet, und auch dazu, einige neugetaufte litauische Jünglinge an ausländische Universitäten zu schicken.

Die Königin willigte schließlich darein, ihr Nonnenkleid abzulegen, und von der Zeit an, da ihre Hoffnungen zur Gewißheit wurden, verschleierte sie auch ihr Gesicht nicht mehr, weil sie glaubte, daß sich ein Bußgewand jetzt nicht für sie eigne. Und nun blickten aller Augen voll Liebe auf dies wundervolle Antlitz, das keiner Zieraten von Gold oder von Edelsteinen bedurfte. Langsam schritt die königliche Frau von der Thüre der Sakristei zum Altar hin, den Blick emporgerichtet, in der einen Hand das Gebetbuch, in der andern den Rosenkranz haltend. Zbyszko schaute auf dies lilienweiße Gesicht, die blauen Augen, die engelreinen Züge, in denen sich süßer Frieden, unendliche Güte ausdrückten, und sein Herz fing an, heftig zu klopfen. Er wußte, daß er nach dem Gebot Gottes verpflichtet war, sowohl seinen König als auch seine Königin zu lieben, und er liebte sie in seiner Weise, aber jetzt überkam ihn plötzlich eine Liebe, die nicht auf Befehl, sondern von selbst entsteht und Ehrfurcht, Demut und Opfermut in sich schließt. Jung und heißblütig wie er war, ergriff ihn auch das Verlangen, seine Verehrung, seine Treue irgendwie zu betätigen, irgendwohin zu eilen, den Kampf mit jemand aufzunehmen, etwas zu erobern und seinen eigenen Hals dabei zu Markt zu tragen.

»Ich werde mit Fürst Witold in den Krieg ziehen,« sagte er sich, »denn wie kann ich der heiligen Herrin dienen, wenn es in der Nähe keine Gelegenheit zum Kampfe giebt?« Daß er ihr auch auf andere Art dienen könne, als mit dem Schwerte, der Lanze oder dem Beile, kam ihm gar nicht in den Sinn, dagegen war er bereit, mit aller Macht auf Timur den Lahmen loszugehen. Sogleich nach der Messe wollte er sich zu Pferde setzen, wollte er seine Kraft erproben. Auf welche Weise, wußte er aber selbst nicht. Er fühlte nur, daß seine Hände zuckten, und daß es ihn von ganzer Seele darnach verlangte, etwas Großes zu vollbringen.

Er vergaß auch wieder vollständig der Gefahr, die ihm drohte, sogar Danusias vergaß er, und als sie ihm durch die Kinderchöre, welche plötzlich ertönten, wieder in den Sinn kam, sagte er sich unwillkürlich, seine Neigung für sie sei etwas ganz anderes. Danusia hatte er Treue gelobt, ihretwegen sollten drei Deutsche mit dem Leben büßen, und sein Wort wollte er halten, aber die Königin stand ja hoch über allen andern Frauen, und als er darüber nachdachte, wie viele Tote er ihr wohl zu Füßen legen müsse, sah er ein ganzes Heer von Panzern, Helmen, Strauß- und Pfauenfedern vor sich, ja, ihn überkam die Ueberzeugung, daß er nicht genug thun könne.

Indessen wendete er die Augen nicht von ihr, und in überströmender Empfindung fragte er sich, wie er sie durch ein besonderes Gebet ehren könne, da er glaubte, für eine Königin müsse man anders beten als sonst. Er war im stande, die Worte: Pater noster, qui es in coelis, sanctificetur nomen tuum« herzusagen, denn dies hatte ihn ein Franziskaner in Wilna gelehrt, aber das ganze Vaterunser konnte er nicht mehr auswendig. Und nun wiederholte er unablässig die Worte: »Gieb unserer geliebten Herrin Gesundheit und Glück, erhalte sie am Leben und wache sorgsamer über sie als über alle andern Wesen.« Inbrünstiger wurde wohl in der ganzen Kirche nicht gebetet, und doch kam dies Gebet von den Lippen eines Jünglings, über den vielleicht bald ein harter Urteilsspruch und Strafe verhängt werden sollte.

