Читать книгу Tod im Maisfeld - Herbert Weyand - Страница 11
acht
Оглавление»Wo warst du?« Kurt stand entrüstet auf der Terrasse, als Claudia von den Nachbarn zurückkam. »Ich hab‹ gesehen, dass du schon zu Hause warst.«
»Drüben bei Paul und Griet.«
»Schreib‹ doch bitte einen Zettel. Ich hab‹ Angst, wenn ich nicht weiß, wo du bist.«
»Du bist ein großes Kind«, sie wuschelte ihm durchs Haar. »Was hast du heute gemacht?«
»Ich bin durch die Heide geritten und habe die Bekanntschaft einer netten Frau gemacht.« Kurt befand sich aufgrund der schweren Verletzungen, die er erlitten hatte, in einer offenen Rehabilitation. Die Ärzte verordneten ihm Bewegung jeglicher Art, damit die Muskeln wieder geschmeidig wurden.
»Lass‹ dich nicht erwischen.« Claudia lachte fröhlich. »Falls du nicht vorsichtig bist, kannst du nie mehr reiten. Dafür sorge ich.«
»Glaub‹ ich nicht, denn, dann hast du auch nichts mehr davon. Nach dem Ausritt war ich zur Krankengymnastik. Deine Leichen sind überall Gesprächsthema. Ja … vorhin wollte ein Pressevertreter mit dir sprechen.«
»Presse? Wieso wissen die, dass ich jetzt hier wohne? Dem von der örtlichen Presse habe ich eine Visitenkarte mit meiner Aachener Dienstnummer gegeben.«
»Dorf. Da bleibt nichts geheim.«
Kurt wuchs in dieser Diaspora auf, die von den Katholiken dominiert wurde. Da rückten die Evangelen eng zusammen. In dieser Gemeinschaft gab es wenige Geheimnisse. Die Verbindung mit einer Frau bedeutete, einen Auftrag fürs Leben. Im Guten und im Schlechten. Bis dass der Tod euch scheidet. War Claudia diese Frau? Solche Gedanken schob er ansonsten beiseite. Doch sie besaßen ihren Reiz. Die jetzige Verbindung zu Claudia gestaltete sich so einfach. Von der ersten Begegnung bis heute wuchs die gegenseitige Zuneigung ohne große Worte. Ihm kamen keine großen Gefühle über die Lippen. Claudia verstand ihn, anders konnte er ihre gegenseitige Zuneigung nicht erklären. Er war glücklich. Ein halber Mensch, wenn sie, aus welchem Grund auch immer, getrennte Wege gingen … und sei es nur ein halber Tag. War das Liebe?
»Ach egal. Weißt du, was wir jetzt machen? Badewanne und dann …« Claudia sah ihn lüstern an.
»Oh ja. Eine ähnliche Idee habe ich …« Kurt brachte den Gedanken nicht zu Ende. Der Türgong schlug an.
»Wir tun als wäre niemand zu Hause«, flüsterte sie, als wenn sie der Jemand, vor der Türe, hören konnte.
»Unsere beiden Autos stehen vorn«, flüsterte er zurück und war schon auf dem Weg zur Tür.
»Rai? Was machen sie hier? Und dann in diesem Aufzug?« Claudia hörte Kurts erstaunte Fragen.
»Kurt … mit Ihnen habe ich nicht gerechnet«, antwortete eine dunkle erotische Frauenstimme mit einem leichten Akzent. »Meine Dienststelle sagte mir, ich finde hier Hauptkommissarin Claudia Plum.«
»Meine Lebensgefährtin. Kommen Sie herein.«
Claudia flitzte ins Esszimmer und saß unbeteiligt am Tisch, als Kurt in Begleitung einer attraktiven Frau, in Uniform einer Militärpolizistin, ins Zimmer kam. Die Uniform saß wie eine zweite Haut. Bestimmt maßgeschneidert, dachte Claudia. Die Soldatin überragte Kurt beträchtlich, der für sie schon riesig war.
»Claudia Plum.« Kurt stellte sie der Polizistin vor. »Raissa Stone«, wiederholte er den Vorgang umgekehrt.
