Читать книгу Parkour - Herbert Lipsky - Страница 2

Prolog

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Lara Bauer nahm ihre Dienstwaffe aus der Schreib­tischlade, lud sie. Sicherte. Wog ihr Gewicht und zielte mehrmals beidhändig auf ein Bild an der Wand. Dann steckte sie die Waffe in ihr Halfter am Gürtel. Würde sie sie heute brauchen? Sie legte ihre kugelsichere Weste über ihrer Uniformjacke an. Fühlte sich durch die Weste beengt. Beim Verlassen ihres Büros warf sie einen prüfenden Blick in den großen Spiegel, den sie über dem Handwaschbecken anbringen hatte lassen. Die kurz geschnittenen blonden Haare waren nur teilweise unter der Kappe verborgen. Sie war mit dem, was sie sah, zufrieden. Ihre Haut war trotz einiger kleiner Fältchen um die Augen noch glatt und ohne Makel. Sie fand, dass sie etwas jünger aussah, als sie es tatsächlich war. Allerdings wirkte ihr Gesichtsausdruck heute angespannt und ernst, zwischen den Augen an der Nasenwurzel war eine tiefe Furche zu sehen. Sie strich sie glatt. Zwang sich zu einem Lächeln. Wie vor jedem Einsatz hatte sie zwar einen beschleunigten Puls, war aber nicht aufgeregt, sondern kalt und konzentriert, so wie sie es früher beim Judo vor den Wettkämpfen gewesen war.

Ort und Zeitpunkt der Razzia waren streng geheim gehalten worden. Nur die engsten Mitarbeiter der Sonderkommission waren eingeweiht. Die Sondereinheit, die man zusätzlich benötigte, die WEGA, hatte man angefordert, ohne den Einsatzort bekannt zu geben. Erst in letzter Minute würden die insgesamt vierzig Polizisten erfahren, wohin es gehen würde. Und während des Einsatzes durfte niemand sein Mobiltelefon benutzen, alle Befehle würden über Sprechfunk kommen. Denn die Leiterin der Kommission, Lara Bauer, hegte den Verdacht, dass die Betroffenen bei einigen Razzien zuvor gewarnt worden waren.

Das Zielobjekt war ein Bordell in der Leopoldstadt. Parksauna stand an der Fassade des Hauses, aber jeder wusste, was hinter seinen Mauern ablief. Doch bisher hatte es nie Schwierigkeiten mit den Behörden gegeben. Die Betreiber bezahlten ihre Steuern, und die beschäftigten Damen ebenso. Sie waren als Tänzerinnen, Masseusen und Bardamen angestellt und registriert, und alle unterzogen sich regelmäßig ärztlichen Untersuchungen. Eine Kontrolle im Vorjahr hatte nichts Verdächtiges ergeben. Das Publikum war zahlungskräftig, bekannte Persönlichkeiten gingen in dem Etablissement ein und aus. Auch ein Escortservice wurde angeboten.

Diesmal ging es jedoch um etwas anderes als Prostitution. Man hatte einen Tipp bekommen. Seit einiger Zeit sollte ein auf der Fahndungsliste stehender Tschetschene, ein gewisser Dimitri Kabakow, dort wohnen. Und Gruppeninspektorin Bauer vermutete, dass dieser Mann der Bande angehörte, zu deren Bekämpfung die Sondereinheit gebildet worden war. Er galt als überaus gefährlich.

Die Polizei hatte den ganzen Häuserblock weiträumig umstellt. Das Bordell selbst war ein lang gestrecktes einstöckiges Gebäude, seitlich gelangte man durch ein Tor in einen Hof, der als Parkplatz diente. Hier konnten die Kunden unauffällig parken, ohne von der Straße aus gesehen zu werden. Ein Schlagbaum schützte vor unerwünschten Besuchern. Der Hof war von den benachbarten Grund­stücken durch eine hohe Mauer abgegrenzt.

Zwei in Zivil gekleidete Beamte steuerten direkt auf den Eingang zu, wo ihnen zwei Türsteher mit Brachialgewalt den Eintritt verwehren wollten. Die beiden Männer wurden in ihre Loge gedrängt, als einer losschlagen wollte, bekam er mit dem Stock einen Hieb über den Kopf. Beiden wurden Handschellen angelegt. Nun schwärmten die uniformierten Polizisten in das Lokal und besetzten alle Ausgänge. Die Musik verstummte jäh, und die zwei Mädchen, die an den Stangen auf der Bühne geturnt hatten, erstarrten in ihren obszönen Posen. Aus dem Saunabereich mit dem Swimmingpool erklangen Schreie. Am Rand des Beckens saßen nackte Mädchen, die ebenso nackte Männer betreuten. Um den Pool verlief im ersten Stock ringförmig eine Galerie, von der zahlreiche Zimmer abgingen. Türen öffneten sich, aus denen weitere Damen und Herren in derangiertem Zustand herausquollen, wohl durch den Lärm und die Schreierei gestört.