Nach Beendigung der Messe sagte sich Zbyszko, wenn es ihm vergönnt wäre, der Königin zu nahen, müsse er vor ihr niedersinken und ihre Knie umfassen, wenn auch er und die ganze Welt darüber zu Grunde ginge, doch nach der ersten Messe kam die zweite, dann die dritte, worauf sich die Herrin in ihre Kemenate begab, denn gewöhnlich fastete sie bis zum Mittag und nahm absichtlich nicht teil an den fröhlichen Mahlzeiten, bei denen man zur Belustigung des Königs und der Gäste Hofnarren und Gaukler aller Art auftreten ließ.

Jetzt kam der alte Edelmann aus Dlugolas zu Zbyszko und berief ihn vor die Fürstin.

»Du wirst bei dem Frühstück mir und Danusia aufwarten, als mein Hofkavalier,« sprach die Fürstin. »Möge es Dir nun gelingen, durch irgend einen Scherz des Königs Wohlgefallen zu erringen. Und falls der Kreuzritter Dich erkennt, wird er Dich vielleicht nicht anklagen, wenn er sieht, daß Du mich am Tische des Königs bedienst.«

Zbyszko küßte der Fürstin die Hand, dann wendete er sich zu Danusia, und wiewohl mehr an Krieg und Schlachten, als an höfische Sitten gewöhnt, wußte er offenbar dennoch, was einem Ritter geziemt, wenn er in der Frühe die Dame seines Herzens erblickt; denn er wich etwas zurück, auf seinem Gesichte malte sich der Ausdruck der Verwunderung und er rief, ein Kreuz schlagend: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«

Und die blauen Augen zu ihm erhebend, fragte Danusia: »Weshalb schlägt Zbyszko ein Kreuz? Die Messe ist ja schon vorüber.«

»Weil Deine Anmut, schöne Herrin, während der Nacht so groß geworden ist, daß sie mir wunderbar erscheint.«

Doch Mikolaj aus Dlugolas, der als bejahrter Mann keinen Gefallen an den neuen ritterlichen Sitten fand, zuckte die Achseln und sagte: »Unnütz verlierst Du Deine Zeit und schwatzest ihr etwas von Schönheit vor! Einer kleinen Kröte, die noch nicht einmal erwachsen ist.«

Ergrimmt schaute ihn Zbyszko an.

»Hütet Euch, sie ›Kröte‹ zu nennen,« rief er, vor Zorn erbleichend, »und wisset dies: wenn Ihr weniger Jahre zähltet, ließe ich sofort die Erde hinter der Burg gleichtreten und dann müßte Euer oder mein Blut fließen.«

»Stille, Du Hitzkopf! Einen Rat möchte ich Dir heute noch geben!«

»Stille!« sagte auch die Fürstin. »Statt an die eigene Sicherheit zu denken, willst Du noch Streit suchen? Mir wäre lieber, ich hätte für Danusia einen gesetzteren Ritter gefunden. Aber hiermit erkläre ich Dir: wenn Du Unruhe stiften willst, gehst Du fehl. Solcher Leute bedarf man hier nicht.«

Nun schämte sich Zbyszko, daß er sich vor der Fürstin derart hatte hinreißen lassen, und er bat sie um Verzeihung. Insgeheim nahm er sich jedoch vor, falls Herr Mikolaj aus Dlugolas einen erwachsenen Sohn habe, diesen zum Zweikampf herauszufordern, denn die Strafe für die »Kröte« durfte jenem, seiner Ansicht nach, nicht erlassen werden. In den königlichen Gemächern wollte er sich mittlerweile benehmen, wie die liebe Unschuld, und niemand wollte er herausfordern, ausgenommen, daß seine Ritterehre es erheischte.