»Frau Plum … ich störe Sie nicht gerne. Bevor ich offiziell in Erscheinung trete, wollte ich Sie kennenlernen. Haben Sie etwas dagegen einzuwenden?«
»Ich weiß noch nicht. Nehmen Sie Platz.« Claudia wies auf einen Stuhl. »Möchten Sie etwas trinken?«
»Wie ich hörte, ist dies eine Kaffeegegend. Also nehme ich gern eine Tasse.«
»Machst du welchen?«, fragte sie Kurt. Er nickte und begann in der Küche zu werkeln.
»Meine Angelegenheit ist dienstlich.« Raissa eröffnete das Gespräch ohne Umschweife. »Ist Ihr Lebenspartner eingeweiht oder müssen wir woanders hingehen?«
»Sie können morgen in mein Büro kommen, dort sind alle vereidigt.«
»Tut mir leid. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Die Angelegenheit ist sehr diffizil und ich lehne mich weit aus dem Fenster.«
»Er ist vertrauenswürdig«, gab Claudia zu verstehen. Entschuldigend sah sie zu Kurt hinüber und zuckte mit den Schultern. Er schnitt eine Grimasse. Raissa Stone betrachtete das Zwischenspiel schmunzelnd.
»Bevor ich beginne, mache ich Sie darauf aufmerksam, dass unser Gespräch diese Wände nicht verlassen darf. Sie können weder mit Ihren Kollegen oder sonst jemanden sprechen. Sie ebenso nicht, Kurt.« Widerwillig nickten beide.
»Gut. Darf ich die Jacke ausziehen? Sie haben gut geheizt.«
Claudia nickte zustimmend und wollte ihr behilflich sein. Raissa winkte ab. Sie wand sich in einer geschmeidigen Bewegung aus dem Kleidungsstück. Die Bluse spannte über einem gigantischen Busen, wobei Kurt, die Taille mit den Händen hätte umfassen können. Alles an dieser Frau wirkte geschmeidig und kraftvoll. Pass auf, dass du keine Minderwertigkeitskomplexe bekommst, dachte Claudia.
»Die beiden Toten, die Sie zurzeit bearbeiten, sind amerikanische Staatsbürger. Entsprechend der Abkommen, zwischen unseren beiden Staaten, sind Sie – also die deutsche Polizei - aus den Ermittlungen heraus.« Raissa dankte Kurt mit einem knappen Nicken für die Tasse Kaffee, die er auf den Tisch stellte. Sie erwartete eine Reaktion.
Claudia saß entspannt und dachte nicht daran zu reagieren. Die Frau wollte etwas von ihr, weil sie ansonsten nicht vor ihr säße.
Kurt versuchte das Schweigen zu unterbrechen, doch Claudia legte ihre Hand auf die seine und streichelte ihn leicht, wie abwesend.
Raissas grinste anerkennend. »Ich bin am Zug«, stellte sie fest. »Gut. Die beiden Toten arbeiteten als Agenten einer Institution unseres Landes, zu der Sie nichts Näheres wissen müssen. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich auch nichts darüber. Sie mussten aus Gründen, worüber ich nichts weiß, abtauchen und fanden in Deutschland das, was sie suchten. Hier wurden sie umgebracht. Der letzte Fall, an dem sie arbeiteten, stand im Zusammenhang mit dem Handel von Daten. Sie sagen jetzt, dass Datenhandel ein alltägliches Übel ist. Ich stimme Ihnen zu, solange es um die Erfassung von Kaufverhalten und Ähnlichem geht. Allerdings geht es in diesem Zusammenhang um sensiblere Daten wie die Namen von Soldaten, die in Krisengebieten eingesetzt sind oder die inneren Strukturen von Geheimoperationen.« Während sie sprach, lagen ihre Augen ruhig auf Claudia.
»Warum stellen Sie Ihre Computersysteme nicht um?« Kurt warf die Frage dazwischen.
»Wenn es so einfach wäre. Wir sprechen hier nicht über einen Hackerangriff. Es sind gewissenslose Geschäftsleute an der Arbeit, die in vielen kleinen Aktionen die Daten an Land ziehen und zu einem Komplex zusammensetzen, der ihnen dann die gewünschten Informationen gibt. Sie befinden sich hier auf einem Spekulationsmarkt.«
»So wie Schweinebäuche?« Kurt unterbrach wieder.