„Ruhe bewahren, dies ist nur eine Personen- und Ausweiskontrolle. Kleiden Sie sich in Ruhe an, und kommen Sie in die Halle“, schallte es aus Lautsprechern.

Lara Bauer war mit drei Kollegen sofort in die obere Etage gestürmt, wo auch, wie sie wusste, das Büro der Geschäftsführung und weitere private Räume lagen. Ein bulliger Mann stellte sich ihnen in den Weg, gab aber sofort auf, als er die gezogenen Waffen der Beamten erblickte. Die Polizisten traten ohne anzuklopfen ein. Der Raum war luxuriös eingerichtet. An einer Wand waren zahlreiche Monitore angebracht, auf denen wesentliche Räume des Etablissements zu sehen waren.

In einer Sitzgarnitur saßen zwei Männer. Einer der beiden erhob sich ohne ein Anzeichen von Nervosität.

„Ah, ein unerwarteter Besuch, die Frau Bauer mit ihrer Truppe. Das ist Geschäftsstörung. Sollten wir sie nicht verklagen?“

Bauer hielt ihm ein Schreiben unter die Nase.

„Das ist keine Routinekontrolle, sondern eine Fahndung, wir suchen einen Mörder. Wir dürfen uns diesmal sogar bei Ihnen hier umsehen.“

Mittlerweile war auch der zweite Mann aufgestanden. Er war groß, gut gekleidet und wirkte in seiner Arroganz unnahbar und gefährlich. Sie musterte ihn. Er hielt ihrem Blick stand und sagte etwas in einer fremden Sprache, die Lara Bauer verstand. Es waren Flüche auf Russisch.

Plötzlich krachten draußen Schüsse. Bauer verließ rasch das Zimmer und lief in das Lokal hinunter, in dem Chaos herrschte.

„Im Hof wurde geschossen“, rief man ihr zu.

Sie rannte ins Freie, sah in einer Ecke neben einem Auto eine Gruppe Männer stehen. Einer ihrer Mitarbeiter saß am Boden und hielt sich die Schulter. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor.

„Er ist über die Mauer“, sagte er mit schwacher Stimme. „Er kam aus diesem Fenster.“ Er zeigte hinauf.

Der Gesuchte war vom Fenster auf die Mauer gesprungen und hatte, als er den Polizisten sah, sofort auf ihn geschossen. Ein Notarztwagen fuhr vor, und die Ärzte versorgten den verletzten Beamten, auf den mehrere Schüsse abgegeben worden waren. Nur seine kugelsichere Weste hatte ihn vor dem Tod bewahrt.

Bauer kehrte in das Lokal zurück. In der schummrigen Bar herrschte nun wieder eine gewisse Ordnung. Beamte kontrollierten Ausweise und Identitäten und ließen die registrierten Personen nach Hause gehen. Sie stieg in den ersten Stock. Vor der Tür zum Büro standen zwei Beamte. Sie ging weiter in das Zimmer, aus dessen Fenster Kabakow gesprungen war. Ein nicht gemachtes Bett, ein offener Koffer, ein Anzug und Hemden im Schrank, Toiletteartikel in der Duschnische. Er hatte offenbar hier gewohnt. Bauer ging mit den Kollegen in das Büro zurück, wo die beiden Herren immer noch ruhig warteten. Sie setzte sich zu ihnen.

„Nun ja, diesmal wird es ein wenig schwierig für Sie werden, fürchte ich. Sie haben einen gesuchten Verbrecher bei sich aufgenommen. Und ein Polizist wurde angeschossen.“

„Das ist doch nicht meine Schuld.“

Der zweite Mann war aufgestanden und sagte in perfektem Englisch mit stark amerikanischem Akzent: „I am only a businessman. I want to go.“

„You may go … after you have given your identity to my collegue.“

Gemeinsam mit einem Polizisten verließ er den Raum.

„Nun zu Ihnen, lieber Herr Jaroschka. Wir werden Ihr Haus, im Speziellen ein Zimmer kriminaltechnisch unter die Lupe nehmen und dabei feststellen, dass der geflohene Mann bei Ihnen gewohnt hat. Dann wird es eng für Sie. Sie haben ihm Unterschlupf gewährt. Sagen Sie mir doch lieber gleich die Wahrheit.“

Sie schob ihm ein Foto von Dimitri Kabakow über den Tisch. Auf Jaroschkas Stirn bildeten sich Schweißtropfen.