Trompetenschall verkündigte, daß das Frühstück bereit war, und Danusia an der Hand führend, begab sich die Fürstin Anna in die königlichen Zimmer, vor denen die weltlichen Würdenträger und die Ritter, ihrer harrend, standen. Die Gattin des Fürsten Ziemowit war schon zuvor eingetreten, da ihr, als der leiblichen Schwester der Königin, einer der ersten Plätze am Tische gebührte. Bald wimmelte es in den Gemächern von fremden Gästen und den geladenen einheimischen Würdenträgern und Rittern. Der König saß am obersten Ende des Tisches, neben sich hatte er den Bischof von Krakau und auf der andern Seite den Abgesandten des Papstes. Die folgenden Plätze wurden von den beiden Fürstinnen eingenommen. Neben Anna Danuta machte sich in einem großen Lehnstuhl der ehemalige Erzbischof Jan von Gnesen breit, ein von den schlesischen Piasten abstammender Fürst, der Sohn Boleslaws III., des Fürsten von Oppeln. Zbyszko hatte von diesem schon am Hofe Witolds gehört, und als er jetzt hinter der Fürstin und Danusia stand, erkannte er ihn sofort an seinen Haaren, die, in dichten Ringeln herabfallend, seinen Kopf einem Weihwedel ähnlich machten. An den Höfen der polnischen Fürsten hatte er auch den Uebernamen »Weihwedel« und sogar die Kreuzritter nannten ihn »Kropidlo«. Er war bekannt wegen seines heiteren Temperamentes und seiner leichten Sitten. Nachdem er gegen den Willen des Königs das Pallium für das Erzbistum Gnesen erlangt hatte, wollte er mit bewaffneter Hand Besitz davon ergreifen, ward aber seiner Würde entsetzt und verjagt, worauf er sich mit den Kreuzrittern verband, welche ihm das elende Bistum Kamenz in Pommern verliehen. Als er dann schließlich einsah, daß es vorteilhaft ist, mit einem mächtigen König in gutem Einvernehmen zu stehen, suchte er den Herrscher zu versöhnen und kehrte in die Heimat zurück, um es hier ruhig abzuwarten, bis ein Bischofsitz frei und ihm von der Hand des gütigen Herrn übertragen werde. In späterer Zeit wurden seine Hoffnungen denn auch erfüllt, und mittlerweile bemühte er sich, durch allerlei Kurzweil das Herz des Königs zu gewinnen: zu den Kreuzrittern fühlte er sich aber stets hingezogen. Und da er am Hofe Jagiellos von den Würdenträgern und Rittern nicht gerne gesehen ward, suchte er meist die Gesellschaft Lichtensteins und setzte sich mit Vorliebe bei Tische neben ihn.

Dies war auch jetzt geschehen. Der hinter dem Lehnstuhl der Fürstin stehende Zbyszko befand sich daher so nahe bei dem Kreuzritter, daß er ihn mit der Hand hätte berühren können. Auch zuckten unwillkürlich seine Finger, aber er suchte sich zu beherrschen und ließ keine schlimmen Gedanken aufkommen. Trotzdem konnte er sich nicht enthalten, von Zeit zu Zeit forschende Blicke auf den etwas kahlen, blonden Kopf Lichtensteins zu werfen, auf dessen Hals, Schultern und Arme, um zu ermessen, ob er bei einem Zusammentreffen in der Schlacht oder im Zweikampfe viel Arbeit und Mühe mit ihm hätte. Und ihn dünkte, er könne es mit ihm aufnehmen; denn wiewohl die Schultern des Kreuzritters mächtig genug unter dem enganliegenden dunkelgrauen Tuchgewande hervortraten, war dieser gleichwohl nur ein Schwächling im Vergleich zu einem Powala, zu einem Paszko Zlodziej aus Biskupice, im Vergleich zu den beiden berühmten Sulimczyki, zu Kazon aus Kozichglowy und zu vielen andern Rittern, die am königlichen Tische saßen.

Auf all diese schaute Zbyszko mit staunender Bewunderung und mit Neid, doch seine Hauptaufmerksamkeit wendete sich dem Könige zu, welcher die Blicke nach allen Seiten umherschweifen ließ, während er unablässig seine Haare hinter die Ohren strich, wie wenn er ungeduldig darüber wäre, daß das Frühstück noch nicht begonnen hatte. Während eines kurzen Momentes weilten seine Augen auch auf Zbyszko, und dann überkam den jungen Ritter ein gewisses Angstgefühl, ja, bei dem Gedanken allein schon, daß er wohl einmal dem erzürnten Antlitz des Königs gegenüberstehen und sich verantworten müsse, empfand er eine furchtbare Erregung. Jetzt zum erstenmal dachte er daran, daß man ihn zur Verantwortung ziehen und strafen könne, denn bisher war ihm alles wie in weite Ferne entrückt und so unbestimmt erschienen, daß er sich keine Sorgen darüber gemacht hatte.

Aber der Deutsche ließ sich auch nicht träumen, daß jener Ritter, welcher ihn auf der Landstraße so verwegen angegriffen hatte, ganz nahe war.