»Genau. Wie Eddie Murphy und die Schweinebäuche. Es geht banal um Geld und nichts anderes. Keine nationalen oder internationalen Verschwörer. Einfach Geld. Wir laufen in Gefahr, dass die Daten in falsche Hände geraten und darüber Personen und nicht nur amerikanische Staatsbürger in Lebensgefahr geraten. Grace und Peter Abels sind zwei von fünf Agenten, die bei den Recherchen ihr Leben ließen.«
»Unter diesen Umständen ist es für uns begrüßenswert, wenn wir aus den Ermittlungen heraus sind«, stellte Claudia lapidar fest.
»An ihrer Stelle würde ich das auch sagen. So einfach ist die Situation nicht. Ihre Vorgesetzten, ihre Regierung und meine Leute werden Sie ins offene Messer laufen lassen. In Kenntnis aller Aspekte werden Sie aufgefordert, Ihre Ermittlungen durchzuführen, ohne dass Ihnen reiner Wein eingeschenkt wird.«
»Was veranlasst Sie, mich zu warnen?«
»Gute Frage. Schwere Antwort. Unser Rechtssystem ist besch … eiden. Zuviel Willkür, zu viele Eitelkeiten. Im Grunde gilt das einzelne Lebewesen nichts. Ich habe zu lange im Ausland und hauptsächlich in Deutschland gelebt, als dass mir starke nationale Gefühle die Sicht auf das Wesentliche versperren. Mein Entschluss Sie heute zu besuchen, ist eine adhoc Entscheidung, und wurde nicht geplant. Ich begegnete heute Morgen Ihrem Lebensgefährten Kurt. Keine geplante Aktion. Ich wusste sofort, wer er war und ihn Ihnen zugeordnet. Ich bin bereit, Sie in jeder Hinsicht zu unterstützen, natürlich nicht offiziell.«
Claudia schwieg lange. Die Gedanken kreisten und wogen ab. Es war nicht so, dass sie die Ausführungen von Raissa Stone abtat. Sie wusste nicht, worin das Motiv lag, sie zu warnen. Aus irgendeinem Grunde vertraute sie der Frau. Maßlos ärgerten sie, Kurts Stielaugen, die über den Busen des Gastes strichen. Dabei hatte sie selbst wahrlich genug für einen Mann. Männer … immer auf der Jagd. Das zahlte sie ihm heim.
»Gut.« Claudia riss sich zusammen und drückte den Anflug von Eifersucht zur Seite. »Eine endgültige Zusage hängt davon ab, wie meine Dienststelle und die übergeordneten Dienstherren reagieren. Sollte es nur andeutungsweise in die von Ihnen angedeutete Richtung gehen, machen wir gemeinsame Sache.«
»Nein. Da rede ich auch ein Wort mit.« Kurt trat aufgeregt an den Tisch. Sein Blutdruck schoss unvermittelt in die Höhe. »Du wirst dich nicht wieder in Gefahr begeben?« Die Angst um sie stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Ich hab‹ keinen Bock, mich wieder deinetwegen zu ängstigen.«
»Das ist mein Job. Ich bin nicht mehr in Gefahr, als bei jedem anderen Fall.«
»Ich will es aber nicht.«
Claudia wuselte ihm, wie so oft, durch die Haare. »Kinder die was wollen, bekommen eins auf die Bollen. Nimm dich zusammen. Mit Frau Stones Unterstützung haben wir alles im Griff. Was muss ich noch wissen?«, sie wandte sich der Amerikanerin zu. Kurts Fürsorge tat ihr gut. Fast war sie geneigt, die begehrlichen Blicke auf den Busen der Amerikanerin zu tolerieren. Nein … dafür bekam er eine Packung.
»Ich besuche morgen offiziell Ihre Dienststelle und weise mich als Beobachterin der amerikanischen Regierung aus. Wir kennen uns nicht. Danach wird Ihr Staatsanwalt Sie davon unterrichten, dass Sie die Ermittlungen weiter leiten. Wenn Sie wollen, mache ich Ihnen einen Termin auf der Base. Dazu ist jedoch zu sagen, dass außer einem Kaffee oder Tee nichts herauskommen wird.«
»O. k., wenn weiter nichts ist, möchte ich Feierabend machen.« Claudia erhob sich. Sie hatte keine Lust mehr und wollte Ruhe haben.