Er schwieg einige Zeit lang, dann fragte er: „Lassen Sie mich dann in Ruhe?“

„Sie meinen, ob es wieder zu Razzien kommen wird? Während Sie sitzen sicher nicht.“

„Kabakow ist mit einem Schreiben eines Geschäftspartners aus Russland gekommen, der mich gebeten hat, ihn in Wien aufzunehmen und ihm die Stadt zu zeigen. Ich habe keine Ahnung gehabt, dass er polizeilich gesucht wird.“

„Und, haben Sie ihm Wien gezeigt?“

„Natürlich, man will ja freundlich sein. Dieser russische Freund schickt mir viele reiche Kunden. Ich bin ihm verpflichtet.“

„Haben Sie das Empfehlungsschreiben noch?“

„Nein, ich habe es weggeworfen.“

„Was wissen Sie über diesen Herrn Kabakow?“

„Nichts.“

„Wo könnte er sein? Mit wem war er hier zusammen, wen hat er getroffen?“

„Ich habe keine Ahnung. Er kam und ging, wie er wollte. Ich hatte keine Zeit, mich ständig um ihn zu kümmern.“

„Wie lange wohnt er schon bei Ihnen?“

„Einige Wochen.“

„Sie sind ein großzügiger Gastgeber.“

Dabei blieb Jaroschka, mehr war ihm nicht zu entlocken. Man konnte die Angst, die er hatte, förmlich riechen. Die Razzia dauerte bis in die Morgenstunden. Alle Personen waren registriert, alle Mädchen kontrolliert worden.

Es dauerte den ganzen nächsten Tag, um die gewonnenen Daten zu bearbeiten. Trotz des entkommenen Verbrechers war die Razzia nicht unergiebig gewesen: Eine der Damen hatte gefälschte Papiere, drei waren mit Österreichern verheiratet, vermutlich Scheinehen. Ein Mann hatte keine Dokumente bei sich gehabt. Zwei andere wurden wegen Betrugsdelikten gesucht. Allen Mädchen hatte man Kabakows Foto gezeigt, die meisten hatten ihn jedoch angeblich nie gesehen, keine hatte mit ihm Kontakt gehabt.

Lara Bauer lud die drei Frauen, bei denen der Verdacht auf Scheinehe bestand, zu sich ins Kommissariat. Die Mädchen taten ihr eigentlich leid, aber sie wollte von ihnen etwas wissen. Man wollte sie verunsichern, sagte, dass ihre Papiere überprüft werden würden. Ob da wohl alles mit rechten Dingen zugegangen sei? Die Ehen seien, soweit man es beurteilen könne, wahrscheinlich ungültig. Man sah den Armen an, dass sie Angst vor der Ausweisung hatten. Eine von ihnen kam aus Nigeria, eine stammte aus Moldawien und eine aus der Ukraine, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt. Ohne Schminke und Kunstlicht sahen sie alltäglich und unansehnlich aus. Auf der Straße würde man ihnen nicht unbedingt nachschauen. Ihr Deutsch war miserabel.

Zunächst ließ Bauer sie einmal warten, dann nahm sie sich jede einzeln vor. Sie blätterte in ihren Unterlagen, musterte sie eindringlich und fing erst dann an, Fragen zu stellen. Wie lange sie schon da sei, wo sie ihren österreichischen Mann kennengelernt habe, ob sie Kinder habe und ob denn ihr Mann nichts dagegen habe, dass sie in einem Bordell arbeite. Die Inspektorin stellte die gleichen Fragen immer wieder, drohte, sie würde, wenn sie die Unwahrheit sagte, aus Österreich ausgewiesen werden. Die Frau aus Nigeria gab an, ihren Mann in Österreich kennengelernt zu haben, sie sei als Tänzerin eingereist und habe eine Arbeitsbewilligung erhalten. Die Moldawierin war als Pflegehelferin ins Land gekommen, und die Ukrainerin hatte ihren Mann durch das Internet kennengelernt. Soweit die üblichen Geschichten. Kabakow hatte keine der drei jemals gesehen.

Mit der Ukrainerin, die Bauer sich als Letzte vornahm, sprach sie russisch. War es die Vertrautheit, die durch den Gebrauch der bekannten Sprache entstand, oder die zunehmende Furcht, jedenfalls sagte die Frau plötzlich: „Er war mit Sylvia zusammen.“

„Wer ist diese Sylvia?“

„Sie hatte an diesem Abend frei, sie ist Österreicherin und hat ein Kind.“

„Ihr Name und ihre Adresse?“

„Weiß ich nicht.“

„Gut, danke, du kannst gehen. Ich werde niemandem sagen, was ich gehört habe.“

Es würde kein Problem sein, die Adresse von Sylvia herauszufinden.

Parkour

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