Indessen hatte das Mahl begonnen. Man trug eine Weinsuppe auf, die mit Eiern, Zimt, Gewürznelken, Ingwer und Safran bereitet war und deren Duft das ganze Zimmer erfüllte. Zugleich fing der an der Thüre sitzende Hofnarr Charuszek an, den Gesang der Nachtigall nachzuahmen, was den König sichtlich erheiterte. Ein anderer ging dann zugleich mit der aufwartenden Dienerschaft um den Tisch herum, blieb unbemerkt hinter den Gästen stehen und ahmte das Summen der Bienen so trefflich nach, daß mancher den Löffel aus der Hand legte und sich der Fliegen zu erwehren suchte. Bei diesem Anblick brachen die andern in lautes Gelächter aus. Zbyszko bediente emsig die Fürstin sowie Danusia, und als nun auch Lichtenstein sich auf den kahlen Kopf schlug, vergaß er wiederum der Gefahr und lachte derart, daß ihm die Thränen über die Wangen liefen. Und der neben ihm stehende junge litauische Fürst Jamont, der Sohn des Statthalters von Smolensk, stimmte so herzlich mit ein, daß er beinahe die Speisen aus den Schüsseln verschüttet hätte.

Seinen Irrtum schließlich einsehend, zog der Kreuzritter seinen Geldbeutel hervor und sagte zu dem Bischof Kropidlo auf deutsch einige Worte, welche dieser, zu dem Narren gewendet, übersetzte: »Der edle Herr spricht so zu Dir: ›Du bekommst zwei Geldstücke, aber summe nicht so nahe, denn man verjagt die Bienen und schlägt auf die Drohnen los‹.«

Rasch verbarg der Narr die ihm dargereichten Geldstücke, und sich die den Hofnarren eingeräumte Freiheit zu Nutzen machend, entgegnete er: »Die Drohnen haben sich in der Gegend von Dobrzyn angesiedelt, weil es dort viel Honig giebt. Schlage Du auf sie los, König Wladislaw.«

»Da hast Du auch von mir einen Groschen, denn Du hast gut geantwortet,« sagte Kropidlo, »doch vergißt Du, daß der Bienenwärter immer den Hals bricht, wenn die Strickleiter zerreißt. Auch haben sie Stacheln, diese Marienburger Drohnen, welche Dobrzyn besetzten, und gefährlich ist’s, sich ihrem Bienenstock zu nähern.«

»Ach was!« rief Zindram aus Maszkowice, der Krakauer Schwertträger, »man kann sie dennoch vertreiben!«

»Womit?«

»Mit Pulver!«

»Oder man kann mit dem Beile den Bienenstock zerhauen!« sagte der riesenhafte Paszko Zlodziej aus Biskupice.

Zbyszkos Herz zog sich krampfhaft zusammen, denn er glaubte, diese Worte müßten den Krieg verkündigen. Und Kuno Lichtenstein verstand sie ganz wohl, da er sich lange in Thorn und in Chelin aufgehalten, die polnische Sprache dort vollständig erlernt hatte und sich ihrer nur aus Hochmut nicht bediente. Jetzt aber, gereizt durch die Worte Zindrams aus Maszkowice, sah er diesen mit seinen grauen Augen durchdringend an und sagte: »Wir werden sehen!«

»Bei Plowce haben unsre Vorfahren manches gesehen und wir bei Wilna,« erwiderte Zindram.

» Pax vobiscum!« rief Kropidlo. » Pax! Pax! Sobald der Priester Mikolaj aus Kurow dem kujawischen Bistum entsagt und unserer huldreicher König es mir verleiht, halte ich Euch so schöne Predigten von der Liebe zwischen den christlichen Völkern, daß Ihr ganz tugendhaft und zerknirscht sein werdet. Was ist denn dieser Haß, wenn nicht ignis, und zudem ignis infernalis … ein furchtbares Feuer, das man nicht mit Wasser, sondern nur mit Wein löschen kann. Gebt Wein her! Und gehen wir zum Höllengott, wie der hochselige Bischof Zawisza aus Kurozwek zu sagen pflegte.«

»Und mit dem Höllengott zur Hölle, wie der Teufel sagte,« fügte der Hofnarr Charuszek hinzu.

»Der Teufel soll Dich holen!«

»Wunderschön wäre es, wenn er Euch holte! Zwar hat man bis heute noch keinen Teufel mit einem Weihwedel gesehen, aber ich glaube, daß wir noch alle diese Freude haben werden.«

»Zuerst muß ich Dich aber noch besprengen. Gebt Wein her, es lebe die Christenliebe!«

»Die wahre Christenliebe!« wiederholte mit Nachdruck Kuno Lichtenstein.