»Ich bin gleich weg.« Raissa Stone stand auf und zog ihre Uniformjacke an. »Reiten Sie morgen wieder?«, fragte sie Kurt. »In den frühen Nachmittagsstunden bin ich wieder an dem Platz, an dem wir uns heute getroffen haben.«
»Einen Moment.« Claudia hielt die Amerikanerin auf. »Sie haben davon gehört, dass das Haus in dem Abels lebte, zusammengefallen ist?«
»Wann?« Stone sah sie mit undurchdringlicher Miene an.
»Vor ein paar Stunden. Das müssen Sie doch mitbekommen haben.«
»Ich habe die Feuerwehr gesehen, jedoch keinen Zusammenhang hergestellt. Ich kümmere mich darum.« Sie nickte kurz und ging zur Ausgangstüre. Claudia begleitete sie.
»Du wirst morgen nicht reiten«, fauchte Claudia, als sie zurückkam.
»Wie sie befehlen, Gnädigste.« Kurt nahm sie in den Arm.
»Eine richtige Kuh. Hängt die dicken Titten in die Gegend. So etwas gehört verboten. Und du Idiot starrst die ganze Zeit darauf. Ich dachte schon, du bekommst einen Krampf in die Augen.«
»Reg dich ab. Sie ist eine schöne Frau.«
»Sag‹ das noch einmal und ich kratz‹ dir die Augen aus.«
»Stell‹ dich nicht blöd an. Du bist auch eine schöne Frau und brauchst keine Komplexe zu bekommen. Und das Beste ist … du gehörst zu mir.« Bevor Claudia etwas sagen konnte, warf er sie kurzerhand über die Schulter und stolperte die Treppe hinauf ins Badezimmer.
*
»Du hast um zehn Uhr einen Termin beim Staatsanwalt.« Maria empfing Claudia schon in der Tür.
»Wenn der etwas von mir will, soll er hierhin kommen«, antwortete Claudia missmutig.
»Heute schlecht aufgestanden?«
»Nein. Ich war sehr gut gelaunt. Du hast nichts damit zu tun. Aber echt … wenn der was von mir will, dann nur hier. Wo ist Heinz?«
»Der beruhigt den Polizeipräsidenten. Der will dich nämlich auch sprechen.«
»Super. Dann hole ich mir eine Tasse Kaffee.«
»Wie bist du denn drauf. Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen?«
»Schlimmer. Warten wir den heutigen Tag ab … dann sprechen wir darüber.«
»Oh, geheimnisvoll. Gib mir einen Tipp.« Maria hatte sich aufgetakelt. Wahrscheinlich frönte sie wieder ihren Kaufrausch. Zwei- bis dreimal im Jahr machte sie Bekleidungsgeschäfte unsicher. Immer dann, wenn es ihr besonders gut oder schlecht ging. War sie ganz am Boden, kaufte sie Schuhe.
»Wart‹ es ab«, antwortete Claudia. In diesem Augenblick klopfte es kurz an der Tür und der Polizeipräsident trat ein. Im Gefolge der Staatsanwalt, Heinz und Raissa. Maria sprang dienstbeflissen auf, während Claudia unbeeindruckt an ihrem Kaffeebecher nippte.
»Frau Plum«, der Staatsanwalt stand gewichtig vor ihrem Schreibtisch.
»Herr Dengler?« Sie sah ihn fragend an. »Nehmen Sie Platz.« Sie deutete zu einem Tisch, um den sechs Stühle standen. Ausreichend Platz, ging ihr durch den Kopf.
Den Wind aus den Segeln genommen, nahm die kleine Gruppe Platz.
»Ich bin Claudia Plum«, sie reichte Raissa die Hand.
»Raissa Stone. Militärpolice United States of America«, die Polizistin lächelte freundlich. »Ik nemm gern eine Coffie«, fuhr sie in fürchterlichem Deutsch fort.