»Wie?« rief hier der Krakauer Bischof Wysz, sich stolz emporrichtend. »Leben wir denn nicht seit Ewigkeit in einem christlichen Staate? Sind denn hier die Kirchen nicht älter als in Marienburg?«

»Ich weiß es nicht,« erwiderte der Kreuzritter.

Der König war immer besonders gereizt, wenn sein Christentum in Frage gezogen ward, und da er glaubte, der Kreuzritter habe vornehmlich auf ihn angespielt, bedeckten sich seine hervortretenden Backenknochen mit roten Flecken und seine Augen blitzten.

»Was meint Ihr denn?« erwiderte er in barschem Tone. »Bin ich etwa kein christlicher König?«

»Wohl, das Königreich wird ein christliches genannt, aber die Sitten sind heidnisch geblieben,« antwortete der Kreuzritter kalt.

Nun erhoben sich drohend die Ritter: Marcin aus Wrocimowice, der das Abbild einer halben Ziege im Wappen trug, Florian aus Korytnica, Bartosz aus Wodziuka, Domarat aus Kobylany, Powala aus Taczew, Paszko Zlodziej aus Biskupice, Zindram aus Maszkowice, Jasca aus Targowisko, Krzon aus Kozichglowy, Zygmunt aus Bobowa und Staszko aus Charbimowice, lauter mächtige Fürsten, die sich schon in vielen Schlachten und Turnieren ausgezeichnet hatten. Die einen waren bleich, die andern rot vor Zorn geworden, und zähneknirschend schrien sie wirr durcheinander.

»Wehe uns! Denn er ist unser Gast und kann nicht zum Zweikampfe herausgefordert werden.«

Und Zawisza Sulimczyki, der Berühmteste unter den Berühmten, das wahre Urbild eines Ritters, wandte sich mit finsterer Miene zu Lichtenstein und sagte: »Ich erkenne Dich nicht wieder, Kuno! Wie magst Du, als Ritter, ein herrliches Volk verhöhnen, zumal Du weißt, daß Dich, den Abgesandten, keine Strafe treffen kann?«

Doch Kuno kümmerte sich wenig um die drohenden Blicke und erwiderte in bedächtigem, eindringlichem Tone: »Ehe unser Orden nach Preußen kam, führte er Krieg in Palästina, aber sogar auch dort, bei den Sarazenen, wurden die Gesandten geehrt. Ihr allein ehrt sie nicht – und darum nannte ich Eure Sitten heidnische.«

Auf diese Worte hin wurde der Tumult nur noch größer. Rings um den Tisch ließen sich wieder die Rufe vernehmen: »Wehe! Wehe!« Doch ward alles still, als der König, auf dessen Antlitz sich Zorn und Aerger malten, nach litauischer Sitte einige Male in die Hände klatschte. Und nun erhob sich der alte Jasko Topor aus Teczyn, der ernste, grauhaarige Kastellan von Krakau, der vermöge seines Amtes und seiner Würde allein schon Schrecken erweckte, und sprach: »Edler Ritter von Lichtenstein, wenn Euch als Abgesandter irgend eine Schmach widerfahren ist, so sprecht, und es soll strenge Gerechtigkeit geübt werden.«

»In keinem andern christlichen Lande wäre mir Derartiges geschehen,« entgegnete Kuno. »Gestern auf dem Wege nach Tyniec überfiel mich einer von Euern Rittern, und wennschon er an dem Kreuz auf meinem Mantel leicht hätte erkennen können, wer ich bin, trachtete er mir doch nach dem Leben.«

Als Zbyszko diese Worte vernahm, ward er totenbleich. Unwillkürlich richtete sich sein Blick auf den König, dessen Gesicht einen furchtbaren Ausdruck angenommen hatte.

Jasko aus Teczyn aber sagte in höchster Verwunderung: »Kann dies möglich sein?«

»Fragt nur den Herrn aus Taczew, welcher Zeuge des ganzen Vorfalls gewesen ist.«

Aller Augen richteten sich nun auf Powala, welcher während eines kurzen Momentes mit gesenktem Haupte, düster vor sich hinschauend, dastand und dann sprach: »Es ist so, wie er sagt!«

Als die Ritter dies hörten, riefen sie: »O der Schande! Wenn doch die Erde sich unter einem solchen Menschen aufthun würde!« Und vor Scham schlugen sie sich mit den Fäusten an die Brust und an die Schenkel, wieder andere aber schoben die Zinnschüsseln auf dem Tische hin und her, ohne zu wissen, wohin sie die Blicke wenden sollten.