»Ja, ja. Das ist Frau Stone«, der Polizeipräsident wies fahrig auf die schöne Frau, während die Augen hin und her wanderten. Er konnte noch nie einer Frau in die Augen schauen. Claudia wünschte manchmal, Gedanken lesen zu können, wenn sie mit ihm zu tun hatte. Wahrscheinlich zog er sie in Gedanken aus. Insgesamt war er eine steife Printe, wie der Aachener sagte. Hölzern und keinen Funken Humor. »Frau Stone ist aus Amerika«, stellte er überflüssigerweise fest. Raissa Stone saß soldatisch kerzengerade auf ihrem Stuhl. Auf ihrer Uniform prangte unübersehbar die amerikanische Fahne.
»Ich kann Ihnen leider nichts anbieten.« Claudia zuckte entschuldigend die Schulter und grinste innerlich, weil der Staatsanwalt und der Polizeipräsident nun doch gezwungen waren, zu ihr zu kommen. Ein kleiner Sieg, der nichts wert war. Doch er tat gut.
»Wir wollen Sie nur kurz aufhalten«, sagte der Staatsanwalt, weiterhin gewichtig. »Frau Stone wurde von unseren NATO-Kollegen zu Ihrer Unterstützung abgestellt.«
»This is not richtisch.« Raissa unterbrach ihn. »Not Unterstützung. To see, sehen. And not NATO.«
»Ich verbessere mich. Natürlich USA und zur Beobachtung. Weil die Toten, Amerikaner sind.« Er lächelte der Amerikanerin zu.
»Beobachtung? Ich höre wohl nicht richtig. Entweder sind wir für den Fall zuständig und dann ganz … aber ich lasse mir nicht auf die Finger schauen, während ich arbeite.« Claudia verstellte sich nicht. Das Blut wallte und Wut drängte in den Vordergrund, weil das, was ihr Raissa am Tag vorher mitteilte, tatsächlich eintrat. Und dann … dieses Theater mit der Sprache. Es stimmte vieles nicht. »Was ist los? Die beiden Leichen wurden in unserem Aufgabenbereich gefunden und nicht auf exterritorialem Gebiet. Deutscher Boden, deutsche Polizei.«
»Jetzt blasen Sie sich nicht auf. Sie tun, was der Staatsanwalt Ihnen sagt oder Sie sind raus aus dem Fall«, sagte der Polizeipräsident leidenschaftslos in die Runde. Er war wirklich ein Arsch. Nicht besser, als der Vorgänger. Die wurden wohl im gleichen Backofen gebacken.
»Aufblasen? Sie wissen wohl nicht, was sie sagen.« Claudia wurde ruhig. Wenn jetzt jemand ihren Puls suchte, er hätte keinen gefunden. In solchen Situationen wurde sie zu einem Eisblock. »Dann nehme ich mir ein paar Tage Urlaub. Den Urlaubsschein schicke ich gleich ins Sekretariat.«
»Mit der Ruhe, Frau Plum«, sagte Dengler.
»Ich rege mich nicht auf. Das sehen Sie doch selbst.« Claudia unterbrach ihn. »Ich bin aus dem Fall raus. Das haben Sie selbst gehört. Ich bin nicht böse darüber. Der Urlaub kommt mir gelegen. Wir haben noch einige schöne Herbsttage vor uns.«
»Überstürzen Sie bitte nichts. Die Anweisung kommt von ganz oben. Aus dem Bundesinnenministerium. Frau Stone wird Sie nicht stören.«
»Aus dem Innenministerium … nach Aachen … in die Staatsanwaltschaft und ins Polizeipräsidium … sind wir in einer Komödie? Erzählen mir bitte nicht solchen Schwachsinn. Was ist wirklich los?« Claudia sah Dengler an, als habe sie einen Verrückten vor sich.
»Ich verstehe Ihren Unmut Frau Plum. Mir geht es nicht anders. Meine Weisung kommt von der Bundesstaatsanwaltschaft. So viel zum Föderalismus, den Sie jetzt sicher anführen.«
»Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund.« Claudia konnte ein Schmunzeln nicht verbergen.
Maria und Heinz betrachteten mit großen Augen ihre Vorgesetzte. So hatten sie Claudia in der Zusammenarbeit noch nicht erlebt. Was ging hier vor? Sie spürten die unterschwellige Anspannung des nicht Gesagten, konnten jedoch keinen Finger darauf legen.