»Warum hast Du ihn denn nicht erschlagen?« wütete der König.

»Weil sein Haupt dem Gerichte verfallen ist,« antwortete Powala.

»Habt Ihr ihn gefangen genommen?« fragte der Kastellan Topor aus Teczyn.

»Nein, er ist ein Edelmann und gab sein Ritterwort, daß er sich stellen werde.«

»Aber er wird sich nicht stellen,« rief Kuno, spöttisch den Kopf zurückwerfend.

In diesem Augenblick rief eine jugendliche Stimme in tieftraurigem Tone dicht hinter dem Kreuzritter: »Verhüte Gott, daß ich die Schande dem Tode vorzöge! Ich habe es gethan, ich, Zbyszko aus Bogdaniec!«

Bei diesen Worten erhoben sich die Ritter und wollten auf den unglücklichen Zbyszko zustürzen, sie wurden aber durch das grimmige Kopfschütteln des Königs zurückgehalten, der aufsprang und mit vor Wut erstickter, heiserer Stimme schrie: »Schneidet ihm den Hals ab, schneidet ihm den Hals ab! Der Kreuzritter mag dann den Kopf des jungen Mannes seinem Herrn, dem Meister zu Marienburg schicken!«

Und dem neben Zbyszko stehenden litauischen Ritter, dem Sohne des Statthalters von Smolensk, rief der König laut zu: »Halte ihn fest, Jamont!«

Voll Schrecken über den Zorn des Königs legte Jamont die zitternde Hand auf Zbyszkos Schulter. Aber dieser wandte ihm sein bleiches Antlitz zu und sagte: »Ich fliehe nicht!«

Da erhob der weißhaarige Kastellan von Krakau, Topor von Teczyn, die Hand zum Zeichen, daß er zu sprechen wünsche, und als nun eine tiefe Stille eintrat, sagte er: »Allergnädigster König! Möge sich der Komtur überzeugen, daß nicht Dein Wille, sondern unser Gesetz den mit dem Tode bestraft, der sich an der Person des Gesandten vergreift. Sonst könnte man ja glauben, daß es kein christliches Gesetz in diesem Reiche gebe. Morgen soll Gericht über den Schuldigen gehalten werden!«

Die letzten Worte sprach er mit erhobener Stimme, und offenbar nicht einmal dem Gedanken Raum gebend, daß man ihm nicht Gehör schenken könne, gebot er Jamont: »Führt ihn ins Gefängnis! Und Ihr werdet Zeugnis ablegen, Ihr, der Herr aus Taczew,« fügte er zu diesem gewendet hinzu.

»Ich will genau berichten, worin die ganze Schuld des Jünglings besteht. Wahrlich kein reifer Mann unter uns hätte sich jemals zu einer solchen That hinreißen lassen,« erwiderte Powala, düster auf Lichtenstein schauend.

»Ihr sprecht wahr!« bekräftigte sogleich ein anderer Ritter – »er ist ja noch ein Knabe! Weshalb also hat man uns alle beschimpft?«

Ein tiefes Schweigen folgte, und unwillige Blicke richteten sich auf den Kreuzritter.

Mittlerweile hatte Jamont den Angeklagten weggeführt, um ihn den Händen der Bogenschützen zu übergeben, welche am Burgthore die Wache hielten. Sein inniges Mitleid mit dem Jüngling ward noch verstärkt durch den ihm angeborenen Haß gegen die Kreuzritter. Aber als Litauer gewöhnt, dem Willen des Großfürsten blindlings zu gehorchen und selbst bestürzt über dessen Zorn, begann er unterwegs in seiner Weise, dem jungen Ritter freundschaftlich zuzureden und sagte: »Weißt Du, was ich Dir rate? Hänge Dich sofort auf. Der König ist erbost – also wird man Dir den Kopf abhauen. Warum solltest Du ihn nicht wieder guten Mutes machen? Hänge Dich auf, Kamerad! Bei uns ist dies Sitte!«

Noch halb betäubt vor Scham und Schrecken, schien Zbyszko anfangs die Worte des Knäs nicht recht zu begreifen, aber schließlich verstand er sie und blieb voll Verwunderung stehen.

»Was sagst Du?«

Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski

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