»Das Bundesinnenministerium hat Sie also angewiesen.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Hier sind Kräfte am Werk, die über eine sagenhafte Technik verfügen. Schon einmal etwas davon gehört, dass Häuser lautlos zusammenfallen? Warum übernehmen die nicht?«, fragte Claudia den Staatsanwalt. Ihre Gedanken rasten. Ein internationaler Konflikt? Da ließ sie besser die Finger davon. Nein. Gerade jetzt nicht. Die Genugtuung gönnte sie niemanden. Sie manipulierte sich selbst. Das wusste sie. Trotz der Warnung, die ihr die Amerikanerin hatte zukommen lassen.
»Frau Plum. Sie haben eine Weisung und werden diese ausfüh …«, begann der Polizeipräsident aufgebracht. Dengler legte ihm bestimmt eine Hand auf den Unterarm und forderte ihn mit einem Blick zum Schweigen auf.
»Das Ministerium wird Ihnen eine Hilfe an die Hand geben. Keine Aufregung bitte«, unterband er ein Aufbegehren Claudias. »Sie leiten diesen Fall und egal wen die abstellen, er wird Ihnen weisungsgebunden sein. Und … Hilfe werden Sie wohl nicht abschlagen.« Dengler sah sie beschwörend an. Claudia konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, dass sehr viel Ungesagtes im Raum stand.
»Wem erstatte ich Bericht?« Sie ließ es bei der kurzen Frage bewenden, in der Hoffnung, später dann mehr zu erfahren.
»Zurzeit mir, im Beisein von Frau Stone. Wer vom Ministerium kommt, weiß ich nicht. Sie wissen, dass ich noch nicht lange im Amt bin. Eine solche Situation wie diese, in der wir uns jetzt befinden, hatte ich noch nicht. Sie können darauf vertrauen, dass ich alles dazu tue, Ihnen nicht zu schaden. Auch wenn Frau Stone jetzt anwesend ist, sage ich offen, dass mir manches spanisch vorkommt. Es ist nicht Art der Amerikaner andere nationale Behörden im Tötungsfall amerikanischer Bürger ermitteln zu lassen. Falls Ihnen etwas dubios oder gar gefährlich vorkommt, wenden Sie sich an mich. Sollten Ihnen die Ermittlungen über den Kopf wachsen, das ist nichts Ehrenrühriges, melden Sie sich. Oder besser, salopp ausgedrückt, schmeißen Sie die Pröllen hin. Gerade die Amerikaner sollen nicht denken, dass sie unser Rechtssystem manipulieren können, wie zurzeit das schwedische. Ich werde alles tun, Sie unbeschädigt aus dieser Angelegenheit herauszunehmen.« Dengler nickte ihr zu und sprach Raissa in englischer Sprache an. »Ich gehe kaputt an dem, was hier nicht gesagt wird und ersticke an dem, was ich nicht sagen darf. Seien Sie versichert, falls Sie ein falsches Spiel spielen, werden Sie keine Freude daran haben.« Unbeeindruckt von der Masse Weiblichkeit sah er sie kalt an.
Raissa Stone nickte lediglich.
»Jetzt überlassen wir Sie Ihrer Arbeit.« Dengler nickte dem Polizeipräsidenten und Raissa kurz zu. Als die beiden zur Tür gingen, folgte er ihnen.
Claudia sank zurück. Tatsächlich trat das ein, was Stone prophezeite. Nie hätte sie es für möglich gehalten. Sie nahm Dengler ab, dass er nicht mehr wusste, wie sie. Sie bekam Hochachtung vor ihm, wie er völlig unvermutet, reagierte.
Wer letztendlich an den Rädchen drehte, würde sie herausbekommen und wenn es das Letzte wäre, was sie tat.
»Hallo. Erde an Raumschiff«, Heinz fuhr mit einer Hand vor ihren Augen auf und ab. »Drehen wir einen Tatort oder was war das?«, fragte er, als sie ihm Aufmerksamkeit schenkte.
»Darüber sprechen wir später und nicht hier«, antwortete sie müde. Jegliche Kraft und Anspannung verließ sie.
»Tu‹ uns das nicht an. Wir platzen vor Neugierde. Dengler und unser Präsident stritten vorhin heftig. Das war nicht von schlechten Eltern. Bis dann diese Amerikanerin kam. Sie nahmen keine Rücksicht auf mich. Dengler erhielt wohl einen Anruf aus Berlin, der ihm nicht gefiel. Er deutete es vorhin an. Unser Staatsanwalt wehrte sich dagegen, dass wir die Ermittlungen weiterführen, und machte es auch deutlich. Zu undurchsichtig, zu gefährlich und eine Falle. Alles habe ich nicht mitbekommen oder zumindest nicht verstanden.« Heinz sah sie besorgt an, wobei er nervös die Jeans hochzog.
»Hier stimmt jede Menge nicht«, meinte Maria. »Ich sprach gestern mit Armin. Er sorgte sich, weil im LKA die Drähte zu unserem Fall heiß liefen. Die Toten haben eine groß angelegte Ermittlung der amerikanischen Bundesbehörden in Gang gesetzt.«
»Wie gesagt. Wir sprechen später darüber und nicht hier.« Claudia schloss das Thema und verließ den Raum.
»Was ist denn mit der los?«, fragte Heinz.
»Da braut sich was zusammen. Irgendein heißes Ding. So habe ich Claudia noch nie erlebt.«
»Was hat denn dein Heini vom LKA genau gesagt?«
»Der Heini heißt Armin«, Maria zog die stark betonten Augenbrauen hoch, »und deutete die Schwierigkeiten lediglich an. Dabei schien er in großer Sorge. Irgendwer muss in Düsseldorf mächtig herumwirbeln. Wie immer ... unter großer Geheimhaltung. Das kennen wir … es dringt meist etwas nach draußen.«
»Und das auf meine alten Tage. Ich brauch das nicht mehr.« Heinz schob fahrig die Akten über den Tisch. »Ob ich mal Fabian anrufe?«
»Untersteh‹ dich. Claudia verpasst dir einen Einlauf, dass du nie mehr von der Toilette kommst.«
*
Claudia drehte vor dem Polizeipräsidium auf dem Parkplatz ihre Runden, die Schultern eingezogen und den Kopf gesenkt. Der Wind wehte kühl und sie trug keine Jacke. Ein Königreich für eine Zigarette. Sie war nie abhängig von den Glimmstängeln, doch ab und zu … Wütend auf die Welt, brabbelte sie sinnlose Worte. Abrupt blieb sie stehen und guckte zum Eingang. Stone kam heraus. Sie schüttelte leicht den Kopf.
Claudia riss sich zusammen und nahm den Lauf wieder auf. Kaum setzte Raissa den Fuß auf die erste Stufe, um hinabzugehen, rauschte eine schwere dunkle Limousine heran und sie stieg ein. Verspiegelte Scheiben. Claudia erkannte nicht, ob außer dem Fahrer jemand im Innenraum saß. Ein BD-Kennzeichen mit einer Neun beginnend. Bundesinnenministerium, wenn ihre Erinnerung nicht trog.
Was wurde hier gespielt? Eine Bundesbehörde? Konnte sie der Amerikanerin trauen, die gestern am frühen Abend so sympathisch rüber kam? Alles trat so ein, wie sie es voraussagte. Wo geriet sie hinein? Claudia nahm das Smartphone und drückte Marias Kurzwahltaste. Sie ging kein Risiko ein. Das Team wurde in der Vergangenheit schon einmal abgehört. Litt sie unter Verfolgungswahn? Nein, sicher nicht.
»Ich bin’s«, sagte sie kurz. »Bitte keine Namen. Wir treffen uns um vierzehn Uhr bei mir.« Sie unterstellte Kurt, dass er die Gelegenheit, zum Ausritt mit Raissa, nutzte, und sei es, um sie zu provozieren. Sie nutzten in der jüngeren Vergangenheit die Wohnung ihres Lebensgefährten, häufiger zu konspirativen Sitzungen. Im Präsidium herrschte in den letzten Wochen ein derartiges Durcheinander, dass die kurzzeitige Verlegung der Tätigkeit an einen anderen Ort, nicht auffiel. Die Führungsriege durchlief vor einigen Wochen eine Erneuerung. Die Beteiligten warteten auf ihren Prozess in einem Korruptionsskandal. Langsam schlenderte sie ins Büro zurück.
*